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Politik

TV-Duell Merkel - Schulz: Die Welt im Blick

Kay-Alexander Scholz
3. September 2017

Mit dem TV-Duell hat in Deutschland der heiße Wahlkampf begonnen. Es gab viele internationale Themen zwischen der Kanzlerin und ihrem Herausforderer. Kay-Alexander Scholz war vor Ort, wo eine Duell-Party gefeiert wurde.

Deutschland TV Duell Merkel - Schulz
Bild: Reuters/WDR/H. Sachs

Das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz ist nicht nur ein riesiges Fernseh-Event in Deutschland: Es läuft parallel auf den vier größten landesweiten TV-Sendern Sonntagabend zur besten Sendezeit, mit 20 Millionen Zuschauern wird gerechnet. Das Duell ist auch ein Party-Event. Die Fußballfeld große Pressehalle am Berliner Stadtrand ist mit einem Dutzend Kronleuchtern verziert. 700 Journalisten sowie politische Prominenz, Schauspieler und Sportler sind angemeldet. Sie können unter anderem wählen zwischen Ruhrpott-Curry, Wein aus Baden und deutschem Gin, um das Duell-Schauen angenehm zu machen. Hostessen bieten Roastbeef an. Coole Lounge-Musik ermuntert zuzugreifen. Die Technikbetreuung fragt, ob alles in Ordnung ist. So gute Betreuung für Journalisten ist für deutsche Verhältnisse eher ungewöhnlich.

Draußen aber erinnert viel an einen Hochsicherheitstrakt. Die Zufahrtsstraßen in Berlin-Adlershof sind abgesperrt. Hier hatte einst das DDR-Fernsehen seinen Hauptsitz. Nun ist rund um das verbliebene TV-Studio eine Technologie-Stadt entstanden mit zehntausenden Arbeitsplätzen und tausenden neuen Wohnungen. Das Gelände ist eine der großen Erfolgsstorys der deutschen Hauptstadt, die hier zeigt, dass sie mehr als Party kann.

Polizei ist überall sichtbar. Das war vor vier Jahren noch nicht so extrem und ist laut Veranstalter der veränderten Sicherheitslage geschuldet. Am Rande hat die Nachwuchsorganisation von Merkels Partei, der CDU, ein Wink-und Jubelkommando aus rund 200 Personen organisiert. Die jungen Sozialdemokarten sind noch nicht zu sehen. Ein junger CDUler erklärt sich das damit, dass es vielleicht zu wenige Schulz-Fans gebe.

Bild: DWK.-A. Scholz

Martin Schulz im Rückstand

Diese Einschätzung beschreibt gut die Ausgangsposition für das anderthalb-stündige Streitgespräch. Es ist Merkels viertes Duell. Schulz ist Novize. In Meinungsumfragen liegt der SPD-Kandidat weit hinter Merkel, und auch das Duell werde wohl die Amtsinhaberin gewinnen, meinte eine Mehrheit der Deutschen in einer Umfrage zu Beginn der Woche. Doch wer weiß: Viele Überschriften der letzten Tage fragten auch: Kann Schulz das Ruder doch noch herumreißen? Dabei - und das ist anders als in den USA oder Frankreich - stehen die Duellanten gar nicht direkt zur Wahl. Doch dem Hype um das Duell tut das keinen Abbruch.

Vier Bühnen, für jeden Sender eine, sind im Saal aufgebaut. Hier finden schon zwei Stunden vorher erste Schaltgespräche statt. Draußen sind inzwischen einige Dutzend junge Sozialdemokraten angekommen. Nun werden "Angie"- gegen "Schulz"-Rufe skandiert. "Echte" Demonstranten sind nicht zu sehen.

Das Duell findet ohne Publikum statt. Nur die Journalisten und Gäste im Pressesaal sind -  indirekt über einen riesigen Bildschirm - mit dabei. Ins Studio dürfen auch sie nicht. Ein Publikum hatten die TV-Sender zwar ins Gespräch gebracht. Doch das Bundespresseamt wollte keine Veränderung. Auch der Vorschlag, zwei Duelle zu veranstalten, wurde von dort abgelehnt: "Eins oder keins" hieß die Antwort. Einige Kritiker schimpften: Bestimmt das Kanzleramt inzwischen, was die Presse macht? Merkel tat das als "normales Verhandeln" ab. Doch etwas ist doch neu: Die beiden Stehpulte sind näher zueinander eingedreht, wie in einer Pressebesichtigung zwei Tage zuvor zu erfahren war. Damit die beiden Duellanten stärker miteinander reden.

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und andere Schulz-FansBild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Der Saal füllt sich mit viel Prominenz, Bundesminister geben Ministerpräsidenten und Generalsekretären die Hand, sitzen locker auf Lounge-Möbeln und reden mit den Hauptstadtjournalisten. Selfies mit Schauspielerin Uschi Glas und Fußball-Star Arne Friedrich werden gemacht. Wird es große Neuigkeiten geben? Er rechne nicht damit, sagt Armin Laschet, frisch gewählter Ministerpräsident im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Seine Amtskollegin aus dem Saarland sagt, bei ihr im Land sei das Duell ein echtes Ereignis mit Public Viewing und so. Am Rand steht sogar auch der AfD-Chef von Berlin, der die beiden Spitzenkandidaten der deutschen Rechtspopulisten vertritt. Drei Karten habe die AfD von den Veranstaltern zugeteilt bekommen, heißt es. 

Eines der Hauptthemen: Flüchtlingspolitik und Integration  

Als dann das Duell beginnt, ist es im Saal schnell mit dem Smalltalk vorbei, man will schließlich wirklich zuhören. Farblich sind beide Protagonisten gut aufeinander abgestimmt: blaue Krawatte zu dunkelblauem Anzug bei Schulz und blauer Blazer bei Merkel. Gleich zu Beginn geht es zur Sache: Die vier Moderatoren sprechen das in Deutschland noch immer kontrovers diskutiert Thema Flüchtlingspolitik an. Eines von vier Themenbereichen, auf die sich TV-Sender und Politiker geeinigt haben. Schulz greift Merkel an, sie habe 2015 einen großen Fehler gemacht. Nämlich die europäischen Nachbarn nicht einzubeziehen, als sie die Grenze öffnete. Die Kanzlerin regiert mit einer faktenreichen Argumentation und der Basta-Aussage: "Es musste entschieden werden!" Es sei darum gegangen, Wasserwerfer gegen tausende Menschen zu vermeiden. Fehler seien davor gemacht worden, als niemand auf die Situation in den Flüchtlingslagern reagiert habe, so Merkel, auch nicht die Europäische Union. Die Moderatoren vergessen leider nachzuhaken, dass andere Staaten in Europa später die Balkanroute schlossen, die Sache mit den Wasserwerfern also nur verlagert worden war.

Zwei Kandidaten, vier ModeratorenBild: picture alliance/Dpa/dpa

Direkt danach wird Schulz gefragt, wie lange es denn dauere, bis die mehr als eine Million Flüchtlinge der letzten Jahre integriert sein werden. Eine Generation werde es dauern, so Schulz.

Beim Thema Rückführung abgelehnter Asylbewerber gerät dann einiges durcheinander. Schulz sieht die Ursache dafür im Bundesamt für Migration, das in der Bearbeitung nicht hinterher komme. Doch die Moderatoren hatten die Fälle gemeint, die schon negativ entschieden wurden. Das versucht Merkel dann in der Replik gerade zu rücken.

Beim Thema Familienzusammenführung, also der Frage, ob Flüchtlinge ihre Familien nachholen dürfen oder nicht, spricht sich Schulz für eine generelle Einzelfallprüfung aus. Merkel aber will erstmal gar nicht entscheiden. Die Moderatoren fragen hartnäckig nach, warum sie das denn jetzt nicht sagen wolle. Naja, es müsse differenziert werden zwischen den Fällen, die völkerrechtlich entschieden werden müssten, so Merkel. Und denen, die nur eine bestimmte Aufenthaltsdauer in Deutschland haben - was die allermeisten sind. Gerade sei erstmal die erste Gruppe dran, so Merkel, Politik verlange differenzierte Lösungen. 

Viel Raum für internationale Themen

Behält Merkel die Krone der Kanzlerschaft?Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Dann geht es weiter mit den internationalen Themen Türkei, Nordkorea und Donald Trump in den USA. Schulz fordert "klare Kante" gegenüber dem türkischen Präsidenten. Doch Merkel kontert. Was heißt schon "klare Kante"? "Deutschland könne nicht einfach alle diplomatischen Beziehungen zur Türkei abbrechen, sondern müsse im Gespräch bleiben", erklärt Merkel real-politisch. Das Thema dürfe doch nicht zu einem Wahlkampf-Thema werden, nach dem Motto: Wer ist härter? Dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden sollte, da waren sich beide aber in der Sache einig. Doch das EU-Flüchtlingsabkommen wollen weder Merkel noch Schulz aufkündigen. 

Auch beim Umgang mit Donald Trump, für Schulz ein unberechenbaren Twitterer, müsse man im Gespräch bleiben, erklärt Merkel. Denn der sei nun einmal Partner im Kampf gegen den IS im Irak oder auch in Afghanistan. Beim Thema Nordkorea gehe es sogar um "Krieg oder Frieden"!

Herausforderer lockt Angela Merkel aus der Reserve

Dann ging es innenpolitisch weiter mit Diesel-Skandal, Rente, sozialer Gerechtigkeit und Innerer Sicherheit. Schulz bleibt angriffslustig: Keine Rente mit 70? Ach was, das sei doch genauso wie beim letzten Duell, als Merkel eine Pkw-Maut ablehnte, die dann aber doch kam. Denn es gebe Stimmen in der Union, die eine noch spätere Rente in Deutschland forderten. Merkel entgegnet, sie spreche Schulz ja auch nicht alles zu, was in einer der vielen Unterorganisationen der Partei besprochen werde. Merkel wirkt etwas dünnhäutig, man sieht ihr an, dass sie verärgert ist. Schulz stichelt weiter: Und überhaupt sei die Maut nur mit den Stimmen der Linken beschlossen worden.

Was nach Klein-Klein klingt, offenbart beider Strategien: Die Kanzlerin will erklären - selbst wenn es darum geht, aus Fehlern zu lernen. Schulz vereinfacht gern und schleift populistische Sphären wie schon zu Beginn seiner Kandidatur Anfang des Jahres, die damals einen Hype ausgelöst hatte, der dann aber in sich zusammenbrach.

Am Ende wird dann aber auch Merkel richtig scharf: Ex-Kanzler Gerhard Schröder von der SPD, der nun beim russischen Unternehmen Rosneft beschäftigt sein wird, untergrabe die Sanktionen gegen Russland. Denn das Unternehmen sei gelistet, stehe also auf der Liste der Unternehmen, mit denen nicht gehandelt werden darf.

Kampf um die Interpretation beginnt

Das Publikum bleibt lange Zeit sehr ruhig - auch weil viele twittern, um Dynamik in Sozialen Medien zu entfachen. Ab und an johlen Fans aus der SPD- oder CDU-Ecke auf, wenn ihr Kandidat einen Punkt machen konnte. Nach 97 Minuten ist alles vorbei. Viele der anwesenden Journalisten sind erstaunt, wie schnell das Duell vorbei ging - langweilig war es irgendwie nicht. Nach ein paar Minuten kommen die beiden Kandidaten in den Saal. 

Bild: Reuters/F. Bensch

Herausforderer Schulz gibt sich zufrieden. Er habe den Zuschauer gezeigt, dass - er - für klare Entscheidungen stehe, aber Merkel im Ungefähren bleibe. Allerdings wolle er sich nicht als Gewinner betiteln, wie manche politische Beobachter im Raum es tun. Auf der anderen Seite ist man "unter dem Strich" zufrieden, wie Peter Altmaier, Merkels rechte Hand im Kanzleramt, der Presse sagt.

Im Saal beginnt, was nun die nächsten Tage bis zur Wahl am 24. September prägen wird: Beide Seiten werden ihre Interpretation des Duells in den Wahlkampf einbringen. Wie es nach der Wahl weitergeht, ob CDU/CSU und SPD wieder gemeinsam in einer Großen Koalition regieren könnten, das wollten übrigens beide nicht ausschließen.

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