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UCI-Chef Cookson: "Ab ins Raketenzeitalter"

Tom Mustroph5. Juli 2014

Drei harte Wochen stehen bevor: Die Tour de France hat begonnen. Der Präsident des Radsport-Weltverbandes, Brian Cookson, spricht mit der DW über früheres Doping und Pläne, die Rundfahrten moderner zu machen.

UCI-Chef Brian Cookson. Foto: Getty Images
Bild: FABRICE COFFRINI/AFP/Getty Images

Bevor Brian Cookson im September 2013 UCI-Präsident wurde, lobte der Chef der US-Anti-Doping-Agentur (USADA), Travis Tygart, den Briten als den einzigen hohen Radsportfunktionär, der ihm Hilfe angeboten habe, um den Dopingskandal um Lance Armstrong aufzuklären. Nach seiner Wahl rief Cookson eine unabhängige Kommission ins Leben, um die Dopingvergangenheit des Radsports und die Rolle der UCI zu untersuchen.

DW: Brian Cookson, wie blicken Sie Ihrer ersten Tour de France als UCI-Präsident entgegen?

Brian Cookson: Ich werde natürlich dort sein. Der Grand Départ [Start der Tour de France, diesmal am Samstag, 05.07.2014 in Leeds] ist nicht weit von meiner Heimat in England entfernt. Also werde ich von meinem gegenwärtigen Haus in der Schweiz für ein paar Tage dorthin gehen. Aber ich werde die Tour auch bei einigen anderen Gelegenheiten besuchen. Ich bin sicher, wir werden eine großartige Tour de France haben. Ich denke, die ersten drei Tage in England werden herausragend. Und auch der Rest wird sehr interessant. Ich freue mich schon darauf.

Nun gab es im Vorfeld schon ein kleines Glaubwürdigkeitsproblem. Chris Froome [Sieger der Tour 2013 und damit Titelverteidiger] beschwerte sich darüber, dass weder er noch seine Konkurrenten Alberto Contador und Vincenzo Nibali während ihrer Trainingslager auf Teneriffa auf Doping kontrolliert wurden. Gerade die Trainingslager sind wichtig zum Formaufbau. Wie will die UCI ohne Kontrollen dort das Vertrauen in die Leistungen dieser Athleten herstellen?

Ich denke, Chris hatte Recht, seine Sorge auszudrücken. Da werden wir genauer hingucken. Ich denke aber auch, es war etwas missverständlich. Es gibt Agenturen, die Anti-Doping-Tests auf Teneriffa und auch andere Trainingskontrollen machen. Wir werden dazu in Kürze Daten veröffentlichen. Aber es ist wichtig festzuhalten: Es gibt niemand außerhalb des Testprogramms. Wir haben das 'Where-about-System' ADAMS [ein Online-Meldesystem der Anti-Doping-Agenturen, in dem die Sportler erklären müssen, wo sie sich aufhalten]. Niemand kann sicher sein, dass es nicht doch eines Tages an seiner Tür klingelt und dort ein Anti-Doping-Inspektor steht. Ich bin überzeugt, dass wir im Radsport mindestens so viele Tests machen wie andere Sportarten, meistens sogar mehr.

Tour-de-France-Titelverteidiger FroomeBild: picture-alliance/dpa

Aber wie war das nun, wurden Froome, Contador und Nibali auf Teneriffa kontrolliert oder nicht?

Es gab Trainingskontrollen für alle diese Fahrer. Ich denke nicht, dass es für mich richtig ist, Kommentare zu einzelnen Fahrern und der Häufigkeit ihrer Tests abzugeben. Was wir tun sollten, ist, Glaubwürdigkeit in das komplette System zu erzeugen.

Dazu wäre auf Teneriffa prima Gelegenheit gewesen. Wie weit sind Sie beim Thema Vergangenheitsaufarbeitung? Was hat die unabhängige Kommission bislang getan? Welche Ergebnisse gibt es?

Die Kommission ist unabhängig. Ich mische mich nicht in ihre Arbeit ein. Ich erhalte nur einige Informationen. Mir wurde mitgeteilt, dass sie einige Leute treffen und Beweismittel von einigen bedeutenden Personen erhalten. Sie analysieren alle digitalen Informationen, die auf UCI-Computern gesichert wurden. Und sie reisen auch in andere Länder, um dort Zeugen zu treffen. Ich denke, es ist wichtig, dass ich nicht tagtäglich in diese Arbeit interveniere. Deshalb weiß ich nicht, ob sie mit bestimmten Personen gesprochen haben. Aber ich bin sicher, dass sie interessante Fortschritte machen.

Können Sie wenigstens sagen, wie viele Profis oder Ex-Profis aus welchen Ländern dort ausgesagt haben, um eine Ahnung von der Dimension zu erfahren?

Nein, diese Information habe ich nicht. Aber wir werden sie am Ende der Arbeit der Kommission haben. Wir stimmten mit den Mitgliedern der Kommission ab, dass wir nicht detailliert in ihre Arbeit eingeweiht werden, bis sie den finalen Bericht vorlegen.

Und das wird Ende diesen Jahres oder Januar des nächsten Jahres sein.

Welche Auswirkungen werden diese Informationen haben? Werden einzelne Personen sanktioniert? Gibt es eine Amnestie für Geständige oder lediglich ein Bild, wie der Radsport der Vergangenheit verfasst war?

Beides. Zuerst ist es wichtig zu sagen, dass wir mit der WADA [Welt-Anti-Doping-Agentur] überein gekommen sind, unter welchen Bedingungen Personen Beweise einbringen können und inwiefern sie von reduzierten Sanktionen profitieren können, wenn sie wertvolle Informationen liefern. Ganz wichtig ist aber, die Verdächtigungen zu untersuchen, die darauf hinweisen, dass die UCI an Verschleierungen von Dopingtests beteiligt war und mit Delinquenten zusammenarbeitete. Es ist wichtig, dort detaillierte Aufklärung zu schaffen. Ein drittes und letztes Element der Arbeit ist, einige Empfehlungen zu geben, wie man die Fehler der Vergangenheit vermeiden kann.

Wie reagiert die UCI auf aktuelle Gerüchte über neue Dopingmittel im Peloton wie EPO Theta oder möglicherweise noch wirkungsvollere Blutdopingsubstanzen?

Da ist wichtig zu sagen, dass wir sehr eng mit der WADA zusammenarbeiten. Die haben die wissenschaftliche und technische Expertise. Wir haben sie auf einige Substanzen hingewiesen. Tramadol ist eine dieser Substanzen, die WADA guckt darauf. [Anm. Die

WADA hat das Schmerzmittel Tramadol bereits seit 2012 im Auge, also lange vor Cooksons Amtsantritt.]

Immer schwerer, Immer spektakulärerBild: AFP/Getty Images

Kommen wir auf die großen Rundfahrten zurück. In der letzten Zeit gab es die Tendenz, dort die Schwierigkeiten noch zu erhöhen. Dies führte besonders beim Giro d'Italia - auch bedingt durch klimatische Veränderungen - zu Extremsituationen. Nach welchen Kriterien sollten Rennen abgesagt oder die Route modifiziert werden? Oder liegt es im Interesse der UCI, dramatische Bilder von gefährlichen Abfahrten und spektakulären Stürzen zu verbreiten?

Eine der Schönheiten des Radsports ist, dass er zu allen Bedingungen stattfindet, bei jedem Wetter. Und erst wenn die Bedingungen zu gefährlich werden, wird ein Rennen gestoppt. Das war schon immer so und wird immer so sein. Aber wir sind in einer Zeit, in der es vielleicht höhere Erwartungen an Sicherheitsstandards gibt. Daran müssen Renn-Organisatoren und auch die UCI denken. Wir haben zuletzt einen Wettbewerb von Organisatoren gesehen, die Rennen herausfordernder zu machen. Manches daran ist gut. Aber wir müssen aufpassen, da nicht zu weit zu gehen. Wir müssen die Bedingungen bei den großen Rundfahrten etwas humaner gestalten. Jeder redet davon, den Druck auf die Fahrer und die Schwierigkeiten zu reduzieren, aber keiner will sein eigenes Rennen entschärfen. Das müssen wir angehen.

Haben Sie bei der Präsentation der großen Rundfahrten etwas Revolutionierendes im Sinn, das die Übertragungen spannender machen könnte - Helmkameras etwa oder Wattzahlen einzelner Fahrer?

Absolut. Wir sind weit zurückgefallen hinter andere Sportarten, wie etwa die Formel 1, wie wir unsere Rennen im Fernsehen präsentieren. Ich würde gern mehr Informationen sehen wie den Krafteinsatz oder die Herzfrequenz der Fahrer oder die Geschwindigkeit. Die Kameras am Lenker - wie sie bei der Kalifornien-Rundfahrt eingesetzt wurden - waren sehr erfolgreich. Man hat noch technische Probleme wie die Lebensdauer von Batterien und die Frequenz. Und niemand möchte eine schwere Kamera transportieren. Aber das sind dennoch die Dinge, die wir voranbringen müssen.

Wird es davon schon einiges bei der Tour de France geben?

Ja, die Tour-Organisatoren haben einige Ideen. Momentan ist ja die einzige Möglichkeit, zu sehen, wie schnell ein Fahrer ist, wenn der Kameramann auf dem Motorrad das Objektiv auf den Tachometer richtet. Für mich ist das altbacken. Da sind wir technologisch noch in der Steinzeit, doch wir sollten uns im Raketenzeitalter befinden.

Der 63 Jahre alte Engländer Brian Cookson ist seit September 2013 Präsident des Radsport-Weltverbands Union Cycliste Internationale (UCI). Zuvor war der Sportfunktionär 17 Jahre lang Präsident des britischen Radsportverbands British Cycling.

Das Interview führte Tom Mustroph.

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