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Überlastung im Profi-Fußball - das Limit ist erreicht

18. Oktober 2024

Immer mehr Spiele, immer größere Turniere - die Belastung für Profi-Fußballer wächst. Spieler drohen mit Streik, Sportmediziner warnen vor mehr Verletzungen. Doch die Verbände reagieren nicht.

DFB-Spieler Florian Wirtz fasst sich im Spiel gegen die Niederlande mit schmerzverzerrtem Gesicht an sein Sprunggelenk
DFB-Spieler Florian Wirtz musste beim Spiel gegen die Niederlande verletzt ausgewechselt werdenBild: Gladys Chai von der Laage/picture alliance

"Die Fußballer spielen über oder häufig am Leistungslimit", sagt Professor Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule Köln im DW-Interview. Es sei fraglich, ob Spieler auf einem hohen Leistungsniveau auf Dauer solche Strapazen durchhalten könnten, ohne Schädigungen davon zu tragen, warnt Bloch. Der Sportmediziner reagiert damit auf die aktuelle Diskussion über die steigende körperliche Belastung im Profi-Fußball. Denn der Fußballkalender wird aktuell immer voller, und die Spiele werden immer intensiver. 

Der argentinische Profi Julián Álvarez zählt zu den Spielern, die in der vergangenen Saison die meisten Partien gemacht haben. Laut einem Bericht der Spielergewerkschaft FIFPro hat der Angreifer für seinen spanischen Verein Atletico Madrid und Argentiniens Nationalmannschaft insgesamt 75 Spiele absolviert.

Keine Regeneration, keine Leistungsfähigkeit

Auch der ehemalige deutsche Nationalspieler Ilkay Gündogan hat zwei intensive Jahre hinter sich. Zwischen Juli 2022 und Juli 2024 stand er laut FIFPro 129-mal für seinen Klub und die DFB-Elf auf dem Platz und spielte im Durchschnitt pro Partie 82 Minuten.

Nach der Heim-EM 2024 erklärte DFB-Kapitän Ilkay Gündogan seinen Rücktritt aus der NationalmannschaftBild: Moritz Müller/IMAGO

Hinzu kamen mehr als 150 Stunden Reisezeit, die Gündogan bei Auslandsreisen unterwegs war. Viel Zeit für Erholungsphasen blieb da nicht - was schnell zu einem Problem werden kann. "Die Regenerationszeiten nach den Spielen sind zu kurz. Bei diesem verdichteten Kalender sind kaum Phasen dabei, wo man ein Aufbautraining oder eine etwas komplexere Regenerationsphase machen kann", erklärt Bloch. "Ein Körper braucht einen zielgerichteten Aufbau." Das mache am Ende auch die Leistungsfähigkeit aus, so der Wissenschaftler. 

Wilhelm Bloch: "Auf Dauer nicht haltbar"

Nationale Ligen, internationale Wettbewerbe, Länderspiele - die Top-Stars haben kaum Erholungspausen zwischen den einzelnen Spielen. Das Ergebnis: Immer mehr Belastung, immer mehr verletzte Spieler. "Das ist auf Dauer nicht haltbar", sagt Bloch. "Die Systeme werden ausgereizt, und dann wird man sehr viele Ausfälle haben und wesentlich mehr Verletzungen."

Die Auswirkungen bekam zuletzt auch Bundestrainer Julian Nagelsmann zu spüren. Für das Nations-League-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Niederlande, das mit einem 1:0-Erfolg für das DFB-Team endete, musste auch Deniz Undav , Matchwinner der vorherigen Partie in Bosnien und Herzegowina wegen einer Verletzung aussetzen.

Der Angreifer war bereits der achte Ausfall, den Nagelsmann in dieser Länderspielphase hatte ersetzen müssen. Zuvor hatten bereits RB Leipzigs David Raum und Benjamin Henrichs, Jamal Musiala vom FC Bayern München, der bei Arsenal London spielende Kai Havertz und Eintracht Frankfurts Kapitän Robin Koch absagen müssen.

Zudem konnten der monatelang fehlende Stammtorwart Marc-André ter Stegen sowie Niclas Füllkrug gar nicht erst nominiert werden. Auch der angeschlagene Aleksandar Pavlovic konnte beim Spiel gegen Bosnien-Herzegowina nicht mitwirken.

Torwart Marc-Andre ter Stegen riss sich die Patellasehne im rechten Knie und fällt monatelang ausBild: Revierfoto/dpa/picture alliance

Die Anzeichen für eine Überlastung sind eindeutig, und die Kritik der Spieler wird dementsprechend lauter. "Es ist so hart mit den verrückten Zeitplänen. Es ist schwierig für den Körper", sagte der englische Nationalspieler Jude Bellingham, der bei Real Madrid unter Vertrag steht. "Geistig und körperlich ist man erschöpft."

Auch Robert Lewandowski, Stürmerstar des FC Barcelona, kritisierte den vollen Terminkalender. "Letztendlich sind wir auch nur Menschen", sagte der polnische Rekord-Nationalspieler und zweimalige Weltfußballer des Jahres. "Natürlich versuchen wir, die Maschine auf dem Spielfeld zu sein, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch Menschen sind. Wir brauchen Zeit, um uns richtig auszuruhen."

FIFA und UEFA weiten Wettbewerbe aus

Einige Spieler - wie der schwer am Knie verletzte spanische Europameister Rodri - drohen sogar mit Streiks, sollte sich die Situation nicht ändern. Unterstützt werden die Fußballer von der Spielergewerkschaft FIFPro.

Die Spielergewerkschaft FIFPro fordert mehr Gesundheitsschutz für die SpielerBild: Virginia Mayo/AP/dpa/picture alliance

Doch die Kritik stößt bei den Verbänden auf taube Ohren. Besserung ist nicht in Sicht - im Gegenteil. Der europäische Fußballverband UEFA hat sowohl die Champions League als auch die Europa League in dieser Saison ausgeweitet. Der Weltverband FIFA lässt die Klub-WM im kommenden Jahr erstmals mit 32 Mannschaften statt bisher acht Teams ausspielen. Und bei der nächsten Fußball-Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko steigt die Zahl der Spiele von bislang 64 auf 104. 

Höhere Verletzungsgefahr, kürzere Karrieren

"Nach einem Fußballspiel über 90 Minuten braucht die Muskulatur in der Regel vier bis fünf Tage, um sich wieder komplett zu erholen", erklärt Sportmediziner Bloch. "Bei hohen Belastungen entstehen Mikro-Schädigungen der Muskulatur. Diese Schädigungen sind nicht schlimm. Aber wenn ich nicht die Zeit habe, sie auszukurieren, wird es zu einem Problem. Die Verletzungsgefahr steigt."

Ein wöchentlicher Spielrhythmus sei sinnvoll, englische Wochen sollten die Ausnahme sein, so der Wissenschaftler. Zudem brauche jeder Spieler pro Jahr einen spielfreien Block von etwa sechs Wochen, um zu regenerieren. "Doch das ist bei einem engen Spielbetrieb nicht gegeben. Die Spieler sind zwei, drei Wochen im Urlaub, und dann geht es schon wieder los."

Bloch befürchtet, dass Spieler-Karrieren in Zukunft deutlich kürzer sein werden: "Wir haben dann nicht mehr Spieler, die bis zum Alter von 34 oder 35 Jahren Fußball spielen, sondern die mit 29 Jahren komplett durch sind."

Aleksandar Pavlovic (r.) zählt mit 20 Jahren zu den jüngsten Spielern beim FC Bayern - hält sein Körper der Belastung stand?Bild: Sven Hoppe/picture alliance/dpa

Die höhere körperliche Belastung trifft vor allem junge Spieler, die heute deutlich stärker gefordert sind, als es früher üblich war. So hat Florian Wirtz von Meister Bayer Leverkusen laut dem FIFPro-Report mit 21 Jahren bereits rund 11.500 Minuten Profifußball gespielt. Zum Vergleich: Der frühere DFB-Kapitän Michael Ballack, der 2012 seine Spielerkarriere beendete, kam im selben Alter gerade einmal auf knapp 4200 Minuten. Angesichts der Dauerbelastung verwundert es kaum, dass sich Wirtz im Länderspiel gegen die Niederlande eine Kapselverletzung im rechten Sprunggelenk zuzog. 

"Die medizinischen Abteilungen sind nur noch damit beschäftigt zu reparieren", sagt Wilhelm Bloch. "Damit ist weder den Spielern geholfen noch den Vereinen."

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