Ukraine aktuell: Baerbock warnt vor Spaltungsversuchen
2. Juni 2023Das Wichtigste in Kürze:
- Außenministerin Baerbock warnt vor russischen Spaltungsversuchen
- Wieder Luftalarm in der gesamten Ukraine
- Kanzler Scholz macht Ukraine kaum Hoffnung auf raschen NATO-Betritt
- Bundesregierung ordert 130 deutsche Militärfahrzeuge für die Ukraine
- Schweizer Parlament lehnt Waffentransfer an Kiew ab
Gemeinsam spreche man mit den Ostsee-Anrainern darüber, wie man von Russland ausgehende Spaltungsversuche verhindern und den Lebensraum auch für künftige Generationen schützen könne, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Dort kam die Grünen-Politikerin mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Anrainerstaaten zusammen. Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hob sie die große Bedeutung der Zusammenarbeit hervor. "Die Sicherheit eines jeden von uns ist die Sicherheit von uns allen - gerade hier in der Ostseeregion", erklärte Baerbock.
Beim Ostseerat in der Hansestadt soll es unter anderem um die Bergung von Munitionsaltlasten aus der Ostsee sowie um den Ausbau von Windkraftanlagen auf See gehen. Russland habe "nicht nur mit dem Völkerrecht gebrochen, sondern auch die Brücken der Zusammenarbeit im Ostseeraum eingerissen", sagte Baerbock. Die Mitgliedschaft Russlands im Ostseerat war Anfang März 2022 ausgesetzt worden. Daraufhin erklärte Moskau im Mai 2022 seinen Austritt.
Mehr als je zuvor in der 31-jährigen Geschichte des Ostseerats seien dessen Mitgliedsstaaten durch die russische Aggression herausgefordert, sagte Baerbock. Bei der Sicherheit im Ostseeraum gehe es um weit mehr als nur die reine Präsenz von Marine und Luftwaffe auf und über der Ostsee. Es gehe etwa auch um zivile Schifffahrt und Handelswege sowie die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft. Deutschland hat noch bis Juli den Vorsitz des Ostseerats. Dem 1992 gegründeten Gremium mit Sitz in Stockholm gehören neben Deutschland auch Norwegen, Dänemark, Estland, Finnland, Litauen, Lettland, Polen, Schweden, Island und die EU an.
Russland will erneuten ukrainischen Angriff in Belgorod abgewehrt haben
Im Grenzgebiet zur Ukraine hat die russische Armee nach eigenen Angaben eine versuchte "Invasion" ukrainischer Einheiten zurückgeschlagen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau versuchten motorisierte Infanteriekompanien mit Panzerunterstützung, von der Ukraine aus in die Region Belgorod "einzudringen". "Bis zu 70 Angreifer, fünf Panzer, vier gepanzerte Fahrzeuge, sieben Pick-Ups und ein Lkw waren insgesamt beteiligt." Über 50 ukrainische Kämpfer seien getötet worden. Der Angriff sei unter Einsatz von Kampfjets und Artillerie gestoppt worden.
Nach Angaben des Gouverneurs der Region Belgorod wurden zwei Frauen durch Beschuss getötet. Die beiden seien in ihrem Auto unweit der Stadt Schebekino unterwegs gewesen, als Splitter von Geschützen ihr Fahrzeug trafen, schrieb Wjatscheslaw Gladkow auf Telegram. Zwei Männer seien verletzt worden. Wie auch russische offizielle Stellen sonst, machte Gladkow für die Angriffe die ukrainische Armee verantwortlich. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben aus der Region Belgorod nicht.
Flüchtlinge sprachen von verheerenden Zerstörungen in der Stadt, von denen das russische Staatsfernsehen nur einen Bruchteil zeige. Auf einem Video war zu sehen, wie das Dach eines langen Wohnblocks in Flammen stand. Die gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtete Miliz "Russisches Freiwilligenkorps" erklärte, sie sei weiter an Kämpfen in der Region Belgorod beteiligt. Die von einem Rechtsextremisten angeführte Miliz hatte bereits Angriffe von der Ukraine aus auf russisches Territorium verübt.
Die Region Belgorod ist seit Längerem das Ziel von Angriffen von der Ukraine aus. Nach russischen Angaben trafen die Attacken nun insbesondere die Gegend um die Stadt Schebekino. Der Gouverneur der Region Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, sprach von zwölf Verletzten binnen 24 Stunden. In Schebekino sei der Strom ausgefallen. Dem russischen Verteidigungsministerium zufolge wurden "zivile Einrichtungen" bombardiert. Am Mittwoch hatten die russischen Behörden nach eigenen Angaben mit der Evakuierung von Hunderten Kindern aus Dörfern in der Grenzregion begonnen.
Russland setzt Angriffe auf Kiew fort
In der Nacht wurde laut offiziellen Webseiten für die gesamte Ukraine wieder Luftalarm ausgerufen. Behörden in Kiew meldeten zwei russische Angriffswellen auf die Hauptstadt. Alle Flugkörper seien von der Luftverteidigung abgefangen worden, teilte das ukrainische Militär mit. In einer Mitteilung des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko heißt es. "Die Luftabwehr funktioniert". Kiew wird seit Wochen besonders heftig beschossen. Im Mai waren innerhalb eines Monats so viele russische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen auf die Stadt abgefeuert wie noch nie seit Kriegsbeginn.
Kanzler Scholz macht Ukraine kaum Hoffnung auf raschen NATO-Betritt
Bundeskanzler Olaf Scholz verdeutlichte nach dem Gipfeltreffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft in der Republik Moldau, dass eine zügige Aufnahme der Ukraine selbst nach einem Ende des russischen Angriffskrieges nicht garantiert ist. Es gibt "sehr klare Kriterien für die Mitgliedschaft", sagte der SPD-Politiker. Dazu gehöre, dass ein Land keine Grenzkonflikte habe. Zur Frage möglicher anderer Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einem Kriegsende sagte Scholz, diese müssten so beschaffen sein, dass die Ukraine Sicherheit vor der Gefahr eines Angriffs habe und gleichzeitig stabilisiert werde. Es könne noch unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten geben.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor eine "klare Einladung" für die NATO-Mitgliedschaft seines Landes bereits beim Bündnisgipfel im Juli in Litauen gefordert. "Wir brauchen Frieden. Deshalb sollte jedes europäische Land, das an Russland grenzt und das nicht will, dass Russland es auseinanderreißt, ein vollwertiges Mitglied der EU und der NATO sein", sagte der 45-Jährige bei dem Gipfel in Moldau. Einzige Alternativen dazu seien ein offener Krieg oder eine grausame russische Besatzung.
Ex-NATO-Generalsekretärin: Ukraine soll am Pfad zur NATO festhalten
Rose Gottemoeller, ehemalige stellvertretende Generalsekretärin der NATO, rät der Ukraine, ihren "Weg" in Richtung Mitgliedschaft im Militärbündnis fortzusetzen. Kiew müsse für einen Beitritt "auf dem Weg bleiben, den es seit der russischen Besetzung der Halbinsel Krim im Jahr 2014 eingeschlagen hat", sagte Gottemoeller der Deutschen Welle. "Das bedeutet, dass die Ukraine hart daran arbeiten muss, ihre militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten in den NATO-Kampfstil zu integrieren", sagte die US-Amerikanerin und fügte hinzu, dass das Militärbündnis seit 2014 "viel" für die Ausbildung der Ukrainer getan habe.
"Es ist klar, dass die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird, bis dieser Krieg vorbei ist", unterstrich die 70-Jährige. Gottemoeller sagte, sie halte es für wahrscheinlich, dass die Ukraine "mittel- und langfristig" weiterhin militärische Hilfe von der NATO erhalten werde. "Aber ich glaube nicht, dass sie qualitativ viel über das hinausgehen wird, was wir bisher gesehen haben." Nach ihrer Ansicht wäre die Angleichung der Ukraine an die NATO-Standards in Bezug auf die Regierungsführung und das Wirtschaftssystem auch für den EU-Beitrittsprozess des Landes hilfreich.
Selenskyj hofft nach Europa-Gipfel auf signifikante Zahl an Kampfjets
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zuversichtlich, dass sein Land etliche westliche Kampfflugzeuge vom Typ F-16 erhalten wird. Er habe beim Gipfeltreffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldauvon einer signifikanten Zahl gehört, sagte er auf einer Pressekonferenz. Etliche Länder hätten stärkere Unterstützung geäußert. Die ukrainischen Luftstreitkräfte hatten zuletzt erklärt, sie erwarteten 48 F-16-Kampfjets. Selenskyj betonte, dass die Kampfflugzeuge vor allem zum Schutz der Bevölkerung vor russischen Luftangriffen und nicht für Gegenoffensiven benötigt würden.
Ein Vorschlag der Ukraine sei auch, ein gesamteuropäisches Luftverteidigungssystem aufzubauen, teilte der Präsident mit. Kurzfristig forderte er weitere Flugabwehrraketensysteme vom Typ Patriot. Bis die Ukraine die Kampfflugzeuge erhalte, würden mehr Patriots zu ihrem Schutz gebraucht. In seinem Nachrichtenkanal bei Telegram teilte er mit, dass bei dem Treffen in Moldau auch die Ausbildung von ukrainischen Piloten an den F-16 und anderen Flugzeugen vereinbart worden sei. Ziel sei zudem, einen ukrainischen Raketenschutzschirm zu bilden. Die Entscheidung darüber könne nach weiteren Konsultationen mit den USA beim nächsten Treffen der Verteidigungsminister in Ramstein getroffen werden.
Bundesregierung beschafft 66 Truppentransporter für Kiew
Zur Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Angriff hat die Bundesregierung weitere Militärfahrzeuge beschafft. Man habe mit der Flensburger Fahrzeugbau GmbH (FFG) einen Vertrag abgeschlossen über 66 Truppentransporter, sagte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin. Die Neufahrzeuge sollen an die Ukraine geliefert und dort zum geschützten Infanterietransport eingesetzt werden.
Wann die Radpanzer in die Ukraine geschickt werden, ist noch nicht bekannt. Ebenfalls von FFG kauft die Bundesregierung 64 sogenannte Mehrzweckfahrzeuge. Hierbei handelt es sich um ältere Fahrzeuge, die ursprünglich aus schwedischer Produktion kommen und von FFG modernisiert wurden. Ein Teil von ihnen wurde früher von der Bundeswehr benutzt. Wie viel die Bundesregierung nun im Rahmen der beiden Verträge an FFG zahlt, wurde wie üblich nicht kommuniziert.
Schweizer Parlament lehnt Waffentransfer an die Ukraine ab
Die Schweizer Abgeordneten haben einen Gesetzentwurf abgelehnt, der Drittstaaten die Weitergabe von Rüstungsgütern aus Schweizer Produktion an die Ukraine erlaubt hätte. Der Nationalrat in Bern votierte mit 98 zu 75 Stimmen gegen den als "Lex Ukraine" bekannt gewordenen Gesetzentwurf. Angesichts der russischen Invasion ist eine Diskussion über die traditionelle strikte Neutralität der Schweiz entbrannt. Trotz massiven Drucks seitens Kiews und deren Unterstützerstaaten weigert sich die Schweiz, Ländern, die über Waffen aus Schweizer Herstellung verfügen, deren Ausfuhr in die Ukraine zu erlauben. So wurden Anträge Deutschlands, Spaniens und Dänemarks mit Verweis auf das Schweizer Kriegsmaterialgesetz abgelehnt, welches Waffenlieferungen in Kriegsgebiete verbietet.
Der Schweizer Bundesrat könnte die Wiederausfuhr von in der Schweiz hergestellten Waffen nur ausnahmsweise bewilligen, wenn eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine durch den UN-Sicherheitsrat erfolgt ist. Da Russland im UN-Sicherheitsrat ein Vetorecht hat, ist dieses Szenario ausgeschlossen.
sti/uh/kle/mak/qu/AR (dpa, rtr, afp)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.