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Konflikte

Aktuell: Die meisten Opfer von Butscha wurden erschossen

7. April 2022

90 Prozent der getöteten Zivilisten weisen Schusswunden auf, sagt der Bürgermeister des Ortes. Auch der BND kann offenbar zur Aufklärung der Gräueltaten beitragen. Moskau räumt bedeutende Verluste ein. Unser Überblick.

Ukraine | Krieg | Ermittlung - Tötung von Zivilisten in Butscha
Spurensicherung in Butscha - die Ukraine spricht von Kriegsverbrechen durch RusslandBild: Narciso Contreras/AA/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Hinweise auf gezielte Tötungen in Butscha verdichten sich
  • "Spiegel": BND wertet Morde als Teil einer Strategie
  • UN-Botschafter kündigt Untersuchungen zu Tötungen an
  • UN werfen Russland aus UN-Menschenrechtsrat 
  • Kreml beklagt bedeutende Verluste in der Ukraine 

 

Im Kiewer Vorort Butscha gibt es nach Angaben der örtlichen Behörden immer mehr Hinweise auf russische Kriegsverbrechen. Etwa 90 Prozent der getöteten Zivilisten wiesen Schusswunden auf, sagte Bürgermeister Anatolij Fedoruk der Deutschen Welle. Mit Stand Mittwochabend seien in Butscha 320 Leichen gefunden worden. Sie würden von Spezialisten untersucht. "Aber die Zahl der entdeckten Leichen steigt mit jedem Tag", sagte Fedoruk. "Weil sie auf Privatgrundstücken, in Parks und auf Plätzen gefunden werden, wo es möglich war, die Leichen zu begraben, als es keinen Beschuss gab."

"Russen haben Feuer auf Autos eröffnet"

Er selbst habe mehrere Fälle miterlebt, in denen russische Soldaten ukrainische Zivilisten getötet hätten, sagte Fedoruk. An einem Checkpoint hätten Russen das Feuer auf mehrere Autos eröffnet. In einem Wagen seien eine schwangere Frau und zwei Kinder getötet worden. Nun arbeiteten ukrainische und internationale Behörden in Butscha. "Das Wichtigste ist, die Verbrecher, die das getan haben, vor Gericht zu stellen", sagte der Bürgermeister.

Der Bürgermeister von Butscha, Anatolij Fedoruk (re.), neben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr SelenskyjBild: UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS/REUTERS

Die Verwüstungen in der Stadt rund zwölf Kilometer nordwestlich des Kiewer Stadtrands seien enorm. "112 Privathäuser wurden bis auf die Grundmauern zerstört und können nicht wiederaufgebaut werden", sagte Fedoruk. Viele Angaben sind bislang noch nicht unabhängig überprüft.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll Funksprüche russischer Militärs abgefangen haben, die neue Erkenntnisse zu den Gräueltaten in Butscha enthalten. Wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichten, wurden in der abgehörten Kommunikation auch Morde an Zivilisten in Butscha besprochen. Einzelne Funksprüche sollen sich auch bestimmten Leichen zuordnen lassen.

Spiegel: Gräueltaten sind keine Zufallstaten

Die Aufnahmen des BND geben nach Informationen des Magazins Anlass zur Annahme, dass es sich bei den Gräueltaten weder um Zufallstaten handele, noch um Aktionen einzelner aus dem Ruder gelaufener Soldaten. Vielmehr lege das Material nahe, dass Morde an Zivilisten Teil des üblichen Handelns der russischen Militärs geworden seien, möglicherweise als Teil einer Strategie. Es gehe darum, unter der Zivilbevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten und Widerstand zu ersticken.

In dem Ort Butscha waren nach dem Abzug russischer Militärs am vergangenen Wochenende ein Massengrab und zahlreiche auf offener Straße liegende tote Zivilisten entdeckt worden. Die Ukraine macht für das Massaker russische Soldaten verantwortlich. Moskau bestreitet das.

Polizeikräfte arbeiten an der Identifizierung der Leichen der getöteten Zivilisten in ButschaBild: Rodrigo Abd/AP/dpa/picture alliance

Bei einem Besuch in Butscha hat der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, Martin Griffiths, eine Untersuchung der Gräueltaten angekündigt. "Der nächste Schritt ist die Durchführung von Untersuchungen", sagte er vor Ort. "Die Welt ist zutiefst schockiert", betonte Griffiths, der zuvor auch in Moskau war, um sich für eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg einzusetzen.

Der UN-Abgesandte tauschte sich mit einem Beamten des Rathauses aus, bevor er zu Fuß zu dem Massengrab ging, das die Ukrainer angesichts der vielen Leichen in der Nähe der Kirche ausgehoben hatten.

EU-Staaten billigen neue Russland-Sanktionen

Gegen Russland werden weitere scharfe EU-Sanktionen verhängt: Die 27 Mitgliedsstaaten haben das fünfte große Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Ihre ständigen Vertreter billigten Vorschläge der EU-Kommission, die einen Importstopp für Kohle, Holz und Wodka sowie zahlreiche weitere Strafmaßnahmen vorsehen. Allein das Kohleembargo könnte Einnahmeausfälle in Höhe von rund vier Milliarden Euro pro Jahr bedeuten.

Damit die Sanktionen in Kraft treten können, müssen die notwendigen Rechtsakte nur noch im schriftlichen Verfahren angenommen und im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Diese Schritte gelten allerdings als Formalie und sollen an diesem Freitag abgeschlossen werden.

UN werfen Russland aus UN-Menschenrechtsrat 

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat Russlands Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat wegen des Ukraine-Kriegs ausgesetzt. Bei einer Abstimmung in New York votierten 93 UN-Mitgliedstaaten für eine Suspendierung von Russlands Mitgliedschaft in dem UN-Organ. 24 Staaten stimmten dagegen. 58 Staaten enthielten sich.

Am 1. März 2022 sprach der russische Außenminister vor dem UN-Menschenrechtsrat - Diplomaten verlassen den SaalBild: Salvatore di Nolfi/AFP

Russland suspendierte daraufhin seine Mitgliedschaft vorzeitig. Das russische Außenministerium erklärte in Moskau, der Rat habe Russland als souveränes UN-Mitglied demonstrativ dafür bestrafen wollen, dass es eine unabhängige Innen- und Außenpolitik verfolge.

Der UN-Menschenrechtsrat ist ein 2006 als Nachfolger der UN-Menschenrechtskommission gegründetes und in Genf angesiedeltes Unterorgan der Vollversammlung. Ihm gehören 47 Mitgliedsstaaten an, die jeweils für drei Jahre gewählt werden. Russland war seit 2020 zum wiederholten Mal im Rat vertreten.

US-Kongress will höhere Steuern auf russische Waren

In Washington hat der US-Kongress beschlossen, die normalen Handelsbeziehungen zu Russland auszusetzen. Der Senat und das Repräsentantenhaus verabschiedeten einen entsprechenden Gesetzentwurf, der den Weg für höhere Zölle auf russische Waren freimacht. US-Präsident Joe Biden hatte Mitte März angekündigt, er wolle diese Änderung in Zusammenarbeit mit dem Kongress in Gang setzen. In den USA muss dafür das Parlament tätig werden. Im Senat fiel der Beschluss in einem seltenen einstimmigen Votum. Im Repräsentantenhaus gab es für die Änderung eine überwältigende Mehrheit bei lediglich drei Gegenstimmen.

Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft

Zwei ehemalige Mitglieder der deutschen Regierung, der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum und die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, haben wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft gestellt. 

Strafanzeige gegen Putin in Deutschland

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"Es geht uns also nicht nur darum, die Täter an der Staatsspitze zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um alle Täter", betonten sie. Gemeint sind damit auch die Befehlshaber vor Ort und die Soldaten, die geschossen haben.

Die Strafanzeige stützt sich auf das seit 2002 in Deutschland geltende Völkerstrafgesetzbuch. Demnach können Verdächtige auch für im Ausland begangene Völkerstraftaten angeklagt und verurteilt werden.

"Rücksichtslose Kriegsführung Russlands"

03:51

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NATO gibt zusätzliche Militärhilfe

Die NATO-Staaten haben sich auf zusätzliche Militärhilfe für die Ukraine verständigt. "Wir waren uns einig, dass wir unsere Unterstützung (...) weiter stärken und aufrechterhalten müssen, damit sich die Ukraine durchsetzt", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem Außenministertreffen in Brüssel. Welche zusätzlichen Waffen nun von NATO-Staaten an die Ukraine geliefert werden sollen, sagte Stoltenberg nicht. Er verstehe voll und ganz, dass es konkrete Fragen zu bestimmten Waffentypen gebe, sagte er. Die Alliierten hielten es aber für besser, sich nicht konkret zur Art der Systeme zu äußern. "Aber seien Sie versichert, dass die Verbündeten eine Vielzahl unterschiedlicher Waffensysteme bereitstellen", betonte er. Darunter seien sowohl Systeme aus der Sowjetzeit als auch moderne Ausrüstung.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba war aus dem Kriegsgebiet nach Brüssel gereistBild: Francois Walschaerts/AFP/Getty Images

Zu Forderungen der Ukraine, dass die Waffenlieferungen schnell kommen müssten, sagte Stoltenberg, die NATO-Staaten seien sich der Dringlichkeit bewusst. Es sei ein klares Signal des Treffens, bei der Bereitstellung von Ausrüstung mehr zu tun.

Kuleba ist "vorsichtig optimistisch"

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat sich nach dem Treffen mit den NATO-Staaten in Brüssel "vorsichtig optimistisch" geäußert, die geforderten Waffen zur Abwehr der russischen Angriffe zu erhalten. "Die Frage ist aber, wann", sagte Kuleba nach dem NATO-Rat in Brüssel, zu dem er aus dem Kriegsgebiet angereist war.

Er drängte die NATO-Staaten erneut, der Ukraine unverzüglich Beistand zu leisten. Wenn nicht sofort Waffen geliefert würden, komme die Hilfe "zu spät", warnte er. Dann müssten viele Menschen sterben oder würden vertrieben. Die Gräuel in Butscha seien nur "die Spitze des Eisbergs", sagte er.

"Wir werden die Ukraine in ihrer Verteidigungsfähigkeit weiter unterstützen", sagte  Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vor dem Treffen. Es komme aber in der NATO darauf an, "dass wir uns gemeinsam abstimmen, gemeinsam agieren, und nicht jeder einzeln vorgeht". Für Mai lud Baerbock die NATO-Außenminister zu einem informellen Treffen nach Berlin ein. Dabei soll es auch um die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Bündnisstaaten und um eine bessere Absicherung der Südostflanke der Allianz gehen.

"Bringen Sie sich in Sicherheit!"

In Erwartung einer neuen russischen Offensive in der Ostukraine hat die Regierung in Kiew die Menschen in den Gebieten Luhansk, Donezk und Charkiw dringend zur Flucht aufgerufen. "Bringen Sie sich in Sicherheit, solange es diese Möglichkeit noch gibt", sagte Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. "Das muss jetzt sein, denn später werden die Leute beschossen und ihnen droht der Tod. Sie können dann nichts mehr dagegen tun, und wir werden ihnen nicht helfen können."

Bewohner der ostukrainischen Region Luhansk (Archiv)Bild: Stanislav Krasilnikov/ITAR-TASS/IMAGO

Der Leiter der Verwaltung des Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj, erklärte in einer Videobotschaft, Russland ziehe weiter Streitkräfte in der Region zusammen. Er rechne mit dem Versuch größerer Angriffe in den nächsten drei bis vier Tagen. Hajdaj wandte sich insbesondere an die Bewohner der ostukrainischen Stadt Sjewjerodonezk, in der nach offiziellen Angaben mehr als zehn Hochhäuser durch Artilleriebeschuss zerstört wurden. "Packt Eure Sachen und flieht!", sagte der Gouverneur.

Der Bürgermeister von Charkiw, Ihor Terechow, versuchte angesichts einer möglichen russischen Großoffensive zu beruhigen. Er sagte in einer Videobotschaft, weder er noch das Militär hielten es momentan für notwendig, eine zentralisierte Evakuierung der Stadt durchzuführen. Die Stadt Charkiw sei gut mit Waffen ausgestattet und zur Verteidigung bereit. Der Aufruf, sich in Sicherheit zu bringen treffe aber auf südliche Bezirke der gleichnamigen Region zu. Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine und wird seit Beginn der russischen Invasion Ende Februar fast ununterbrochen aus der Luft und mit Artillerie angegriffen.

Das russische Militär hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau in der Nacht zum Donnerstag vier ukrainische Treibstoff-Lager mit Raketenangriffen zerstört. Aus den Tanks in Mykolajiw, Charkiw, Saporischschja und Tschuhuiw seien ukrainische Truppen im Osten des Landes versorgt worden, heißt es weiter.

Russland beklagt "bedeutende Verluste" 

Bislang hat der Kreml Hinweise zu den Opferzahlen in der russischen Armee vermieden. Nun räumte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow "bedeutende Verluste" russischer Truppen in der Ukraine ein. Dies sei "eine große Tragödie für uns", sagte der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin dem britischen Fernsehsender Sky News. Zahlen nannte er nicht.

Zuletzt hatte Russland von 1351 getöteten Soldaten gesprochen. Die Ukraine geht von zehn Mal so vielen gefallenen gegnerischen Soldaten aus.

Selenskyj findet deutliche Worte

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die komplette russische Führung als Kriegsverbrecher bezeichnet. "Ich finde, dass die russische Armee, die russische politische Führung, alle, die diese Operation ausgearbeitet haben, alle, die Befehle gaben, alle, die diese Befehle ausführten - alle sind Kriegsverbrecher", sagte der 44-Jährige in einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender Habertürk.

Der ukrainische Präsident rief die Menschen in Russland dazu auf, ein Ende des Kriegs zu fordern. Die Ermordung von Zivilisten in von russischen Truppen besetzen Städten wie Butscha sei ein entscheidendes Argument, sagte Selenskyj.

Zivilschutz befürchtet "schreckliche Funde"

Rettungskräfte haben in der ukrainischen Kleinstadt Borodjanka bei Kiew mit dem Wegräumen von Trümmern und der Suche nach Kriegsopfern begonnen. "Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung können wir nur erahnen, wie viele schreckliche Funde uns erwarten", erklärte der Zivilschutz auf Facebook. In den vergangenen Tagen sei die 35 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt gelegene Siedlung von Minen geräumt worden, hieß es. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft geht nach eigenen Angaben davon aus, dass Borodjanka die meisten Opfer in der Region Kiew zu beklagen haben wird.

Zerstörtes Haus in BorodjankaBild: Vadim Ghirda/AP/dpa/picture alliance

Der Bürgermeister der umkämpften ukrainischen Hafenstadt Mariupol hat Russland vorgeworfen, zur Vertuschung von Kriegsverbrechen Leichen in mobilen Krematorien zu verbrennen. Mit dieser Praxis sollten Spuren verwischt werden, teilte die Stadtverwaltung mit. "Das ist ein neues Auschwitz und Majdanek", wurde Wadym Bojtschenko mit Verweis auf die NS-Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg zitiert.

Beseitigt Russland Spuren in Mariupol?

Russische Truppen haben bereits einen Großteil der Stadt am Asowschen Meer besetzt, knapp 90 Prozent der städtischen Infrastruktur sollen zerstört worden sein.

Dieser russische Soldat der Eingreiftruppe Akhmat soll laut der staatlichen russischen Nachrichtenangentur Tass am 5. April 2022 eine Straße in Mariupol patrouillieren Bild: Sergei Bobylev/TASS/dpa/picture alliance

Prorussische Separatisten aus der Ostukraine haben eigenen Angaben zufolge mithilfe russischer Truppen weitgehend die Kontrolle über das Stadtzentrum erlangt. Dies sagte der Sprecher der prorussischen Kräfte im Gebiet Donezk, Eduard Bassurin, im russischen Staatsfernsehen. Nun werde vor allem im Hafen der Metropole sowie am Stahlwerk gekämpft. Laut Bassurin sollen sich in der Mariupol noch rund 3000 ukrainische Soldaten aufhalten, die Unterstützer in der Zivilbevölkerung hätten.

In Mariupol, das vor dem Krieg rund 440.000 Einwohner zählte, ist die humanitäre Lage seit Wochen katastrophal. Die geflüchtete Stadtverwaltung geht davon aus, dass bereits Zehntausende Zivilisten getötet worden sind. Immer wieder scheitern Versuche, die verbliebenen Einwohner in Sicherheit zu bringen. Meldungen aus Mariupol können seit Wochen kaum unabhängig überprüft werden, auch weil internationale Medien vor Ort nicht mehr arbeiten können. 

WHO bereitet sich auch auf Chemie-Angriffe vor

Die Weltgesundheitsorganisation WHO bereitet sich auf mögliche Angriffe mit chemischen Kampfstoffen in der Ukraine vor. "Wegen der gegebenen Ungewissheiten der gegenwärtigen Lage gibt es keine Sicherheiten, dass der Krieg nicht noch schlimmer werden kann", erklärt Hans Kluge, der WHO-Chef für Europa in der westukrainischen Stadt Lwiw. Die WHO ziehe alle Szenarien in Erwägung. Das reiche von der Behandlung massenhafter Verletzter bis hin zu chemischen Angriffen.

Kluge versicherte der Ukraine, kurz- wie langfristig vor Ort für die Gesundheit der Menschen in dem Land einzustehen. Die WHO habe sich auf verschiedene Eventualitäten vorbereitet und gehe davon aus, dass sich die gesundheitlichen Herausforderungen erst verschlimmerten, bevor sie besser würden.

WFP: Millionen Hungernde durch Kriegsfolgen

Wegen des Ukraine-Kriegs warnt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) vor globalen Auswirkungen. "Je nach Dauer des Krieges könnten zwischen 33 und 47 Millionen Menschen zusätzlich in Hunger und Armut abrutschen", sagte WFP-Deutschland-Direktor Martin Frick der Deutschen Presse-Agentur.

Die Nichtregierungsorganisation Welthungerhilfe rechnet angesichts der Lebensmittelkrise infolge des Ukraine-Kriegs mit neuen Flüchtlingsbewegungen aus ärmeren Ländern. Die Lage sei teils dramatisch, sagte der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Mathias Mogge, der "Rheinischen Post". Hintergrund seien unter anderem die Preissprünge von bis zu 70 Prozent für Getreide,das bisher zu einem großen Teil aus der Ukraine und aus Russland importiert wird.

Keine Hinweise auf Chemiewaffen-Attacke 

Die USA zeigen sich überzeugt, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen kann. "Natürlich können sie das hier gewinnen", sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Der Beleg dafür seien die Entwicklungen, die man jeden Tag sehe.

Die USA wollen die Ukraine mit weiteren Panzerabwehrwaffen unterstützen. Dazu sollen sie 100 Millionen Dollar genutzt werden, welche die US-Regierung für weitere Waffenlieferungen genehmigt hatte, führte Kirby aus. Man sei außerdem mit den Ukrainern über die Lieferung weiterer Drohnen im Gespräch.

Aktuell keine Hinweise sieht die US-Regierung für einen unmittelbar bevorstehenden Einsatz von Chemie- oder Biowaffen im Ukraine-Krieg. Man beobachte derzeit nicht, dass die Russen solche Waffen in die Ukraine brächten, so Kirby.

John KirbyBild: Andrew Harnik/AP/dpa/picture alliance

Russland warf der Ukraine vor, eine "Provokation" mit chemischen Stoffen zu planen und die Schuld dafür Moskau in die Schuhe schieben zu wollen. Ukrainische Spezialkräfte hätten ein Lager mit 120 Tonnen Chlor in der ostukrainischen Stadt Perwomajskyj vermint, vermeldete ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. "Dieses Lager soll gesprengt werden, um Russland zu beschuldigen, angeblich eine chemische Katastrophe herbeigeleitet zu haben, die den Tod von Anwohnern verursacht." Es handle sich um "bestätigte Informationen", sagte der Sprecher, ohne allerdings Beweise vorzulegen.

Türkei und Ungarn setzen auf Diplomatie

Die Türkei rechnet mit einer Fortsetzung der direkten Verhandlungen über einen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland. Man erwarte weitere Treffen in der Türkei, möglicherweise erst zwischen den Verhandlungsteams und dann zwischen den Außenministern, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Rande eines NATO-Treffens in Brüssel. Beide Seiten hätten auch zugestimmt, dass die Präsidenten zusammenkommen könnten.

Viktor OrbanBild: ATTILA KISBENEDEK/AFP

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bot sein Land als Gastgeber für Verhandlungen über einen Waffenstillstand an. In einem Telefongespräch mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin habe er diesen zu Gesprächen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzler Olaf Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Budapest eingeladen, berichtete Orban. Putins Antwort auf das vorgeschlagene Treffen sei "positiv, aber unter Bedingungen" gewesen. Orban gilt seit langem als engster Partner Putins unter den EU-Staats- und Regierungschefs.

Aus der Ukraine kommt Kritik an Ungarns Regierung, weil diese, wie von Russland verlangt, Gas-Lieferungen in Rubel bezahlen will. "Wenn Ungarn wirklich helfen will, den Krieg zu beenden, dann kann es folgendes tun: Hört auf die Einigkeit der EU zu zerstören", erklärt der Sprecher des Außenministeriums in Kiew, Oleg Nikolenko.

Die meisten EU-Staaten haben sich darauf verständigt, russische Energielieferungen in Euro oder Dollar zu zahlen. Damit soll auch ein Unterlaufen der gegen Russland verhängten Sanktionen verhindert werden. Ungarn lehnt ein  gemeinsames Vorgehen der EU-Länder bei Sanktionen ab.

Auch Österreich weist Diplomaten aus

Nach mehrtägigem Zögern schließt sich Österreich den europäischen Sanktionsmaßnahmen gegen russische Diplomaten an. Wie eine Regierungssprecherin mitteilte, werden drei Angehörige der russischen Botschaft in Wien und ein Diplomat des Generalkonsulats in Salzburg ausgewiesen. "Die Personen haben Handlungen gesetzt, die mit ihrem diplomatischen Status unvereinbar sind", so die Sprecherin.

Deutschland, Frankreich, Italien und andere EU-Länder hatten jüngst im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine insgesamt rund 150 russische Diplomaten ausgewiesen.

Melnyk kritisiert "Linie" der Verteidigungsministerin

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat der Aussage von Verteidigungsministern Christine Lambrecht (SPD) widersprochen, sein Land poche bei den deutschen Waffenlieferungen auf Geheimhaltung. "Das stimmt nicht. Das ist die Linie, für die sich die Ministerin entschieden hat", sagte Melnyk im Ersten Deutschen Fernsehen. Es gebe leider "keinen offenen Dialog über das, was wir brauchen", kritisierte der Botschafter. "Dieser Dialog läuft (...) immer noch sehr schwer und jeder Tag kostet viel zu viel Menschenleben."

Bundesregierung auf Kohle-Embargo "vorbereitet"

Deutschland wird sich nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nicht gegen das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kohle-Embargo stellen. "Wenn es jetzt ab morgen heißen würde, keine Kohle, (...) dann hätten wir schon ein erhebliches Problem", sagte der Grünen-Politiker in den ARD-"Tagesthemen". Er betonte zugleich, Deutschland sei vorbereitet und stehe deshalb "so einem Embargo nicht im Weg".

Wolodymyr SelenskyjBild: Pressebüro des ukrainischen Präsidenten/AP/dpa/picture alliance

Der ukrainische Präsident Selenskyj forderte westliche Politiker auf, sich rasch auch auf ein Embargo von russischem Öl zu verständigen. Russland verdiene so viel Geld mit Öl, dass es Friedensverhandlungen nicht ernst zu nehmen brauche, sagte Selenskyj in einer Video-Ansprache am frühen Donnerstag.

Industrieländer geben weitere Öl-Notreserven frei

Zur Stützung des vom Ukraine-Krieg erschütterten Ölmarkts stellen die Industrieländer zusätzlich 120 Millionen Barrel Rohöl aus ihren Notreserven zur Verfügung. Die Hälfte davon werde von den USA beigetragen, erklärte der Chef der in Paris ansässigen Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol. Bereits im März hatten die 31 Mitgliedstaaten der IEA die Freigabe von 62,7 Millionen Barrel Öl zugesagt. Gemeinsam halten die Staaten 1,5 Milliarden Barrel (a 159 Liter).

US-Bürger betrachten Russland als "Feind"

Die Haltung in der US-Gesellschaft gegenüber Russland hat sich einer Umfrage zufolge seit Beginn des Ukraine-Krieges dramatisch verändert. 70 Prozent der Amerikaner sehen Russland inzwischen als Feind der Vereinigten Staaten, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew ergab. Im Januar seien lediglich 41 Prozent der Bevölkerung dieser Ansicht gewesen.

wa/gri/cw/ar/nob/rb (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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