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Politik

Aktuell: Die "Rückkehr der deutschen Führung"

28. April 2022

Der Deutsche Bundestag sendet ein Signal für die Unterstützung der Ukraine. Der ukrainische Präsidentenberater Podoljak beansprucht für sein Land das Recht, auch russische Ziele angreifen zu dürfen. Ein Überblick.

Deutschland | Bundeswehr | Flugabwehrpanzer Gepard
Solche Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard will Deutschland der Ukraine liefern (Archivbild)Bild: Carsten Rehder/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Union und Ampel-Koalition stimmen für Lieferung schwerer Waffen
  • Selenskyj-Berater deutet Angriffe auf russische Ziele an 
  • UN-Generalsekretär Guterres in Kiew
  • Ermittlungen gegen russische Soldaten
  • Kanadisches Parlament verurteilt "Völkermord"

 

Nach wochenlangem Ringen haben die oppositionelle Union und die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Bundestag gemeinsam für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gestimmt. Die Fähigkeiten Deutschlands zur Bündnisverteidigung dürften dabei nicht gefährdet werden, heißt es in dem Antrag, den 586 Parlamentarier annahmen. Mit Nein stimmten 100 Abgeordnete, sieben enthielten sich.

Dies sei ein starkes Signal der Verantwortung für die Ukraine und der Geschlossenheit gegen den russischen Angriffskrieg, heißt es in einer Erklärung, die von den Fraktionschefs unterzeichnet wurde. Deutschland stehe fest an der Seite der Ukraine in ihrem Freiheitskampf, betonen die Parlamentarier. Die Unterstützung des Selbstverteidigungsrechts der Ukraine sei bedeutend für den Schutz von Frieden und Freiheit in Europa und auch für die Suche nach einer diplomatischen Lösung.

Klingbeil: "Parteipolitische Profilierung"

Trotz des gemeinsamen Antrags lieferten sich Union und SPD einen parteipolitischen Schlagabtausch. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) griff Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Debatte scharf an. Scholz sei über Wochen der Diskussion über Waffenlieferungen ausgewichen und habe gezaudert, sagte Merz. SPD-Chef Lars Klingbeil warf dem CDU-Vorsitzenden im Gegenzug "parteipolitische Profilierung" vor.

Die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sieht in der Zustimmung des Bundestages das richtige Zeichen. "Wir alle wollen Frieden, aber dass man, um Frieden zu bekommen, auch harte Waffen einsetzen muss, (...), war für den einen oder anderen schon ein Paradigmenwechsel", sagte Strack-Zimmermann der Deutschen Welle. Angesichts des "territorialen Machthungers" Russlands sei dies indes "die einzige Antwort".

Kiew kündigt Angriffe auf Ziele in Russland an

Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak hat das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung gegen die russischen Truppen hervorgehoben und dabei auch mögliche Angriffe auf militärische Ziele in Russland angedeutet. "Die Ukraine wird sich auf jegliche Art verteidigen, auch mit Angriffen auf die Depots und Basen der russischen Mörder", schrieb Podoljak auf Twitter. "Die Welt erkennt dieses Recht an."

Podoljak verwies auf US-Außenminister Antony Blinken, der gesagt habe, die Ukraine müsse selbst entscheiden, ob sie militärische Einrichtungen in Russland angreife. Auch die britische Regierung hatte Verständnis für solche Angriffe gezeigt. Podoljak lobte zudem die Zustimmung des deutschen Bundestags zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. "Diese Abstimmung wird als einer der letzten Sargnägel für Putins Lobbyarbeit in Europa in die Geschichte eingehen sowie als Rückkehr der deutschen Führung."

UN-Generalsekretär Antonio Guterres (l.) und Wolodymyr Selenskyj sprachen in Kiew über einen Fluchtkorridor für MariupolBild: Efrem Lukatsky/AP/picture alliance

Guterres: "Mariupol ist eine Krise innerhalb einer Krise"

UN-Generalsekretär António Guterres und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben die Bildung eines Flüchtlingskorridors für die schwer zerstörte Hafenstadt Mariupol besprochen. "Mariupol ist eine Krise innerhalb einer Krise, tausende Zivilisten brauchen lebensrettende Hilfe", sagte Guterres bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen in Kiew. Die Menschen brauchten eine Fluchtroute, um der "Apokalypse" zu entkommen.

Der UN-Chef berichtete Selenskyj, dass er bei seinem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag eine prinzipielle Zusage dafür bekommen habe, dass die Vereinten Nationen beim Aufbau eines solchen Fluchtkorridors zusammen mit dem Roten Kreuz beteiligt würden. Nun gebe es intensive Beratungen dazu, wie der Vorschlag in die Realität umgesetzt werden könne.

Selenskyj zeigte sich nach dem Gespräch mit Guterres optimistisch. Nun glaube er daran, dass die Belagerung des Stahlwerks Azovstal beendet und in Mariupol ein "erfolgreiches Ergebnis" erzielt werden könne, sagte er laut der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian. In den Bunkeranlagen des Stahlwerks haben sich nach ukrainischen Angaben außer zahlreichen Kämpfern auch Hunderte Zivilisten verschanzt. Kremlchef Putin hatte angeordnet, das Gelände abzuriegeln.

UN-Generalsekretär Guterres (vorne rechts) in Borodjanka:  Der Krieg ist eine Absurdität im 21. JahrhundertBild: Sergei Supinsky/AFP/Getty Images

Vor seinem Treffen mit Selenskyj hatte Guterres den Kiewer Vorort Borodjanka besucht. Dort sollen russische Truppen - ebenso wie in Butscha und Irpin - nach ukrainischen Angaben Gräueltaten an Zivilisten begangen haben. "Der Krieg ist eine Absurdität im 21. Jahrhundert", sagte Guterres. "Ich stelle mir meine Familie in einem dieser Häuser vor, die jetzt zerstört sind. Ich sehe meine Enkelinnen in Panik herumlaufen." 

Kiew wieder unter Beschuss

Während des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres in Kiew ist die ukrainische Hauptstadt Kiew erstmals seit rund zwei Wochen wieder mit Raketen beschossen worden. Bürgermeister Vitali Klitschko sprach im Online-Dienst Telegram von zwei russischen Angriffen im Stadtzentrum. Reporter vor Ort berichteten von einem Brand in einem Gebäude und zahlreichen zerstörten Fensterscheiben. 

 "Am Abend feuerte der Feind auf Kiew. Zwei Angriffe im Bezirk Schewschenkowsky", erklärte Klitschko. Angaben zu möglichen Opfern lägen noch nicht vor.

Ukraine ermittelt gegen russische Soldaten

Die ukrainische Justiz hat zehn russische Soldaten ausfindig gemacht und Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha eingeleitet. Den Mitgliedern der 64. motorisierten Infanteriebrigade der russischen Armee wird unter anderem "die grausame Behandlung von Zivilisten" vorgeworfen, wie die Generalstaatsanwaltschaft im Online-Dienst Telegram mitteilte.

Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa will Russland zur Rechenschaft ziehenBild: Tom Jennings/AP/dpa/picture alliance

Insgesamt seien den Behörden 8600 Fälle bekannt, bei denen es sich um mutmaßliche Kriegsverbrechen handelt, sagte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa der Deutschen Welle. Dazu gehörten "die Tötung von Zivilisten, die Bombardierung ziviler Infrastruktur, Folter und auch Sexualverbrechen in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine." 

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, Karim Khan, verwies auf die Rekordzahl von 43 Ländern, die seine Institution mit der Untersuchung der Situation in der Ukraine beauftragt habe. Zugleich kritisierte er die mangelnde Kommunikation mit Russland. Er habe drei Mitteilungen an die Russische Föderation geschickt und keine Antwort erhalten, sagte Karim Khan bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Bei dem Treffen ging es darum, wie Russland für Verletzungen des Kriegsrechts zur Verantwortung gezogen werden kann.

Kanadisches Parlament verurteilt "Völkermord"

Das kanadische Parlament verurteilte das Vorgehen der russischen Truppen im Ukraine-Krieg als "Völkermord". Zudem gebe es Hinweise auf "systematische und massive Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit", heißt es in dem einstimmig verabschiedeten Antrag, der von der linken Neuen Demokratischen Partei eingebracht wurde.

Darin werden Fälle der vorsätzlichen Tötung ukrainischer Zivilisten, Leichenschändung, Folter, Vergewaltigung und die gewaltsame Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland genannt. Vor rund anderthalb Wochen hatte das ukrainische Parlament eine ähnliche Resolution verabschiedet.

Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden seine Rhetorik gegenüber Putin verschärft und diesem einen "Völkermord" in der Ukraine vorgeworfen. Kanadas Premierminister Justin Trudeau schloss sich dem Vorwurf an. Andere westliche Staats- und Regierungschefs - wie Bundeskanzler Scholz - verwenden diesen Begriff hingegen nicht und sprechen stattdessen von russischen "Kriegsverbrechen" in der Ukraine.

USA wollen härter gegen russische Oligarchen vorgehen

US-Präsident Joe Biden will beschlagnahmtes Vermögen russischer Oligarchen der Ukraine zukommen lassen. "Kleptokratisches Vermögen" solle an die Ukraine überwiesen werden, "um die Schäden der russischen Aggression" teilweise wiedergutzumachen, erklärte das Weiße Haus. Biden legte dazu einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vor. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die USA im Zuge ihrer Sanktionspolitik gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs Schiffe und Flugzeuge im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar beschlagnahmt. Außerdem seien hunderte Millionen Dollar von "russischen Eliten auf US-Konten" eingefroren worden.

US-Präsident Joe Biden will beschlagnahmtes Vermögen russischer Oligarchen der Ukraine zukommen lassenBild: Andrew Harnik/AP Photo/picture alliance

Zudem bittet Biden den Kongress um die Bewilligung von weiteren 33 Milliarden US-Dollar. 20 Milliarden davon sollten für Militärhilfe genutzt werden, etwa 8,5 Milliarden für wirtschaftliche Hilfe. Die US-Regierung hatte zuvor schon mehrere große Pakete zur Unterstützung der Ukraine auf den Weg gebracht.

Mehrere Tote durch Beschuss

Die Kampfhandlungen dauern unvermindert an. Ukrainischen Angaben zufolge wurden durch russischen Beschuss in der Region Charkiw mindestens drei Menschen getötet. In der Stadt Cherson, deren Einnahme Moskau gemeldet hatte, sollen sich mehrere Explosionen in der Nähe des Fernsehzentrums ereignet haben. Danach sei ein Feuer ausgebrochen, berichten ukrainische Medien.

Nach Angaben aus Kiew wurden die Chefs von 35 der 49 Verwaltungseinheiten entführt. "17 von ihnen wurden freigelassen, aber viele sind in Gefangenschaft", schrieb die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, im Nachrichtenkanal Telegram. Die russischen Truppen "entführen und foltern die Bewohner der vorübergehend besetzten ukrainischen Gebiete, sie plündern Weltkulturerbestätten". Das Gebiet Cherson ist fast vollständig von Russland besetzt.

Seit Kriegsbeginn gibt es immer wieder Berichte über Verschleppungen von demokratisch gewählten Bürgermeistern und Gebietsvorstehern in besetzten Gebieten, die eine Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht verweigern.

Russisches Militär meldet schwere Luftangriffe auf Ukraine

Das russische Militär hat nach Angaben des Moskauer Verteidigungsministeriums sechs Waffen- und Treibstoffdepots mit Raketenangriffen zerstört. Zudem seien 76 militärische Einrichtungen der Ukraine getroffen worden. Die gegnerischen Verluste bezifferte das Ministerium auf mehr als 320 Soldaten. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Eine Stellungnahme der Ukraine liegt bislang nicht vor.

Selenskyj über "Energie-Erpressung" empört

Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den russischen Lieferstopp für Gas an Polen und Bulgarien scharf kritisiert. "In dieser Woche hat die russische Führung eine neue Serie von Energie-Erpressungen gegenüber den Europäern begonnen", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. Der Lieferstopp sei "ein weiteres Argument dafür, dass niemand in Europa auf eine normale wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland hoffen" könne.

Selenskyj lobte zugleich einen Vorschlag der EU-Kommission, Exporte aus der Ukraine in die EU befristet von Einfuhrzöllen zu befreien. Die für ein Jahr angedachte Maßnahme soll dazu beitragen, die ukrainischen Ausfuhren in die EU anzukurbeln und Probleme der ukrainischen Wirtschaft zu mildern. Der für Handel zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis sagte, die EU habe noch nie zuvor derartige Maßnahmen zur Handelsliberalisierung ergriffen. Das EU-Parlament und die EU-Länder müssen allerdings noch zustimmen.

Kiew beobachtet Lage in Transnistrien

Nach den Explosionen in Transnistrien beobachtet die ukrainische Regierung die Lage in dem pro-russischen Separatistengebiet in der Republik Moldau aufmerksam.

"Wir haben Transnistrien immer als Brückenkopf betrachtet, von dem gewisse Risiken für uns ausgehen können", sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak laut der Agentur Unian in Kiew. Deshalb sei in den ukrainischen Regionen Odessa und Winnyzja "unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung alles gut durchdacht". Russland hat nach Berichten über Sabotage-Akte in Transnistrien mit einer Intervention gedroht.

Polen fordert Finanzhilfen für ukrainische Flüchtlinge

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki dringt bei der Europäischen Union auf Hilfen für die Aufnahme von Geflüchteten. Sein Land versorge verwundete Soldaten aus der Ukraine und beherberge 2,5 Millionen Flüchtlinge, für welche die Polen "Türen und Herzen geöffnet" hätten. "Dafür brauchen wir Geld", sagte Morawiecki der "Bild"-Zeitung. Doch für die Versorgung der Geflüchteten habe die EU "bisher keinen Cent gezahlt". Der Regierungschef verwies auf die Türkei, die für die zahlreichen Flüchtlinge aus Syrien und angrenzenden Ländern nach 2015 von der EU "Milliarden" erhalten habe.

Die EU-Kommission teilte dagegen mit, dass Polen bislang mehr als eine halbe Milliarde Euro für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge erhalten habe. Insgesamt beliefen sich die Zahlungen an Polen nach einer am Donnerstag in Brüssel veröffentlichten Aufstellung auf 562 Millionen Euro. Das war der höchste Beitrag für ein einzelnes EU-Land. Insgesamt unterstützte die EU-Kommission die verschiedenen Mitgliedstaaten nach eigenen Angaben mit mehr als 3,5 Milliarden Euro. Deutschland erhielt rund 75,5 Millionen Euro.

uh/rb/jj/sti/se/cw (dpa, afp, ap, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.