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Politik

Aktuell: EU arbeitet an neuen Sanktionen gegen Russland

4. April 2022

Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha bereitet der Westen noch schärfere Sanktionen gegen Russland vor. Die Bundesregierung weist 40 russische Diplomaten aus. Ein Überblick.

Ukraine | Leichen auf der Straße in Bucha
Freiwillige sammeln die Leichen mutmaßlich ermordeter Zivilisten in Butscha einBild: REUTERS

Das Wichtigste in Kürze:

  • EU bereitet neues Sanktionspaket gegen Russland vor
  • Ukrainischer Präsident Selenskyj besucht Butscha
  • Bundesnetzagentur übernimmt vorerst treuhänderisch deutsche Gazprom-Tochter
  • Polnischer Regierungschef Morawiecki fordert Ahndung von Völkermord
  • Steinmeier gibt erstmals Fehler in Russland-Politik zu

 

Die Europäische Union werde "dringend die Arbeit an weiteren Sanktionen gegen Russland vorantreiben", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Was für Strafmaßnahmen vorbereitet werden und wann sie beschlossen werden sollen, teilte Borrell nicht mit. "Die Massaker in der Stadt Butscha und anderen ukrainischen Städten werden in die Liste der auf europäischem Boden begangenen Gräueltaten aufgenommen", sagte Borrell. Die EU verurteile die mutmaßlich von russischen Streitkräften begangenen "Gräueltaten" aufs Schärfste. "Wir sind solidarisch mit der Ukraine und dem ukrainischen Volk in diesen düsteren Stunden", so der Spanier.

Borrell machte zudem deutlich, dass aus Sicht der EU die russischen Behörden für die während der Besatzung verübten Grausamkeiten verantwortlich sind. Um die Täter und zuständigen Regierungsbeamten und Militärs zur Rechenschaft zu ziehen, unterstütze man uneingeschränkt die am Internationalen Strafgerichtshof eingeleiteten Ermittlungen sowie die Arbeit der Untersuchungskommission des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, teilte er mit. Auch helfe die EU dem ukrainischen Generalstaatsanwalt und der Zivilgesellschaft bei der Sammlung und Sicherung von Beweisen für Kriegsverbrechen.

In den verwüsteten Straßen von Butscha lagen am 2. April Leichen von ZivilistenBild: Zohra Bensemra/REUTERS

Im Kiewer Vorort Butscha waren nach dem Rückzug der russischen Armee aus der ukrainischen Hauptstadtregion hunderte Leichen von Zivilisten gefunden worden. Die Gesamtzahl der Toten ist unklar. Nach Angaben des Bürgermeisters von Butscha, Anatoly Fedoruk, wurden 280 Menschen in Massengräbern bestattet, weil die Friedhöfe beschossen worden waren. Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa sprach von 410 toten Zivilisten in Großraum Kiew.

40 russische Diplomaten müssen ausreisen

Die Bundesregierung hat 40 russische Diplomaten zu "unerwünschten Personen" erklärt. Außenministerin Annalena Baerbock teilte mit, die Angehörigen der russischen Botschaft hätten "hier in Deutschland jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet". Werden Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt, kommt dies einer Ausweisung gleich.

Die Arbeit der betroffenen russischen Diplomaten sei "eine Bedrohung für diejenigen, die bei uns Schutz suchen", erklärte Baerbock zur Begründung. "Dies werden wir nicht weiter dulden. Das haben wir dem Botschafter Russlands heute Nachmittag mitgeteilt." Der russische Botschafter Sergej Netschajew war von Staatssekretär Andreas Michaelis ins Auswärtige Amt einbestellt und über die Ausweisung informiert worden. Die betroffenen Personen haben fünf Tage Zeit, um Deutschland zu verlassen. Nach diesen Informationen ist bei den Betroffenen von einer Zugehörigkeit zu russischen Nachrichtendiensten auszugehen.

Zu Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha sagte Baerbock, diese Bilder "zeugen von einer unglaublichen Brutalität der russischen Führung" und derer, die ihrer Propaganda folgten, "von einem Vernichtungswillen, der über alle Grenzen hinweggeht". Ähnliche Bilder seien noch aus vielen anderen Orten zu befürchten, die russische Truppen in der Ukraine besetzt hätten. "Dieser Unmenschlichkeit müssen wir die Stärke unserer Freiheit und unserer Menschlichkeit entgegensetzen", so die Ministerin.

Auch Frankreich weist zahlreiche russische Diplomaten aus. Sie gefährdeten die nationale Sicherheit, teilte das Außenministerium mit. "Dieser Schritt ist Teil einer europäischen Initiative."

Ukrainischer Präsident Selenskyj besucht Butscha

Nach Bekanntwerden eines Massakers an Zivilisten ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag in die Stadt Butscha gereist, die rund 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew liegt. In Butscha seien Kriegsverbrechen begangen worden, sagte Selenskyj vor Journalisten in der großenteils verwüsteten Kleinstadt. "Die Welt wird das als Genozid anerkennen." Selenskyj trat in dunkelgrünem Pullover und einer Militärweste in Tarnmuster auf und machte sich in Begleitung von bewaffneten Sicherheitskräften ein Bild von den Zerstörungen.

Präsident Selenskyj macht sich ein Bild von den Zerstörungen in ButschaBild: Ronaldo Schemidt/AFP/Getty Images

Die Frage eines Reporters, ob es nun immer noch möglich sei, mit Russland über Frieden zu verhandeln, bejahte der ukrainische Staatschef. "Die Ukraine muss Frieden bekommen", sagte er. Zugleich betonte er, ein baldiger Verhandlungserfolg sei in Russlands Interesse: "Je länger die Russische Föderation den Gesprächsprozess verzögert, desto schlimmer wird es für sie."

Die Bilder und Videos aus dem Ort Butscha lösten weltweit Entsetzen aus. Zahlreiche westliche Vertreter, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, sowie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sprachen von einem Kriegsverbrechen Russlands.

Polen fordert Bestrafung des "Völkermords"

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki forderte am Montag, "die blutigen Massaker, die von Russen, russischen Soldaten begangen wurden", beim "Namen zu nennen". Es handele sich um "Völkermord und er muss geahndet werden". Auch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sprach am Montag mit Blick auf die Leichenfunde in Butscha von einem "möglichen Völkermord".

Bachelet verlangt Untersuchung zu Leichenfunden in Butscha

UN-Menschenrechtskommissarin Michele Bachelet hat sich entsetzt über die Bilder der getöteten Zivilisten in Butscha geäußert. Die Berichte von dort und aus anderen ukrainischen Regionen weckten "schwerwiegende und beunruhigende Fragen nach möglichen Kriegsverbrechen, gravierenden Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und schwerwiegenden Verletzungen des internationalen Völkerrechts", erklärte sie in Genf.

Alle Leichen müssten exhumiert werden, verlangte Bachelet. Dabei gehe es um die Identifikation der Toten, damit die Angehörigen informiert werden könnten, aber auch um die Feststellung der Todesursache und die Beweissicherung. Die UN-Menschenrechtskommissarin machte sich für unabhängige Untersuchungen stark, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit sicherzustellen. Weiter gehe es auch um Entschädigungen für die Opfer und ihre Familien, sagte Bachelet.

Deutschland stellt dem Internationalen Strafgerichtshof zur Beweissicherung und Zeugenvernehmung vor Ort eine Million Euro zusätzlich zur Verfügung. Das teilte Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin mit. Zudem biete die Bundesregierung Spezialisten in diesem Bereich an. Auch die unabhängige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats werde von Deutschland mit einer Million Euro unterstützt.

Mehr als 400 tote Zivilisten

Zuvor hatten die Ukraine und weitere Repräsentanten des Westens Russland nach dem Fund hunderter toter Zivilisten nahe Kiew "Kriegsverbrechen" vorgeworfen. Die ukrainische Staatsanwaltschaft erklärte am Sonntag, im Großraum Kiew seien nach dem Abzug der russischen Truppen die Leichen von mehr als 400 Zivilisten entdeckt worden. Sie kündigte eine Obduktion der Leichen an, um das Verbrechen aufzuklären. Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die "Verbrechen der russischen Streitkräfte" im Kiewer Vorort Butscha, an anderer Stelle sprach auch er von Kriegsverbrechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "Völkermord".

Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf teilte zwar mit, es könne sich noch nicht zu den Ursachen und Umständen äußern. "Aber das, was bislang bekannt ist, wirft eindeutig ernsthafte und beunruhigende Fragen über mögliche Kriegsverbrechen und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts auf", erklärte das Büro. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte "zutiefst schockiert" auf die "Bilder von getöteten Zivilisten in Butscha" und forderte eine "unabhängige Untersuchung". Es sei "unerlässlich", dass die Verantwortlichen nach einer "unabhängigen Untersuchung zur Rechenschaft" gezogen würden, erklärte Guterres nach Angaben seines Sprechers.

Moskau bestreitet Gräueltaten

Der russische Außenminister Sergej Lawrow beschuldigte die Ukraine angesichts der Vorwürfe von Kriegsverbrechen, die Lage in der Stadt Butscha inszeniert zu haben. Es handele sich um einen "erfundenen Angriff" mit dem Ziel, Russland zu diskreditieren, sagte Lawrow nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Tass. Die Bilder von Leichen seien von der Ukraine und westlichen Ländern über die sozialen Medien verbreitet worden.

Das russische Präsidialamt wies sämtliche Vorwürfe im Zusammenhang mit getöteten Zivilisten in der Stadt Butscha kategorisch zurück. Die Fakten und der zeitliche Ablauf der Vorkommnisse entsprächen nicht der ukrainischen Darstellung, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Deshalb sollten Anschuldigungen der ukrainischen Seite angezweifelt werden und internationale Politiker keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Russische Diplomaten würden sich weiter darum bemühen, dass eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu Butscha einberufen werde. Die Moskauer Regierung sprach bei der Darstellung der Ereignisse von Butscha von einer "ukrainischen Provokation".

Putin erschwert Visaverfahren für Westeuropäer

Der russische Präsident Wladimir Putin hat das erleichterte Visaverfahren für Bürger westeuropäischer Staaten eingeschränkt. Per Dekret setzte er die einfachere Visavergabe für Teilnehmer offizieller Delegationen und Journalisten aus. Das betrifft sowohl die Vergabe von Einfachvisa wie auch von Mehrfachvisa. Der Kreml begründete den Schritt mit "unfreundlichen Handlungen der EU und einer Reihe anderer Staaten". Neben Staaten der Europäischen Union betrifft die Regelung Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.

Nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine haben die meisten europäischen Staaten ihren Flugraum für russische Maschinen gesperrt. Mehrere Schengen-Staaten, darunter das Baltikum und Tschechien, haben zudem die Visavergabe an Russen - außer in humanitären Fällen - eingestellt. Eine einheitliche Regelung gibt es auf europäischer Seite aber nicht.

USA wollen Russland aus UN-Menschenrechtsrat verbannen

Die USA wollen die Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen aussetzen lassen. Dies werde man in der UN-Vollversammlung beantragen, sagte die US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield. Russland ist derzeit im zweiten Jahr Mitglied des Genfer Gremiums. Die Mitgliedschaft rotiert alle drei Jahre. Die Vollversammlung kann die Mitgliedschaft eines Landes wegen gravierender Verstöße gegen die Menschenrechte mit Zwei-Drittel-Mehrheit suspendieren.

Wien und Berlin wollen weiter kein Gas-Embargo

Österreich lehnt Gas-Sanktionen gegen Russland ungeachtet der Gräueltaten im ukrainischen Butscha weiter ab. Österreich sei "gemeinsam mit Deutschland bei einem Gas-Embargo sehr zurückhaltend", sagte Finanzminister Magnus Brunner vor einem Treffen mit seinen Kollegen der Euro-Länder in Luxemburg. Deutschland wie Österreich sind stark von russischem Erdgas abhängig. "Die Kriegsverbrechen erschüttern uns natürlich alle sehr gewaltig", sagte der Minister. Bei Sanktionen müsse die EU aber "einen kühlen Kopf bewahren". Neue Strafmaßnahmen dürften Europa nicht stärker treffen als Russland.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wandte sich erneut gegen ein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland. "Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl und Kohle und Gas", sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Anders als andere europäische Länder hätten sich vorherige Bundesregierungen darauf verlegt, die Abhängigkeit von Russland immer größer zu machen. "Und das bauen wir jetzt alles zurück und drehen es um", unterstrich Habeck.

Deutsche Chemieindustrie warnt vor Folgen eines Erdgas-Stopps

Der Verband der Chemischen Industrie VCI befürchtet schwerwiegende Folgen für die deutsche Wirtschaft, falls es zu Sanktionen gegen russisches Gas kommen sollte. "Jede Kilowattstunde, jede Tonne Erdgas, die in der chemischen Produktion fehlt, reduziert entsprechend die Produktion in anderen Unternehmen", sagte Jörg Rothermel, Abteilungsleiter Energie, Klimaschutz und Rohstoffe im Verband VCI, der Deutschen Welle. Ohne ausreichend Gas könnte es einen Mangel an Klebstoffen, Lacken und Farben geben.

Düngemittel, die in der Landwirtschaft zur Lebensmittelproduktion gebraucht werden, würden ebenfalls knapp werden, so Rothermel. Auch Kunststoffe, die in den verschiedensten Bereichen, wie im Automobil- und Maschinenbau zum Einsatz kommen, würden dann zur Mangelware. Deshalb appelliert der Verband an die Bundesregierung, keine Sanktionen gegen russisches Gas zu verhängen. Die chemische Industrie ist mit einem Anteil von 15 Prozent der größte industrielle Gasverbraucher in Deutschland.

Bundesnetzagentur wird vorerst Treuhänderin für deutsche Gazprom-Tochter

Die Bundesnetzagentur übernimmt auf Anordnung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorübergehend das Deutschland-Geschäft des russischen Gaskonzerns Gazprom. Per rechtlicher Anordnung habe sein Ministerium die Behörde als Treuhänderin für die Gazprom Germania eingesetzt, teilte der Grünen-Politiker mit. Grundlage sei das Außenwirtschaftsgesetz. Gazprom Germania betreibt über die Töchterunternehmen Wingas und Astora in Kassel Gashandel und auch den größten deutschen Erdgasspeicher in Rehden.

Habeck begründete den drastischen Eingriff des Staates mit unklaren Besitzverhältnissen bei der Gazprom Germania, nachdem der Mutterkonzern Gazprom am Freitag seinen Rückzug erklärt hatte. Zudem verwies der Grünen-Politiker auf einen Verstoß gegen Meldevorschriften. "Die Regierung tut das Notwendige, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten", betonte Habeck. Die Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur sei bis zum 30. September 2022 befristet.

Steinmeier gibt erstmals Fehler in Russland-Politik zu

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat erstmals eigene Fehler und Irrtümer in der Politik gegenüber Russland eingeräumt. "Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler. Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben", sagte er in Berlin. Eine bittere Bilanz sei auch: "Wir sind gescheitert mit der Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das Russland einbezogen wird."

Steinmeier war zuletzt dafür kritisiert worden, dass er sich bislang nicht zu eigenen Fehleinschätzungen insbesondere in seiner Zeit als Außenminister geäußert habe. Nun sagte er, die Verantwortung für den Krieg liege bei Kreml-Chef Wladimir Putin. "Die sollten wir nicht auf uns ziehen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht einiges zu überdenken haben, wo es unsererseits Fehler gegeben hat." Seine Einschätzung sei gewesen, dass Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde. "Da habe ich mich, wie andere auch, geirrt." Der Bundespräsident betonte, mit einem Russland unter Putin werde es "keine Rückkehr zum Status Quo vor dem Krieg geben".

Selbstkritische Erklärung in eigener Sache: Bundespräsident Frank-Walter SteinmeierBild: Michael Sohn/AP/picture alliance

Litauen schickt russischen Botschafter nach Hause

Litauen fährt wegen des Kriegs in der Ukraine und der Enthüllungen zu schweren Gräueltaten in der Umgebung von Kiew seine diplomatischen Beziehungen zu Russland zurück. Das Außenministerium in Vilnius wies den russischen Botschafter an, das baltische EU- und NATO-Land zu verlassen. Auch das russische Konsulat in der Hafenstadt Klaipeda müsse schließen, sagte Außenminister Gabrielius Landsbergis. Er kündigte zudem an, dass der litauische Botschafter in Moskau in Kürze nach Vilnius zurückkehren werde. Litauen hat nach eigenen Angaben die Partner in EU und NATO über die Entscheidung informiert und sie aufgefordert, dasselbe zu tun. Landsbergis bekräftigte die litauische Unterstützung für die Ukraine und forderte eine Untersuchung von Gräueltaten in der Ukraine.

Im benachbarten Lettland kündigte Außenminister Edgars Rinkevics an, dass Riga die diplomatischen Beziehungen zu Moskau reduzieren werde. Konkrete Entscheidungen sollen mitgeteilt werden, sobald die internen Verfahren abgeschlossen seien, twitterte er. 

Selenskyjs Einladung

Präsident Selenskyj hat die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Reise in die Stadt Butscha eingeladen. Dort könnten sich Merkel - ebenso wie der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy - ein Bild von ihrer gescheiterten Russland-Politik der vergangenen Jahre machen, sagte Selenskyj am Sonntagabend in einer Videobotschaft. Im Jahr 2008 hätten die NATO-Staaten, darunter Deutschland, der Ukraine eine Aufnahme in Aussicht gestellt, dann aber aus Rücksicht auf Russland einen Rückzieher gemacht. Merkel war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin.

Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Berlin teilte die Sprecherin der ehemaligen Bundeskanzlerin mit, Angela Merkel stehe zu ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest. Zugleich unterstütze die Ex-Kanzlerin die internationalen Bemühungen, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu beenden.

Weitere Kämpfe

Die Kämpfe gehen vor allem im Osten und Süden des Landes unvermindert weiter. Explosionen wurden am frühen Montag auch aus den Städten Odessa und Cherson gemeldet. Ähnliches gilt auch für die westukrainischen Stadt Ternopil, wie der dortige Bürgermeister der Zeitung "Ukrajinska Prawda" berichtete.

Mariupol liegt schon längst in Schutt und Asche (Bild vom 1.4.2022)Bild: REUTERS

Der britische Militärgeheimdienst erklärte, in Mariupol würden die schweren Kämpfe fortgesetzt. Demnach sollen russische Streitkräfte weiter versuchen, die südöstliche Hafenstadt einzunehmen. Die Stadt ist nach Ansicht der britischen Militäraufklärung "höchstwahrscheinlich" ein Schlüsselziel der russischen Invasion in die Ukraine. Mit der Einnahme der weiterhin schwer umkämpften Stadt könnte eine direkte Landverbindung zwischen Russland und der besetzten Halbinsel Krim hergestellt werden. Russlands bisher einzige Verbindung vom Festland zur Halbinsel ist eine Brücke über die Meerenge von Kertsch.

Rotes Kreuz bricht Fahrt nach Mariupol ab

Das Internationale Rote Kreuz gab am Montag erneut einen Versuch auf, in die schwer umkämpfte Hafenstadt Mariupol zu gelangen. Dies sei aus Sicherheitsgründen nicht möglich, teilte Sprecher Jason Straziuso mit. Bereits in den vergangenen Tagen müssten mehrfach Hilfskonvois umkehren, da vereinbarte Feuerpausen nicht eingehalten wurden. Russland und die Ukraine machen sich dafür gegenseitig verantwortlich. In Mariupol wird die humanitäre Lage immer angespannter, es fehlen unter anderem Wasser, Nahrungsmittel und Medikamente.

Bei einem russischen Angriff auf ein Wohngebiet in Charkiw im Nordosten der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben sieben Menschen getötet und 34 weitere verletzt worden. Unter den Verletzten seien auch drei Kinder, teilte die örtliche Staatsanwaltschaft am Sonntag auf Telegram mit. Die russischen Truppen hätten am Sonntagabend ein Wohnviertel beschossen und dabei zehn Häuser und ein Bus-Depot beschädigt.

Diese Frau steht in ihrer zerstörten Wohnung in Charkiw Bild: Fadel Senna/AFP/Getty Images

In der östlichen Region Donezk wurden bei russischen Angriffen sechs Menschen getötet und ein weiterer verletzt, wie der Leiter der regionalen Militärverwaltung Pawel Kirilenko auf Telegram mitteilte. Nach dem Rückzug aus der Region um die Hauptstadt Kiew konzentrieren sich die russischen Truppen nach Angaben der ukrainischen Regierung auf den Süden und Osten des Landes.

In der Region Sumy im Norden der Ukraine sind nach Angaben des dortigen Gouverneurs keine Städte oder Dörfer mehr in der Hand russischer Truppen. Die russischen Soldaten hätten sich weitgehend zurückgezogen und im großen Stil
Ausrüstung zurückgelassen, sagt Dmytro Schywyzki im ukrainischen Fernsehen. Die eigenen Truppen versuchten, auch die verbliebenen russischen Einheiten zu vertreiben.

Moskau meldet Zerstörungen in großem Umfang

Russland verbreitete, dass seine Truppen in der Nacht auf Montag weitere Kommandopunkte, Munitions- und Treibstofflager der ukrainischen Armee beschossen hätten. Dabei seien auch zwei Abschussvorrichtungen von Flugabwehrsystemen des Typs Buk zerstört worden, sagte Generalmajor Igor Konaschenkow. Eines der Systeme stand demnach in Werchnjotorezke im ostukrainischen Gebiet Donezk. Die russische Luftabwehr habe außerdem sechs ukrainische Drohnen abgeschossen. Konaschenkow nannte dazu Orte im Süden der Ukraine wie Mykolajiw und Cherson. Auf dem Flugplatz Balowne bei Mykolajiw seien drei ukrainische Hubschrauber getroffen worden. Die Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar. 

Neue Sanktionen

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt wegen der in Butscha aufgefundenen toten Zivilisten weitere Sanktionen an. "Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen", sagt er. "Putin und seine Unterstützer werden die Folgen spüren." Deutschland werde der Ukraine weiter Waffen liefern, damit diese sich gegen Russland verteidigen könne.

Noch steht nicht fest, welche neuen Sanktionen verhängt werden sollen, doch in Deutschland wird erneut über die Frage der Energielieferungen aus Russland diskutiert.

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte neue Sanktionen gegen Russland. Es gebe "sehr klare Hinweise auf Kriegsverbrechen" in der Kleinstadt Butscha, sagte Macron dem Radiosender France Inter. Frankreich werde sich in den kommenden Tagen mit seinen EU-Partnern und insbesondere mit Deutschland abstimmen. Macron brachte Strafmaßnahmen gegen die russische Kohle- und Öl-Industrie sowie Sanktionen gegen Einzelpersonen ins Spiel.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plädiert zwar für eine rasche Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, lehnt einen von Deutschland selbst verhängten Importstopp etwa für russische Gas- und Öllieferungen aber weiter ab. Dies machte der Grünen-Politiker am Sonntagabend in einem Fernsehinterview deutlich. "Wir verfolgen ja eine Strategie, uns unabhängig von russischem Gas, von Kohle, vom Öl zu machen, nur eben nicht sofort", sagte Habeck.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hatte zuvor im Fernsehen erklärt, nach den Vorgängen in Butscha, bei denen nach ukrainischen Angaben rund 300 Menschen durch russische Soldaten getötet wurden, müsse auch das Thema Energielieferungen Gesprächsgegenstand weiterer Konsequenzen sein. Auch im Kreise der EU-Minister müsse über einen möglichen Stopp von Gaslieferungen gesprochen werden.

Warnung vor Propaganda des Kreml

Die Bundesregierung hat die russischsprachigen Menschen in Deutschland aufgerufen, sich aus unabhängigen Quellen Informationen über den Krieg in der Ukraine und andere politische Vorgänge zu verschaffen. "Niemand sollte der Desinformationskampagne der russischen Staatsmedien mit ihren zynischen und verharmlosenden Darstellungen Glauben schenken", sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin. Die Regierung bitte deswegen alle Russischsprachigen hierzulande, "sich umfassend in den verschiedenen nationalen und internationalen Medien zu informieren".

Das Bundesinnenministerium rief dazu auf, den aktuellen Konflikt "nicht auf dem Rücken" von Russen und Ukrainern in Deutschland auszutragen. "Dieser Krieg darf nicht in unsere Gesellschaft hineingetragen werden", sagte ein Ministeriumssprecher. Die sei "Putins Krieg", nicht der Krieg der russischen und ukrainischen Bevölkerung. Die deutschen Sicherheitsbehörden seien in dieser Hinsicht "sehr wachsam".

Straftaten in Deutschland mit Kriegsbezug

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind in Deutschland in mehr als 400 Fällen Menschen beider Staaten Opfer kriegsbezogener Straftaten geworden. Unter 308 anti-russischen Straftaten waren 15 Gewalttaten, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte. Aber auch Ukrainer werden ihr zufolge immer häufiger angegriffen: 109 anti-ukrainische Straftaten wurden registriert, davon 13 Gewalttaten. Die Bandbreite reicht demnach von vornehmlich Sachbeschädigungen über Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu Körperverletzungen.

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

kle/qu/as/se/fab/cw (dpa, rtr, afp)