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Politik

Aktuell | EU erhöht Militärhilfe auf 1,5 Milliarden Euro

13. April 2022

Die EU-Außenminister hatten sich vor zwei Tagen geeinigt, jetzt hat der EU-Rat die Erhöhung der Militärhilfe für die Ukraine beschlossen. Moskau betrachtet NATO-Fahrzeuge in der Ukraine als Angriffsziele. Der Überblick.

Ukraine-Krieg Butscha | zerstörter Panzer
Am 6. April steht ein ukrainischer Soldat neben zerstörten russischen Panzern in Butscha am Stadtrand von KiewBild: Felipe Dana/AP/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • EU erhöht Militärhilfe für Ukraine auf 1,5 Milliarden Euro
  • Russland: Mehr als 1000 ukrainische Kriegsgefangene in Mariupol
  • Biden spricht jetzt von "Völkermord"
  • Selenskyj: Westen muss Einsatz von Massenvernichtungswaffen vorbeugen
  • Botschafter Melnyk: Scholz soll nach Kiew kommen

 

Die EU wird weitere 500 Millionen Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung stellen. Das kündigte der Rat der EU-Mitgliedssaaten in Brüssel an. Damit erhöhen sich die zur Verfügung stehenden Mittel auf 1,5 Milliarden Euro.

Ein erstes Paket über 500 Millionen Euro war bereits Ende Februar bewilligt worden, ein weiteres dann im April. Mit den Geldern sollen laut der Mitteilung persönliche Schutzausrüstung, Erste-Hilfe-Kästen und Treibstoff, aber auch Waffen zu Verteidigungszwecken finanziert werden.

Kreml sieht NATO-Fahrzeuge in der Ukraine als Angriffsziele

"Da sich Russland auf eine Offensive im Osten der Ukraine vorbereitet, ist es entscheidend, dass wir unsere militärische Unterstützung für die Ukraine fortsetzen und verstärken, um ihr Gebiet und ihre Bevölkerung zu verteidigen und weiteres Leid zu verhindern", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Ein zerstörtes Theater in MariupolBild: Alexander Nemenov/AFP/Getty Images

Aus Moskau hieß es, Russland werde US- oder NATO-Fahrzeuge, die Waffen auf ukrainischem Territorium transportieren, als legitime Angriffsziele ansehen. Das sagt der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow in einem Interview der russischen Nachrichtenagentur Tass.

Bei den Kämpfen um die Hafenstadt Mariupol haben nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums mehr als 1000 ukrainische Soldaten und Soldatinnen ihre Waffen niedergelegt und sich in Gefangenschaft begeben. Es handele sich um 1026 Angehörige der 36. Brigade der Marineinfanterie, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, an diesem Mittwoch in Moskau.

Mehr als 720 tote Zivilisten in der Umgebung von Kiew

Überprüfbar sind diese Angaben nicht. Unter den Gefangenen seien 162 Offiziere und auch 47 Frauen, sagte der Generalmajor. Demnach ergaben sich die Kämpferinnen und Kämpfer bei Gefechten um einen großen metallverarbeitenden Betrieb den Einheiten der russischen Armee sowie den moskautreuen Separatisten aus dem Gebiet Donezk, zu dem Mariupol gehört. Zuvor hatten bereits die Separatisten die Gefangennahme gemeldet. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gab es nicht.

Nach dem Abzug russischer Truppen aus der Region Kiew sind in den ehemals besetzten und umkämpften ukrainischen Gebieten inzwischen Hunderte Leichen von Bewohnern gefunden worden. "Die Zahl der entdeckten und untersuchten Körper umgekommener ziviler Personen
im Gebiet Kiew nach der russischen Aggression beläuft sich bereits auf über 720 Personen", sagte der Polizeichef des Gebiets, Andrij Njebytow, einer Mitteilung zufolge. Weitere 200 Menschen gelten als vermisst. 

US-Präsident Biden spricht von "Völkermord"

Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat US-Präsident Joe Biden von "Völkermord" gesprochen. Mit Blick auf Gräueltaten gegen Zivilisten sagte er: "Es kommen immer mehr Beweise für die schrecklichen Dinge ans Licht, die die Russen in der Ukraine getan haben." Letztlich müssten Juristen auf internationaler Ebene entscheiden, ob es sich um einen Genozid handele oder nicht. Für ihn sehe es aber ganz danach aus, sagte Biden. Es werde "immer eindeutiger", dass Russlands Staatschef Wladimir Putin versuche, "die bloße Vorstellung auszulöschen, ein Ukrainer sein zu können".

Krieg, Not, Zerstörung: Bohdanivka nordöstlich der ukrainischen Hauptstadt KiewBild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

Der US-Präsident hatte zuvor bei einer Rede in Menlo, Iowa, über die steigenden Verbraucherpreise gesprochen und dabei gesagt: "Ihr Familienbudget, Ihre Möglichkeit zu tanken - nichts davon sollte davon abhängen, ob ein Diktator die halbe Welt entfernt Krieg erklärt und Völkermord begeht." Von mitreisenden Journalisten darauf angesprochen, bekräftigte er diese Wortwahl später.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte in einer ersten Reaktion, wenn man sich "gegen das Böse behaupten" wolle, sei es wichtig, "die Dinge beim Namen zu nennen". Selenskyj hatte den russischen Truppen bereits einen Genozid vorgeworfen.

"Eindeutig Kriegsverbrechen": US-Sicherheitsberater Jake Sullivan (Archivbild)Bild: Alex Wong/Getty Images

Die Regierung in Washington hielt sich an dieser Stelle bisher zurück. Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, Jake Sullivan, sagte am Wochenende, die jüngst bekannt gewordenen Gräueltaten unter anderem im Kiewer Vorort Butscha seien eindeutig Kriegsverbrechen. Einer Antwort auf die Frage, ob es sich auch um Völkermord handele, wich Sullivan allerdings aus.

Selenskyj: "Reagieren Sie präventiv!"

In seiner täglichen Videoansprache appellierte Selenskyj an die internationale Gemeinschaft, sie müsse vorbeugende Schritte gegen einen möglichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Russland unternehmen. Dies sei nötig wegen des wiederholten Einsatzes von Phosphormunition und wegen der russischen Drohung, in Mariupol Chemiewaffen einzusetzen.

"Reagieren Sie präventiv! Denn nach dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ändert eine Reaktion nichts mehr", sagte der Präsident. Er bezog sich auch auf Berichte aus der südlichen Hafenstadt Mariupol vom Vortag, wonach Russland dort mit einer nicht identifizierten chemischen Substanz angegriffen habe. Es lasse sich nicht hundertprozentig feststellen, was genau geschehen sei, so Selenskyj. In der belagerten Stadt sei es unmöglich, eine umfassende Untersuchung durchzuführen.

Das in Mariupol eingesetzte Asow-Regiment hatte von drei Verletzten berichtet, bei denen Atembeschwerden und Lähmungen aufgetreten seien. Eine Bestätigung von anderen ukrainischen Stellen gibt es nicht. Die russische Seite bestritt den Einsatz von Chemikalien. Die USA und Großbritannien hatten schwerwiegende Konsequenzen angekündigt für den Fall, dass Moskau im Krieg gegen die Ukraine zu Nuklear- oder Chemiewaffen greifen sollte.

Unklare Lage in Mariupol

Nach russischen Angaben sollen die letzten Verteidiger von Mariupol, gut 1000 ukrainische Elitesoldaten, aufgegeben haben. Die Soldaten der 36. Brigade hätten freiwillig die Waffen niedergelegt und sich ergeben, behauptete der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow.

Als Beleg zeigte das russische Staatsfernsehen Aufnahmen, auf denen angeblich ukrainische Soldaten mit erhobenen Händen zu sehen sind. Woher die Bilder stammen, lässt sich ebenso wenig verifizieren wie der Zeitpunkt der Aufnahme. Zu sehen sind etwa zwei Dutzend Soldaten, von den anderen 1000 angeblich gefangenen ukrainischen Soldaten keine Spur.

Zudem hat Russland - das berichten die russische Nachrichtenagenturen Interfax und Tass unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium - die komplette Einnahme des Handelshafens von Mariupol bekanntgegeben. Tass zitiert das Ministerium in Moskau mit der Darstellung, es seien alle Geiseln auf den Schiffen im Hafen befreit worden.

Auf ukrainischer Seite sagte Oleksandr Shtupun, der Sprecher des Generalstabs der Streitkräfte, Russland fliege weiterhin Luftangriffe auf Mariupol. Es finde eine russische Offensive in der Nähe des Metallwerke-Komplexes Asowstal und des Seehafens statt. "In der südlichen Richtung versucht der Feind, einzelne Siedlungen einzunehmen", so Shtupu, "jedoch ohne Erfolg." Auch diese Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren.

Ukraine: Keine Fluchtkorridore am Mittwoch

Die ukrainische Regierung richtet nach eigenen Angaben aus Sicherheitsgründen an diesem Mittwoch keine Fluchtkorridore für Zivilisten ein. Die russischen Truppen verstießen "gegen internationales Recht", die Lage sei zu gefährlich, erklärte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk im Internetdienst Telegram.

In der Region Saporischschja in der Südukraine würden zur Evakuierung eingesetzte Busse von den russischen Truppen blockiert. In der Region Luhansk im Osten der Ukraine verstießen die russischen Truppen gegen eine Waffenruhe, schrieb Wereschtschuk.

Botschafter Melnyk: Scholz muss nach Kiew

Nach der geplatzten Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Ukraine hat deren Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, seine Einladung an Bundeskanzler Olaf Scholz erneuert. Es sei wichtig, "dass der Regierungschef nach Kiew kommt", sagte Melnyk den Sendern ProSieben und Sat.1.

Bereits am Wochenende hatte der Botschafter erklärt, es sollten lieber Mitglieder der Bundesregierung nach Kiew reisen, "die konkrete Entscheidungen über weitere massive Unterstützung für die Ukraine treffen". Das von Russland angegriffene Land fordert von den westlichen Staaten die kurzfristige Lieferung schwerer Waffen.

Nicht der Bundespräsident - der Kanzler soll reisen: Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk (Archivbild)Bild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Auch drei Ausschuss-Vorsitzende des Bundestages, die die Ukraine am Dienstag besuchten, verlangen von Deutschland und der EU schärfere Maßnahmen gegen den Aggressor. "Die EU soll schnellstmöglich ein Ölembargo gegen Russland verhängen", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), der Nachrichtenagentur Reuters. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Agnes Strack-Zimmermann (FDP), plädierte nach dem Besuch für weitere Waffenlieferungen. "Die Waffen müssen jetzt her - bevor es zu spät ist", sagte sie im DW-Gespräch. Roth und Strack-Zimmermann hatten gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Europaausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), ukrainische Parlamentarier getroffen.

Ukraine: Putin-Vertrauter festgenommen

Der ukrainische Geheimdienst SBU hat nach eigenen Angaben den Oppositionspolitiker und Unternehmer Viktor Medwedtschuk festgenommen. Die näheren Umstände sind nicht bekannt. Fotos, die das ukrainische Präsidialamt verbreitete, zeigen den 67-Jährigen in einer Militäruniform und mit Handschellen. Der Ukrainer gilt als enger Vertrauter des russischen Präsidenten. Vor knapp einem Jahr war Medwedtschuk wegen angeblichen Hochverrats unter Hausarrest gestellt worden. Er selbst weist die Anschuldigungen als politisch motiviert zurück. Kurz nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine gelang es ihm unterzutauchen.

Festgesetzt: Der ukrainische Oppositionspolitiker und Unternehmer Viktor Medwedtschuk (Archivbild)Bild: Anna Marchenko/TASS/picture alliance

Ein Kreml-Sprecher in Moskau wollte die Meldungen zu der Festnahme nicht kommentieren. Der ukrainische Präsident Selenskyj schlug Russland in seiner täglichen Videoansprache vor, den Oligarchen gegen ukrainische Kriegsgefangene auszutauschen.

Hunderttausende reisen in die Heimat zurück

Rund 870.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind nach Angaben aus Kiew wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt. Derzeit seien es 25.000 bis 30.000 Menschen pro Tag, sagte ein Sprecher des ukrainischen Grenzschutzes. Mittlerweile träfen auch vermehrt Frauen, Kinder und ältere Menschen ein, während es in den ersten Wochen des Krieges überwiegend kampfbereite Männer gewesen seien.

Nach UN-Angaben haben seit Beginn der russischen Invasion mehr als 4,6 Millionen Menschen die Ukraine verlassen, über sieben Millionen sind Schätzungen zufolge innerhalb des Landes auf der Flucht.

Ukraine meldet Beginn der Frühjahrsaussaat

Ungeachtet des Krieges hat der Regierung in Kiew zufolge in fast allen Landesteilen die Frühjahrsaussaat begonnen. Eine Ausnahme bilde Luhansk, sagte Ministerpräsident Denys Schmyhal. Das ostukrainische Gebiet ist fast vollständig in der Hand russischer Truppen. Die Regierung stelle 3,5 Milliarden Hrywnja (umgerechnet rund 108 Millionen Euro) für verbilligte Kredite an den Agrarsektor zur Verfügung. Auch die Registrierung von landwirtschaftlicher Technik solle vereinfacht werden.

Die Ukraine ist einer der größten Getreideproduzenten der Welt. Wegen des russischen Angriffskriegs werden große Ernteausfälle befürchtet, die zu Knappheit und Preissteigerungen auf den internationalen Agrarmärkten führen könnten. 

jj/ie/pg/AR (dpa, afp, rtr, ap)

Dieser Artikel wird am Tag des Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.