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KonflikteEuropa

Aktuell: Getreideexport wird um 120 Tage verlängert

17. November 2022

Das Ausfuhrabkommen zwischen der Ukraine und Russland gilt vier weitere Monate. Der ranghöchste US-General gibt der Ukraine derzeit keine Chance auf einen militärischen Sieg. Ein Überblick.

Ein Getreidefeld in Mykolajiw in der südlichen Ukraine
Ein Getreidefeld in Mykolajiw in der südlichen UkraineBild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Getreide-Exportabkommen wird verlängert
  • Lebenslange Haft für drei Angeklagte im MH17-Prozess
  • Bereits mehr als 270 Tote durch Minen in Ukraine in diesem Jahr
  • Militärischer Sieg der Ukraine gilt als "wenig wahrscheinlich"
  • Folterkammern und Gräber in Cherson

Kurz vor Ablauf der Frist haben sich die Ukraine und Russland auf eine Verlängerung des Getreide-Ausfuhrabkommens verständigt. Die Vereinbarung gilt für 120 Tage, wie der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow via Twitter mitteilte. Das von der Türkei und den Vereinten Nationen (UN) im Juli vermittelte Abkommen soll es der Ukraine ermöglichen, trotz des Krieges Getreide sicher aus ihren Schwarzmeer-Häfen zu exportieren. 

Ein hoher türkischer Regierungsbeamter bestätigte die Verlängerung des Deals. Die bestehende Vereinbarung bleibe für die kommenden vier Monate in Kraft, erklärte er.

UN und EU begrüßen die Vereinbarung

UN-Generalsekretär Antonio Guterres lobte die Einigung. Die Fortsetzung des Abkommen sei nötig, um die Preise für Nahrungsmittel und Düngemittel zu senken und eine weltweiten Nahrungsmittelkrise zu verhindern, betonte er. "Ich begrüße die Vereinbarung aller Parteien, die Schwarzmeer-Getreide-Initiative fortzusetzen, um die sichere Schifffahrt bei der Ausfuhr von Getreide, Nahrungsmitteln und Düngemitteln aus der Ukraine zu erleichtern", heißt es in einer Erklärung von Guterres, die vom Gemeinsamen Koordinationszentrum (JCC) in Istanbul verbreitet wurde, das die Einhaltung des Abkommens überwacht. Die Vereinten Nationen setzten sich auch dafür ein, die verbleibenden Hindernisse für die Ausfuhr von Lebensmitteln und Düngemitteln aus der Russischen Föderation zu beseitigen, fügte Guterres hinzu. 

Auch EU-Ratschef Charles Michel begrüßte die Verlängerung. Mit zehn Millionen Tonnen Getreide, die bislang im Rahmen dieser Initiative aus der Ukraine exportiert worden seien, sei dies eine gute Nachricht für die Welt, so der Belgier.

Auch Deutschland lobt Ausdehnung des Abkommens

Auch die Bundesregierung hat die Verlängerung des Abkommens für einen sicheren Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer begrüßt. Agrarminister Cem Özdemir sagte, dies sei für weltweit Millionen Notleidende "ein Lichtblick in diesen dunklen Zeiten". Die Ukraine trage trotz Russlands Angriffskrieg zur Stabilisierung der Weltmärkte bei und helfe, Lebensmittel bezahlbar zu halten. Özdemir bekräftigte, dass alternative Exportrouten zum Schwarzen Meer dauerhaft etabliert werden müssten. "Die Ukraine kann sich nicht wieder von der Gunst Russlands abhängig machen."

Bundesagrarminister Cem Özdemir Bild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze nannte die Verlängerung des Abkommens "eine gute Nachricht". Sie machte sich zugleich für Lösungen stark, um Abhängigkeiten von Getreideimporten in Partnerländern zu reduzieren. Dazu gehöre auch ein nachhaltiger, klimaangepasster Anbau lokaler Getreidesorten.

Die Ukraine und Russland zählen weltweit zu den größten Getreideexporteuren. Entsprechend haben ihre Lieferungen einen großen Einfluss auf die globale Entwicklung der Lebensmittelpreise. 

Ukraine schenkt Weizen für Äthiopien, Berlin zahlt Transport

Die Bundesregierung will den Schiffstransport einer ukrainischen Weizenspende nach Äthiopien mit rund 13,5 Millionen Euro unterstützen. Mit der ukrainischen Spende könnten 1,6 Millionen Äthiopier einen Monat ernährt werden, sagte Bundesagrarminister Cem Özdemir den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das verdiene "größten Respekt".

Angesichts der anhaltenden Dürre sind Millionen Menschen am Horn von Afrika auf Lebensmittelhilfe angewiesenBild: Claire Nevill/AP Photo/picture alliance

Die Ukraine spendet demnach 25.000 Tonnen Weizen, die von Odessa per Schiff über das UN-Welternährungsprogramm nach Äthiopien gebracht werden sollen. "Die Ukraine zeigt, dass sie selbst in Zeiten größter Not Verantwortung für die hungernden Menschen auf dieser Welt übernimmt", sagte Özdemir.

Lebenslange Haft für drei Angeklagte im MH17-Prozess

Im Prozess um den Abschuss des Passagierflugzeugs mit der Flugnummer MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014 sind drei ehemals hochrangige pro-russische Separatisten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das niederländische Strafgericht sah es als erwiesen an, dass sie für den Abschuss der Boeing mit einer russischen Buk-Rakete verantwortlich sind. Ein vierter Angeklagter aus Russland wurde freigesprochen. Die Strafrichter verlasen das Urteil im Hochsicherheitsgericht am Amsterdamer Flughafen Schiphol in Abwesenheit der Angeklagten.

Die vier Männer sollen sich in Russland befinden. Sie hatten sich geweigert, in dem seit März 2020 laufenden Verfahren vor Gericht zu erschienen. Nur einer der Angeklagten ließ sich von Anwälten vor Gericht vertreten. Es ist ungewiss, ob die drei Verurteilten ihre Strafen jemals antreten werden. Beim Abschuss des Passagierflugzeugs über der Ostukraine am 17. Juli 2014 waren 298 Menschen getötet worden, unter ihnen zahlreiche Niederländer. Der Abschuss der Maschine der Fluggesellschaft Malaysia Airlines am 17. Juli 2014 hatte weltweit Bestürzung und Empörung ausgelöst.

Raketenangriffe auch auf Gasproduktionsanlagen 

Mehrere Städte der Ukraine sind nach Behördenangaben wieder mit russischen Raketen beschossen worden. Im gesamten Land gab es Luftalarm. In der zentralukrainischen Großstadt Dnipro seien zwei Infrastrukturobjekte getroffen worden, teilte die Gebietsverwaltung mit. Auch die Hauptstadt Kiew und die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer seien angegriffen worden, hieß es weiter. 

Nach ukrainischen Angaben wurden auch Gasproduktionsanlagen getroffen. Einige Anlagen seien beschädigt, andere zerstört worden, teilt das staatliche Energieunternehmen Naftogaz mit. Laut Konzernchef Olexij Tschernyschow verübte Russland einen "massiven Angriff" auf die Infrastruktur eines Gasproduzenten in der Ostukraine.

Dieses Jahr bereits mehr als 270 Tote durch Minen 

Durch Minen und explosive Munitionsrückstände sind in der Ukraine in diesem Jahr bereits fast fünf Mal so viele Menschen getötet worden wie im Vorjahr. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres gab es 277 zivile Opfer. Das geht aus dem Jahresbericht des Landminen-Monitors der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) hervor. Im vergangenen Jahr waren es 58 Todesopfer. 

Seit Russland Ende Februar in die Ukraine einmarschiert ist, hat Moskau dem Bericht zufolge mindestens sieben Arten dieser weltweit geächteten Explosionswaffen eingesetzt. Es sei das einzige Land neben Myanmar gewesen, das zwischen Mitte 2021 und Oktober 2022 auf solche Waffen zurückgegriffen habe, heißt es in dem Bericht.  Demnach gibt es auch bestätigte Hinweise darauf, dass russische Truppen Sprengfallen und Sprengsätze in der Ukraine gelegt hätten, bevor sie sich zurückgezogen und Stellungen aufgegeben haben. Die Minen wurden in von der Ukraine zurückeroberten Gebieten entdeckt und teilweise geräumt.

Die Ukraine hatte Russland immer wieder vorgeworfen, in zwischenzeitlich von Moskau besetzten Gebieten Minen hinterlassen zu haben. Im Gegenzug beschuldigte der Kreml die Regierung in Kiew, ukrainische Soldaten hätten selbst Landminen verlegt. Diese Angaben hätten nicht unabhängig verifiziert werden können, erklärte die ICBL jetzt. 

Landminen sind oft nur so groß wie ein Handteller. Sie können auch aus der Luft mit Raketen über größere Gebiete verteilt werden. Die Minen liegen im Boden und explodieren, wenn sich jemand nähert oder darauf tritt. Die meisten Opfer sind Zivilisten. 

Ein zerstörter russischer Panzer mit dem Warnhinweis "Minen" in der Ukraine Bild: Celestino Arce Lavin/ZUMA/dpa/picture alliance

Die Konvention über das Verbot von Landminen und über deren Vernichtung, auch Ottawa-Vertrag genannt, trat 1999 in Kraft. Nicht unter den 164 Vertragsstaaten sind neben den USA, Russland und Myanmar auch China, Indien, Israel und Syrien. 

US-Generalstabschef Milley ist skeptisch 

"Die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges - definiert als der Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschließlich der von ihnen beanspruchten Krim - ist militärisch gesehen nicht sehr hoch", sagte US-Generalstabschef Mark Milley in Washington. Die Regierung in Moskau verfüge trotz der Rückschläge im Krieg noch über eine bedeutende Kampfkraft in der Ukraine. Es könne aber eine politische Lösung geben, bei der Russland sich zurückziehe. "Das ist möglich", sagte Milley. Russland liege "im Moment auf dem Rücken".

Der ranghöchste US-General berichtete auch, dass es ihm nach dem Raketeneinschlag in Polen nicht gelungen sei, Kontakt zum russischen Generalstabschef Waleri Gerassimow aufzunehmen. Problemlos habe er aber mit dem ukrainischen Armeechef Walerij Saluschnyj und anderen europäischen Generälen sprechen können, sagte Milley. Die US-Regierung hatte stets die Bedeutung direkter Kontakte mit Moskau betont, um Krisensituationen zu entschärfen.

Vereinte Nationen rufen zu Deeskalation auf

Der tödliche Raketeneinschlag in Polen ist für die Vereinten Nationen "eine beängstigende Erinnerung" daran, dass jede weitere Eskalation absolut vermieden werden müsse. Solange der Krieg anhalte, könne er sich katastrophal ausbreiten, sagte die UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.

Die USA und ihre westlichen Verbündeten machen Moskau für den Raketenabsturz verantwortlich. "Diese Tragödie wäre nie passiert, wenn Russland nicht unnötigerweise in die Ukraine eingedrungen wäre und seine jüngsten Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine nicht gewesen wären", sagte die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield vor dem Sicherheitsrat. "Die Ukraine hat jedes Recht, sich gegen dieses Sperrfeuer zu verteidigen." Der britische und der polnische Vertreter schlossen sich dieser Aussage an.

Sitzung des UN-Sicherheitsrats (Archiv) Bild: UN Photo/XinHua/dpa/picture alliance

Der russische UN-Botschafter Vassily Nebenzia erwiderte: "Wir sind schon seit langem nicht mehr überrascht von Ihren Versuchen, unter allen Umständen und entgegen den Tatsachen oder dem gesunden Menschenverstand Russland für alles verantwortlich zu machen."

Selenskyj: Rakete war nicht ukrainischen Ursprungs

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj widerspricht der Einschätzung der NATO und Polens, dass der Raketeneinschlag in Polen auf ein ukrainisches Geschoss zurückgeht. "Ich habe keinen Zweifel, dass es sich nicht um unsere Rakete handelt", sagte er im ukrainischen Fernsehen. "Ich glaube, dass es eine russische Rakete war, basierend auf den Berichten unseres Militärs."

Kiew habe bislang keine Beweise dafür gesehen, dass es sich um eine ukrainische Rakete handelte, sagte Selenskyj und forderte eine gemeinsame Untersuchung. Die NATO und Polen hatten zuvor erklärt, der Einschlag sei wahrscheinlich durch eine ukrainische Flugabwehrrakete verursacht worden, die zur Abwehr russischer Raketenangriffe abgefeuert wurde.

Präsident Selenskyj regt Austausch aller Kriegsgefangenen an

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einen Austausch aller Kriegsgefangenen mit Russland zur Bedingung für die Wiederinbetriebnahme einer wichtigen Chemie-Pipeline gemacht. Bei einem Wirtschaftsforum äußerte er sich zur Zukunft der Ammoniak-Leitung, die von Togliatti an der Wolga in Russland nach Odessa in der Ukraine führt. Die mehr als 2400 Kilometer lange Leitung liegt seit Kriegsbeginn am 24. Februar still. Ammoniak dient vor allem zur Herstellung von Dünger. Russland hat die Chemikalie zuletzt durch die Pipeline nach Odessa ausgeführt. Dort wurde das Ammoniak verarbeitet und teils weiterexportiert.

"Wir wollen nicht mit Russland handeln, ihnen helfen - sie sind unser Feind", sagte Selenskyj nach Medienberichten in Kiew. "Wir könnten uns nur einigen, wenn sie vorher alle unsere Gefangenen gegen alle ihre Gefangenen austauschen." Beide Seiten haben in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg mehrfach Gefangene ausgetauscht. Es ist der einzige öffentlich bekannte, funktionierende Gesprächsfaden zwischen Kiew und Moskau. Die Ukraine bemüht sich sehr, ihre Soldaten aus russischer Gefangenschaft heimzuholen.

Folterkammern und Gräber in Cherson

Nach dem Ende der russischen Besatzung in der Region Cherson hat die ukrainische Polizei dort wie in anderen befreiten Gebieten Hinweise auf mutmaßliche Verbrechen gefunden. An elf Orten seien Menschen gefangen gehalten worden seien, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj im ukrainischen Fernsehen. An vier dieser Orte gebe es Hinweise, dass Gefangene gefoltert worden seien. Ermittler sicherten dort Beweise und befragten Zeugen. Leichen würden exhumiert.

Bislang seien in der Region Cherson 63 Leichen gefunden worden, fügte Monastyrskyj hinzu. Aber man müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Suche gerade erst begonnen habe und "noch viele weitere Folterkammern und Grabstätten entdeckt werden". Eine unabhängige Bestätigung hierfür gab es zunächst nicht. 

Mehr als 1800 Tonnen an EU-Notfallhilfen 

Die Ukraine bekommt weitere Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, Medizin und Stromgeneratoren aus der Europäischen Union. Diesen Monat koordiniere die EU-Kommission mehr als 1800 Tonnen an Notfallhilfen, teilte die Behörde in Brüssel mit. "Die wichtigste Priorität unserer humanitären Maßnahmen ist heute die Ausweitung der Winterhilfe", sagte der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic. Es würden zudem etwa Notunterkünfte, Erste-Hilfe-Sets, Schutzkleidung, Feuerwehrausrüstung, Wasserfahrzeuge und Busse geliefert. Es sei die größte, komplexeste und längste Operation in der Geschichte des EU-Katastrophenschutzverfahrens, sagte Lenarcic.

Der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, stellt bei einer Pressekonferenz in Brüssel die Hilfe-Pläne vorBild: Johanna Geron/REUTERS

Insgesamt hat die EU seit Beginn der russischen Invasion im Februar im Rahmen des Krisenmechanismus 74.000 Tonnen an Gütern im Wert von 450 Millionen Euro an die Ukraine gesendet. Hinzu kommen 523 Millionen Euro an humanitären Finanzhilfen, wie  aus Kommissionsangaben hervorgeht. Alle EU-Staaten haben demnach beigetragen, die jüngsten Hilfen kamen unter anderem aus Deutschland.

kle/sti/se/fab/rb/cw (AFP, AP, dpa, KNA, Reuters)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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