1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteUkraine

Aktuell: Haben russische Front bei Cherson durchbrochen

30. August 2022

Den Verlauf der Kämpfe im Süden des Landes bewerten Kiew und Moskau völlig unterschiedlich. Die Ukraine kann mit der Ausbildung ihrer Soldaten auch durch die EU rechnen. Nachrichten im Überblick.

Ukraine-Krieg | Kämpfe in der Region Cherson
Bild: GENYA SAVILOV/AFP/Getty Images

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Unklare Situation an der Front im Süden
  • Selenskyj verspricht vollständige Rückeroberung
  • EU stellt sich auf Ausbildung von ukrainischen Soldaten ein
  • Tödlicher Anschlag auf ukrainischen Überläufer
  • UN-Menschenrechtsbüro zieht Zwischenbilanz

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen Landsleuten eine Rückeroberung aller von Russland besetzten Gebiete versprochen. Er ging in seiner Videoansprache vom Montagabend aber nur in Andeutungen auf die neue ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes ein. Niemand, der sich verantwortlich verhalte, werde im Krieg etwas zu seinen Plänen sagen, betonte der Präsident. "Aber die Besatzer sollen es wissen: Wir treiben sie über die Grenze. Über unsere Grenze, an der sich nichts geändert hat."

"Wenn die russischen Soldaten überleben wollen, ist es jetzt Zeit, nach Hause zu gehen", erklärte Selenskyj. Wer Angst habe, nach Russland zurückzukehren, solle sich ergeben. "Wir garantieren ihnen die Einhaltung aller Normen der Genfer Konventionen", versprach der Staatschef.

Unklare Situation an der Front im Süden

Ukrainische Truppen haben nach Angaben der Regierung in Kiew bei ihrer Gegenoffensive nahe Cherson die russischen Verteidigungslinien an mehreren Stellen durchbrochen. Zudem seien Boote angegriffen worden, mit denen russische Truppen über den Fluss Dnipro (Dnepr) hinweg versorgt würden, berichtete ein hochrangiger Berater des Präsidenten.

Das britische Verteidigungsministerium erklärte in einer Sicherheitsmitteilung, der "Umfang des ukrainischen Vorstoßes" könne zwar nicht bestätigt werden. Die ukrainische Armee habe aber das "Artillerie-Feuer an Frontabschnitten in der ganzen Südukraine erhöht", um russische Versorgungslinien durch "Präzisionsschläge mit hoher Reichweite" zu unterbrechen.

Das Verteidigungsministerium in Moskau meldete hingegen militärische Rückschläge für die Ukraine. In den Regionen Mykolajiw und Cherson habe der Gegner signifikante Verluste erlitten, hieß es. "Die versuchte Offensive des Feindes ist erbärmlich gescheitert." Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Zerstörte Gebäude in Cherson (Archiv)Bild: STRINGER/AFP/Getty Images

Hodges: "Es fühlt sich wie der Anfang von etwas Großem an"

Ben Hodges, Militärexperte und früherer Kommandant der US-Truppen in Europa, wollte gegenüber der DW noch nicht bewerten, ob es sich bei den neuen Entwicklungen um die lange angekündigte große Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte handelt. Kiew sei es gelungen, Details zur Operation unter Verschluss zu halten. "Es fühlt sich wie der Anfang von etwas Großem an, aber wir sind noch nicht sicher. In den nächsten Tagen wird sich einiges entwickeln", sagte Hodges.

Die Ukraine habe dem Drang widerstanden, "jeden neuen Panzer und jeden neuen Soldaten ins Kampfgebiet zu schicken". Stattdessen sei eine Streitmacht aufgebaut worden, die eine Attacke ausführen könne, sobald die Bedingungen vor Ort dies zuließen. "Ich denke, wenn die Ukraine ihre Offensive startet, werden sie den richtigen Zeitpunkt und Ort dafür gewählt haben", sagte Hodges der DW.

Zugleich bewertete Hodges das Ziel von Russlands Präsident Wladimir Putin, die russische Armee um zehn Prozent zu vergrößern, als unrealistisch: "Es gibt keine 137.000 Russen, die darauf warten, dem Militär beizutreten. Und selbst wenn, würde es Monate dauern, bis sie einigermaßen ausgebildet und ausgerüstet sind."

Der frühere Kommandant der US-Truppen in Europa, Ben Hodges, im DW-InterviewBild: DW

Koordinierte Militärausbildung durch die EU

Die EU-Staaten wollen die ukrainischen Streitkräfte künftig koordiniert ausbilden. Darauf verständigten sich die Verteidigungsminister der 27 Mitgliedstaaten in Prag, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mitteilte. "Es laufen viele Trainigs-Initiativen, aber der Bedarf ist enorm, und wir müssen sicherstellen, dass diese Bemühungen kohärent sind", sagte der spanische Politiker vor Journalisten. Darin seien sich die Minister einig. Entsprechend solle nun die Arbeit beginnen, um Parameter für die Hilfen aufzustellen, sagte Borrell am Rande der informellen Beratungen der Minister weiter.

In Norddeutschland üben ukrainische Soldaten am Gepard-Panzer - vor einer Woche war Bundeskanzler Scholz zu GastBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

EU spendet fünf Millionen Jodtabletten 

Zum Schutz gegen den möglichen Austritt atomarer Strahlung in der Ukraine wird die Europäische Union dem Land fünf Millionen Jodtabletten spenden. Die EU liefere die Kaliumiodid-Tabletten "vorsorglich" aus ihren Reserven an die Ukraine, erklärte EU-Katastrophenschutzkommissar Janez Lenarcic. Damit solle sich "die Bevölkerung im Falle einer hohen Strahlenbelastung" schützen können.

Die ukrainische Regierung hatte den Angaben zufolge in der vergangene Woche einen Antrag auf eine Lieferung von Jodtabletten gestellt und habe dies als vorbeugende Sicherheitsmaßnahme bezeichnet, um den Schutz rund um das Atomkraftwerk Saporischschja zu erhöhen. In den vergangenen Wochen war die Gegend des größten Kernkraftwerks Europas wiederholt beschossen worden, wofür sich die Ukraine und Russland gegenseitig verantwortlich machen.

Tödlicher Anschlag auf ukrainischen Überläufer

In der Region Cherson ist ein ukrainischer Abgeordneter erschossen worden, der in den Dienst der russischen Besatzungstruppen getreten war. Wie russische Ermittler mitteilten, wurde Olexij Kowaljow bereits am Sonntag in seinem Haus getötet. Auch seine Freundin sei dem Anschlag zum Opfer gefallen.

Der Agrarunternehmer Kowaljow war 2019 über ein Direktmandat für die Präsidentenpartei "Diener des Volkes" in die Oberste Rada in Kiew gewählt worden. Im April wurde er nach seiner Rückkehr in seine Heimatregion aus Partei und Fraktion wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit Moskau ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Hochverrats. In der Besatzungsbehörde des Gebiets Cherson amtierte er als Vizegebietschef und Landwirtschaftsminister. Ende Juni hatte er einen Sprengstoffanschlag überlebt.

Russland stemmt sich gegen Denkmal-Abrisse im Baltikum

Russland hat die Zerstörung von Monumenten aus der Sowjetzeit in den baltischen Staaten verurteilt. Was derzeit in Estland, Lettland und Litauen geschehe, sei inakzeptabel für Russland, erklärte das Außenministerium in Moskau. Die Entwicklung werde die bilateralen Beziehungen zu den drei EU- und NATO-Staaten beeinträchtigen. In den drei Ländern gebe es einen "russophoben" Ansatz, ethnische Russen würden als "Menschen zweiter Klasse" behandelt.

Das sowjetische Siegesdenkmal in Lettlands Hauptstadt Riga wurde in der vergangenen Woche demontiertBild: Ints Kalnins/REUTERS

UN-Menschenrechtsbüro zieht Zwischenbilanz

Seit Kriegsbeginn sind in der Ukraine nach UN-Angaben mindestens 5663 Zivilisten getötet worden, unter ihnen 365 Kinder. Mehr als 8000 weitere Personen erlitten Verletzungen, wie das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen in Genf bekanntgab. Es sei allerdings von einer wesentlich höheren Zahl an Opfern auszugehen, insbesondere in den Regionen Donezk, Charkiw und Luhansk. Informationen aus umkämpften Gebieten träfen verzögert ein, viele Berichte müssten noch überprüft werden, so das Menschenrechtsbüro.

Beerdigung von Zivilisten (Mitte August)Bild: Sergei SUPINSKY/AFP

IAEA-Inspektion in Saporischschja erfreut die USA

Die US-Regierung begrüßt die geplante Inspektion des russisch besetzten Atomkraftwerks Saporischschja in der Ukraine durch Experten der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA). "Wir freuen uns, dass das Team auf dem Weg ist, um die Sicherheit und den Schutz der dortigen Systeme zu überprüfen und die Arbeitsbedingungen des Personals zu evaluieren", erklärte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. Zugleich appellierte er an Russland, den Inspektoren einen sicheren und ungehinderten Zugang zu dem AKW zu gewähren.

Außerdem plädierte Kirby dafür, eine entmilitarisierte Zone rund um das Kraftwerk einzurichten. "Ein Kernkraftwerk ist kein geeigneter Ort für Kampfhandlungen", mahnte er. "In der Zwischenzeit sind wir nach wie vor der Meinung, dass eine kontrollierte Abschaltung der Kernreaktoren von Saporischschja kurzfristig die sicherste und risikoärmste Option wäre."

Lesen Sie dazu auch: Saporischschja: Was können IAEA-Experten in dem Atomkraftwerk ausrichten?

Berlin und Paris wollen Russen reisen lassen

Deutschland und Frankreich sprechen sich gemeinsam gegen ein weitgehendes Einreiseverbot für russische Staatsbürger in die Europäische Union aus. "Wir sollten über kluge Wege nachdenken, um den wichtigen Hebel der Visaerteilung zu nutzen", heißt es in einem an die anderen Mitgliedstaaten verschickten Positionspapier zum Außenministertreffen in Prag an diesem Dienstag und Mittwoch. 

Die Visapolitik sollte "weiterhin in der EU zwischenmenschliche Kontakte zu russischen Staatsangehörigen ermöglichen, die nicht mit der russischen Regierung in Verbindung stehen". Man wolle daher einen Rechtsrahmen beibehalten, der insbesondere Studenten, Künstlern, Wissenschaftlern und Fachkräften die Einreise in die EU ermögliche - unabhängig davon, ob ihnen eine politisch Verfolgung drohen könnte.

Nicht überall in der EU gerne gesehen: ein russischer ReisepassBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Habeck: "Kein Zurück zu fossilen Energien"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat abermals für einen schnellen Umbau der Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien geworben. "Die Transformation findet statt", sagte der Grünen-Politiker bei einer Veranstaltung in Berlin. Es gebe kein Zurück zu fossilen Energien, Deutschland sei viel zu abhängig von russischen Lieferungen geworden. "Es wird auch nicht wiederkommen", sagte Habeck mit Blick auf russisches Gas.

Der Koalitionspartner FDP forderte vor der Klausur der Bundesregierung auf Schloss Meseberg, dass sich Deutschland den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke hierzulande offen hält. Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner geht nach eigenen Worten davon aus, dass ein gravierender Strommangel droht, "den man auch mit Hilfe der Atomkraft bekämpfen sollte", wie er dem Fernsehsender "Welt" sagte. "Unsere Städte werden teilweise dunkler sein, weil wir Strom sparen müssen. In einer solchen Situation verzichten wir dann aber auf sichere und klimafreundliche Möglichkeiten der Stromproduktion wie die Kernenergie? Mich überzeugt das nicht", so Lindner wörtlich.

Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern: Darf es auch noch 2023 Strom liefern?Bild: Peter Kneffel/picture alliance

Spanien will Bürgern keine Duschtipps geben

Trotz steigender Energiepreise will Spaniens Regierung insbesondere den Privathaushalten keine Konsumrestriktionen aufbürden. "Muss ich den Familien sagen, dass sie mit kaltem Wasser duschen sollen, wie es die deutsche Regierung getan hat? Das würde mir nicht im Traum einfallen", sagte die Ministerin für Ökologischen Wandel, Teresa Ribera. Vorstellen könne sie sich aber zum Beispiel Kampagnen, um "alte Gewohnheiten wiederzubeleben, wie etwa das Ausschalten von Licht, wenn es nicht benötigt wird, oder dass man die Heizung nicht so weit aufdreht".

Auch Spanien müsse Energie einsparen, sei aber "viel besser auf die Krise vorbereitet als andere Länder", betonte die Ministerin der linksgerichteten Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez. Vor allem sei man vom russischen Gas nicht so abhängig wie Deutschland.

ehl/uh/wa/fw (dpa, afp, rtr, kna)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen