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Politik

Aktuell: Scholz glaubt nicht an Sieg Russlands

26. Mai 2022

Bundeskanzler Scholz nimmt auf dem Weltwirtschaftsforum Stellung zum Krieg in der Ukraine. Russland werde seine Ziele nicht erreichen, sagte er. In Luhansk rücken russische Soldaten aber weiter vor. Ein Überblick.

Schweiz Davos | Weltwirtschaftsforum | Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz übt auf dem Weltwirtschaftsforum erneut scharfe Kritik an RusslandBild: Fabrice Coffrini/AFP

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Scholz glaubt nicht an einen Sieg Russlands
  • Selenskyj lehnt ukrainische Gebietszugeständnisse ab
  • WHO-Staaten verurteilen mehrheitlich Russlands Krieg
  • Russische Truppen vor strategisch wichtiger Stadt Sewerodonezk
  • Deutsche Bahn will mehr Getreide aus der Ukraine bringen

 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich erneut überzeugt davon gezeigt, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen wird. "Schon jetzt hat er alle seine strategischen Ziele verfehlt", sagte Scholz am Donnerstag in seiner Rede zum Abschluss der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos in der Schweiz. "Eine Einnahme der gesamten Ukraine durch Russland scheint heute weiter entfernt als noch zu Beginn des Krieges. Mehr denn je betont die Ukraine ihre europäische Zukunft." 

Zudem habe die "Brutalität des russischen Kriegs" die ukrainische Nation enger zusammengeschweißt als je zuvor und zwei Staaten zur Annäherung an die NATO bewogen: "Mit Schweden und Finnland wollen sich zwei enge Freunde und Partner dem nordatlantischen Bündnis anschließen. Sie sind herzlich willkommen!", sagte der Kanzler.

Putin habe auch die Geschlossenheit und Stärke unterschätzt, mit der die Gruppe der sieben großen Industrienationen (G7), die NATO und die EU auf seine Aggression reagiert hätten.

Selenskyj gegen Gebietszugeständnisse

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Vorschläge scharf zurückgewiesen, die Regierung in Kiew solle zur Beendigung des Krieges Russland territoriale Zugeständnisse machen. "Was auch immer der russische Staat tut, es wird sich immer jemand finden, der sagt: Lasst uns seine Interessen berücksichtigen", erklärte Selenskyj in einer Videoansprache am späten Abend.

Dabei bezog er sich auf Äußerungen des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Kissinger hatte dort von einem "Status quo ante" gesprochen, mit Blick auf die Wiederherstellung der Situation von vor dem 24. Februar, in der Russland formell die Krim und informell die beiden östlichsten Regionen der Ukraine, Luhansk und Donezk, kontrollierte.

Unter Dauerbeschuss der russischen Streitkräfte - Sewerodonezk Bild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Dass die Ukraine Russland die 2014 annektierte Krim überlassen solle, ist für Selenskyj indiskutabel. "Diejenigen, die der Ukraine raten, Russland etwas zu geben, diese 'großen weltpolitischen Figuren', sehen nie die gewöhnlichen Menschen, die gewöhnlichen Ukrainer, die Millionen, die auf dem Gebiet leben, das sie für einen illusorischen Frieden eintauschen wollen."

Er verglich diejenigen, die dafür plädieren, Russland ein Stück der Ukraine zu überlassen, mit denjenigen, die 1938 in der Hoffnung den Zweiten Weltkrieg zu verhindern, Gebiete an Nazideutschland unter Adolf Hitler abtraten. "Man hat den Eindruck, dass Herr Kissinger nicht das Jahr 2022 auf seinem Kalender stehen hat, sondern das Jahr 1938, und dass er glaubt, er spreche nicht in Davos, sondern in München zu einem Publikum von damals." 1938 schlossen Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland in München einen Pakt, der Hitler Land in der damaligen Tschechoslowakei zusprach, um ihn zum Verzicht auf weitere Gebietserweiterungen zu bewegen. Im Folgejahr, am 1. September 1939, begann dann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg.

Mykhailo Podolyak, einer der Berater des ukrainischen Präsidenten, hatte zuvor bereits auf Twitter reagiert: "So einfach, wie Herr Kissinger vorschlägt, Russland einen Teil der Ukraine zu geben, um den Krieg zu beenden, würde er auch erlauben, Litauen und Polen abzugeben?"

WHO verurteilt Russlands Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen

Mit 88 zu zwölf Stimmen haben die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer Resolution Russlands militärische Aggression gegen die Ukraine und die Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen scharf verurteilt. 53 Staaten, insbesondere aus Afrika, enthielten sich. Die Abstimmung in Genf beinhaltet zwar keine Sanktionen gegen den Kreml, unterstreicht aber die weitgehende Isolierung Moskaus auf internationaler Bühne.

In der Resolution wird Russland aufgefordert, "unverzüglich alle Angriffe auf Krankenhäuser" und andere Gesundheitseinrichtungen einzustellen. Die ukrainische Botschafterin Jewhenija Filipenko erklärte, die russische Invasion vom 24. Februar habe eine enorme gesundheitliche und humanitäre Krise innerhalb und außerhalb des Landes ausgelöst.

Russische Truppen rücken auf Sewerodonezk zu

Die Städte Sewerodonezk und Lyssytschansk in der Region Luhansk im Osten der Ukraine stehen nach ukrainischen Angaben weiter unter schwerem russischen Beschuss. Russland soll dafür vor allem Artillerie- und Luftangriffe genutzt haben. In Sewerodonezk gebe es "bereits Kämpfe in den Vororten", erklärte Gouverneur Serhij Gajdaj in Online-Netzwerken. "Die russischen Truppen sind bereits so nahe herangerückt, dass sie Mörsergranaten abfeuern können."

Moskau hatte die Offensive rund um Sewerodonezk in den vergangenen Tagen massiv ausgeweitet. Die Stadt und ihre Nachbarstadt Lyssytschansk sind die letzten Orte in der Region Luhansk, in der die Ukraine noch Widerstand gegen die russischen Truppen leistet.

Kiew: 40 Städte im Donbass angegriffen

Russische Truppen haben nach ukrainischen Angaben mehr als vierzig Städte im Donbass angegriffen und bedrohen damit den letzten großen Fluchtweg für die Zivilbevölkerung aus dem Osten der Ukraine. In den Regionen Donezk und Luhansk seien mehr als 47 zivile Einrichtungen zerstört oder beschädigt worden, teilten die ukrainischen Streitkräfte auf Facebook mit. Darunter seien 38 Wohnhäuser und eine Schule. "Als Folge des Beschusses wurden fünf Zivilisten getötet und zwölf verletzt."

Donbass-Städte unter massivem Beschuss

03:19

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Der ukrainische Präsident Selenskyj erklärte, die russischen Soldaten seien den eigenen Truppen in einigen Teilen des Ostens "zahlenmäßig weit überlegen".

Tödliche russische Angriffe werden auch aus der ostukrainischen Stadt Charkiw gemeldet. Bei russischen Bombardements seien nach vorläufigen Angaben vier Menschen getötet und sieben weitere verletzt worden, teilte Regionalgouverneur Oleg Sinegubow via Telegram mit. Er rief die Bewohner auf, in Schutzräumen zu bleiben.

Asovstal-Gefangene weiter in der Ostukraine

Der Anführer der pro-russischen Separatistenregion Donezk, Denis Puschilin, sagte der Agentur Interfax, dass die mehr als 2400 in Kriegsgefangenschaft genommenen ukrainischen Verteidiger des Stahlwerks von Mariupol nach wie vor im Donbass festgehalten werden. Die Führung in Kiew hofft weiter darauf, dass die Frauen und Männer im Zuge eines Gefangenenaustausches freikommen können - auch, weil es anders als in Russland bei den pro-russischen Separatisten in der selbsternannten "Volksrepublik" Donezk kein Moratorium auf die Todesstrafe gibt.  

Macron telefoniert mit Erdogan

Im Konflikt mit Ankara wegen des geplanten NATO-Beitritts von Finnland und Schweden hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan telefoniert. Der Pariser Élyséepalast teilte nach dem einstündigen Gespräch mit, Macron habe eine rasche Lösung angemahnt. Es sei wichtig, die souveräne Entscheidung der beiden Nordländer zu respektieren.

Der türkische Staatchef Recep Tayyip Erdogan lehnt derzeit einen NATO-Beitritt von Finnland und Schweden strikt ab Bild: Turkish Presidency/AP/picture alliance

Das Präsidialamt in Ankara erklärte, Erdogan habe deutlich gemacht, dass Finnland und Schweden aus Sicht der Türkei Terrororganisationen unterstützten und dies nicht mit dem Bündnisgeist der NATO vereinbar sei. Mit Terrororganisationen meint Ankara die verbotene kurdische PKK, die syrische Kurdenmiliz YPG und die Gülen-Bewegung. Die Türkei blockiert derzeit den Beginn des NATO-Aufnahmeprozesses der beiden nordischen Länder.  

DB will mehr Getreide aus der Ukraine holen

Die Deutsche Bahn (DB) will die Ukraine stärker beim Getreideexport unterstützen. Die Chefin von DB Cargo, Sigrid Nikutta, sagte: "Wir tun alles, was wir als Unternehmen aus sozialer Verantwortung heraus tun können."  Sie fügte hinzu: "Angesichts der drohenden Hungersnot in Teilen der Welt und des enormen Bedarfs, Millionen von Tonnen ukrainisches Getreide in die Welt zu exportieren, werden wir in Abstimmung mit dem Bund weitere Aufträge und Zugfahrten organisieren." Zurzeit fahre DB Cargo mit Tochtergesellschaften in Polen und Rumänien mehrere Züge täglich mit Getreide an verschiedene Seehäfen. "Nun geht es darum, diese Agrarexporte auszuweiten. Ziel sind tragfähige Verbindungen bis an die Seehäfen der Nordsee und des Schwarz- und Mittelmeeres."

Sigrid Nikutta, DB-Vorstand für Güterverkehr Bild: Political-Moments/imago images

Wegen der Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen durch Russland ist die Ukraine dringend auf alternative Exportwege angewiesen, um Getreide ins Ausland zu exportieren. Zurzeit stecken in der Ukraine nach Angaben der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) knapp 25 Millionen Tonnen Getreide fest. Das Land sucht daher dringend nach Ausweichrouten.

Wegen der unterschiedlichen Spurweiten müssen Güterzüge jedoch an der Grenze umgeladen werden. In die Gegenrichtung hat DB Cargo über die "Schienenbrücke Ukraine" nach drei Monaten Krieg rund 700 Containerladungen mit humanitären Hilfsgütern in die Ukraine transportiert, teilte ein Bahnsprecher mit. Es handelt sich um Spenden von Kommunen, Firmen und Privatpersonen. Mittlerweile werden auch viele technische Hilfsgüter auf der Schiene transportiert. Laut Angaben eines Bahnsprechers wurde zum Beispiel ein komplettes Wasserkraftwerk mit Pumpen aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein geliefert.

In Zahlungsschwierigkeiten

Durch die als Folge des Ukraine-Krieges gestiegenen Nahrungsmittelpreise auf den Weltmärkten geraten immer mehr Länder nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Schwierigkeiten. "Inzwischen haben fast 30 Länder wegen der Nahrungsmittelpreise Probleme mit ihrer Zahlungsbilanz bekommen", sagt IWF-Chefin Kristalina Georgiewa dem "Spiegel".

"Einige von ihnen haben uns um Unterstützung gebeten. Ihnen helfen wir mit einem speziellen Fonds für arme Länder zu null Prozent Zinsen." Zudem werde geprüft, was internationale Institutionen tun könnten, um die Nahrungsmittelproduktion effizienter zu machen: "Wir müssen das Angebot ausweiten."

Putin verspricht höhere Renten und Sozialleistungen

Um der rasant steigenden Inflation und dem damit einhergehenden Verlust der Kaufkraft in Russland etwas entgegenzusetzen, hat Kreml-Chef Wladimir Putin die Erhöhung der Renten und Sozialleistungen ab dem 1. Juni um zehn Prozent angekündigt. Auch der Mindestlohn soll um zehn Prozent angehoben werden. Frauen im Militär, die kleine Kinder haben, sollen ebenfalls mehr Geld bekommen.

Putin zufolge werden mit seiner Rentenmaßnahme die Pensionen "stärker als die Inflation" steigen. Die Inflation erreichte im April 17,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und damit den höchsten Stand seit 20 Jahren.

Einer von Putins seltenen öffentlichen Auftritten seit Kriegsbeginn. Erstmals besucht er in einem Moskauer Krankenhaus verwundete SoldatenBild: Mikhail Metzel, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP/picture alliance

Die Auswirkungen der strengen westlichen Sanktionen gegen Russland beginnen die Wirtschaft des Landes zu belasten. Die Rekordinflation und die Umstellung vieler Menschen auf Teilzeitarbeit haben die Kaufkraft der Russen beeinträchtigt. Die meisten haben keine nennenswerten Ersparnisse.

Die russische Regierung geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um bis zu 8,8 Prozent schrumpfen wird, die Zentralbank in Moskau erwartet in ihrer Prognose sogar ein Minus von bis zu zehn Prozent.

Selenskyj will Visumspflicht für Russen

Der ukrainische Präsident Selenskyj tritt für eine Visumspflicht für Russen bei der Einreise in die Ukraine ein. Er stellte sich hinter eine entsprechende Online-Petition, die seit Februar auf knapp 27.000 Unterschriften kam. "Vor dem Hintergrund der umfassenden russischen Aggression ist die angesprochene Frage wichtig und dringend.". Er sehe die Notwendigkeit, die Kontrolle über die Einreise russischer Bürger auf das Territorium der Ukraine zu verstärken. Die Regierung unter Ministerpräsident Denys Schmyhal wurde mit einer Regelung beauftragt.

In den Trümmern von Kramatorsk im DonbassBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Zwischen der Ukraine und Russland gilt grundsätzlich Visumsfreiheit. Allerdings gab es schon in den vergangenen Jahren Beschränkungen für die Einreise von Russen in die Ukraine, viele Einzelpersonen hatten Einreiseverbot. Kurz nach dem russischen Überfall verbot die Ukraine am 28. Februar generell die Einreise russischer Staatsbürger. Insofern hätte die Einführung einer Visapflicht derzeit rein symbolischen Charakter.

kle/haz/qu/mak/se/uh (dpa, afp, ap, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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