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Politik

Aktuell: Kiew braucht 720 Milliarden Euro für Wiederaufbau

4. Juli 2022

Die Ukraine präsentiert auf einer Konferenz in Lugano einen ehrgeizigen Plan zum Wiederaufbau. Nach der Einnahme von Lyssytschank rücken russische Truppen im Raum Slowjansk vor. Ein Überblick.

Ukraine-Krieg - Wiederaufbaukonferenz in Lugano
Der Schweizer Präsident Ignazio Cassis (links) begrüßt den ukrainischen Premier Denys SchmyhalBild: Michael Buholzer/AFP

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • "Marshall-Plan" für die Ukraine soll in Lugano erarbeitet werden
  • Präsident Selenskyj bittet um umfangreiche internationale Aufbauhilfe
  • Papst Franziskus will nach Moskau und Kiew reisen 
  • Russische Armee rückt im Raum Slowjansk vor
  • Deutsche Gasvorräte laut Bundesnetzagentur deutlich zu gering

 

Die Ukraine benötigt für ihren Wiederaufbau nach Ende des Krieges laut Ministerpräsident Denys Schmyhal Mittel im Volumen von rund 720 Milliarden Euro. Dazu sollten Hunderte von Milliarden Euro an Vermögenswerten des russischen Staates und von Oligarchen herangezogen werden, die weltweit eingefroren seien, sagte Schmyhal in Lugano auf der Konferenz zur Wiederherstellung der Ukraine. Juristen geben jedoch zu bedenken, wie schwierig es ist, eingefrorene Vermögenswerte zu konfiszieren und auszugeben. Nötig wären unter Umständen Urteile vor internationalen Gerichten. Im russischen Angriffskrieg seien allein in der Infrastruktur der Ukraine direkte Schäden von bislang knapp 100 Milliarden Euro entstanden, betonte Schmyhal. Er präsentierte in Lugano einen Hunderte Seiten starken Wiederaufbauplan und betonte, sein Land strebe ein Wirtschaftswunder an.

Mit einem flammenden Appell warb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für den Wiederaufbau seines schwer zerstörten Landes. Es sei die "gemeinsame Aufgabe der gesamten demokratischen Welt", die Ukraine wieder aufzubauen, sagte Selenskyj in einer Video-Ansprache auf der Konferenz in der Schweiz.

EU will Plattform einrichten

Die Europäische Union hat seit Kriegsbeginn nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bislang 6,2 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine mobilisiert. Die EU-Kommission will eine Plattform zum Wiederaufbau der Ukraine einrichten, auf der Staaten, Institutionen, die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft vertreten sein sollen. So sollten die Bedürfnisse des Landes und erforderliche Investitionen gebündelt sowie das Vorgehen koordiniert und Ressourcen kanalisiert werden, sagte von der Leyen.

Deutschland sagte der Ukraine zusätzliche 426 Millionen Euro zu, wie das Entwicklungshilfeministerium mitteilte. Zusätzlich leiste die Bundesregierung humanitäre Hilfe und stabilisiere den Haushalt der Ukraine mit über einer Milliarde Euro Budgethilfe. "Es ist wichtig, dass wir in Lugano schon jetzt international koordiniert die Weichen für einen nachhaltigen, reformorientierten Wiederaufbau der Ukraine stellen", erklärte Ministerin Svenja Schulze. Delegationen aus fast 40 Ländern sowie Vertreter von 14 internationalen Organisationen beraten auf der zweitägigen Konferenz in Lugano über eine Art Marshall-Plan für die Ukraine.

Papst Franziskus will nach Moskau und Kiew

Papst Franziskus erwägt, nach Russland und in die Ukraine zu reisen. Es habe Kontakte zwischen dem vatikanischen Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow über einen möglichen Besuch gegeben, sagte Franziskus in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. Als der Vatikan vor einigen Monaten eine Moskau-Reise angefragt hatte, habe die russische Seite geantwortet, es sei nicht der richtige Zeitpunkt. Franziskus deutete an, dass sich daran etwas geändert haben könnte.

Seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar hatte Franziskus den Angriff mehrfach verurteilt und Russland implizit kritisiert. Nun hofft er nach eigener Aussage "auf ein kleines Zeitfenster" beim russischen Präsidenten, "um der Sache des Friedens zu dienen": "Zuerst möchte ich nach Russland reisen, um zu versuchen, etwas zu helfen", sagte Franziskus. "Aber ich würde gerne in beide Hauptstädte reisen."

Papst Franziskus hat den russischen Angriffskrieg in mehreren Ansprachen kritisiertBild: Andrew Medichini/AP Photo/picture alliance

Unterdessen lud die ukrainische Regierung Papst Franziskus erneut zu einem Besuch ein. Ein Sprecher des Außenministeriums reagierte damit auf einen entsprechenden Wunsch des Papstes in dem Reuters-Interview. "Es ist an der Zeit, die Verbindungen zu denen zu vertiefen, die es aufrichtig wünschen. Wir erneuern die Einladung an Papst Franziskus, unser Land zu besuchen, und fordern Sie auf, weiterhin für das ukrainische Volk zu beten", sagte Sprecher Oleg Nikolenko.

Russen rücken auf nächstes Ziel vor

Nach der Einnahme von Lyssytschansk rücken russische Truppen auf den Ballungsraum um Slowjansk vor. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs versuchten die Russen, "die Kontrolle über die Ortschaften Bohoroytschne, Dolyna und Masaniwka herzustellen". Demnach haben sie bereits den Fluss Siwerskyj Donez überquert und versuchen, ukrainische Kräfte auf eine neue Verteidigungslinie zurückzudrängen. Der Ballungsraum Slowjansk-Kramatorsk gilt als Hauptquartier der ukrainischen Streitkräfte im Donbass.

Selenskyi: Wir werden nach Lyssytschansk zurückkehren

In seiner nächtlichen Videobotschaft hat Präsident Selenskyj eingeräumt, dass sich die Streitkräfte seines Landes aus der Stadt Lyssytschansk im Donbass zurückgezogen haben. Er verspricht er jedoch, die Kontrolle über das Gebiet wiederherstellen zu wollen. Dazu würden die Taktik der Armee und neue, verbesserte Waffen beitragen: "Die Ukraine gibt nichts verloren." Die ukrainische Armee bewege sich vorwärts - sowohl im Gebiet Charkiw im Osten, als auch im Gebiet Cherson im Süden und auf dem Schwarzen Meer.

Verbrannte Erde - Lyssytschansk nach dem Einmarsch russischer TruppenBild: Luhansk region military administration/AP/picture alliance

Lyssytschansk war die letzte größere Bastion der Ukrainer im Gebiet Luhansk. Nach wochenlangen Kämpfen gegen prorussische Separatisten und die russische Armee mussten die ukrainischen Truppen die Verteidigung der strategisch wichtigen Stadt aufgegeben. Die Militärführung hatte zuvor mitgeteilt, eine weitere Verteidigung der Stadt hätte fatale Konsequenzen gehabt. Um das Leben der Soldaten zu retten, sei die Entscheidung zum Abzug getroffen worden.

Türkei stoppt russischen Getreidefrachter

Die Türkei hat am Schwarzmeerhafen Karasu nach Angaben der Betreiberfirma ein unter russischer Flagge fahrendes Schiff mit Getreide angehalten. Der Zoll habe dem Frachter "Zhibek Zholy" vor der türkischen Schwarzmeerstadt die Weiterfahrt vorerst verweigert, sagte ein Verantwortlicher der Hafenfirma IC Ictas auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Der ukrainische Botschafter in der Türkei, Wassyl Bodnar, hatte am Sonntag im ukrainischen Fernsehen gesagt, dass an diesem Montag über das weitere Schicksal des Schiffes entschieden werde. Die Ukraine hoffe, dass das Schiff beschlagnahmt und das Frachtgut konfisziert werde.

Das russische Frachtschiff "Zhibek Zholy" vor dem Hafen von Karasu Bild: Mehmet Emin Caliskan/REUTERS

Die internationale Gemeinschaft fordert von Russland seit Wochen, den Export von ukrainischem Getreide zu ermöglichen. Die Ukraine beklagt, dass durch die russische Kriegsmarine ihre Häfen im Schwarzen Meer blockiert seien. Kiew beschuldigt Russland zudem, ukrainisches Getreide zu stehlen. Moskau weist das zurück. Beide Länder gehören zu den größten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit in der Welt.

Kein Platz für russische Sportler bei internationalen Turnieren

Bei einem Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach in Kiew hat Präsident Selenskyj den Ausschluss russischer und belarussischer Sportler aus vielen Turnieren begrüßt. Man dürfe nicht zulassen, dass ein Terrorstaat den Sport nutze, um seine politischen Interessen und Propaganda zu fördern.

Sport und Politik treffen sich in Kiew - IOC-Chef Thomas Bach (l.) und Präsident Wolodymyr SelenskyjBild: SvenSimon/ThePresidentialOfficeUkraine/picture alliance

Er sei dem Chef des Internationalen Olympischen Komitees für dessen "unerschütterliche Position" bei diesem Thema dankbar, betonte Selenskyj. Der Präsident bezeichnete den russischen Angriffskrieg auf sein Land als "brutalen Schlag" für den ukrainischen Sport. "Mehr als 100.000 ukrainische Athleten haben keine Gelegenheit zu trainieren, und Hunderte von Sportstätten werden zerstört."

Lukaschenko: "Praktisch eine Armee mit Russland"

Der kremltreue Machthaber der Ex-Sowjetrepublik Belarus, Alexander Lukaschenko, hat seine enge Verbundenheit mit Russland nochmals bekräftigt. Belarus sei so eng mit der Russischen Föderation verbunden, "dass wir praktisch eine gemeinsame Armee haben. Aber das wussten Sie ja alles. Wir werden weiterhin mit dem brüderlichen Russland fest vereint sein", sagte Lukaschenko bei einer Feier zum Jahrestag der Befreiung von Minsk durch sowjetische Truppen im Zweiten Weltkrieg. Er habe Putins Vorgehen gegen die Ukraine "vom ersten Tag an" unterstützt.

Alexander Lukaschenko, unbeirrt an der Seite des russischen Präsidenten Wladimir PutinBild: BelTA/TASS/picture alliance

Deutscher Export nach Russland wächst

Trotz der westlichen Sanktionen ist der deutsche Export von Waren nach Russland zwischen April und Mai gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erhöhten sich die Exporte im Mai 2022 gegenüber dem Vormonat um 92,4 Prozent auf eine Milliarde Euro. In den Vormonaten waren sie infolge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine teilweise um bis zu 60 Prozent eingebrochen. Vor allem im pharmazeutischen Bereich habe der Export zugenommen, sagte ein Sprecher des Statistischen Bundesamtes. Diese Produkte sind von den Sanktionen gegen Russland ausgenommen.

Die westlichen Staaten haben seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar Sanktionen gegen Russland verhängt, die allerdings in Wellen erfolgten und Übergangsfristen enthalten. Vor Kriegsbeginn lagen die deutschen Exporte nach Russland meist deutlich über zwei Milliarden Euro pro Monat. Die Importe aus Russland gingen dagegen im Mai gegenüber April um 9,8 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro zurück. Deutschland importiert vor allem Gas aus Russland. Insgesamt fiel die deutsche Außenhandelsbilanz negativ aus - zum ersten Mal seit 14 Jahren.

Deutsche Gasvorräte "reichen für vielleicht ein bis zwei Monate"

Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, geht davon aus, dass Deutschland mit seinen momentanen Gasreserven nicht weit kommt. "Sollten wir kein russisches Gas mehr bekommen und einen durchschnittlich warmen Winter erleben, dann reichen die im Moment eingespeicherten Mengen - einschließlich unserer Verpflichtungen, Gas in andere europäische Länder weiterzuleiten - für vielleicht ein bis zwei Monate", sagte der Präsident der Regulierungsbehörde den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Allerdings basierten solche Zahlen auf vielen Unsicherheiten. Derzeit sind die deutschen Gasspeicher zu etwas mehr als 60 Prozent gefüllt.

qu/wa/kle/jj (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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