Aktuell: Ukraine gibt Verteidigung von Mariupol auf
20. Mai 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Ukraine gibt Verteidigung von Mariupol auf
- Altkanzler Schröder legt Amt als Aufsichtsratschef nieder
- Deutschland vereinbart Energiepartnerschaft mit Katar
- Russland liefert kein Gas mehr nach Finnland
- Italien präsentiert Plan zur Beilegung des Konflikts
Nach wochenlangen, erbitterten Kämpfen sollen die ukrainischen Streitkräfte die Verteidigung der Hafenstadt Mariupol gegen die russischen Truppen aufgegeben. "Die Armeeführung hat den Befehl gegeben, die Verteidigung der Stadt einzustellen", sagte der Kommandeur des Asow-Regiments, Denys Prokopenko, in einer Videobotschaft. Die Kämpfer hatten sich zuletzt in dem Stahlwerk der Stadt verschanzt. Man hoffe, "das Leben der Soldaten unserer Garnison zu retten", sagte Prokopenko weiter. Es werde nun daran gearbeitet, die getöteten Soldaten aus dem Asow-Stahlwerk zu bringen. Alle Verletzten seien evakuiert worden und nur die "getöteten Helden" seien geblieben.
Am Montag hatten sich die ersten 264 Soldaten ergeben, darunter über 50 Schwerverletzte. Nach russischen Angaben sind insgesamt bereits über 1900 Soldaten in Gefangenschaft gekommen. Die Kommandeure sollen sich aber noch weiter in den Bunkern des Werksgeländes aufhalten. Insgesamt wurde in Moskau zuletzt von rund 2500 ukrainischen Kämpfern ausgegangen. Die Regierung in Kiew dagegen hatte deren Zahl mit nur 1000 angegeben.
Bis zuletzt sprach die ukrainische Führung auch von einer "Rettungsoperation" statt einer Kapitulation und stellte einen baldigen Gefangenenaustausch mit Russland in Aussicht. Die Asow-Kämpfer hatten immer wieder um Hilfe von den ukrainischen Streitkräften gebeten. Mariupol ist seit Anfang März von russischen Truppen komplett eingeschlossen und wurde in schweren Kämpfen weitgehend zerstört. Von ursprünglich rund 440.000 Einwohnern sind nach Einschätzung der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Ljudmyla Denissowa etwa 170.000 in der Stadt geblieben.
Moskau meldet Erfolge im Donbass
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu verkündete derweil, die ukrainische Region Luhansk im Osten stehe inzwischen nahezu gänzlich unter russischer Kontrolle. Mehrere Ortschaften in den Gebieten Donezk und Charkiw wurden attackiert. Raketenstreitkräfte und Artillerie hätten Depots und Artillerie- und Raketenwerferstellungen zerstört. Bei den Angriffen seien 280 ukrainische Soldaten getötet und 59 gepanzerte Militärfahrzeuge zerstört worden, hieß es. Unabhängig konnten diese Angaben nicht überprüft werden.
Russland hatte die pro-russischen Separatistengebiete Luhansk und Donezk im Donbass kurz vor dem Beginn des Angriffs am 24. Februar als eigenständig anerkannt. Teile der Regionen standen bereits seit 2014 unter der Kontrolle pro-russischer Kräfte. In der Region Luhansk werden inzwischen nur noch die durch einen Fluss getrennten Städte Sewerodonezk und Lyssytschansk von der Ukraine kontrolliert. Beide Orte wurden heftig bombardiert, wie Reporter berichteten.
Altkanzler Schröder verzichtet auf Amt bei Rosneft
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder will sein Amt als Chef des Aufsichtsrats beim russischen Ölkonzern Rosneft verlassen. Schröder habe mitgeteilt, dass es ihm unmöglich sei, sein Mandat in dem Gremium zu verlängern, teilte der russische Konzern mit. Details wurden nicht genannt.
Ein Anwalt des Altkanzlers hatte zuvor bekannt gegeben, dass Schröder die am Donnerstag im Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossene Streichung seiner Altkanzler-Privilegien juristisch überprüfen lässt. Der Ausschuss in Berlin hatte für die Abwicklung des Altkanzler-Büros votiert. Die Zustimmung zu einem entsprechenden Antrag der Ampel-Koalition ist der vorläufige Höhepunkt der Ächtung des früheren SPD-Chefs wegen seiner anhaltenden Verbindungen zu Russland. Aus rechtlichen Gründen wurde die Streichung des Büros allerdings nicht mit Schröders Russland- und Putin-Beziehungen begründet. Schröder nehme keine Verpflichtungen aus seiner Zeit als Bundeskanzler mehr war, hieß es zur Begründung.
Deutschland und Katar unterzeichnen Energiepartnerschaft
Um sich von russischem Gas unabhängig zu machen, hat Deutschland eine Energiepartnerschaft mit Katar geschlossen. Beide Seiten wollen in den Bereichen Flüssigerdgas (LNG), Wasserstoff und Klimaschutz enger zusammenarbeiten, wie es in einer Erklärung des Bundeswirtschaftsministeriums heißt.
Flüssiggas ist für die Bundesregierung der schnellste Weg, um Erdgaslieferungen aus Russland zu ersetzen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte deshalb bereits im März Katar besucht.
Konkrete Lieferbeschlüsse gibt es zwar noch nicht, dennoch sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach seinem Treffen mit dem Emir von Katar, Scheich Tamim Bin Hamad Al Thani, von einem "großen, großen Fortschritt". Deutschland werde die für LNG-Importe nötige Infrastruktur schaffen.
Russland dreht Finnland den Gashahn zu
Nach Polen und Bulgarien ist nun auch Finnland von einem Gasstopp betroffen. Bereits am Samstag stellt Russland seine Erdgaslieferungen an das Nachbarland ein. Der finnische Energiekonzern Gasum nannte es "höchst bedauerlich", dass die vertraglich vereinbarten Lieferungen nun ausgesetzt würden. Auf diese Situation sei das Unternehmen aber vorbereitet. Im finnischen Energiemix hat Erdgas einen Anteil von acht Prozent.
Zuvor hatte der finnische Konzern die Forderung von Gazprom Export, Zahlungen in Rubel zu begleichen, nicht akzeptiert. Außerdem hatte Finnland am Mittwoch gemeinsam mit Schweden einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO eingereicht. Das hatte Russland als "schweren Fehler" kritisiert.
Im Westen Russlands sollen neue Militärbasen entstehen
Als Antwort auf die angestrebte Norderweiterung der NATO will Russland im Westen seines Landes zwölf neue Militärstützpunkte errichten. Das kündigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu an. Er sagte nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen: "Bis Ende des Jahres werden zwölf Militärbasen und Einheiten im westlichen Militärbezirk eingerichtet." Schoigu prangerte auch "die Zunahme der militärischen Bedrohungen an den russischen Grenzen" an.
Putin will sich gegen "ausländischen Cyberkrieg" rüsten
Russlands Präsident Wladimir Putin will sein Land unabhängig von ausländischen Technologien machen. Angesichts einer Vielzahl ausländischer Cyberattacken seit Beginn des Ukraine-Kriegs müsse Russland "die Risiken, die mit der Nutzung ausländischer Programme, Computertechnologie und Telekommunikationsausrüstung verbunden sind, radikal reduzieren", sagte Putin auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrats, die im Fernsehen übertragen wurde. Der Weg zum Erreichen dieses Ziels sei "der Übergang zu nationalen Ausrüstungen, Technologien, Programmen und Produkten".
Die von ihm angeführten Cyberangriffe kämen aus verschiedenen Ländern, seien aber "fein abgestimmt", sagte Putin. Sie zielten vor allem auf die Websites russischer Medien, Finanzinstitute, öffentlicher Dienste und Regierungsportale ab.
Italienischer Plan zur Beendigung des Kriegs
Italien hat bei den Vereinten Nationen einen Plan zur Beendigung des Ukraine-Kriegs vorgelegt. Der Vorschlag sieht unter anderem die Bildung einer internationalen Vermittlungsgruppe mit Vertretern der UN, der EU und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vor, wie Außenminister Luigi Di Maio mitteilte. Ziel sei es, "Schritt für Schritt" vorzugehen, um am Ende "einen dauerhaften Frieden mit einem echten Friedensabkommen" zu erreichen, sagte Di Maio. So könne beispielsweise mit örtlich begrenzten Waffenstillständen, der Evakuierung von Zivilisten und sicheren Fluchtkorridoren begonnen werden. Er habe bereits mit UN-Generalsekretär António Guterres über den Vorschlag gesprochen.
Die Einzelheiten des Plans teilte Di Maio nicht mit. Laut der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" sieht das Dokument jedoch vier Schritte vor: einen Waffenstillstand in der Ukraine und die Demilitarisierung der Front unter UN-Aufsicht, Verhandlungen über den Status der Ukraine, ein bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa. Die Ukraine würde nach dem italienischen Vorschlag zwar der EU, nicht aber der NATO beitreten. Die umstrittenen Gebiete Krim und Donbass hätten "volle Autonomie", stünden aber unter ukrainischer Souveränität.
Aufbauhilfen für Reformen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vorgeschlagen, angesichts des Beitrittswunschs der Ukraine künftige Wiederaufbauhilfen für das Land an Reformen zu koppeln. Dabei gehe es etwa um Korruptionsbekämpfung und um Rechtsstaatlichkeit, sagte von der Leyen im Zweiten Deutschen Fernsehen. Das EU-Aufnahmeverfahren hänge davon ab, wie sich der von Russland angegriffene Staat am Ende des Krieges entwickele.
Die Ukraine hat die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bereits beantragt und wünscht einen raschen Beitritt. Gewöhnlich dauert dies mehrere Jahre. Zuletzt hatten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz entsprechende Erwartungen gedämpft. Aus Fairness gegenüber anderen langjährigen Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan dürfe es für die Ukraine "keine Abkürzungen" geben, sagte Scholz am Donnerstag in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag.
Melnyk: Es sieht so aus, als spiele Deutschland auf Zeit
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat Bundeskanzler Olaf Scholz erneut eine zögerliche Haltung bei der Lieferung schwerer Waffen vorgeworfen. "Wir haben den Eindruck, dass der Kanzler nicht liefern will", sagte Melnyk dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auf die Frage, ob Deutschland auf Zeit spiele, antwortete Melnyk dem Bericht zufolge: "Es sieht so aus. Man kann den Eindruck gewinnen, dass man abwartet, bis es zu einer Waffenruhe kommt. Dann ist der Druck von Deutschland weg und dann brauchen auch keine mutigen Entscheidungen mehr getroffen zu werden."
Bislang seien weder Gepard-Panzer, noch solche vom Typ Leopard 1 oder Marder geliefert worden, kritisierte der Botschafter. Auch der angekündigte Ringtausch mit T-72-Panzern für die Ukraine aus Slowenien habe bisher nicht geklappt.
Die Bundesregierung hatte grünes Licht für 50 ausgemusterte Gepard-Flugabwehrpanzer und sieben Panzerhaubitzen 2000 - schwere Artilleriegeschütze aus den Beständen der Bundeswehr - gegeben. Wann die ersten Haubitzen geliefert werden, ist nicht bekannt. Zu den Gepard-Panzern hatte Scholz am Montag gesagt, er rechne mit einer "relativ zügigen" Bereitstellung. Er verwies aber darauf, dass dafür weiterhin Munition im Ausland gesucht werde.
Bündnis für globale Ernährungssicherheit
Wegen des durch den Krieg verursachten Getreidemangels vereinbarten die G7-Entwicklungsminister ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit. Dieses solle geeignete Maßnahmen finanzieren und koordinieren, hieß es. Russland verhindert Schiffslieferungen mit Weizen aus der Ukraine, auf die viele Staaten vor allem in Afrika und Asien angewiesen sind. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze sagte, es drohe Nahrungsmittelknappheit, weil der russische Präsident Wladimir Putin "den Hunger gezielt als Waffe einsetzt".
US-Außenminister Antony Blinken appellierte vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an Moskau, die Blockade der ukrainischen Häfen zu beenden. "Die Lebensmittelversorgung von Millionen von Ukrainern und Millionen weiterer Menschen auf der ganzen Welt wurde buchstäblich in Geiselhaft genommen", sagte er. Ein hochrangiger Beamter in Moskau wies die Vorwürfe zurück.
Deutsche Exporte nach Russland drastisch zurückgegangen
Die deutschen Exporte nach Russland gehen weiter deutlich zurück: Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, wurden im April Waren im Wert von nur noch 0,9 Milliarden Euro nach Russland exportiert. Das waren 63,1 Prozent weniger als vor einem Jahr, damals betrug der Wert noch 2,3 Milliarden Euro. Grund dafür sind die wegen des Ukraine-Kriegs gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen und Exportbeschränkungen.
Damit lag Russland im April nur noch auf Rang 14 der wichtigsten Bestimmungsländer für deutsche Exporte außerhalb der EU. Im Februar hatte Russland noch Rang fünf belegt.
Belarus kauft in Moskau Militärtechnik ein
Belarus rüstet inmitten des Krieges im Nachbarland weiter auf. Machthaber Alexander Lukaschenko gab den Kauf von atomwaffenfähigen Iskander-Raketen und S-400-Flugabwehrsystemen aus Russland bekannt. "Wir haben eine Vereinbarung mit Putin getroffen", verkündete Lukaschenko auf Telegram.
Zur Zahl der erworbenen Raketensysteme machte er keine genaueren Angaben. Es sei so viel erworben worden, wie die belarussische Armee benötige, sagte Lukaschenko. "Mit solchen Waffen ist das eine völlig andere Armee." Die Raketen und Marschflugkörper, die das fahrzeuggebundene Iskander-System abfeuern kann, haben eine Reichweite von 500 Kilometern. Sie können konventionelle, aber auch nukleare Sprengköpfe tragen. Russland hatte Belarus bei seinem Angriff auf die Ukraine als Aufmarschgebiet genutzt.
Mehr als 230.000 Kinder nach Russland gebracht
Aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine seien seit Beginn der Gefechte 1,36 Millionen Menschen nach Russland gebracht worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Mehr als 230.000 von ihnen seien Kinder. Die Menschen stammten unter anderem aus den Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk. Die Kiewer Führung wirft den russischen Truppen vor, eine Flucht der Menschen auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet zu unterbinden. Die meisten Ukrainer gingen nicht freiwillig nach Russland, sondern würden verschleppt..
Zuletzt kritisierte die Vizechefin der Gebietsverwaltung von Saporischschja, Slata Nekrassowa, dass in der dortigen Region die russischen Truppen die Flucht von Zivilisten auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet behinderten. "Derzeit befinden sich in der Stadt Wassyliwka vor dem russischen Checkpoint mehr als 1000 Fahrzeuge, die nicht auf das von der Ukraine kontrollierte Gebiet gelassen werden", sagte Nekrassowa der Nachrichtenagentur Ukrinform. In den Autos seien auch viele Frauen und Kinder. Beamte ihrer Verwaltung hätten daher veranlasst, den Flüchtlingen Wasser und Proviant zu liefern. In sozialen Netzwerken sind inzwischen auch entsprechende Videos aufgetaucht.
uh/rb/sti/se/jj/ww (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.