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Konflikte

Aktuell: Kiew treibt Offensive auf Cherson voran

20. Oktober 2022

Ukrainische Streitkräfte verstärken nach eigenen Angaben ihren Vormarsch in der südlichen Region Cherson. Nach Schäden am Energienetz kündigt Kiew Stromabschaltungen an. Steinmeier sagt Ukraine-Reise ab. Ein Überblick.

Zwei russische Soldaten stehen am Eingang des Wasserkraftwerks Kachowka
Zwei russische Soldaten am Eingang des Wasserkraftwerks Kachowka am Fluss Dnipro Bild: AP/dpa/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • Kiews Truppen marschieren weiter Richtung Cherson
  • Ukrainische Regierung kündigt Stromabschaltungen im ganzen Land an
  • Bundespräsident Steinmeier reist wieder nicht nach Kiew
  • Kamikaze-Drohnen: EU verhängt Sanktionen gegen Iran
  • Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg-Vorpommern abgebrannt

 

Die ukrainischen Streitkräfte treiben ihre Offensive gegen die russischen Invasionstruppen in der südlichen Region Cherson nach eigenen Angaben voran. Dort seien 43 russische Soldaten getötet und sechs Panzer sowie andere Ausrüstung zerstört worden, teilte das Militär mit. Die Truppen rückten auch näher an die gleichnamige Regionalhauptstadt heran.

Die russische Führung erwägt britischen Militärexperten zufolge einen größeren Rückzug ihrer Truppen aus dem Gebiet um Cherson westlich des Flusses Dnipro im Süden der Ukraine. Das geht aus dem täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London hervor.

Zerstörte Brücken erschweren russischen Rückzug 

Ein solches Vorhaben werde jedoch erschwert durch die Tatsache, dass alle permanenten Brücken über den einen Kilometer Meter breiten Fluss schwer beschädigt seien, hieß es in der Mitteilung weiter. Russland müsste sich demnach höchstwahrscheinlich stark auf eine temporäre Brücke aus Lastkähnen verlassen, die nahe Cherson kürzlich fertiggestellt wurde sowie auf militärische Ponton-Fähren, so die Einschätzung der britischen Experten.

Trotz der ukrainischen Erfolge an der Front zeigen allerdings die russischen Luftangriffe im Landesinnern Wirkung: So seien die Schäden am Wärmekraftwerk in Burschtyn im Westen der Ukraine beträchtlich, sagt Switlana Onyschtschuk, Gouverneurin der Region Iwano-Franiwsk, im ukrainischen Fernsehen. Das Kraftwerk sei bei einem russischen Angriff getroffen worden. "Leider gab es Zerstörung, und die ist beträchtlich", so die Gouverneurin.

Zivilisten auf der Flucht - lange Staus in Armyansk, im Norden der illegal vom Kreml annektierten Stadt ChersonBild: AFP/Getty Images

Nach zahlreichen russischen Angriffen auf die Energie-Infrastruktur im Land hat die Ukraine eine eingeschränkte Stromversorgung ab dem heutigen Donnerstag angekündigt. "Der Feind hat erneut Energie erzeugende Anlagen zerstört. Es ist notwendig, den Stromverbrauch zu minimieren", sagte der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Kyrylo Timoschenko. Wenn dies nicht geschehe, müsse man sich auf vorübergehende Stromausfälle vorbereiten. Hintergrund sei der Ausfall weiterer Kraftwerke nach russischen Angriffen.

Timoschenko forderte die Bürgerinnen und Bürger via Telegram auf, zwischen 7.00 und 22.00 Uhr Ortszeit (6.00 Uhr bis 21 Uhr MESZ) möglichst wenig Strom zu verbrauchen. Die Menschen sollten bis zum Morgen ihre Mobiltelefone und Powerbanks aufladen, sowie Taschenlampen, Batterien und Wasser bereithalten. Außerdem werde zeitlich gestaffelt in jedem Gebiet der Strom bis zu vier Stunden lang abgeschaltet, teilte der Versorger Ukrenerho mit. Grund für die Einschränkungen sei ein Strommangel im System. "Wir schließen nicht aus, dass wir mit dem Einsetzen der Kälte öfter um Ihre Hilfe bitten werden", ergänzte der Versorger.

30 Prozent der Elektrizitätswerke zerstört

Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor bei einem Strategietreffen angekündigt, man arbeite "an der Schaffung mobiler Stromversorgungspunkte für wichtige Infrastruktureinrichtungen". Seinen Angaben zufolge hat Russland binnen einer Woche 30 Prozent der ukrainischen Elektrizitätswerke zerstört. Laut den staatlichen Notfalldiensten waren am Dienstag mehr als 1100 Orte ohne Strom.

Unterdessen hat Spanien der Ukraine Hilfe bei der angeschlagenen Energieversorgung angeboten. Die Regierung in Madrid erklärte, fünf Stromgeneratoren liefern zu wollen. Den Angaben zufolge handelt es sich um vier Generatoren mit einer Leistung von 400 Kilowatt und einen fünften mit 150 Kilowatt, die der spanischen Luftwaffe gehören. Sie sollen in den kommenden drei Tagen zunächst in ein Logistikzentrum in Polen gebracht werden und von dort aus in die Ukraine gelangen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Telefon (Archivfoto)Bild: Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa/picture alliance

Steinmeier sagt Kiew-Reise ab - und will telefonieren

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine für diesen Donnerstag geplante Reise nach Kiew aus Sicherheitsgründen abgesagt. Das Präsidialamt bestätigt einen entsprechenden Bericht der Zeitung "Bild". Das Blatt hatte unter Berufung auf Regierungskreise in Berlin und in der Ukraine berichtet, das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium und deutsche Sicherheitsbehörden hätten von der Reise abgeraten.

Steinmeier wollte sich einen Tag lang in dem von Russland angegriffenen Land aufhalten und sich in Kiew auch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen. Russland beschießt die Ukraine und auch die Hauptstadt seit Tagen mit Drohnen. Die offiziell nicht angekündigte Reise soll den Informationen zufolge zeitnah nachgeholt werden.

Die Sprecherin des Bundespräsidenten, Cerstin Gammelin, und der designierte neue ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, schrieben am Abend wortgleich auf Twitter: "Wir sind in engen und vertraulichen Planungen eines Besuches des Bundespräsidenten in der Ukraine, der beiden Seiten wichtig ist. Morgen sind unsere beiden Präsidenten zum Telefonieren verabredet."

Der "Bild" zufolge gab es in Kiew Verwunderung über die Absage aus Berlin. "Während der Bundespräsident seinen Besuch absagt, gibt es viele internationale Diplomaten und Gäste, die gerade jetzt in der Hauptstadt Präsenz zeigen wollen", zitierte "Bild" einen ukrainischen Regierungsbeamten. Erst am Mittwoch besuchte der griechische Außenminister Nikos Dendias Kiew.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßt den griechischen Außenminister Nikos Dedias in KiewBild: Ukrainian Presidential Press Office/Planet Pix/ZUMA /picture alliance

Die Besuchs-Thematik zwischen Deutschland und der Ukraine hat eine Geschichte. Mitte April hatte Steinmeier ursprünglich mit seinen Kollegen aus Polen und den drei baltischen Staaten nach Kiew reisen wollen. Der Bundespräsident, der als Außen- und Kanzleramtsminister die frühere deutsche Russland-Politik entscheidend mitgeprägt hat, teilte dann aber kurz davor mit, die ukrainische Führung habe seinen Besuch abgelehnt.

Die Ausladung hatte für erhebliche Verstimmung gesorgt. Dieser Konflikt wurde inzwischen aber ausgeräumt.

EU verhängt Sanktionen gegen Iran 

Die Europäische Union verhängt Sanktionen gegen den Iran wegen der mutmaßlichen Lieferung sogenannter Kamikaze-Drohnen an Russland. Die Mitgliedstaaten einigen sich nach Angaben der tschechischen Ratspräsidentschaft darauf, Vermögenswerte von drei Personen und einer Einrichtung einzufrieren, die für die Lieferungen verantwortlich sein sollen. Offiziell dementiert der Iran, Drohnen an Russland zu liefern.

Russland droht UN-Chef Guterres

Die Regierung in Moskau hat angekündigt, "die Zusammenarbeit mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres neu zu bewerten", falls dieser Experten in die Ukraine schicken sollte, um abgeschossene Drohnen zu untersuchen. Der russische Vize-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Dmitri Poljanskij, forderte Guterres und seine Mitarbeiter auf, "von illegitimen Untersuchungen abzusehen".

Der stellvertretende UN-Botschafter Russlands, Dmitri PoljanskijBild: John Lamparski/NurPhoto/picture alliance

Poljanskij fügte hinzu: "Andernfalls werden wir unsere Zusammenarbeit mit ihnen überdenken müssen, was wohl in niemandes Interesse liegt. Wir wollen das nicht tun, aber wir haben keine andere Wahl." Weitere Details nennt er zunächst nicht.

Hintergrund sind Vorwürfe der Ukraine, der Iran liefere sogenannte Kamikaze-Drohnen an Russland, die dessen Militär in der Ukraine einsetzt. Die Regierungen in Moskau und Teheran bestreiten dies.

Russischer Drohnen-Angriff auf Kiew (17.10.2022)Bild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Anklagen wegen Umgehung von Sanktionen

In den USA sind fünf Russen wegen der Umgehung von Russland-Sanktionen angeklagt worden. Einer von ihnen ist Juri Orechow mit einer Firma in Hamburg, wie die Staatsanwaltschaft in New York mitteilt. Den Männern wird unter anderem vorgeworfen, Halbleiter und Mikroprozessoren aus den USA beschafft zu haben, die in Russland etwa für den Bau von Kampfflugzeugen, Raketen-Systemen und Satelliten eingesetzt werden. Im gleichen Verfahren wurden auch zwei Venezolaner wegen illegaler Ölgeschäfte angeklagt.

US-Staatsanwaltschaft Breon Peace bezeichnete die Angeklagten als "kriminelle Erfüllungsgehilfen von Oligarchen", die mithilfe von Briefkastenfirmen und Kryptowährungen eine Vielzahl von Transaktionen abwickelten. Es würden weiterhin jene verfolgt, die Russlands brutalen Krieg in der Ukraine anheizten, Sanktionen umgingen und Geldwäsche betrieben. Der stellvertretende Direktor der Bundespolizei FBI sagte, es sei die "Zerschlagung eines ausgeklügelten Netzwerks" gelungen. Das US-Finanzministerium verhängte gegen Orechow und zwei seiner Unternehmen zudem Sanktionen. Etwaige Vermögenswerte in den USA werden eingefroren. Geschäfte mit ihnen werden für US-Bürger untersagt.

Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen

Durch einen Brand ist eine Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine in der Gemeinde Groß Strömkendorf in Mecklenburg-Vorpommern in der Nacht fast vollständig zerstört worden. "Alle 14 Bewohner konnten unverletzt aus der Einrichtung gebracht werden. Den drei Mitarbeitern ist auch nichts passiert", sagte ein Sprecher des Landkreises Nordwestmecklenburg.

Ein Feuer zerstört die Unterkunft für ukrainische Geflüchtete in Groß Strömkendorf in Mecklenburg-VorpommernBild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund. Der Staatsschutz habe die Ermittlungen übernommen, teilte das Polizeipräsidium Rostock mit. Noch am Tage des Brandes hatte die Polizei die Unterkunft - ein Hotel - wegen einer Hakenkreuz-Schmiererei auf dem Eingangsschild aufgesucht, wie Landrat Tino Schomann mitteilte. 

Das mit einem Strohdach gedeckte Haus brannte bis auf die Außenmauern nieder. Mehr als 120 Einsatzkräfte konnten ein Übergreifen der meterhohen Flammen auf umliegende Gebäude verhindern. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien unmittelbar nach dem Brand in eine andere Einrichtung verlegt worden, sagte der Sprecher des Landkreises.

mak/rb (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.