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Politik

Aktuell: Kiew wieder unter Beschuss

16. April 2022

Nach dem Verlust seines Flaggschiffs "Moskwa" hat Russland seine Angriffe auf die ukrainische Hauptstadt wieder verstärkt. Moskau erklärt britischen Premier Johnson zur unerwünschten Person. Ein Überblick.

Rauch über Häusern
Im Kiewer Stadtteil Darnyrskyj wurde ein Fabrikgelände beschossenBild: Metin Aktas/AA/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • Kiew und andere Orte wieder unter russischem Beschuss
  • Mehr als 2500 gefallene Ukrainer
  • Moskau sanktioniert britische Regierung
  • Täglich Leichenfunde in der Umgebung von Kiew
  • Russland verschickt wegen Waffenlieferungen Protestnoten

Im Krieg gegen die Ukraine haben russische Einheiten eine Fabrik in der ukrainischen Hauptstadt Kiew angegriffen. Bei dem Beschuss mit "hochpräzisen Langstreckenwaffen" seien Produktionsgebäude der Fabrik zerstört worden, teilte das russische Verteidigungsministerium auf Telegram mit. Schon am Vortag war ein Rüstungskomplex nahe Kiew angegriffen worden. Sicherheitskräfte riegelten das Fabrikgelände im Stadtteil Darnyrskyj am Samstag ab, über ihm stieg Rauch auf (Bild oben). In der Fabrik wurden insbesondere Panzer hergestellt.

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko berichtete in Onlinenetzwerken von mehreren Explosionen. Ein Mensch sei getötet und mehrere weitere seien verletzt worden. Bei einem Angriff auf die ostukrainische Großstadt Charkiw wurde nach amtlichen Angaben ebenfalls mindestens ein Mensch getötet. Darüber hinaus seien 18 Menschen verletzt worden. Angriffe wurden auch in der Westukraine im Gebiet Lwiw und einem Militärflugplatz in Olexandrija im Zentrum der Ukraine gemeldet.

Opferbilanz

In einem Interview des US-Fernsehsenders CNN teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj , mit, mehr als 2500 ukrainische Soldaten seien getötet worden. Selenskyj berichtete zudem von etwa 10.000 verletzten Soldaten auf ukrainischer Seite. Es sei schwer zu sagen, wie viele davon überleben werden.Selenskyj nannte zum Vergleich ukrainische Zahlen, wonach auf der Seite  Russlands bereits 20.000 Soldaten getötet worden seien. Westliche Schätzungen gehen von mehreren Tausend Toten auf russischer Seite aus. Die Führung in Moskau sprach zuletzt von etwa 1350 getöteten Soldaten.

Großbritanniens Premier Boris Johnson darf nicht nach Russland einreisenBild: Matt Dunham/AP/dpa/picture alliance
Präsident Selenskyj: "Es ist eine Tragödie"Bild: Ukrainian Presidential Press Office/AP/picture alliance

Moskaus Sanktionen gegen Großbritannien

Das russische Außenministerium hat ein Einreiseverbot für den britischen Premierminister Boris Johnson erlassen. Auch Außenministerin Liz Truss, Verteidigungsminister Ben Wallace und zehn weitere britische Politiker dürften nicht mehr nach Russland einreisen, teilte das Ministerium in Moskau mit. In Kürze würden weitere Personen auf die Liste gesetzt.

Hintergrund der Maßnahme sei "das beispiellose unfreundliche Vorgehen der britischen Regierung, insbesondere die Verhängung von Sanktionen gegen hochrangige russische Vertreter". Zuletzt hatte London Sanktionen gegen zwei russische Oligarchen verhängt und deren Vermögen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Pfund (zwölf Milliarden Euro) eingefroren. Außenministerin Truss erklärte dazu: "Wir erhöhen den Druck auf die Kriegsmaschinerie von (Kremlchef Wladimir) Putin und zielen auf den Kreis der Menschen, die dem Kreml am nächsten stehen."

Kanzler Olaf Scholz hat mehr Geld für die Ukraine bewilligt - Kiew beklagt, immer noch keine Zusage über schwere Waffen zu habenBild: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Debatte über Waffenlieferungen geht weiter

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz durchgesetzte Aufstockung der militärischen Hilfen um zwei Milliarden Euro stieß in der Ukraine auf Kritik. Botschafter Andrij Melnyk erklärte dazu in der "Welt am Sonntag": "Wir wissen weder vom Umfang weiterer Waffenlieferungen, noch vom Verfahren oder Zeithorizont. Das alles bleibt nach wie vor im Dunklen." Die Regierung in Kiew habe zudem keine Zusage für schwere Waffen erhalten, die die Ukraine am meisten benötige.

Seit Tagen wird in der Regierungskoalition gestritten, ob Deutschland der Ukraine ausreichend hilft. Die Bundesregierung will aus Sicherheitsgründen nicht sagen, welches militärisches Gerät sie der Ukraine schickt. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, der Scholz zuletzt heftig kritisiert hatte, sieht die neue Rüstungshilfe als Anfang. "Die Aufstockung ist ein erster guter Schritt, aber kann die direkte Lieferung von Waffen nicht ersetzen", sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses der "Welt am Sonntag". Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen wertete die angekündigte Aufstockung dagegen als einen Trick. "Das ist ein Vorschlag, der nicht der Ukraine helfen soll, sondern der Koalition, um im Streit über Waffenlieferungen eine gesichtswahrende Lösung zu finden", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Am Freitag war bekannt geworden, dass die Regierung die sogenannte Ertüchtigungshilfe in diesem Jahr von 225 Millionen auf 2 Milliarden Euro deutlich aufstocken will. Mit dem Programm werden Partnerländer in Krisenregionen unterstützt, damit sie in mehr Sicherheit investieren können. Die Ukraine soll davon mehr als eine Milliarde Euro bekommen. 

Flüchtlinge aus der Ostukraine - sie haben es bereits bis nach Lwiw geschafft und wollen weiter nach PolenBild: Joe Raedle/Getty Images

Weitere Fluchtkorridore

Nach ukrainischen Angaben wurden an diesem Samstag insgesamt 1449 Menschen über so genannte  humanitäre Korridore aus ukrainischen Städten evakuiert. Am Vortag waren es insgesamt 2864 gewesen, wie ein Regierungsvertreter im Internet bekanntgab.

In den umkämpften Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine waren nach Angaben der Regierung neun humanitäre Fluchtkorridore eingerichtet worden. Eine Fluchtmöglichkeit gab es für Privatfahrzeuge aus der besonders betroffenen Hafenstadt Mariupol im Gebiet Donezk in Richtung der Stadt Saporischschja, wie Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk in Kiew mitteilte.

Auch aus der zerstörten Stadt Sjewjerodonezk sollten Menschen in Sicherheit gebracht werden. Von einst rund 130.000 Bewohnern sollen dort noch etwa 20.000 leben. Die Ukraine und Russland werfen sich gegenseitig vor, die Flucht von Zivilisten über solche Korridore zu sabotieren. 

Täglich Leichenfunde in der Umgebung von Kiew

Nach Angaben der ukrainischen Polizei wurden in der Region um die Hauptstadt nach dem Rückzug der russischen Truppen mehr als 900 tote Zivilisten entdeckt. Die meisten von ihnen seien erschossen worden. Dies sei ein Hinweis darauf, dass viele Menschen "einfach exekutiert" wurden.

Die Leichen seien auf der Straße liegengelassen oder provisorisch begraben worden, zitiert die Nachrichtenagentur AP den Polizeichef der Region Kiew, Andrey Nebitow. 95 Prozent der Opfer seien an Schusswunden gestorben. Jeden Tag würden weitere Leichen unter Trümmern und in Massengräbern entdeckt, so Nebitow.

Die meisten Toten seien bislang in Butscha gefunden worden. Dort seien die sterblichen Überreste von mehr als 350 Zivilisten entdeckt worden.

Russland verschickt Protestnoten

Die russische Regierung hat wegen Waffenlieferungen an die Ukraine Protestnoten an mehrere westliche Länder gesendet. Darunter seien auch die USA, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, der Agentur Interfax zufolge. Wie die "Washington Post" meldet, warnt die Führung in Moskau in der Protestnote an die US-Regierung, dass solche Waffenlieferungen "unvorhersehbare Folgen" haben könnten.

Abfertigung einer US-Waffenlieferung am Flughafen Kiew (Mitte Februar): Weiterer Nachschub angekündigtBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor sieben Wochen hat die Ukraine Rüstungsgüter aus vielen Ländern bekommen. Die USA hatten am Mittwoch angekündigt, weitere Waffen und Munition im Wert von bis zu 800 Millionen Dollar (740 Millionen Euro) liefern zu wollen. Deutschland will seine Rüstungshilfe an Partnerländer auf zwei Milliarden Euro aufstocken. Von diesem Geld solle mehr als eine Milliarde der Ukraine zugutekommen, heißt es in Berlin.

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

uh/hf/fab/AR/jj (dpa, ap)