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Konflikte

Aktuell: Kiew beklagt Angriffe auf Hafen von Odessa

23. Juli 2022

Symbolträchtig wird jener Hafen beschossen, der eine zentrale Rolle beim Getreideabkommen spielt. Die Ukraine setzt derweil Kampfdrohnen nahe einem russisch besetzten Kernkraftwerk ein. Unser Überblick.

Ukraine | Stadt Odessa | Der Hafen
Der Hafen von Odessa (Archivbild)Bild: Wang Qing/Xinhua News Agency/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russland greift nach ukrainischen Angaben Hafen von Odessa an
  • Kiew bestätigt Einsatz von Kamikaze-Drohnen bei Atomkraftwerk
  • Ukrainische Armee kesselt 1000 russische Soldaten ein
  • USA geben weitere Militärhilfen für Kiew frei
  • Baerbock lehnt Wehrpflicht auch in Kriegszeiten ab

 

Einen Tag nach der Einigung auf eine Wiederaufnahme blockierter Getreidelieferungen aus der Ukraine ist der größte Seehafen des Landes mit Lenkwaffen attackiert worden. "Der Feind hat den Handelshafen von Odessa mit Kalibr-Marschflugkörpern angegriffen. Zwei Raketen trafen die Infrastruktur des Hafens", erklärte Serhij Bratschuk, ein Vertreter der Region Odessa, in Onlinetzwerken. Zwei weitere Flugkörper habe die Luftabwehr abschießen können. Das genaue Ausmaß der Schäden ist noch nicht bekannt.

Russlands Präsident Wladimir Putin habe den Vereinten Nationen und der Türkei damit "ins Gesicht gespuckt", erklärte das Außenministerium in Kiew. Ein Sprecher rief die Vereinten Nationen und die Türkei auf, sicherzustellen, dass Russland seine Zusagen für einen sicheren Getreideexport erfüllt. Die UN und Ankara hatten zwischen Kiew und Moskau ein Abkommen vermittelt, das am Freitag in Istanbul unterzeichnet wurde. Es sieht Korridore für die Getreideexporte aus drei ukrainischen Häfen im Raum Odessa mit abgesicherten Transitrouten im Schwarzen Meer vor. Die Kriegsparteien sagten zu, keine Schiffe auf diesen Routen anzugreifen.

Der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow unterschreibt das Getreide-Abkommen am FreitagBild: REUTERS

Guterres verurteilte nach Angaben eines Sprechers den Angriff und forderte Russland wie auch die Ukraine und die Türkei auf, das Abkommen umzusetzen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wertete den Angriff als Beleg für fehlende Verlässlichkeit Russlands. "Die feigen Raketenangriffe auf den Hafen von Odessa zeigen, dass die Unterschrift der russischen Führung derzeit wenig zählt", sagte Baerbock der Nachrichtenagentur Reuters. 

Die Regelungen sollten unter anderem die Ausfuhr der geschätzten 20 bis 25 Millionen Tonnen Weizen ermöglichen, die durch den Krieg in ukrainischen Silos feststecken. Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit größten Getreideproduzenten. Vor Beginn der russischen Invasion lieferten sie zusammen etwa 30 Prozent des weltweit gehandelten Weizens. Die Nahrungsmittel werden auf dem Weltmarkt - vor allem in Asien und Afrika - dringend benötigt.

"Die Hungernden der Welt können nicht warten"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Vereinbarung am Freitag noch begrüßt. Die einzelnen Punkte des Dokuments entsprächen "voll und ganz den Interessen der Ukraine", sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. "Jetzt können wir nicht nur die Arbeit unserer Häfen am Schwarzen Meer wiederaufnehmen, sondern auch den erforderlichen Schutz für sie aufrechterhalten." Die Vereinigten Staaten hatten eine rasche Umsetzung verlangt. "Die Hungernden der Welt können nicht warten", sagte Außenminister Antony Blinken in Washington.

Das Atomkraftwerk Saporischschja in der Stadt Enerhodar (Archivbild)Bild: Dmytro Smolyenko/imago images

Kiew setzt Kamikaze-Drohnen bei Atomkraftwerk ein

Die Ukraine attackierte unterdessen russische Soldaten nahe dem Atomkraftwerk Saporischschja. "Mit Kamikaze-Drohnen wurde ein Angriff auf eine Zeltstadt und feindliche Technik ausgeführt", teilte der Militärgeheimdienst in Kiew mit. Zerstört worden seien dabei Luftabwehr und ein Mehrfachraketenwerfer des Typs Grad (Hagel). Laut Geheimdienst wurden in der Stadt Enerhodar drei Russen getötet und zwölf verletzt. In einem dazu veröffentlichten Video sind Menschen zu sehen, die vor einer Explosion fliehen.

Zuvor hatte bereits die russische Besatzungsverwaltung des Gebiets Saporischschja über die Attacke mit Drohnen rund 440 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kiew berichtet. Demnach wurden elf Kraftwerksmitarbeiter verletzt, vier davon schwer. Wladimir Rogow, ein Mitglied der russischen Verwaltung, schrieb auf Telegram, dass drei ukrainische "Kamikaze-Drohnen" die Anlage getroffen hätten. Nach seinen Angaben wurde der Reaktorbereich nicht beschädigt. Die Angaben beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das mit sechs Blöcken und einer Leistung von 6000 Megawatt größte Atomkraftwerk Europas wurde von der russischen Armee Anfang März erobert. Über die Hälfte der ukrainischen Elektroenergie wird aus Atomkraft erzeugt. Die Explosion eines Kraftwerksblocks 1986 im damals sowjetischen Kraftwerk Tschernobyl in der Nordukraine gilt als das größte Atomunglück der Geschichte.

Tote bei Angriff in Zentralukraine

Mehr als ein Dutzend russische Raketen haben nach Angaben des örtlichen Gouverneurs Andrij Raikowytsch ein militärisches Flugfeld und Schienenwege in der Region Kirohowrad in der Zentralukraine getroffen. Mindestens zwei Wachleute und ein ukrainischer Soldat seien getötet worden. Rettungskräfte versorgten Verletzte, teilte Raikowytsch auf Telegram mit. In einem kleinen Viertel der regionalen Hauptstadt Kropywnytskyj sei die Stromversorgung ausgefallen.

Ukraine: 1000 russische Soldaten eingekesselt

Im besetzten Gebiet Cherson im Süden der Ukraine sind Angaben aus Kiew zufolge mehr als 1000 russische Soldaten von ukrainischen Streitkräften eingekesselt worden. Unweit der Siedlung Wyssokopillja seien die Russen in eine "taktische Umzingelung" geraten, so der Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Olexij Arestowytsch. Am Donnerstag hätten sie erfolglos einen Durchbruch versucht. Unabhängig überprüfen lassen sich Arestowytschs Aussagen nicht. Eine Bestätigung von russischer Seite gibt es zunächst noch nicht.

Das Bild der russischen Staatsagentur TASS zeigt Soldaten der Brigade Odessa im Raum ChersonBild: Sergei Bobylev/TASS/dpa/picture alliance

Die ukrainische Armee hat bereits vor einiger Zeit die Eroberung des Dorfs Potjomkyne bestätigt. Im Generalstabsbericht war die Rede von russischen Bombardements des Orts. Wyssokopillja wurde darin nicht erwähnt.

Die ukrainische Armee hatte zuletzt mehrere Gegenangriffe auf das Gebiet Cherson gestartet, das russische Soldaten kurz nach Kriegsbeginn weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Auch mit Hilfe westlicher Waffen will die Ukraine verlorene Gebiete zurückerobern. In Cherson protestierte die Bevölkerung in den vergangenen Monaten immer wieder gegen die russischen Besatzer. Es gab auch Anschläge gegen prorussische Verwaltungsmitglieder, die Moskau eingesetzt hat.

Zeitung: Verluste der ukrainischen Armee sinken

Die US-Zeitung "Wall Street Journal" meldet unter Berufung auf Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, die ukrainische Armee erleide mittlerweile deutlich geringere Verluste als noch vor einigen Wochen. Selenskyj habe in einem Interview gesagt, dass derzeit pro Tag rund 30 ukrainische Soldaten getötet würden - im Mai und im Juni seien es zwischenzeitlich 100 bis 200 täglich gewesen.

USA geben weitere Militärhilfen für Ukraine frei

Die USA haben weitere Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von 270 Millionen Dollar bewilligt. Der Sprecher des Weißen Hauses sagte, Präsident Joe Biden habe angesichts der von Russland verübten "Gräueltaten" deutlich gemacht, "dass wir die ukrainische Regierung und das ukrainische Volk so lange unterstützen werden, wie es nötig ist."

Das amerikanische Himars-Raketensystem M142 bei einer Übung (Archivbild)Bild: U.S. Navy/Zumapress/picture alliance

Die Militärhilfe umfasst auch vier neue Raketenwerfer vom Typ Himars. Die Zahl der Himars-Raketenwerfer, die in die Ukraine geschickt werden, erhöhte sich damit auf 20. Die Ukraine bezeichnete die Raketenwerfer, die auf bis zu 80 Kilometer entfernte Ziele schießen können, als entscheidende Waffe im Kampf gegen Russland. Die neu freigegebene Hilfe soll auch 500 Drohnen vom Typ Phoenix Ghosts umfassen, die an ihrem Zielort detonieren. Außerdem werde Artilleriemunition geliefert, sagte der Sprecher. Der Großteil dieser Hilfen stammt aus einem 40-Milliarden-Dollar-Paket für die Ukraine, das der US-Kongress im Mai beschlossen hatte.

Human Rights Watch: Russische Soldaten foltern Zivilisten

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft Russlands Streitkräften Folter von Kriegsgefangenen und Zivilisten in der Ukraine vor. In den südlichen Regionen Cherson und Saporischschja hätten Befragungen Dutzender Personen 42 Fälle offenbart, in denen russische Besatzungstruppen Zivilisten entweder verschwinden ließen oder sie auf andere Weise willkürlich festhielten. Einige hätten keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt, viele seien gefoltert worden. HRW dokumentierte auch die Folterung von drei ukrainischen Kriegsgefangenen, von den zwei danach starben.

"Russische Truppen haben die besetzten Gebiete der Südukraine in einen Abgrund der Angst und wilden Gesetzlosigkeit verwandelt", erklärte Yulia Gorbunova, die leitende Ukraine-Forscherin bei Human Rights Watch. Bei Folter, unmenschlicher Behandlung sowie willkürlicher und rechtswidriger Inhaftierung von Zivilisten handele es sich um offensichtliche Kriegsverbrechen. "Die russischen Behörden müssen solche Misshandlungen sofort beenden und verstehen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden."

Baerbock lehnt Wehrpflicht auch in Kriegszeiten ab

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock lehnt eine Wehrpflicht in Deutschland ungeachtet des russischen Angriffskrieg in der Ukraine klar ab. Sie glaube nicht, dass es für die Sicherheit - auch mit Blick auf die hoch spezialisierten Zeiten - sinnvoll sei, Menschen für die Bundeswehr oder einen Ersatzdienst zu verpflichten, die das vielleicht gar nicht wollten, sagte die Grünen-Politikerin bei einer Fragerunde in München.

Außenministerin Annalena Baerbock (Archivbild)Bild: REUTERS

"Erst recht nicht, wenn wir in einer Situation sind, wo wahnsinnig viele Menschen - jüngere, aber auch ältere - sagen: Wir wollen uns freiwillig engagieren." Die Ministerin verwies darauf, dass es in Deutschland Bundesfreiwilligenprogramme gebe und die finanziellen Mittel nicht reichten, um jedem, der sich engagieren wolle, das auch zu ermöglichen. 

jj/qu/kle/cw (afp, dpa, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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