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Politik

Aktuell: Lage nach russischen Angriffen "kritisch"

18. Oktober 2022

Russland hat seine Drohnen- und Raketenangriffe auf Kraftwerke in der Ukraine fortgesetzt. Russen sind laut UN für die meisten Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlich. Ein Überblick.

Ukraine Kiew | Raketenangriff | Wärmekraftwerk
Brand in einem Elektrizitätswerk in Kiew: 30 Prozent der Kraftwerke im Land wurden in den vergangenen Tagen zerstörtBild: State Emergency Service of Ukraine via REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Neue Raketen- und Drohnenangriffe in der Ukraine 
  • 30 Prozent der Elektrizitätswerke zerstört
  • UN-Ermittler legen Russen Kriegsverbrechen zur Last
  • Ukraine und Russland tauschen fast 220 Gefangene aus
  • 14 Tote bei Absturz eines Kampfjets in Russland

 

Russland hat mit neuen Raketen- und Drohnenangriffen auf die Ukraine im ganzen Land Luftalarm ausgelöst. Die Behörden in vielen Regionen - darunter Charkiw, Dnipropetrowsk und Mykolajiw - meldeten eine aktive Luftverteidigung. Vielerorts schlugen dennoch Raketen ein. Auch in der Hauptstadt Kiew berichtete Bürgermeister Vitali Klitschko von neuen Explosionen. Kyrylo Tymoschenko, der stellvertretende Leiter des Präsidialamtes, teilte mit, es habe drei russische Angriffe auf "kritische Energie-Infrastruktur" gegeben. Laut Behördenangaben wurden zwei Menschen in Kiew getötet.

30 Prozent der Elektrizitätswerke in einer Woche zerstört

"Die Lage ist jetzt im ganzen Land kritisch", hieß es am Dienstag aus dem Präsidialamt in Kiew. Laut Staatschef Wolodymyr Selenskyj zerstörte Russland binnen einer Woche 30 Prozent der ukrainischen Elektrizitätswerke. Laut den staatlichen Notfalldiensten waren am Dienstag mehr als 1100 Orte ohne Strom.

Der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Kyrylo Timoschenko, schilderte die "kritische" Lage seines Landes im ukrainischen Fernsehen. Die ganze Ukraine müsse sich nun auf Ausfälle der Strom- und Wasserversorgung sowie von Heizungen vorbereiten, warnte er.

Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt

Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen hat den russischen Truppen in der Ukraine Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Im untersuchten Zeitraum von Ende Februar bis März fanden die Ermittler in vier Regionen, die unter russischer Besatzung waren, Beweise für Exekutionen, willkürliche Inhaftierungen, Folter, Misshandlung und sexuelle Gewalt, heißt es in einem Bericht, der an die UN-Vollversammlung in New York übermittelt wurde. 

Zudem seien Menschen nach Russland verschleppt worden. Viele gelten den Angaben zufolge noch immer als vermisst. Der UN-Menschenrechtsrat erklärte in einer Zusammenfassung des Berichts: "Russische Streitkräfte sind für die überwiegende Mehrheit der festgestellten Verstöße, einschließlich Kriegsverbrechen, verantwortlich." Auch die ukrainischen Streitkräfte haben in einigen Fällen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen, darunter zwei Vorfälle, die als Kriegsverbrechen einzustufen seien.

Selenskyj bittet um mehr Luftabwehr-Systeme

Angesichts der gehäuften russischen Luftangriffe hat der ukrainische Präsident die Staatengemeinschaft um mehr und bessere Waffen zur Luftabwehr gebeten. In seiner täglichen Videobotschaft wies Selenskyj darauf hin, dass bei den russischen Angriffen vom Montag allein in Kiew vier Menschen getötet worden seien, darunter ein junges Paar mit einer schwangeren Frau.

Die Anstrengungen der vergangenen Monate sind Präsident Selenskyj ins Gesicht geschriebenBild: Ukrainisches Präsidialamt

Selenskyj betonte: "Wenn wir über Luftabwehr reden, dann reden wir über reale Menschenleben", sagte er. "Das ist nicht nur im Interesse der Ukraine. Je geringer die terroristischen Möglichkeiten Russlands sind, desto schneller endet dieser Krieg."

Baerbock: Waffen für Ukraine Bestandteil deutscher Verlässlichkeit

Außenministerin Annalena Baerbock sieht die Waffenlieferungen für die Ukraine auch als wichtigen Beitrag, um Zweifel an der internationalen Verlässlichkeit Deutschlands zu zerstreuen. Deutschland werde die Ukraine weiterhin intensiv auch mit Waffen unterstützen, sagte die Grünen-Politikerin beim Forum Außenpolitik der Körber-Stiftung in Berlin. 

Annalena Baerbock spricht beim Berliner Forum Außenpolitik Bild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Baerbock appellierte angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine nochmals an den europäischen Zusammenhalt. Solidarität sei kein Selbstzweck, sondern Grundlage für die gemeinsame  Sicherheitspolitik von EU und NATO.

Scharfe Kritik der USA 

Die USA haben die jüngsten Angriffe Russlands auf die ukrainische Hauptstadt Kiew und andere Orte in der Ukraine scharf verurteilt. Sie demonstrierten aufs Neue die Brutalität des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. "Wir werden das ukrainische Volk weiterhin unterstützen und dafür sorgen, dass es das hat, was es braucht, um seinen mutigen Kampf fortzusetzen", sagte sie. Die USA hatten zuletzt neue Militärhilfe für die Ukraine mit einem Volumen von bis zu 725 Millionen Dollar (745,6 Millionen Euro) angekündigt.

Vorwürfe an den Iran

Russland hatte erst am Montag die Ukraine mit Angriffen überzogen. Bei Drohnenangriffen auf die Millionenstadt Kiew waren vier Menschen getötet worden. Abends gab es Luftalarm auch über den südlichen Gebieten Mykolajiw und Odessa. In Odessa waren Explosionen zu hören. Im zentralukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk wurde nach Behördenangaben ein Gebäude der Energieversorgung getroffen. "Es brach ein Brand aus, die Schäden sind groß", schrieb Gouverneur Mykola Lukaschuk.

Neben Raketen setzte Moskau dieses Mal verstärkt auf Kampfdrohnen. Die USA werfen dem Iran vor, Russland solche Drohnen zu liefern. Jean-Pierre wiederholte, dass es "umfangreiche Beweise" für den Einsatz von Waffen aus dem Iran durch Russland gegen militärische und zivile Ziele gebe. 

Die USA würden weiterhin energisch Sanktionen gegen russisch-iranischen Waffenhandel durchsetzen, fügte Jean-Pierre hinzu. Das US-Außenministerium zeigte sich überzeugt, dass der Iran mit der Lieferung von Drohnen an Russland gegen Embargo-Maßnahmen gemäß der UN-Resolution 2231 verstoße.

Ukraine und Russland tauschen fast 220 Gefangene aus

Russland und die Ukraine haben einen der bisher größten Gefangenenaustausche seit Kriegsbeginn ausgeführt. Insgesamt kamen 218 Gefangene frei, wie Behörden beider Seiten mitteilten. 108 gefangene ukrainische Soldatinnen und Zivilistinnen kehrten in ihre Heimat zurück, wie das Präsidialamt in Kiew bekanntgab. Einige der Frauen waren nach ukrainischen Angaben seit 2019 inhaftiert, nachdem sie von russlandtreuen Kräften in östlichen Regionen der Ukraine festgenommen worden waren. Bei 37 Freigelassenen handele es sich um Frauen, die nach wochenlangem Widerstand im Stahlwerk Asowstal in Mariupol in Gefangenschaft geraten waren. Das erklärte der ukrainische Präsidentenberater Andrij Jermak auf Online-Plattformen.

Freigelassene ukrainische Kriegsgefangene versammeln sich für ein GruppenfotoBild: Andriy Yermak/Head of Ukraine's Presidential Office/REUTERS

Das russische Verteidigungsministerium und die pro-russischen Separatisten in Donezk bestätigten die Heimkehr von 110 Kämpfern. Dazu zählten 72 russische Seeleute von zivilen Schiffen, die seit Beginn des Krieges im Februar in der Ukraine festgehalten worden seien. Bereits in der vergangenen Woche hatten beide Seiten zweimal einige Dutzend gefangene Soldaten ausgetauscht. Bei einer Aktion Ende September hatten die von Russland kontrollierten Separatisten in Donezk auch zehn ausländische Gefangene freigelassen.

Tausende russische Soldaten werden in Belarus stationiert

Für einen gemeinsamen Militärverbund von Belarus und Russland sollen nach Angaben aus Minsk bis zu 9000 russische Soldaten und rund 170 Panzer in Belarus stationiert werden. Neben dieser "Gesamtzahl" russischer Soldaten werde Russland auch "etwa 170 Panzer, bis zu 200 gepanzerte Fahrzeuge und bis zu 100 Waffen und Mörser mit einem Kaliber über 100 Millimeter" nach Belarus entsenden, teilte der Berater des belarussischen Verteidigungsministeriums, Valeri Rewenko, mit.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte in der vergangenen Woche die Aufstellung eines gemeinsamen Militärverbundes mit Russland bekanntgegeben. Die Aussage hatte Befürchtungen ausgelöst, belarussische Soldaten könnten gemeinsam mit der russischen Armee im Osten der Ukraine eingesetzt werden.

Der belarussische Machthaber Lukaschenko bei einem Treffen mit OffizierenBild: Nikolai Petrov/AP/BeiTA/picture alliance

Lukaschenko beschuldigte Polen, Litauen und die Ukraine, belarussische Radikale auszubilden, "um Sabotage und Terroranschläge zu verüben und eine militärische Meuterei im Lande zu organisieren". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Russland vorgeworfen, "Belarus direkt in diesen Krieg hineinziehen" zu wollen, und eine internationale Beobachtermission für die ukrainisch-belarussische Grenze gefordert.

Belarus ist finanziell und politisch auf Russland als seinen wichtigsten Verbündeten angewiesen. Vor Beginn des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine hatte Lukaschenko russischen Truppen erlaubt, in Belarus aufzumarschieren. Belarussische Soldaten nahmen bislang jedoch nicht an der Offensive in der Ukraine teil.

Zwei leitende Mitarbeiter des Atomkraftwerks Saporischschja festgenommen

Der Betreiber des südukrainischen Atomkraftwerkes Saporischschja wirft Russland vor, zwei führende Mitarbeiter der besetzten Anlage verschleppt zu haben. Man wisse nicht, wo sich die beiden aufhielten und wie es ihnen gehe, teilte Energoatom auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. Es handele sich um den Leiter der IT-Abteilung, Oleh Kostjukow, und um den Assistenten des AKW-Direktors, Oleh Oschek, erklärte der Staatskonzern. Die beiden seien am Montag festgenommen worden. Das Kernkraftwerk steht seit geraumer Zeit unter russischer Kontrolle, wird aber weiterhin vom ukrainischen Personal betrieben. In der Region halten die Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Einheiten an. Dabei ist das Gelände des größten Atomkraftwerkes in Europa wiederholt getroffen worden.

14 Tote bei Absturz eines Kampfjets in Russland

Nach dem Absturz eines russischen Kampfflugzeugs in einem Wohngebiet in Jejsk im Süden Russlands ist die Zahl der Toten auf 13 gestiegen. Unter ihnen seien auch drei Kinder, teilten die Behörden mit. 19 Personen seien verletzt worden. Die Stadt Jejsk am Asowschen Meer liegt in der Nähe der Ukraine.  

Das Videobild zeigt das brennende Haus nach dem Flugzeugunglück in JejskBild: TASS/dpa/picture alliance

Die Maschine vom Typ Suchoi-34 war am Montagabend in den Hof eines Wohnkomplexes gestürzt, woraufhin der Treibstoff des Jets in Brand geriet. Das Feuer habe auf ein Wohngebäude übergegriffen und dort fünf von neun Stockwerken mit einer Fläche von etwa 2000 Quadratmetern erfasst, erklärte das Katastrophenschutzministerium. Inzwischen wurde der Brand gelöscht. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums konnten sich die Piloten des Kampfflugzeugs mit dem Schleudersitz retten. Demnach waren sie zu einem Trainingsflug gestartet. Ein technisches Problem habe dazu geführt, dass ein Triebwerk der Maschine beim Start in Brand geraten sei.

uh/sti/se/kle/haz/fw (rtr, dpa, afp)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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