Aktuell: Moskau verbietet Biden und Blinken die Einreise
15. März 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Russland verhängt Einreiseverbot gegen US-Präsident Biden
- NATO beruft Sondergipfel ein
- Attacken auf Wohnhäuser in Kiew
- Drei EU-Regierungschefs reisen in die Ukraine
- Zahl der Flüchtlinge überschreitet Drei-Millionen-Marke
Als Reaktion auf US-Sanktionen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verhängt Moskau nun seinerseits Einreiseverbote gegen US-Präsident Joe Biden und andere US-Regierungsmitglieder. Das russische Außenministerium veröffentlichte eine "schwarze Liste" mit 13 Namen, darunter Außenminister Antony Blinken, Verteidigungsminister Lloyd Austin, Bidens Sicherheitsberater Jacob Sullivan und die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. Auch Ex-Außenministerin Hillary Clinton steht auf der "Stop-List".
Das Außenministerium in Moskau betonte, es handele sich um eine Antwort auf die beispiellosen US-Sanktionen, die ranghohen russischen Regierungsmitgliedern die Einreise in die USA verbieten. Allerdings gilt der Schritt eher als symbolisch. Die USA hatten zuvor den russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen Außenminister Sergej Lawrow sowie weitere Regierungsmitglieder und wichtige Helfer persönlich sanktioniert.
NATO-Sondergipfel in der kommenden Woche
Inzwischen leitete die Regierung in Moskau auch das offizielle Verfahren zum Austritt aus dem Europarat ein. Dieser hatte Russlands Mitgliedschaft wegen des Angriffs auf die Ukraine Ende Februar vorübergehend ausgesetzt. Der Europarat, der nicht zur EU gehört, wacht über die Einhaltung der Menschenrechte in seinen 47 Mitgliedstaaten.
Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten werden in der kommenden Woche zu einem Sondergipfel zusammenkommen. Das Treffen soll am 24. März in der Bündniszentrale in Brüssel organisiert werden, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mitteilte. Für den gleichen und den folgenden Tag ist ein EU-Gipfel anberaumt. An beiden Treffen will auch Biden teilnehmen, wie das Weiße Haus bestätigte.
Mehrere Tote bei Attacken in Kiew
In der Ukraine dauern die Kämpfe unvermindert an. Bei russischen Angriffen auf Wohngebiete in Kiew sind nach jüngsten Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj mindestens fünf Menschen getötet worden. Eine der Attacken habe ein 16-stöckiges Wohnhaus im Stadtteil Swjatoschyn im Westen der ukrainischen Hauptstadt getroffen, teilte der Rettungsdienst im Onlinedienst Facebook mit.
Zuvor hatten Rettungskräfte von einem Angriff auf ein etwa zehnstöckiges Gebäude im Stadtteil Podil berichtet. Dieser löste den weiteren Angaben zufolge einen Brand in den ersten fünf Stockwerken des Wohngebäude aus. Auch im Viertel Osokorky im Südosten von Kiew wurde ein Wohnhaus getroffen. Auf von Rettungskräften veröffentlichten Bildern war ein zweistöckiges Haus mit verrußter Fassade und geborstenen Fenstern zu sehen, aus dem Rauch aufstieg.
Journalisten von Fox News tödlich verletzt
In der Nähe der Hauptstadt wurde zwei Journalisten von Fox News getötet. Pierre Zakrzewski und Oleksandra Kuvshinova waren am Montag mit dem Korrespondenten Benjamin Hall in Horenka unterwegs gewesen, als ihr Fahrzeug unter Beschuss geriet , wie der US-Sender mitteilte. Erst am Wochenende war der US-Journalist Brent Renaud ukrainischen Angaben zufolge von russischen Soldaten beschossen und getötet worden. Seit Kriegsbeginn hätten auch zwei ukrainische Reporter durch russische Angriffe ihr Leben verloren, schrieb die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, auf Telegram.
Klitschko verhängt 35-stündige Ausgangssperre
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ordnete inzwischen eine 35-stündige Ausgangssperre an. Diese trat am Dienstagabend (19.00 Uhr MEZ) in Kraft; sie dauert bis Donnerstagmorgen (6.00 Uhr MEZ). Auf Telegram sprach Klitschko von einem "schwierigen und gefährlichen Moment" für die ukrainische Hauptstadt. "Sich ohne spezielle Genehmigung in Kiew zu bewegen, ist verboten", so Klitschko. "Nach draußen zu gehen ist nur erlaubt, um zu den Schutzräumen zu gehen."
Die russische Armee versucht derzeit, Kiew einzukesseln. In der Hauptstadt befindet sich nach wie vor die Hälfte der einst drei Millionen Einwohner. Sie können die Stadt nur noch in Richtung Süden verlassen. Vor allem in den nordwestlich gelegenen Vororten hatten sich die Kämpfe zwischen der russischen und der ukrainischen Armee in den vergangenen Tagen stark intensiviert.
Nun 19 Todesopfer bei Riwne
Nach einem russischen Luftangriff auf einen Fernsehturm bei der Großstadt Riwne am Montag ist die Zahl der Toten auf mindestens 19 gestiegen. Das teilte der Gouverneur der nordwestlichen Region Riwne, Witalij Kowal, mit. Am Montag hatte Kowal kurz nach dem Angriff von neun Toten und neun Verletzten gesprochen und erklärt, weitere Personen befänden sich noch unter den Trümmern. Getroffen wurde bei dem Angriff im Ort Antopil neben dem Fernsehturm auch ein nahe gelegenes Verwaltungsgebäude.
Die russischen Truppen nahmen auch den Flughafen der Stadt Dnipro in der Ostukraine unter Beschuss und zerstörten ihn weitgehend. Dnipro ist eine Industriestadt mit rund einer Millionen Einwohnern. Sie liegt am gleichnamigen Fluss (deutsch: Dnepr). Alle Aussagen der Kriegsparteien lassen sich derzeit nicht unabhängig prüfen.
Morawiecki, Fiala und Jansa reisen nach Kiew
Die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien fuhren mit dem Zug nach Kiew, um mit dem ukrainischen Präsidenten und Ministerpräsident Denys Schmyhal über die Lage zu beraten. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, dessen Stellvertreter Jaroslaw Kaczynski sowie Tschechiens Regierungschef Petr Fiala und dessen slowenischer Amtskollege Janez Jansa wollen nach eigener Aussage Unterstützung für die Ukraine signalisieren. Zugleich würden sie ein Paket mit konkreter Hilfe für das Land vorlegen, in dem "Freiheit gegen eine Welt der Tyrannei" ankämpfe, wie Morawiecki auf Twitter schrieb.
Die Entscheidung für eine solche Visite sei schon bei dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU im französischen Versailles am Freitag gefallen, die Führung in Warschau habe sie unter strengster Geheimhaltung vorbereitet, sagte ein polnischer Regierungssprecher.
Kriegsgegnerin nach TV-Protest vor Gericht
Eine Kriegsgegnerin, die im russischen Staatsfernsehen für eine Unterbrechung der abendlichen Hauptnachrichtensendung gesorgt hatte, wurde inzwischen zu 30.000 Rubel (226 Euro) Geldstrafe verurteilt. Während der Live-Übertragung sprang die 44-Jährige plötzlich hinter der Studiomoderatorin ins Bild und hielt ein Plakat mit der Aufschrift hoch: "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen." Dazu rief sie mehrmals laut: "Nein zum Krieg, Nein zum Krieg, Nein zum Krieg!" Anschließend brach die Übertragung ab und es wurden Bilder aus einem Krankenhaus gezeigt.
Die Aktivistin Marina Owssjannikowa ist Mitarbeiterin des betroffenen "Kanal 1". Ihre Mutter stamme aus Russland, ihr Vater aus der Ukraine, hieß es. In Russland ist es Medien verboten, den russischen Einmarsch in die Ukraine als "Krieg" zu benennen. Stattdessen ist offiziell von einer "militärischen Spezialoperation" die Rede.
Selenskyj hält Russland Kriegsverbrechen vor
Der ukrainische Präsident Selenskyj will die Schuldigen für die Kriegshandlungen in seinem Land ohne Nachsicht zur Rechenschaft ziehen. "Jeder, der für den Krieg verantwortlich ist. Jeder, der für die Zerstörung der Demokratie verantwortlich ist. Jeder, der für Repressionen gegen Menschen verantwortlich ist. Jeder bekommt eine Antwort", sagte Selenskyj in einer neuen Videobotschaft. Das russische Militär sei definitiv verantwortlich für Kriegsverbrechen, für eine "bewusst geschaffene humanitäre Katastrophe" in ukrainischen Städten. Russland beginne zu erkennen, dass es mit dem Krieg nichts erreichen werde. "Einen solchen Widerstand hatten sie nicht erwartet."
Die russischen Soldaten rief Selenskyj auf, die Waffen niederzulegen. Aus abgehörten Telefonaten mit ihren Familien zuhause wisse man, was viele "wirklich über diesen Krieg" denken. "Ich weiß, ihr wollt überleben." Er sei jenen Russen dankbar, "die nicht aufhören, die Wahrheit zu sagen", erklärte Selenskyj unter Verweis auf Anti-Kriegs-Proteste in Russland.
Mehr als drei Millionen Menschen geflohen
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp drei Wochen sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration mehr als drei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Fast die Hälfte von ihnen sind demnach Kinder. 157.000 Flüchtlinge seien Drittstaatsangehörige, teilte die UN-Organisation mit.
"Im Schnitt sind in den vergangenen 20 Tagen täglich mehr als 70.000 Kinder in der Ukraine zu Flüchtlingen geworden", sagte der Sprecher des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, James Elder. Mit Blick auf "Geschwindigkeit und Ausmaß" handele es sich um die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
In Deutschland wurden bislang mehr als 160.000 Neuankömmlinge aus der Ukraine registriert. Tatsächlich könne die Zahl noch deutlich höher sein, teilte das Bundesinnenministerium mit. Denn an der deutsch-polnischen Grenze gebe es keine regulären Kontrollen, und Menschen mit ukrainischem Pass könnten sich zunächst für 90 Tage frei in der EU bewegen.
"26 humanitäre Korridore eingerichtet"
Seit Kriegsbeginn sind nach ukrainischen Angaben fast 150.000 Zivilisten aus von russischen Truppen belagerten Gebieten in Sicherheit gebracht worden. "Wir haben 26 humanitäre Korridore eingerichtet", teilte die Präsidialverwaltung in Kiew mit. Dies betreffe unter anderem die Gebiete um Kiew, Sumy, Charkiw und Saporischschja. Auch in den von pro-russischen Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Luhansk habe es Evakuierungsaktionen gegeben.
Hilfsgüter kommen nicht nach Mariupol durch
Abermals scheiterte jedoch ein Versuch, die Stadt Mariupol im Südosten zu evakuieren. Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk erklärte, Konvois von Privatwagen reichten hierfür nicht aus. Dem Stadtrat von Mariupol zufolge konnten bis Dienstagmittag rund 2000 Autos die Hafenstadt im Südosten der Ukraine verlassen. Weitere 2000 Fahrzeuge stünden zur Abfahrt bereit.
Laut der Regierung gibt es - wie schon bei vorigen Versuchen - Probleme bei der Lieferung von Hilfsgütern nach Mariupol. Ein Versorgungskonvoi stecke im nahe gelegenen Berdjanks fest, sagte Wereschtschuk. Die stellvertretende Direktorin des Roten Kreuzes in der Ukraine, Olena Stokoz, sagte der Deutschen Welle, Mitarbeiter der Organisation könnten aufgrund der "katastrophalen Sicherheitslage" nicht in die belagerte Hafenstadt gelangen.
Guterres richtet Appell an Putin
UN-Generalsekretär António Guterres rief den russischen Präsidenten Putin zu ernsthaften Friedensverhandlungen auf. Der von Russland begonnene Krieg werde zum absoluten Alptraum, erklärte Guterres in New York. Er verurteilte insbesondere Angriffe auf Zivilisten, Wohngebäude, Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Infrastruktur in der Ukraine.
Delegationen Russlands und der Ukraine führten bereits mehrere Gespräche über einen Waffenstillstand, bisher allerdings ohne greifbares Ergebnis. An diesem Dienstag wurden die Verhandlungen fortgesetzt, wie die ukrainische Seite bestätigte.
Ukraine-Krieg führt zu "Schock" in Afrika
Der Direktor des UN-Welternährungsprogramms (WFP), David Beasley, warnte mit drastischen Worten vor einer Hungerkrise globalen Ausmaßes durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Es drohe ein "schwerer Sturm". Durch ausbleibende Nahrungsmittelexporte aus Russland und der Ukraine sowie stark steigende Preise erlebten die Länder Nordafrikas zwischen dem Atlantik und dem Roten Meer derzeit einen Schock, sagte Beasley der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Während der Getreidepreissteigerungen 2011 habe es damals in der Region 90 Aufstände in Folge der gestiegenen Brotpreise gegeben. "Jetzt ist es noch schlimmer, denn die Länder sind wegen COVID, wegen der Kriege und des Terrors durch den IS, Al-Kaida und Boko Haram sowie wegen des Klimawandels in einer viel schlechteren Verfassung."
Beasley fügte hinzu: "Wenn Sie glauben, dass die syrische Flüchtlingskrise ein Problem war - ein Land mit 21 Millionen Menschen - dann denken Sie daran, dass in der weiteren Sahelzone 500 Millionen Menschen leben. Das könnte die syrische Flüchtlingskrise wie ein Picknick im Park aussehen lassen."
Russland kündigt Angriffe auf "Söldner der Ukraine" an
Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es werde weitere Angriffe gegen mutmaßliche Aufenthaltsorte ausländischer Kämpfer in der Ukraine geben. Sprecher Igor Konaschenkow sagte, eine Reihe westlicher Länder fördere "auf staatlicher Ebene die Teilnahme ihrer Bürger als Söldner der Ukraine an Feindseligkeiten gegen russische Truppen". Russlands Militär hatte am Sonntag in der Westukraine nahe der polnischen Grenze die Militärbasis Jaworiw attackiert und dabei eigenen Angaben zufolge "bis zu 180 ausländische Söldner" getötet. Die Führung in Kiew sprach später von "purer russischer Propaganda". Bei dem Angriff seien 35 Menschen ums Leben gekommen.
Russland kündigte auch Attacken auf ukrainische Waffenfabriken an. Man werde "Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes der Ukraine außer Gefecht setzen, die Waffen herstellen, reparieren und wiederherstellen, die von Nationalisten für Kriegsverbrechen verwendet werden". Zivilisten wurden aufgefordert, die Umgebung der Fabriken zu verlassen.
"Kein Getue" bei Kooperation auf ISS
Die US-Raumfahrtbehörde NASA ist trotz des Ukraine-Krieges weiterhin zur Zusammenarbeit mit Russland in Hinblick auf die Internationale Raumstation ISS bereit. "Wir arbeiten seit mehr als 20 Jahren zusammen und wir werden das weiter so machen", sagte der bei der NASA für die ISS zuständige Manager Joel Montalbano.
Auch die für Ende März anvisierte Rückkehr des US-Astronauten Mark Vande Hei gemeinsam mit den Kosmonauten Anton Schkaplerow und Pjotr Dubrow in einer russischen Sojus-Raumkapsel werde wie geplant stattfinden. "Wir sind dazu in Kommunikation mit unseren russischen Kollegen, es gibt da kein Getue", so Montalbano. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos betonte, der sichere Betrieb der ISS habe oberste Priorität. In der Raumstation hält sich derzeit auch der deutsche Astronaut Matthias Maurer auf.
jj/uh/sti/kle/wa/rb (dpa, afp, rtr, kna, epd)
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