1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteUkraine

Aktuell: Große Schäden nach russischen Raketenangriffen

22. Oktober 2022

Das russische Militär beschießt erneut kritische Infrastruktur in der Ukraine mit Raketen. Verteidigungsministerin Lambrecht spricht am Dienstag mit Regierungschef Schmyhal über weitere Waffenlieferungen. Der Überblick.

Ukraine | Krieg | Angriffe auf Infrastruktur
Der Telegram-Kanal des ukrainischen Präsidenten zeigt dieses Foto einer russischen Attacke auf eine Infrastruktur-AnlageBild: EPA-EFE/TELEGRAM/V ZELENSKIY OFFICIAL HA

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Schwere Schäden an ukrainischer Infrastruktur durch neue Raketenangriffe
  • Baldige Gespräche über mögliche neue deutsche Waffenlieferungen in Berlin
  • Selenskyj: Russland behindert Getreideexport
  • Sorge um Staudamm im Süden der Ukraine
  • Deutschland will Kriegsverbrecher-Verfolgung unterstützen

 

Bei den Raketenangriffen seien mehrere Energieanlagen getroffen worden, meldete das ukrainische Versorgungsunternehmen Ukrenergo. Beamte in mehreren Regionen berichteten von Stromausfällen. Nach Angaben des ukrainischen Präsidialamtes sind hiervon mehr als eine Million Haushalte betroffen. Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "massiven Angriff", bei dem Russland 36 Raketen abgefeuert habe.

Das Ausmaß der Schäden sei "mit den Folgen der Angriffe vom 10. bis 12. Oktober vergleichbar oder könnte diese sogar noch übertreffen", erklärte Ukrenergo in Online-Netzwerken. Bisher seien rund 670.000 Stromkunden in der Region Chmelnyzkyji von der Versorgung abgekoppelt, teilte der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Kyrylo Timoschenko, mit. Auch aus sechs weiteren Regionen meldete er teils Hunderttausende Haushalte ohne Elektrizität.

Ein ukrainischer Elektriker versucht, eine beschädigte Stromleitung im Raum Charkiw zu reparierenBild: Clodagh Kilcoyne/REUTERS

Russland hatte Anfang vergangener Woche Städte im ganzen Land massiv angegriffen und dabei vor allem auf die Infrastruktur zur Energieversorgung abgezielt. Erstmals seit Monaten wurden auch die Hauptstadt Kiew und die westukrainische Stadt Lwiw wieder getroffen. Danach wurde zeitweise die Stromversorgung rationiert. Ukrenergo-Chef Wolodymyr Kudritskyji teilte mit, dass die Ukrainer ihren Stromverbrauch überdies in manchen Landesteilen und an manchen Tagen freiwillig um fünf bis zu 20 Prozent verringert hätten. Das Unternehmen rief zugleich die Bürger nochmals auf, Strom zu sparen. So sollten unnötige Lichtquellen ausgeschaltet und Waschmaschinen nur nachts betrieben werden.

Baldige Gespräche über deutsche Waffenlieferungen in Berlin

Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums teilte mit, dass die Ressortchefin Christine Lambrecht am Dienstag in Berlin mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal zusammentreffen wird. Es sei davon auszugehen, "dass auch die weitere militärische Unterstützung durch Deutschland Gesprächsgegenstand" sein werde.

Der ukrainische Ministerpräsidenten Denys Schmyhal war bereits im September in BerlinBild: Anna Savchuk/DW

Schmyhal hatte Deutschland zuvor gebeten, innerhalb weniger Tage neue Munition zur Abwehr russischer Luftangriffe zu liefern. Er verwies dabei in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" auch auf das neu gelieferte deutsche Flugabwehr-Raketensystem Iris-T SLM. Dieses habe "schon sehr, sehr viele Menschenleben gerettet". Allerdings warte die Ukraine "ungeduldig" auf neue Munition, die das Land "jetzt schon" brauche. Zudem bat Schmyhal um Störsender, um von Russland eingesetzte ferngesteuerte Drohnen abzuwehren.

Präsident Selenskyj beklagt Stau beim Getreideexport

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zunehmende Probleme bei den im Juli mit Russland vereinbarten Getreideexporten über das Schwarze Meer beklagt. Es gebe einen künstlichen Stau von 150 Schiffen, weil Russland absichtlich deren Passage verhindere, sagte Selenskyj in einer neuen Videobotschaft. Wegen der Verzögerungen habe die Ukraine bislang drei Millionen Tonnen Getreide weniger als erwartet exportieren können. Dies sei genug, um zehn Millionen Menschen ein Jahr lang zu ernähren.

Ein Frachter vor dem Hafen von OdessaBild: Yulii Zozulia/Photoshot/picture alliance

"Der Feind tut alles, um unsere Lebensmittelexporte zu verlangsamen", meinte Selenskyj. Nach seiner Darstellung will der Kreml damit erreichen, dass Hunderttausende Menschen aus Hunger die Flucht antreten und etwa in der Türkei oder in der Europäischen Union Asyl suchen.

Einwohner müssen Cherson verlassen

In Cherson versah die Verwaltung der Besatzungsmacht einen bereits erfolgten Evakuierungsaufruf mit erhöhter Dringlichkeit. Alle Bewohner müssten die südlich gelegene Stadt noch an diesem Samstag verlassen und auf das linke Ufer des Flusses Dnipro übersetzen, hieß es.

Die Anordnung der prorussischen Behörden kommt einer Zwangsumsiedlung von Ukrainern auf russisch kontrolliertes Gebiet gleich. Begründet wurde sie mit der angespannten Lage an der Front, einer erhöhten Gefahr von Bombardierungen und einer angeblichen "Bedrohung durch terroristische Anschläge". Die Besatzer stehen in der völkerrechtswidrig annektierten Region angesichts einer Gegenoffensive der ukrainischen Armee unter Druck.

Sorge um Staudamm im Süden der Ukraine

Kiew hatte zuvor eine internationale Beobachtermission am Staudamm des Wasserkraftwerks Kachowka nahe Cherson gefordert. "Wir rufen die UN, die EU und andere Organisationen auf, eine Beobachtungsmission für Kachowka zu organisieren", so der ukrainische Regierungschef Schmyhal. Internationale Experten sowie ukrainisches Personal müssten sich umgehend vor Ort begeben, verlangte er.

Die Ukraine beschuldigt die russischen Streitkräfte, den Staudamm vermint zu haben. Russland wolle den 30 Meter hohen und mehr als drei Kilometer breiten Damm zerstören, um mit einer Flutwelle eine ukrainische Gegenoffensive in Cherson zu stoppen, hieß es.

Die Region war kürzlich von Russland völkerrechtswidrig annektiert worden. Die von der Regierung in Moskau eingesetzte Verwaltung Chersons wies die ukrainischen Vorwürfe zurück.

Lesen Sie dazu auch: Cherson: Verliert Russland seinen Brückenkopf?

Russische Behelfsbrücke über Dnipro-Fluss

Russland hat nach britischen Geheimdiensterkenntnissen eine schwimmende Behelfsbrücke über den ukrainischen Dnipro-Fluss fertiggestellt, um seine Truppen versorgen zu können. Die Brücke diene als Ersatz für die benachbarte zerstörte Antoniwskyj-Brücke, hieß es im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Die Flussüberquerung ist von zentraler Bedeutung für die Versorgung russischer Truppen in der besetzten südukrainischen Großstadt Cherson. 

Ukrainischer Regierungschef warnt vor Massenflucht

Ministerpräsident Schmyhal befürchtet nach eigenen Worten eine Massenflucht aus seiner Heimat, falls die russischen Truppen weiterhin gezielt zivile Infrastruktur zerstören sollten. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Schmyhal: "Sie wollen unserer Bevölkerung im Winter den Strom, das Wasser und die Heizung wegnehmen. Sie wollen die Ukraine in eine humanitäre Katastrophe stürzen." Dies könne eine neue Flüchtlingskrise in der EU auslösen. Er bat außerdem um mehr Flugabwehr-Systeme.

Scholz mahnt zur Besonnenheit im Ukraine-Krieg

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor unbesonnenen Schritten gewarnt. Er gehe nicht davon aus, dass sich der russische Krieg gegen die Ukraine zum Weltkrieg ausweite, aber die Gefahr dürfe man zumindest nicht aus den Augen verlieren, sagte Scholz der "Welt am Sonntag". In einer so gefährlichen Lage verbiete sich jeder unbesonnene Schritt. "Es darf nicht zu einem direkten Konflikt zwischen Russland und der NATO kommen", betonte er.

Kanzler Olaf Scholz sorgt sich um eine mögliche Ausweitung des Ukraine-Kriegs Bild: PIROSCHKA VAN DE WOUW/REUTERS

Darin sei er sich mit US-Präsident Joe Biden einig. Zugleich unterstütze man die Ukraine aber nach Kräften. Nach den USA sei Deutschland einer der stärksten Unterstützer - finanziell, humanitär und auch mit Waffen, sagte Scholz.

USA: Diplomatie erst bei Stopp russischer Aggression

Die USA sehen keinen Weg für Verhandlungen mit Russland, solange der Kreml den Angriffskrieg gegen die Ukraine vorantreibt. "Was Diplomatie zur Beendigung des Krieges angeht, hängt das ganz davon ab, ob Russland daran interessiert sein wird, die Aggression zu stoppen, die es begonnen hat", sagte US-Außenminister Antony Blinken in Washington. Aktuell seien aber keine Hinweise darauf zu erkennen, sondern das Gegenteil.

Blinken verwies unter anderem auf die von Präsident Wladimir Putin angeordnete Teilmobilisierung in Russland. Putin habe jedoch das Problem, dass die Ukrainer nicht nur sehr tapfer, sondern auch erfolgreich seien und ihr Territorium zurückeroberten. Sie kämpften im Gegensatz zu Russland für ihr Land und ihre Zukunft. "Je früher Präsident Putin das versteht, desto schneller werden wir diesen Krieg beenden können", meinte Blinken.

Fand klare Worte: Antony BlinkenBild: Kevin Wolf/REUTERS

Der amerikanische Außenminister machte auch deutlich, dass die USA weiterhin diplomatische Kanäle zur Kommunikation mit Russland unterhielten. "Wann auch immer wir den Russen etwas Wichtiges mitzuteilen haben, werden wir das tun." So habe er mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow über bestimmte Angelegenheiten gesprochen, die für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten wichtig gewesen seien. Auch die Verteidigungsminister der USA und Russlands, Lloyd Austin und Sergej Schoigu, telefonierten erstmals nach längerer Pause wieder miteinander.

UN sollen Drohnen-Angriffe auf Ukraine untersuchen

Die USA haben vor dem UN-Sicherheitsrat gefordert, dass die Vereinten Nationen den mutmaßlichen Einsatz iranischer Drohnen durch Russland im Ukraine-Krieg untersuchen. "Die UN müssen jede Verletzung von Sicherheitsratsresolutionen untersuchen und wir dürfen nicht zulassen, dass Russland oder andere die UN am Ausüben ihrer festgeschriebenen Verpflichtungen hindern oder sie bedrohen", betonte in New York ein Vertreter der US-Regierung. Großbritannien, Frankreich und Deutschland hatten zuvor ähnliche Forderungen per Brief an die Vereinten Nationen übermittelt.

Drohnen-Angriff auf Kiew (Foto vom 17. Oktober)Bild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja sprach von einer "empörenden Situation". Er wies die Vorwürfe des Einsatzes iranischer Drohnen erneut zurück und wiederholte eine Warnung vor einer entsprechenden UN-Untersuchung. Wenn es dazu käme, müsse Russland die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen überdenken.

Deutschland will Kriegsverbrecher-Verfolgung unterstützen

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat den Vereinten Nationen die Unterstützung Deutschlands bei der internationalen Strafverfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine zugesagt. "Nur wenn die Staatengemeinschaft Russland in die Schranken weist, haben Freiheit und Sicherheit in der Welt eine Zukunft", sagte Buschmann in New York. "Die Vereinten Nationen und die Ukraine können dabei auf Deutschland zählen." Buschmann hatte in New York unter anderen die stellvertretende UN-Generalsekretärin Amina Mohammed und den ukrainischen Botschafter Serhij Kislizia getroffen.

kle/jj/fab/wa/AR/se (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen