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Konflikte

Aktuell: Odessa weckt Zweifel an Russlands Glaubwürdigkeit

24. Juli 2022

Die US-Regierung zweifelt nach dem russischen Luftangriff auf die ukrainische Hafenstadt Odessa an der Glaubwürdigkeit Moskaus. Der Kreml sichert Ägypten Getreidelieferungen zu. Ein Überblick.

Ukraine Getreidesilos im Hafen von Odessa
Der Hafen von Odessa mit riesigen Getreidesilos (Archivbild)Bild: ussi Nukari/Lehtikuva/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russland gibt Angriff auf Hafen von Odessa zu
  • Blinken sieht Glaubwürdigkeit der russischen Führung beschädigt
  • Lawrow in Kairo: Wir liefern Getreide an Ägypten
  • Bundespräsident Steinmeier: "Wir dürfen uns nicht spalten lassen"
  • Polen will im Ringtausch mehr deutsche Kampfpanzer

 

Russland räumte nach einem gestrigen Dementi inzwischen offiziell einen Angriff auf den Hafen von Odessa ein. Die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, teilte mit, Ziel sei "militärische Infrastruktur" gewesen. Solche sei mit "hochpräzisen" Kalibr-Raketen zerstört worden. Es sei ein Kriegsschiff der Ukraine getroffen worden. Nach Darstellung der Ukraine wurden bei der Attacke am Samstag jedoch Hafenanlagen getroffen.

Die US-Regierung hatte Russland bereits zuvor für den Beschuss der ukrainischen Hafenstadt verantwortlich gemacht und den Angriff auf das Schärfste verurteilt. Nur einen Tag nach der Istanbuler Vereinbarung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer habe Russland seine Verpflichtungen gebrochen, kritisierte Außenminister Antony Blinken. "Dieser Angriff lässt ernste Zweifel an der Glaubwürdigkeit des russischen Engagements für die Vereinbarung aufkommen."

Blinken betonte: "Der Beschuss untergräbt die Bemühungen der UN, der Türkei und der Ukraine, wichtige Nahrungsmittel auf die Weltmärkte zu bringen." Russland trage die Verantwortung für die Verschärfung der weltweiten Nahrungsmittelkrise. Moskau habe der Vereinbarung zur Ausfuhr von Getreide zugestimmt und stehe nun in der Pflicht, sie vollständig umzusetzen.

Lawrow: "Moskau wird seine Verpflichtungen erfüllen"

Nach dem in Istanbul unterzeichneten Getreideabkommen hat der russische Außenminister Sergej Lawrow Ägypten zugesichert, dass sein Land sich an seine Lieferzusagen halten werde. Moskau habe "den Einsatz der russischen Exporteure von Getreideprodukten" bestätigt. Sie würden "all ihre Verpflichtungen erfüllen", sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz in Kairo nach Gesprächen mit seinem ägyptischen Kollegen Sameh Schukri. 

Präsident Wladimir Putin habe dies in einem Telefongespräch mit seinem ägyptischen Amtskollegen Abdel Fattah al-Sisi "ebenfalls unterstrichen", ergänzte Lawrow. Der Chefdiplomat sagte zudem, UN-Generalsekretär António Guterres habe die Verantwortung auf sich genommen, "die illegalen Beschränkungen russischer Logistik und Finanzdienstleistungen aufzuheben". 

Die Vereinten Nationen und die Türkei hatten monatelang zwischen Kiew und Moskau vermittelt, um eine Wiederaufnahme der blockierten ukrainischen Getreidelieferungen zu erreichen. Am Freitag kam es zur Einigung unter anderem für abgesicherte Transitrouten im Schwarzen Meer. Die Kriegsparteien sagten zu, keine Schiffe auf diesen Routen anzugreifen. Auch die drei beteiligten Häfen dürfen demnach nicht angegriffen werden.

Das Abkommen legt fest, die Exporte von einem Kontrollzentrum in Istanbul überwachen zu lassen. Es soll unter anderem die Ausfuhr der 20 bis 25 Millionen Tonnen Weizen ermöglichen, die durch den Krieg in ukrainischen Silos feststecken. Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit größten Getreideproduzenten.

Vier Raketen auf Odessa?

Am Samstag meldete die Ukraine dann russischen Raketenbeschuss auf Odessa. Die größte Stadt der an der ukrainischen Schwarzmeerküste beherbergt auch den wichtigsten Hafen. Er ist für die Wiederaufnahme der ukrainischen Getreideexporte von entscheidender Bedeutung. "Wir haben zwei Raketen abgefangen, zwei weitere haben das Hafengelände getroffen", sagte der ukrainische Militärsprecher Jurij Ignat. Die Attacke wurde international verurteilt.

Ukrainische Feuerwehrmänner löschen einen Brand nach einem Raketenangriff auf OdessaBild: Efrem Lukatsky/Odesa City Hall/AP/picture alliance

Mit der Attacke habe Russlands Präsident Wladimir Putin "UN-Generalsekretär António Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die große Anstrengungen unternommen haben, um eine Einigung zu erzielen, ins Gesicht gespuckt", erklärte der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko.

Selenskyj: Raketen auf Odessa sind "russische Barbarei"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, sich routinemäßig nicht an Abmachungen zu halten. Der Beschuss des Hafens in Odessa beweise "eine Sache: Egal was Russland sagt und verspricht, es wird Wege finden, es nicht umzusetzen", sagte Selenskyj bei einem Gespräch mit US-Abgeordneten.

Später verurteilte Selenskyj die Raketenangriffe auf den Hafen von Odessa als einen Akt "offensichtlicher russischer Barbarei". Die Luftschläge seien ein weiterer Grund dafür, der Ukraine solche Waffen zu geben, "die für unseren Sieg notwendig sind", sagte der Staatschef in seiner täglichen Videobotschaft. Mit der Attacke habe sich Russland politisch bloßgestellt. "Wenn irgendjemand auf der Welt früher gesagt hat, dass es notwendig ist, mit Russland in Dialog zu treten, Vereinbarungen zu treffen über eine Waffenruhe, ohne unser Gebiet von den Besatzern zu befreien, dann haben die heutigen Raketen die Möglichkeit solcher Aussagen zerstört", unterstrich der Präsident.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Archivbild)Bild: Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa/picture alliance

Selenskyj erklärte in seinem Video zudem, der 150. Kriegstag sei wie viele andere auch gewesen. Neben den Raketenangriffen habe es schwere Gefechte im Donbass und im Gebiet Charkiw gegeben. Dennoch bewege sich die Ukraine in Richtung Sieg. Vor allem zeige sich das in der Region Cherson im Süden. "Die Streitkräfte der Ukraine bewegen sich Schritt für Schritt in dem Gebiet vorwärts", sagte Selenskyj.

Ukraine feuert Himars-Raketen auf Brücke bei Cherson

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben eine für Russland bedeutende Brücke in der Region Cherson mit Raketen beschossen. Die Darjiwskyj-Brücke über den Fluss Inhulez ist wichtig für den Nachschub der russischen Truppen. Ein Vertreter der ukrainischen Regionalverwaltung erklärt, es handle sich um einen zentralen Schritt zur Rückeroberung von Cherson. Die von Russland eingesetzte Gegenverwaltung gab bekannt, die Brücke sei von sieben Raketen des westlichen Systems Himars getroffen worden, aber weiterhin intakt.

Auch die Antonowski-Brücke über den Fluss Dnjepr in Cherson wurde von ukrainischen Geschossen getroffenBild: Sergei Bobylev/ITAR-TASS/IMAGO

Russland hatte die südukrainische Region am Schwarzen Meer unmittelbar nach Kriegsbeginn im Februar eingenommen. Moskautreue Separatisten dort kündigten zuletzt an, sie wollten eine Volksabstimmung für einen Beitritt zu Russland ansetzen. Die Ukraine will das verhindern und das Gebiet zurückerobern.

Steinmeier: "Wir dürfen uns nicht spalten lassen"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht in Putins Krieg gegen die Ukraine auch einen Krieg gegen die Einheit Europas. Zugleich vernichte Putin eine europäische Sicherheitsarchitektur, für "die viele Generationen nach der Erfahrung zweier blutiger Weltkriege im vergangenen Jahrhundert gearbeitet haben und die mit der Schlussakte von Helsinki vor fünfzig Jahren Hoffnung auf dauerhaften Frieden in Europa geschaffen hat", sagte das Staatsoberhaupt beim Libori-Fest in Paderborn. 

"Wir dürfen uns nicht spalten lassen, wir dürfen das große Werk eines einigen Europa, das wir so vielversprechend begonnen haben, nicht zerstören lassen", forderte der Bundespräsident. Die Europäer müssten sich angesichts des verbrecherischen Angriffskrieges wieder bewusst werden, was sie bestimme und zusammenhalte. Es gehe um die Werte, "die wir als tragend erkennen und als belastbar erfahren haben für ein freiheitliches, gerechtes und menschliches Zusammenleben".

Polen will im Ringtausch mehr moderne deutsche Panzer

Polen gibt sich mit der von Deutschland angebotenen Kompensation für die Lieferung von mehr als 200 Panzern sowjetischer Bauart in die Ukraine bei weitem nicht zufrieden. Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak sagte in einem Interview, dass die Bundesregierung 20 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4 liefern wolle, die erst in zwölf Monaten einsatzfähig wären. Polen erwarte aber mindestens 44 Panzer, um ein Panzerbataillon ausstatten zu können.

Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei einem Truppenbesuch in Warschau (Archivbild)Bild: Krzysztof Zatycki/ZUMAPRESS/picture alliance

"Sicherlich gibt es Geschenke, die man nur mit großer Vorsicht annehmen sollte", sagte der Minister dem Nachrichtenportal wPolityce.pl. "Ihr geringer Wert dient später als nützlicher Vorhang, um die viel brutalere Realität zu verschleiern." Zuvor hatte Vizeaußenminister Szymon Szynkowski vel Sek im deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" von einem "Täuschungsmanöver" Deutschlands gesprochen.

Bundesregierung weiter zu Gesprächen bereit

Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte, man habe die Äußerungen zur Kenntnis genommen. "Die Bundesregierung ist weiterhin bereit, auch mit Polen einen Ringtausch zu organisieren." In Berlin hieß es aber auch, man sei verwundert über die scharfen politischen Töne aus Polen. Auf Fachebene seien die Gespräche immer konstruktiv gewesen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wies den Vorwurf des Wortbruchs zurück. "In so einer Situation täuscht niemand seinen europäischen Nachbarn", sagte sie in einem "Bild-TV"-Interview. Sie räumte aber ein, dass die Ringtausche mit NATO-Partnern zur Versorgung der ukrainischen Armee mit schweren Waffen nicht so laufen wie geplant.

Außenministerin Annalena Baerbock, hier im DW-Interview (Archivbild)Bild: DW

Mit Ringtausch ist gemeint, dass osteuropäische Bündnispartner Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefern und dafür Waffen aus Deutschland als Ausgleich erhalten. Die Waffen sowjetischer Bauart können von den ukrainischen Soldaten leichter bedient werden als Geräte aus westlicher Produktion, für die sie nicht geschult sind.

Göring-Eckardt will Alternativen zum Ringtausch

Derweil macht sich Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt für Alternativen zu dem geplanten Waffen-Ringtausch mit Polen stark. "Der Ringtausch funktioniert nicht wie geplant", sagte Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Alternativen gehören auf den Tisch. Etwa, direkt Waffen zu liefern, wenn wir das können." Die Kritik aus Warschau "mag undiplomatisch gewesen sein, sie ist aber ein Weckruf", betonte die Grünen-Politikerin. Deutschland müsse "eine ausreichende Unterstützung der Ukraine mit Waffen" organisieren. "Waffenlieferungen entscheiden mit über die Dauer des Krieges, über Menschenleben."

Orban ruft USA und Russland zu Verhandlungen auf

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat erneut die Haltung der Europäischen Union zum Ukraine-Krieg kritisiert und Verhandlungen zwischen den USA und Russland angemahnt. "Wir sitzen in einem Auto mit vier platten Reifen", sagte Orban bei einem Besuch in Rumänien zu den Bemühungen, die Kämpfe zu beenden. "Eine neue Strategie ist notwendig, die sich auf Friedensverhandlungen konzentrieren sollte, anstatt den Krieg gewinnen zu wollen."

Nach Ansicht des ungarischen Ministerpräsidenten können nur Gespräche zwischen den USA und Russland den Konflikt beenden, da Russland Sicherheitsgarantien fordere, die nur Washington geben könne. Die EU sollte sich "nicht auf die Seite der Ukrainer stellen", sondern sich zwischen den beiden Lagern positionieren, fügte Orban hinzu.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban (Archivbild)Bild: Jakub Porzycki/NurPhoto/picture alliance

Die vom Westen verhängten Sanktionen würden "die Situation nicht ändern" und "die Ukrainer werden nicht als Sieger hervorgehen", betonte Orban. "Je mehr schwere Waffen der Westen schickt, desto mehr zieht sich der Krieg in die Länge." Mit Blick auf die Russland-Sanktionen hatte Orban vergangene Woche gesagt, die Europäische Union habe sich nicht nur ins Knie, sondern "in die Lunge" geschossen. Der ungarische Regierungschef kritisiert vor allem das Ölembargo gegen Russland.

Zwei US-Bürger im Donbass getötet

In der ostukrainischen Region Donbass sind nach Angaben des US-Außenministeriums zwei amerikanische Staatsbürger getötet worden. "Wir stehen in Kontakt mit den Familien und leisten jede mögliche konsularische Unterstützung", teilte eine Ministeriumssprecherin mit. Aus Respekt für die Familie mache man keine weiteren Angaben zu dem Fall. Etliche Amerikaner kämpfen trotz Warnungen der US-Regierung freiwillig an der Seite der ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Truppen. Ein US-Bürger war im Mai bei Kämpfen ums Leben gekommen. Die USA sind ein wichtiger Verbündeter der Ukraine und der größte Waffenlieferant für das Land.

qu/pg/kle/rb (afp, dpa, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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