1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Aktuell: Selenskyj entlässt Melnyk

9. Juli 2022

Andrij Melnyk ist nicht mehr der diplomatische Vertreter der Ukraine in Deutschland. Die Region Donezk, insbesondere die Stadt Slowjansk, sind wohl das nächste Ziel der russischen Angreifer. Unser Überblick.

Dr Andrij Melnyk I Botschafter der Ukraine
Andrij Melnyk ist als ukrainischer Botschafter in Deutschland abberufen wordenBild: Metodi Popow/IMAGO

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der ukrainische Präsident Selenskyj entlässt seinen Botschafter in Berlin, Melnyk
  • Osten der Ukraine weiterhin unter massivem Beschuss
  • Militärausbildung für ukrainische Soldaten in Großbritannien gestartet
  • "Der Spiegel" zitiert aus Telefonat zwischen Steinmeier und Selenskyj
  • Russland versammelt angeblich Reservisten nahe der Ukraine

Der umstrittene ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, ist abberufen worden. Die Präsidentenkanzlei in Kiew veröffentlichte ein entsprechendes Dekret von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Melnyk war im Zuge des russischen Angriffskriegs auf sein Land zum wohl bekanntesten ausländischen Botschafter in Deutschland aufgestiegen. Dabei polarisierte er mit zuweilen für einen Diplomaten ungewöhnlich kritischen Aussagen zunehmend.

Zuletzt brachte er sich in Bedrängnis, indem er in einem Interview den als Nazi-Kollaborateur in die Geschichte eingegangenen ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera verteidigte. Zuvor hatte der Diplomat wiederholt mit scharfer Kritik an der Bundesregierung und vehementen Forderungen nach Waffenlieferungen und anderer Unterstützung für die Ukraine für Aufsehen gesorgt. In dieser Woche hatten "Bild" und "Süddeutsche Zeitung" über eine bevorstehende Abberufung Melnyks berichtet.

Osten der Ukraine weiterhin unter massivem Beschuss

Russische Truppen haben ihre Angriffe im Osten der Ukraine fortgesetzt. In der ostukrainischen Region Donezk wurden am Freitag fünf Menschen getötet, wie der Gouverneur von Donezk, Pawlo Kyrylenko, am Samstag erklärte. "Die gesamte Frontlinie steht unter unerbittlichem Beschuss", schrieb er auf Telegram. Vor allem die Stadt Slowjansk werde massiv angegriffen. Kyrylenko warf Russland zudem vor, landwirtschaftliche Flächen in Brand gesetzt zu haben, um "mit allem Mitteln die Ernte zu zerstören". 

Das Haus dieses verletzten Mannes aus Slowjansk wurde durch russischen Beschuss zerstört (Archivbild)Bild: Marko Djurica/Reuters

Slowjansk ist soweit absehbar das nächste Ziel der russischen Einheiten beim Vormarsch im Osten der Ukraine. Slowjansk und Kramatorsk sind die beiden größten Städte in der Region Donezk, die noch unter ukrainischer Kontrolle stehen. Russische Soldaten griffen Donezk von Stützpunkten in der Nachbarregion Luhansk aus an, erklärte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj. Luhansk befindet sich bereits unter russischer Kontrolle. Russland stocke derzeit seine Truppen in der Region auf, um weitere Angriffe vorzubereiten, sagte Hajdaj. Auch aus dem Süden des Landes wurden in der Nacht Explosionen gemeldet. Der Bürgermeister von Mikolajiw bat die Einwohner, in den Luftschutzkellern zu bleiben.

Militärausbildung für ukrainische Soldaten in Großbritannien gestartet

Großbritannien hat mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten begonnen. In den kommenden Monaten sollen bis zu 10.000 Ukrainer trainiert werden. Etwa 1050 britische Soldaten sind in das Programm eingebunden, das an verschiedenen Militärbasen im Land stattfindet. Der Kurs behandelt den Umgang mit Waffen, Erste Hilfe auf dem Schlachtfeld, Patrouillentaktiken und Kriegsrecht. Zudem hat die britische Regierung AK-Sturmgewehre angeschafft, damit die ukrainischen Soldaten mit ihren gewohnten Waffen trainieren können. Sechs Kampfjets der britischen Luftwaffe wurden zu gemeinsamen Übungen in die künftigen NATO-Mitgliedsländer Finnland und Schweden geschickt. Dies sei Teil der erhöhten Präsenz in der Region und von den beiden nordischen Ländern beantragt worden. "Diese Einsätze unterstreichen unsere Entschlossenheit, die Partnerschaft zu verbessern und sicherzustellen, dass unsere Streitkräfte nahtlos zusammenarbeiten können", sagte Verteidigungsminister Ben Wallace.

Steinmeier verlangte Aufklärung wegen Kiew-Ausladung

Der Eklat um die geplatzte Reise von Frank-Walter Steinmeier nach Kiew hat das Verhältnis des Bundespräsidenten zum ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj offenbar stärker belastet als bislang bekannt. Wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet, konfrontierte Steinmeier im ersten Telefonat der beiden Präsidenten nach dem Affront Selenskyj persönlich mit dem Fall und verlangte von ihm mehrfach Aufklärung über die Hintergründe.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefoniert an seinem Schreibtisch in Schloss Bellevue (Archivfoto)Bild: Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa/picture alliance

Die Ausladung sei ein historischer Affront gewesen, beispiellos gegenüber einem Staatsoberhaupt eines Verbündeten. Ein solcher Bruch der diplomatischen Usancen sei inakzeptabel, soll der Bundespräsident seinem Gegenüber in dem Telefonat am 5. Mai entgegengehalten haben. Er hätte gern eine Erklärung dafür.

Als Selenskyj beteuerte, von dem Vorgang nichts gewusst zu haben, soll Steinmeier unwirsch geworden sein, heißt es im "Spiegel" weiter. Er habe den gesamten Schriftverkehr vor sich liegen, habe der Bundespräsident offenbar mit Bezug auf eine diplomatische Note aus der ukrainischen Regierung vom 12. April, dem Tag der geplatzten Reise, gesagt. "Bitte ersparen Sie sich selbst und mir, dass ich das jetzt alles vorlese", werde Steinmeier zitiert. Nach einer weiteren Beschwichtigung Selenskyjs habe Steinmeier sogar ein drittes Mal nachgehakt, hieß es laut "Spiegel". Er habe dann eine zwar ausweichende, aber wohl gebührend geknickte Reaktion des Ukrainers bekommen. Erst daraufhin habe der Bundespräsident eingelenkt.

Steinmeier: Russlands Krieg in Ukraine war ein "Epochenbruch"

Steinmeier hatte Mitte April ursprünglich mit seinen Kollegen aus Polen und den drei baltischen Staaten nach Kiew reisen wollen. Der Bundespräsident, der als Außen- und Kanzleramtsminister die frühere deutsche Russland-Politik entscheidend mitgeprägt hat, teilte dann aber kurz davor mit, die ukrainische Führung habe seinen Besuch abgelehnt.

USA liefern Ukraine weitere HIMARS-Raketenwerfer

Die USA wollen der Ukraine zusätzliche Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS liefern. Zu dem neuen Rüstungspaket im Gesamtwert von 400 Millionen Dollar (umgerechnet 393 Millionen Euro) gehören neben vier HIMARS-Raketenwerfern mit Munition auch neue Präzisionsartilleriegeschosse, wie ein hochrangiger Vertreter des US-Verteidigungsministeriums mitteilte.

Der US-amerikanische Mehrfachraketenwerfer HIMARS steht für High Mobility Artillery Rocket System Bild: Tony Overman/AP/picture alliance

HIMARS-Raketenwerfer können mehrere präzisionsgelenkte Raketen gleichzeitig auf Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung abfeuern. Sie erlauben der ukrainischen Armee aus größerer Entfernung Angriffe auf die russische Armee, ohne selbst in Reichweite der russischen Artillerie zu sein. Mit der nun zugesagten Lieferung käme die ukrainische Armee auf zwölf HIMARS-Systeme.

Selenskyj: Es geht um den Schutz unserer gemeinsamen Freiheit

Im Kampf gegen die russische Aggression will sich Selenskyj weiterhin auch an das Ausland wenden. "Wir arbeiten jeden Tag und unter allen Umständen so viel wie möglich an der außenpolitischen Front", sagte der ukrainische Präsident in seiner täglichen Videobotschaft. Seine Ansprache an das slowenische Parlament sei bereits die 24. Rede an ein Abgeordnetenhaus eines EU-Mitglieds gewesen. Drei Videoansprachen an die Parlamente der übrigen der insgesamt 27 EU-Mitgliedstaaten stünden noch aus.

Ein ukrainischer Panzer auf Patrouille im Gebiet DonezkBild: Nariman El-Mofty/AP/dpa/picture alliance

"Ich hoffe, auch die drei anderen EU-Länder werden spüren, dass es bei diesen Appellen nicht um Politik geht, sondern um den Schutz unserer gemeinsamen Freiheit. Deshalb werden wir an den Punkt kommen, an dem ich eines Tages sagen kann: Alle 27 Parlamente der Europäischen Union hören den Freiheitskampf besser als jede russische Manipulation", betonte Selenskyj.

Russland versammelt angeblich Reservisten nahe der Ukraine

Russland beordert nach Angaben des britischen Militärgeheimdienstes Reservisten aus dem ganzen Land in die Nähe der Ukraine. Sie sollen dort für künftige Offensiven zur Verfügung stehen. Sie würden mit Mehrzweckpanzern MT-LB transportiert. Ein großer Teil der Infanterieeinheiten werde wahrscheinlich mit leicht gepanzerten MT-LB-Fahrzeugen aus der Langzeitlagerung transportiert. Russland hielt sie dem Bericht zufolge lange Zeit für ungeeignet für die meisten Verlegungen von Infanterieverbänden an die vorderste Frontlinie. Das Fahrzeug wurde ursprünglich in den 1950er Jahren als Traktor zum Ziehen von Artillerie entworfen, es verfügt nur über eine sehr begrenzte Panzerung und ist zum Selbstschutz mit nur einem Maschinengewehr ausgestattet.

SPD skizziert neue Ostpolitik

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Michael Roth, macht sich für eine neue Ostpolitik Deutschlands stark. "Sicherheit kann es in Europa nur noch gegen, nicht mehr mit Russland geben", schreibt der SPD-Politiker in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Welt am Sonntag". Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur müsse auf militärische Abschreckung sowie auf die politische und wirtschaftliche Isolation Russlands bauen, betont er.

"Mit Blick auf Russland brauchen wir mehr Realismus statt naives Wunschdenken", unterstreicht Roth. Präsident Wladimir Putin habe aus dem Land eine imperialistische Macht gemacht. Der Außenpolitiker der Regierungspartei SPD wies dabei auch auf "eklatante Fehler" seiner Partei in der Vergangenheit hin. "Die SPD ist zu Recht stolz auf Willy Brandts Ostpolitik der 70er-Jahre", schrieb er. "Trotz aller historischen Verdienste dürfen wir uns angesichts der grundlegenden Veränderungen in der Welt nicht hinter Willy Brandt verstecken", mahnte er.

Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth (Archivbild)Bild: European Union, 2021

Für ein Umdenken in der Ostpolitik sei es aber "mitnichten notwendig, sozialdemokratische Traditionslinien preiszugeben", schrieb Roth. "Brandts Einsatz für Frieden und Entspannung war auch deshalb so erfolgreich, weil er von militärischer Stärke im Zeichen der nuklearen Abschreckung getragen wurde." Im Rahmen einer neuen Ostpolitik müssten Deutschlands östliche Nachbarstaaten stärker in die Russlandpolitik einbezogen werden, mahnte er. "Künftig kann es keinen deutschen Sonderweg mehr mit Russland geben, der zulasten unserer mittel- und osteuropäischen Partner geht", resümiert Roth.

Putin warnt vor "katastrophalen" Sanktionsfolgen

Russlands Präsident Wladimir Putin hat im Falle einer Ausweitung der Sanktionen gegen sein Land mit weitreichenden Folgen für den Westen gedroht. "Eine weitere Anwendung der Sanktionspolitik kann zu noch schwerwiegenderen, ohne Übertreibung sogar zu katastrophalen Folgen auf dem globalen Energiemarkt führen", sagte Putin bei einem Treffen mit Regierungsvertretern.

Einmal mehr sprach Putin von einem "wirtschaftlichen Blitzkrieg" des Westens, der gescheitert sei. Nichtsdestotrotz räumte er dieses Mal ein: "Diese Handlungen, die Beschränkungen schaden unserer Wirtschaft, und viele Risiken bleiben bestehen."

Prorussische Separatisten ermöglichen Todesstrafe

In der ostukrainischen Kriegsregion Donezk haben die prorussischen Separatisten den Weg für die Hinrichtung von drei zum Tode verurteilten Ausländern frei gemacht. Ein Moratorium zur Vollstreckung der Todesstrafe wurde von dem international nicht anerkannten Parlament der abtrünnigen Region aufgehoben. Das Moratorium, also das Aussetzen der Todesstrafe, hätte aufgrund einer zum 1. Juli in Kraft getretenen neuen Strafprozessordnung eigentlich noch bis 2025 gegolten.

Im Juni waren zwei britische und ein marokkanischer Staatsbürger zum Tode verurteilt worden. Sie hatten aufseiten der ukrainischen Armee gegen die von Russland unterstützten Separatisten gekämpft. Die Aufständischen sehen sie als Söldner und damit als außerhalb der Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen stehend an. Ihre mögliche Hinrichtung könnte international als Kriegsverbrechen betrachtet werden.

Papst-Reise nach Kiew im August "möglich"

Papst Franziskus könnte nach Einschätzung seines wichtigsten außenpolitischen Beraters noch in diesem Sommer nach Kiew reisen. Kurienerzbischof Paul Gallagher, der die Rolle eines Außenminister des Vatikans innehat, sagte dem italienischen Sender Rai1, der 85 Jahre alte Pontifex werde nach der Rückreise aus Kanada Ende Juli mit seinem Stab einen Besuch in Kiew erörtern. Auf die Nachfrage, ob so ein Trip schon im August denkbar sei, antwortete Gallagher: "Das ist möglich, ich würde es nicht ausschließen."

Papst Franziskus ist aufgrund seiner Kniebeschwerden zumeist auf einen Rollstuhl angewiesenBild: Alessandra Tarantino/dpa/AP/picture alliance

Der britische Erzbischof schränkte aber ein, dass alles natürlich an dem Zustand und der Gesundheit von Franziskus liege. Der Argentinier leidet an einer Knieblessur und musste zuletzt die meiste Zeit im Rollstuhl sitzen. Er fordert seit Monaten Frieden in der Ukraine und zeigte sich stets für eine Reise nach Kiew offen.

ehl/rb/ack/kle/sti/qu (AFP, AP, dpa, KNA, epd, Reuters)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen