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PolitikEuropa

Aktuell: Rückzug russischer Truppen gefordert

7. März 2022

Die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien rufen Russland erneut auf, seine Soldaten abzuziehen. Vertreter der Konfliktparteien haben über Fluchtwege aus dem Kriegsgebiet gesprochen. Ein Überblick.

Krim Region | Russische Soldaten in  Armyansk
Russische Soldaten Ende Februar auf dem Gebiet der nördlichen Krim (Archivbild)Bild: Konstantin Mihalchevskiy/Sputnik/picture alliance/dpa

Die wichtigsten Informationen in Kürze:

  • Vierer-Gipfel mit Biden und Scholz fordert Rückzug russischer Truppen
  • Weitere Verhandlungsrunde in Belarus
  • Kiew: Humanitäre Lage in vielen Städten katastrophal 
  • Türkei kündigt russisch-ukrainische Gespräche auf Regierungsebene an
  • Russland bleibt IGH-Anhörung zu möglichen Verbrechen fern

 

Die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben Russland erneut aufgefordert, seine Angriffe auf die Ukraine zu stoppen und "seine Truppen komplett zurückzuziehen". US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Boris Johnson seien sich in einer Videoschalte einig gewesen, dass der Schutz der Zivilbevölkerung "höchste Priorität" haben müsse und Russland aufgefordert bleibe, "seinen völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine unmittelbar zu beenden und seine Truppen komplett zurückzuziehen", teilte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach dem Gespräch mit.

Der russische Angriff habe zu dramatischem menschlichen Leid in der Ukraine geführt und sei durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Die vier Staats- und Regierungschefs hätten auch über weitere Möglichkeiten der humanitären Unterstützung für die Ukraine beraten, erklärte Hebestreit. "Sie waren sich einig, dass jedwede diplomatische Anstrengung zur Überwindung der Krise Unterstützung verdiene."

Vertreter der Ukraine und Russlands am Verhandlungstisch im belarussischen BrestBild: Foreign Ministry of Belarus/AA/picture alliance

Weitere Verhandlungen in Belarus

Eine dritte Runde von Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau ist nach rund drei Stunden in Belarus beendet worden. Dabei bekräftigten beiden Seiten die Absicht, humanitäre Korridore in den umkämpften Gebieten einzurichten. Es gebe kleine positive Schritte bei der Verbesserung der Logistik für die Korridore, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak nach den Gesprächen.

Der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski sagte, es solle an diesem Dienstag einen neuen Anlauf geben, um die Menschen über die Korridore in Sicherheit zu bringen. Er zeigte sich insgesamt aber enttäuscht von dem Treffen. Man habe eine Reihe vorbereiteter Dokumente mitgebracht. Allerdings habe die ukrainische Seite nichts unterschreiben wollen, sondern die Papiere zur Prüfung mitgenommen.

Von der ukrainischen Seite hieß es, zwar gebe es keine Ergebnisse für eine spürbare Verbesserung der Lage. Dennoch würden die Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Beendigung der Kampfhandlungen fortgesetzt.

Beide Seiten hatten sich zwar bei ihrem Treffen am vergangenen Donnerstag auf Fluchtkorridore verständigt. Am Wochenende waren aber gleich zwei Anläufe für Evakuierungen der Stadt Mariupol im Südosten der Ukraine gescheitert. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, gegen eine vereinbarte Feuerpause verstoßen zu haben.

Moskau kündigt humanitäre Korridore an - Kiew lehnt ab

Russland hatte an diesem Montag eine neue Feuerpause für mehrere Städte der Ukraine angekündigt. Damit sollten sich Zivilisten in Sicherheit bringen können. Humanitäre Korridore sollte es für die Hauptstadt Kiew, die Hafenstadt Mariupol sowie Charkiw und Sumy geben, wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilte.

Die Ukraine kritisierte die Initiative indes als vollkommen unmoralisch. Der Sprecher von Präsident Wolodymyr Selenskyj bemängelte vor allem, dass der Moskauer Vorschlag Fluchtwege vorsehe, die nach Russland oder ins verbündete Belarus führten. Es gehe jedoch um Bürger der Ukraine. "Sie sollten das Recht haben, in ukrainisches Territorium evakuiert zu werden." 

Die ukrainische Regierung hatte zuvor zu einer sofortigen Evakuierung vieler Städte aufgerufen. Mit der Fortdauer des Kriegs müssten mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer sofort aus ihren Städten herausgebracht werden, berichtete die Internetzeitung "Ukrajinska Prawda" unter Berufung auf das Präsidialamt in Kiew. Es gebe bereits mehrere Dutzend Städte in acht Regionen im Land, in denen die humanitäre Situation katastrophal sei. 

Russland greift weiter an

Die russische Armee setzte ihre Luftangriffe fort. Bei einer Attacke auf den Ort Makariw im Westen von Kiew wurden nach ukrainischen Angaben mindestens 13 Zivilisten getötet. Eine Granate habe das Gelände einer Großbäckerei getroffen, teilte das Innenministerium mit. Fünf Menschen seien aus den Trümmern gerettet worden.

In der Nacht zum Montag waren Angriffe auf die zweitgrößte Stadt der Ukraine, Charkiw, gemeldet worden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, dass dabei unter anderem ein Sportkomplex einer Universität und andere zivile Gebäude getroffen wurden.

Der ukrainische Generalstab warnte weiterhin, Moskau sammele seine "Ressourcen für einen Angriff" auf Kiew. Laut der ukrainischen Regionalverwaltung hatte es den gesamten Sonntag über heftige Kämpfe im Umland der ukrainischen Hauptstadt gegeben, insbesondere entlang der Straße die nach Schytomyr (150 Kilometer westlich von Kiew) führt, sowie in Tschernihiw (150 Kilometer nördlich der Hauptstadt).

Beim Beschuss des Flughafens der ukrainischen Stadt Winnyzja (rund 200 Kilometer südwestlich von Kiew) wurden am Sonntag laut Angaben der Rettungskräfte neun Menschen getötet. Es handele es sich um fünf Zivilisten und vier Soldaten. Die Einrichtungen des Flughafens wurde nach offiziellen ukrainischen Angaben durch russische Raketenangriffe "komplett zerstört".

Attacken auf Atom-Forschungsinstitut

Neue Sorgen über eine radioaktive Verschmutzung lösten Berichte über den Beschuss eines nuklearen Forschungsinstituts in Charkiw aus. Nach Angaben des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU wurde das Areal mit Raketenwerfern attackiert. Das russische Verteidigungsministerium behauptete dagegen laut der Agentur Itar-Tass, der ukrainische Geheimdienst wolle die Anlage sprengen. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien wurde ein Neutronengenerator getroffen. Es sei aber keine radioaktive Strahlung ausgetreten, sagte IAEA-Generator Rafael Grossi. Das zerstörte Gerät habe Neutronen für wissenschaftliche Zwecke erzeugt.

USA schicken weitere Soldaten ins Baltikum

US-Außenminister Antony Blinken hat eine Verlegung weiterer US-Truppen in das Baltikum angekündigt. In den kommenden Tagen sollten zusätzliche 400 Soldaten in Litauen ankommen, sagte er nach einem Treffen mit seinem Kollegen Gabrielius Landsbergis in Vilnius. Die USA hatten nach dem russischen Angriff auf die Ukraine rund 7000 weitere Soldaten nach Europa verlegt. Ein Teil des Kontingents soll nun in dem baltischen EU- und NATO-Land stationiert werden.

Bei einem Besuch in Lettland sagte Blinken zudem Hilfe zu, um die Cyber- und Energiesicherheit zu stärken. Zugleich versicherte Blinken den beiden Staaten die Solidarität der USA. Die im NATO-Vertrag festgelegte Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand sei für die USA "unantastbar". Daran sollte niemand zweifeln, so Blinken.

Verhandlungen auf Regierungsebene angekündigt

Die Außenminister der Ukraine und Russlands wollen sich zu Gesprächen in der Türkei treffen. Beide Seiten hätten zugestimmt und würden am 10. März in Antalya erwartet, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Die Gespräche sollten gemeinsam mit Cavusoglu im Dreier-Format stattfinden. Das russische Außenministerium in Moskau bestätigte Agenturen zufolge, ein Treffen von Ressortchef Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba sei am Rande einer Konferenz in Antalya geplant. Ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums sagte der Agentur Unian: "Die Möglichkeit eines solchen Treffens wird geprüft." Die Türkei hatte sich im Ukraine-Konflikt immer wieder als Vermittler angeboten.

Der Friedenspalast in Den Haag ist Sitz des Internationalen Gerichtshofs (IGH) Bild: Daniel Kalker/picture alliance

Deutschland will Ukrainer medizinisch versorgen

Deutschland will für die Menschen in der Ukraine umfassende medizinische Hilfe leisten. Verletzte und Erkrankte sollen so schnell wie möglich aus dem Kriegsgebiet in die Bundesrepublik gebracht werden, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ankündigte. Zudem soll medizinisches Material in die Ukraine geliefert werden. "Das Gesundheitswesen der Ukraine steht teilweise vor dem Zusammenbruch - darauf bereiten wir uns vor", sagte Lauterbach. Voraussetzung für die Verlegung von Verletzten und Erkrankten nach Deutschland sei, dass es zu den dafür nötigen Korridoren und Waffenstillständen komme, so der Minister.

Russland nicht bei Anhörung des Internationalen Gerichtshofs dabei

Russische Vertreter sind nicht zu einer Anhörung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zu möglichen russischen Menschenrechtsverbrechen im Krieg gegen die Ukraine erschienen. "Das Gericht bedauert das Nichterscheinen der Russischen Föderation zu dieser mündlichen Verhandlung", sagte die Vorsitzende Richterin Joan Donoghue in Den Haag. Der russische Botschafter in den Niederlanden, Alexander Schulgin, habe dem Gericht mitgeteilt, seine Regierung beabsichtige nicht, an der Verhandlung teilzunehmen.

China dient sich als Vermittler an

China hat sich als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine angeboten. Peking sei bereit, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um "die notwendige Vermittlung" zu gewährleisten, sagte Außenminister Wang Yi vor Journalisten in Peking. Zugleich betonte er, die Freundschaft seines Landes zu Russland sei "felsenfest". "Die Aussichten für die künftige Zusammenarbeit beider Seiten sind sehr groß", fügte Wang hinzu.

Chinas Außenminister Wang Yi: Freundschaft zu Russland ist "felsenfest" Bild: Li Xin/Xinhua/picture alliance

China versucht im Umgang mit dem Ukraine-Krieg eine Gratwanderung: Zum einen steht es an der Seite Russlands und hat den Krieg nicht verurteilt. Zum anderen betont Peking auch die Unantastbarkeit der staatlichen Souveränität und hat Moskau keine direkte Unterstützung zugesagt.

EU-Kommission soll Beitrittsgesuche prüfen

Die Europäische Union brachte derweil die offizielle Prüfung des Beitrittsantrags der Ukraine auf den Weg. Die Botschafter der EU-Länder einigten sich in Brüssel darauf, von der EU-Kommission eine erste Stellungnahme zum Kandidatenstatus für die Ukraine einzuholen, wie die französische Ratspräsidentschaft mitteilte. Auch die Anträge Georgiens und Moldaus sollen demnach geprüft werden. Die drei früheren Sowjetstaaten hatten den Beitritt zur EU nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine offiziell beantragt. Die EU-Beitrittsverfahren sind langwierig und umfassen eine Vielzahl von Schritten. 

Mehr als 1,7 Millionen Menschen geflüchtet

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind nach Angaben der Vereinten Nationen bereits mehr als 1,7 Millionen Menschen aus dem Land geflohen. Allein 60 Prozent von ihnen kamen nach Polen, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mitteilte. Der Konflikt entwickele sich zu einer der "größten humanitären Notsituationen der kommenden Jahre in Europa", warnte die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC).

Laut UN handelt es sich um die am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch in Deutschland ist die Zahl der Flüchtlinge deutlich gestiegen. Das Bundesinnenministerium weiß nach Aussage eines Sprechers bislang von mehr als 50.000 eingereisten Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Die Hauptstadt Berlin kommt nach den Worten von Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihre Belastungsgrenze.

Die Zahl der getöteten Zivilisten stieg nach UN-Angaben auf 406. Wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) in Genf weiter mitteilte, wurden bisher 801 Zivilisten verletzt. Die wahren Opferzahlen dürften indes erheblich höher sein. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat. 

Nawalny-Team ruft Frauen zu Protest auf 

Das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny hat russische Frauen dazu aufgerufen, am Internationalen Frauentag am Dienstag gegen die Invasion in der Ukraine auf die Straßen zu gehen. Um 14.00 Uhr Moskauer Zeit (12.00 Uhr MEZ) sollten die Russinnen auf zentralen Plätzen ihrer Heimatorte protestieren, sagte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch in einer Videobotschaft. Der Internationale Frauentag am 8. März ist in Russland ein Feiertag, an dem Frauen traditionell Blumen geschenkt bekommen.

Auch in der Hauptstadt Moskau geht Russlands Polizei immer wieder gegen Anti-Kriegsdemonstranten vorBild: Sergei Fadeichev/TASS/dpa/picture alliance

Tiktok und Netflix ziehen Stecker in Russland

Nicht nur klassische Medien sind vom russischen Gesetz gegen die Verbreitung von "Falschnachrichten" zum Ukraine-Krieg betroffen. Auch das Online-Netzwerk Tiktok hat nun seine Videofunktion in Russland blockiert. Der Messengerdienst von Tiktok kann demnach weiter genutzt werden.

Bild: Andre M. Chang/Zumapress/picture alliance

Auch Netflix stellte den Betrieb in Russland ein. Bereits vor einigen Tagen hatte der Videostreaming-Riese angekündigt, er werde entgegen den Vorschriften keine russischen TV-Sender über die Plattform verfügbar machen. 

Auch Obi streicht die Segel

Die Baumarkt-Kette Obi beendet ebenfalls ihr Geschäft in Russland. Wegen des Krieges in der Ukraine gebe es keine andere Möglichkeit, teilte das Unternehmen in Wermelskirchen mit. Obi hat in Russland nach eigenen Angaben 27 Baumärkte und 4900 Mitarbeiter, die Firma gehört zur Tengelmann-Gruppe. Gemessen an der Gesamt-Belegschaft macht Russland etwa ein Zehntel aus: Obi hat insgesamt 48.000 Beschäftigte und 670 Märkte in elf Staaten. 

Ölpreis steigt auf fast 140 US-Dollar

Wegen der Angst vor den Folgen des Ukraine-Kriegs auf die weltweite Energieversorgung schnellt der Ölpreis weiter in die Höhe: In der Nacht zum Montag stieg der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent auf einen Höchststand von 139,13 US-Dollar, bevor er auf 130,45 US-Dollar zurückging. Dies entsprach immer noch einem Anstieg um mehr als zehn Prozent. Seit 2008 waren die Ölpreise nicht mehr so hoch. Der historische Rekordpreis für ein Barrel Brent liegt bei 147,50 Dollar. Russland ist der weltweit drittgrößte Ölproduzent. 

uh/sti/cwo/jj/WW/kle (dpa, afp, rtr, kna, ap)

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