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Konflikte

Aktuell: Russen kontrollieren Teile von Sjewjerodonezk

31. Mai 2022

Russische Kräfte setzen den ukrainischen Truppen im Osten des Landes weiter zu. Die Ukraine verurteilt zwei russische Soldaten zu Haft. Die USA liefern keine Waffen mit großer Reichweite an die Ukraine. Ein Überblick.

Ukraine | Kämpfe um Sjewjerodonezk
Heftig umkämpft: Sjewjerodonezk Bild: Aris Messinis/AFP


Das Wichtigste in Kürze:

  • Russische Truppen bringen Sjewjerodonezk teilweise unter Kontrolle
  • Mehr als elf Jahre Gefängnis für zwei russische Soldaten
  • Ukraine identifiziert 600 mutmaßliche Kriegsverbrecher
  • Russischer Militär meldet Leichenfund in Asovstal
  • EU kappt zwei Dritte aller russischen Öl-Importe
  • Scholz: "Keine Angst machen lassen" von Putin

 

Im Osten der Ukraine sind die russischen Truppen weiter auf wichtige Ziele vorgerückt. Sie drangen nach ukrainischen Angaben in die schwer umkämpfte Großstadt Sjewjerodonezk ein und brachten sie teilweise unter Kontrolle. Der Gouverneur der Region Luhansk, Sergij Gajdaj, berichtete von Straßenkämpfen. Er hielt die schätzungsweise noch 15.000 ausharrenden Zivilisten an, in Notunterkünften zu bleiben. Russische Truppen näherten sich langsam dem Zentrum, sagte er im ukrainischen Fernsehen.

Laut Gajdaj wurde bei einem russischen Angriff am Dienstag auch ein Tank mit Salpetersäure in einer Chemiefabrik von Sjewjerodonzek getroffen. Der Gouverneur rief die Bevölkerung auf, in Schutzräumen zu bleiben. Salpetersäure sei gefährlich beim Einatmen, Verschlucken und bei Hautkontakt, betonte er.

Jan Egeland, Generalsekretär der Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC), sagte, man befürchte, dass Tausende von Zivilisten in Sjewjerodonezk im Kreuzfeuer gefangen seien. Es gebe kaum Zugang zu Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten oder Strom.

Die Stadt, die vor dem Krieg etwa 100.000 Einwohner hatte, gilt als wichtigste Kommune, die das ukrainische Militär in der Region Luhansk noch kontrolliert. Fällt Sjewjerodonezk, wäre der Weg frei zum nächsten Kriegsziel: der vollen Einnahme der Nachbarregion Donezk.

Sorge um Slowjansk im Donbass

Die Ukraine rechnet nun mit einem russischen Großangriff auf das Zentrum ihrer Verteidigungskräfte im Donbass im Osten des Landes. Der Raum Slowjansk-Kramatorsk ist der größte Ballungsraum, der noch unter Kontrolle Kiews steht. Hier ist auch das Oberkommando der örtlichen Streitkräfte stationiert. Die russischen Truppen verlegten neue Einheiten nach Slowjansk, um das Gebiet sowohl von Isjum als auch von der kürzlich eroberten Kleinstadt Lyman aus anzugreifen, heißt es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs.

Das ukrainische Militär setzte nach eigenen Angaben seine Offensive an der Grenze zwischen den Gebieten Mykolajiw und Cherson im Süden der Ukraine fort. "Die Lage im Süden ist dynamisch und gespannt", teilte das Oberkommando des ukrainischen Wehrkreises Süd mit. Russland ziehe Reserven zusammen und versuche, die Frontlinien im Gebiet Cherson zu befestigen.

Zwei russische Soldaten verurteilt

In der Ukraine sind zwei russische Soldaten wegen Raketenangriffen auf zivile Einrichtungen in Dörfern zu einer Gefängnisstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Wie die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine berichtete, wurden die beiden Soldaten schuldig gesprochen, beim Beschuss zweier Dörfer in der ostukrainischen Region Charkiw gegen "die Gesetze und Gebräuche des Krieges" verstoßen zu haben. Am Montag vergangener Woche war in der Ukraine der erste russische Soldat wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Ukraine identifiziert 600 mutmaßliche Kriegsverbrecher

Die Ukraine hat nach gut drei Monaten russischem Angriffskrieg bereits in mehr als 15.000 Fällen Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen eingeleitet. Das teilte Kiews Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa mit. Mehr als 600 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher seien identifiziert, gegen rund 80 von ihnen werde bereits strafrechtlich vorgegangen. Die Liste der Verdächtigen umfasse "Spitzenmilitärs, Politiker und Propaganda-Agenten Russlands". Täglich kommen laut Wenediktowa 200 bis 300 neue Fälle hinzu.

Allein in der umkämpften Donbass-Region im Osten des Landes gehe man mehreren tausend Hinweisen auf mutmaßliche Kriegsverbrechen nach. Ukrainische Behörden hätten bisher keinen Zugang zu russisch kontrollierten Gebieten. Es würden aber geflüchtete Menschen und Kriegsgefangene befragt.

Iryna Wenediktowa (M.) bei der Pressekonferenz am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, rechts der Chefankläger des Gerichts, Karim KhanBild: Ramon van Flymen/ANP/picture alliance

Wenediktowa äußerte sich in Den Haag, wo zuvor Ankläger der Ukraine, Polens, Litauens und des Internationalen Strafgerichtshofes über den Stand der Ermittlungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen beraten hatten.

Die Anklagevertreter gehören einem gemeinsamen Ermittlerteam an. Auch Lettland, Estland und Slowakei sind inzwischen mit von der Partie. Die Arbeit wird von der EU-Justizbehörde Eurojust koordiniert. Bei Eurojust sollen nun Beweise und Zeugenaussagen in einer zentralen Datenbank gespeichert werden. Alle Teilnehmerländer sollen Zugang bekommen.

Erster Frachter verlässt Mariupol Richtung Russland

Erstmals seit der vollständigen Einnahme von Mariupol durch die russischen Streitkräfte Anfang Mai hat ein Schiff den Hafen der südostukrainischen Stadt am Asowschen Meer verlassen, wie der Anführer der pro-russischen Separatisten in der ostukrainischen Region Donezk, Denis Puschilin, mitteilte. Das Schiff sei mit einer 2500 Tonnen schweren Metall-Ladung nach Russland unterwegs, erklärt Puschilin über den Messenger-Dienst Telegram. Die Ukraine spricht von Plünderung. Die Russen hatten den Hafen in der vergangenen Woche offiziell wieder in Betrieb genommen.

Russland meldet großen Leichenfund in Fabrik Azovstal

Das russische Militär hat nach eigenen Angaben in den unterirdischen Bunkern der monatelang umkämpften Fabrik Azovstal in Mariupol mehr als 150 Leichen entdeckt. "In einem Container mit nicht mehr funktionierender Kühlung wurden 152 Leichen von gefallenen Kämpfern und Soldaten der ukrainischen Streitkräfte gelagert", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in Moskau.

Die ukrainische Führung habe bis heute keine Anfrage gestellt, die Toten zu überführen. Russische Soldaten hätten unter den Leichen Minen entdeckt, um den Container wohl auf Anweisung Kiews in die Luft zu sprengen und Russland dafür verantwortlich zu machen, erklärte Konaschenkow weiter. Man werde die Toten in Kürze Vertretern der Ukraine übergeben, fügte er hinzu. 

 

EU vereinbart Teil-Ölembargo und neue Finanzhilfen

Bei ihrem Sondergipfel in Brüssel haben sich die 27 EU-Staaten auf ein weitgehendes Embargo für Öl-Importe aus Russland verständigt. Das teilte am späten Montagabend EU-Ratspräsident Charles Michel mit. "Das deckt ab sofort mehr als zwei Drittel der Öl-Importe aus Russland ab und schneidet damit eine enorme Quelle der Finanzierung seiner Kriegsmaschinerie ab", erklärte Michel.

Der Ukraine will die Europäische Union weitere Finanzhilfen von bis zu neun Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Mit dem Geld soll das Land laufende Kosten etwa für Rentenzahlungen und den Betrieb von Krankenhäusern decken können. Unklar ist, wie viel Geld als Zuschuss und wie viel als Kredit ausgezahlt werden soll. Zudem einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs darauf, dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu folgen und das größte russische Finanzinstitut Sberbank vom Zahlungssystem Swift auszuschließen. 

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Ukraine Hilfen von rund fünf Milliarden Dollar pro Monat braucht, um das Funktionieren der Regierung und wichtiger staatlicher Institutionen zu gewährleisten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beziffert die Summe, um die wirtschaftlichen Verluste der Ukraine auszugleichen, auf rund 6,5 Milliarden Euro monatlich. Hinzu kämen Hunderte Milliarden für den Wiederaufbau. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr SelenskyjBild: Sarsenov Daniiar/Ukrainian Presidency/IMAGO

Jetzt auch Gas-Lieferstopp für die Niederlande und Dänemark

Das russische Staatsunternehmen Gazprom kündigte inzwischen an, kein Gas mehr an die Niederlande zu liefern, weil der Gasimporteur seine Rechnung nicht in Rubel bezahlen will. Große Folgen für Unternehmen und Haushalte werden aber nicht erwartet. Zuvor waren die Energie-Lieferungen bereits für Polen, Bulgarien und Finnland gestoppt worden.

Auch Dänemark dreht Gazprom jetzt den Gashahn zu. Das dänische Energieunternehmen Orsted teilte mit, der russische Staatskonzern werde die Gaslieferungen nach Dänemark am 1. Juni einstellen, nachdem sich das dänische Unternehmen geweigert habe, in Rubel zu zahlen. Auch hier wird keine unmittelbare Auswirkung auf die Versorgungslage erwartet, da es keine Gaspipeline gibt, die direkt von Russland nach Dänemark führt. 

USA zurückhaltend bei Raketensystem

US-Präsident Joe Biden hat die Lieferung von Mehrfach-Raketenwerfern an die Ukraine ausgeschlossen, die Ziele in Russland erreichen könnten. "Wir werden der Ukraine keine Raketensysteme liefern, die in Russland angreifen können", sagte Biden in Washington. Damit wandte er sich gegen die mehrfache Bitte der Regierung in Kiew, diese Waffensysteme zu erhalten. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte am vergangenen Donnerstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt, die Ukraine brauche unter anderem "dringend" Raketenwerfer-Systeme, um sich gegen die russischen Streitkräfte wehren zu können. Der Fernsehsender CNN hatte berichtet, die US-Regierung erwäge, der Ukraine Mehrfach-Raketenwerfer mit bis zu 300 Kilometer Reichweite zur Verfügung stellen.

Scholz zeigt sich unbeeindruckt

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich unbeeindruckt von den Warnungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor weiteren Waffenlieferungen des Westens in die Ukraine gezeigt. Man dürfe sich keine Angst machen lassen, sagte Scholz in einem Interview der ARD-"Tagesthemen". "Und deswegen werden wir fortfahren mit dem, was wir angefangen haben." Dazu gehörten neben weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine auch die bessere Ausrüstung der Bundeswehr über das geplante 100-Milliarden-Programm. Deutschland werde "die Ukraine so lange unterstützen, wie das notwendig ist", betonte der Kanzler.

Bundeskanzler Olaf ScholzBild: WPA Pool/Getty Images

Putin hatte am Wochenende in einem Telefonat mit Scholz und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gewarnt. Das berge das Risiko einer weiteren Destabilisierung der Lage und der Verschärfung der humanitären Krise, meinte Putin.

qu/Ar/se/haz/wa (dpa, rtr, afp, ap)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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