Ukraine aktuell: Russland hält an Zielen fest
12. Januar 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Kreml: Kriegsziele bleiben auch unter Gerassimow die gleichen
- Lage in Soledar bleibt unübersichtlich
- Russland und die Ukraine verhandeln weiter über Gefangenenaustausch
- Söldnertruppe Wagner zeigt Dokumente britischer Kämpfer
- SPD setzt auf Verhandlungen mit dem Kreml
Russland hält auch nach dem Umbau seiner Befehlsstruktur für den Krieg in der Ukraine an den Zielen der Invasion fest. Die vier annektierten Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson sollten vollständig eingenommen werden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. "Alle bisherigen Ziele bleiben auf der Tagesordnung." Am Mittwoch hatte das Verteidigungsministerium in Moskau mitgeteilt, dass Generalstabschef Waleri Gerassimow nun direkt und hauptamtlich das Kommando über die in der Ukraine eingesetzten Truppen übernommen habe. Der erst im Oktober ernannte Kommandeur Sergej Surowikin ist jetzt nur noch Gerassimows Stellvertreter.
Die Rochade gilt als Versuch von Kremlchef Wladimir Putin, das Ansehen der zuletzt wegen zahlreicher Niederlagen in dem Krieg in die Kritik geratenen Militärführung des Landes wieder zu stärken. Dagegen wurde der Einfluss der Hardliner durch den Umbau der Befehlsstruktur geschwächt. Sie hatten sich für ein noch rigoroseres Vorgehen in der Ukraine ausgesprochen und Fehler der Militärführung angeprangert. Besonders Surowikin galt als Hoffnungsträger der Scharfmacher in dem Krieg, schneller Erfolge zu erzielen. Der als besonders skrupellos verschriene General hatte die Bombardierung der Energie-Infrastruktur der Ukraine befohlen. Millionen Menschen in dem Land sind seither von Stromausfällen betroffen.
Unklare Situation in umkämpfter Stadt Soledar
Zur Lage in der heftig umkämpften Stadt Soledar gibt es weiter widersprüchliche Aussagen. Der Chef der russischen Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, erklärte, der Ort sei vollständig eingenommen. Dabei seien etwa 500 pro-ukrainische Kämpfer getötet worden. "Die ganze Stadt ist mit den Leichen ukrainischer Soldaten übersäht", heißt es in einer Mitteilung. Minuten zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Video-Ansprache dagegen erklärt, die Kämpfe in Soledar gingen weiter. Die Angaben können von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.
Selenskyj sagte, die von russischer Seite verkündete Einnahme Soledars sei "ein Propagandamanöver". "Die Front im Donezk-Gebiet hält", betonte er am Mittwochabend in seiner täglichen Videoansprache. Die Kämpfe gingen weiter, und man unternehme alles, um "die ukrainische Verteidigung zu stärken".
Zuletzt erzielten Moskaus Truppen bei Soledar und dem benachbarten Bachmut Berichten zufolge Geländegewinne. Beide Städte sind von strategischer Bedeutung, weil sie Teil des ukrainischen Verteidigungswalls vor dem Ballungsraum zwischen Slowjansk und Kramatorsk sind.
Russischer Soldat wegen Verweigerung zu fünf Jahren Haft verurteilt
Ein Gericht in Russland hat einen Berufssoldaten zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er nicht in der Ukraine kämpfen wollte. Der 24-Jährige, der "nicht an einer militärischen Spezialoperation teilnehmen wollte", habe sich im Mai 2022 nicht zum Dienst gemeldet, teilte die Justiz in der Region Baschkortostan im Südural mit. Die Polizei habe den Mann dann im September ausfindig gemacht. Unabhängig davon teilte ein Militärgericht mit, den Soldaten ebenfalls zu fünf Jahren Haft verurteilt zu haben, weil er sich während der russischen Mobilmachung mehr als einen Monat lang dem Militärdienst entzogen habe.
Russland hatte im September die Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten angeordnet. Die Ankündigung hatte dazu geführt, dass sich zahlreiche Russen in Nachbarländer wie Armenien, Georgien und Kasachstan absetzten, aus Angst, in die Armee eingezogen und in der Ukraine eingesetzt zu werden. Viele der Rekruten verfügten zudem laut Kritikern über wenig Kampferfahrung und wurden unzureichend geschult, bevor sie an die Front geschickt wurden.
Verhandlungen über Gefangenenaustausch
Russland und die Ukraine verhandeln weiter über die konkrete Ausgestaltung eines Gefangenenaustauschs. Am Mittwoch hatten beide Seiten eine Grundsatzeinigung erzielt. Die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa sagte nach einem Treffen mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Lubinez in Ankara, sie hätten den Austausch von jeweils mehr als 40 Gefangenen vereinbart.
Es wird erwartet, dass Moskalkowa und Lubinez an diesem Donnerstag offiziell die Gefangenenlisten austauschen. Nach Angaben des türkischen Menschenrechtsbeauftragten Seref Malkoc forderten die beiden zudem die Einrichtung eines humanitären Korridors im Kriegsgebiet "unter der Schirmherrschaft von Recep Tayyip Erdogan". Der türkische Präsident sagte später, er sei bereit, einen "Korridor für die Verwundeten" zu beaufsichtigen.
Treffen zwischen offiziellen Vertretern Russlands und der Ukraine sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland sehr selten. Beide Länder haben sich dennoch wiederholt auf den Austausch von Gefangenen einigen können.
Die Ukraine und Russland werfen sich gegenseitig Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vor. Der UN-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine zufolge liegen glaubwürdige Berichte über Folter und Misshandlungen von Kriegsgefangenen auf beiden Seiten vor.
Fotos von vermissten Briten aufgetaucht
Die berüchtigte russische Söldnergruppe Wagner hat nach eigener Darstellung in der Ukraine die Leiche eines vermissten Briten samt Ausweis sowie die Dokumente eines zweiten britischen Staatsbürgers gefunden. Auf einem Telegram-Kanal, der den Söldnern zugeordnet wird, wurden am Mittwochabend Fotos gepostet, die die Dokumente der beiden Briten zeigen sollen.
Die Leiche eines der Männer sowie die Ausweise seien in der schwer umkämpften ostukrainischen Stadt Soledar gefunden worden, heißt es. Über das Schicksal des zweiten Vermissten lagen keine Angaben vor. Aus der Mitteilung ging nicht hervor, auf welcher Seite der vermisste Brite gekämpft hatte. Vom Außenministerium in London hieß es vor wenigen Tagen, dass zwei Briten in der Ukraine vermisst würden.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind in der Ukraine nach verschiedenen Medienberichten bereits Dutzende ausländische Kämpfer getötet worden. Die meisten von ihnen unterstützten die ukrainischen Streitkräfte.
SPD-Fraktion will mit Putin verhandeln
Die SPD im Bundestag setzt weiter auf diplomatische Initiativen, um zu einem Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine zu kommen. "Denn wir wissen: Kriege werden in der Regel nicht auf dem Schlachtfeld beendet", heißt es in dem Entwurf für ein Positionspapier der größten Regierungsfraktion, das auf der an diesem Donnerstag beginnenden Jahresauftakt-Klausur beschlossen werden soll.
"Auch wenn es aus nachvollziehbaren Gründen keinerlei Vertrauen mehr zur gegenwärtigen russischen Führung gibt, müssen diplomatische Gespräche möglich bleiben." Deswegen seien auch die Gespräche von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem russischen Präsidenten Putin richtig und notwendig. Wo immer es möglich sei, sollten diplomatische Initiativen ergriffen werden, heißt es in dem Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und über den mehrere andere Medien berichtet hatten.
Die ukrainische Regierung steht diplomatischen Initiativen skeptisch gegenüber. Sie sieht keinen Sinn in Verhandlungen mit Russland, solange nicht alle Truppen von ukrainischem Gebiet abgezogen sind.
sti/fab/mak/jj/bru (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.