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Politik

Aktuell: Russland ordnet Abzug von Truppen aus Cherson an

9. November 2022

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Entschlossenheit seines Landes im Kampf gegen Russland bekräftigt. Putin-Vertrauter berät den Iran in Sicherheitsfragen. Ukrainische Generäle beklagen Plünderungen. Ein Überblick.

Ukraine Bachmut | Ukrainische Artillerie
Ukrainische Soldaten in Bachmut, einem der Brennpunkte schwerer Kämpfe in der Region DonezkBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russland ordnet Abzug seiner Truppen aus Cherson an
  • Selenskyj zeigt sich entschlossen im Kampf gegen Russland
  • Russland und der Iran suchen einen engeren Schulterschluss 
  • USA sagen Ukraine weitere Unterstützung zu
  • Reparatur der Krim-Brücke dauert offenbar noch Monate 

 

Russland hat den Rückzug seiner Truppen westlich des ukrainischen Flusses Dnipro um die Stadt Cherson im Süden des Landes angeordnet. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit. General Sergej Surowikin, der oberste Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine, erklärte ergänzend, beabsichtigt sei, dass die Streitkräfte sich auf das Halten des Ostufers des Flusses konzentrieren sollten. Es bestehe die Gefahr, dass das Gebiet am Westufer überschwemmt werde und die russischen Truppen dort eingekesselt würden. Bislang hätten rund 115.000 Menschen die Region bereits verlassen. Es sei unmöglich, die Stadt Cherson noch zu versorgen.

Verteidigungsminister Schoigu (r) und General Surowikin (l) besuchen ein Kommando der russischen StreitkräfteBild: Russian Defence Ministry/TASS/dpa/picture alliance

Russischer Vize-Statthalter der Region Cherson tot

Der Vizechef der von Moskau eingesetzten Verwaltung im Gebiet Cherson ist laut Angaben von vor Ort tot. Kirill Stremoussow sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, sagte Besatzungschef Wladimir Saldo in einer beim Nachrichtendienst Telegram verbreiteten Videobotschaft. Details nannte er nicht.

Zuvor hatten bereits die staatlichen russischen Nachrichtenagenturen Tass und Ria Nowosti unter Berufung auf die Besatzer in Cherson übereinstimmend den Tod des 45-Jährigen gemeldet. Die Nachricht kam vor dem Hintergrund von Gerüchten über einen laufenden Abzug der russischen Armee vom westlichen Dnipro-Ufer. Stremoussow hatte dies als einer der bekanntesten Vertreter der russischen Besatzungsverwaltung bis zuletzt praktisch ausgeschlossen. 

Kiew reagiert skeptisch auf russische Ankündigung

Die Ukraine reagiert verhalten auf die Ankündigung Russlands, seine Truppen aus der Stadt Cherson im Süden des Landes abzuziehen. Es sei zu früh, von einem Abzug zu sprechen, sagt Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Es verblieben einige russische Truppen in der Stadt, zudem würden zusätzliche Kräfte in die Region beordert. Die Ankündigungen aus Moskau und die Handlungen vor Ort seien mitunter höchst unterschiedlich. Solange nicht die ukrainische Flagge über Cherson wehe, könne von einem russischen Rückzug nicht gesprochen werden.

Selenskyj zeigt sich entschlossen im Kampf gegen Russland

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat beteuert, die eigenen Truppen würden "nicht einen einzigen Zentimeter" zurückweichen im Kampf um die östliche Region Donezk. Dort sei die Lage weiterhin "besonders schwierig". Als Brennpunkte gelten die Städte Bachmut und Awdijiwka. Jeden Tag gebe es Dutzende Angriffe. Die russischen Soldaten erlitten allerdings hohe Verluste. Zuvor hatte Selenskyj erneut bekräftigt, etwaige Friedensverhandlungen mit dem Aggressor Russland könne es nur geben, wenn das ukrainische Territorium vollständig gewahrt bleibe und die Regierung in Moskau angemessene Reparationen leiste.

In seiner täglichen Videoansprache sagte der Staatschef, rund vier Millionen Menschen in 14 Regionen und in der Hauptstadt Kiew seien derzeit von Stromausfällen betroffen. Zumeist handele es sich um geplante Abschaltungen, um das Netz nach russischen Angriffen auf die Infrastruktur funktionsfähig zu halten. Abseits der Kampfzonen werde intensiv daran gearbeitet, das normale Leben in befreiten Gebieten wiederherzustellen, etwa in der Region um Charkiw.

In Kiew stehen Menschen am Montag für heiße Suppe und Brot an, die eine Hilfsorganisation kostenlos ausgibtBild: Ed Ram/Getty Images

Um der Bevölkerung zu helfen, die kalte Jahreszeit zu überstehen, habe die Regierung die Importzölle auf Geräte zur Energieversorgung wie etwa Generatoren aufgehoben. "Wir verstehen klar: Den Winter in eine Waffe zu verwandeln, ist der Plan eines terroristischen Staates gegen unseren Staat und gegen ganz Europa", sagte Selenskyj. "Aber wir tun alles dafür, dass auch dieser Plan scheitert - ebenso wie diverse frühere Pläne."

Putin-Vertrauter Patruschew im Iran

Russland und der Iran suchen gegenüber dem Westen einen engeren Schulterschluss. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, beriet in Teheran mit seinem Amtskollegen Ali  Schamchani über die Lage in der Ukraine und über Sicherheitsfragen, wie staatliche russische Nachrichtenagenturen meldeten. Es sei um die Kooperation der beiden Staaten in der Sicherheit gegangen und um Maßnahmen im Kampf gegen "westliche Einmischung" in ihre internen Angelegenheiten. Im Anschluss habe Patruschew den iranischen Präsidenten Ebrahim Raissi getroffen, meldete Interfax. Patruschew ist ein enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin und hat als Sekretär des Sicherheitsrates immensen Einfluss. Der Iran unterhält gute Beziehungen zu Russland und gilt als Unterstützer im Krieg gegen die Ukraine.

Der Besuch findet vor dem Hintergrund der Vorwürfen der Ukraine und des Westens statt, das russische Militär setze iranische sogenannte Kamikaze-Drohnen in der Ukraine ein. Am Wochenende hatte die Regierung in Teheran erstmals zugegeben, an Russland Drohnen geliefert zu haben. Der Iran sprach von einigen wenigen. 

USA sagen weitere Hilfe zu

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, sicherte der Ukraine fortdauernde Unterstützung aus Washington zu. Die USA seien bereit, dem angegriffenen Land so lange wie nötig beizustehen, sagte die Diplomatin bei einem Treffen mit Selenskyj in Kiew. So werde die humanitäre Hilfe für Bedürftige um 25 Millionen US-Dollar (umgerechnet 25 Millionen Euro) aufgestockt. Nach Angaben der US-Mission bei den Vereinten Nationen sprachen beide Politiker auch darüber, wie das von den UN und der Türkei vermittelte Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine aufrechterhalten und ausgeweitet werden kann.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Thomas-Greenfield, beim ukrainischen Präsidenten Selenskyj in KiewBild: Ukrainian Presidential Press Service/REUTERS

In einem kriminaltechnischen Labor hatte sich Thomas-Greenfield darüber informiert, wie die Ukraine Beweise für Kriegsverbrechen russischer Besatzer sichert. Der Krieg werde erst enden, wenn die Verantwortlichen für die Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen würden, sagte sie im Anschluss. Der Besuch der UN-Botschafterin fiel auf den Tag der Zwischenwahlen in den USA. Deren Ausgang dürfte auch über die Ukraine-Hilfen mitentscheiden. Die oppositionellen Republikaner hatten damit gedroht, die milliardenschwere Unterstützung auszubremsen, sollten sie im US-Kongress eine Mehrheit erringen.

Der Generalstab der Ukraine warf dem Nachbarland Belarus derweil vor, die Angriffe Russlands gegen ukrainische Ziele weiterhin zu unterstützen, indem es seine Infrastruktur zur Verfügung stelle. Es bestehe auch künftig die Gefahr, "dass der Feind Luftangriffe mit Kampfdrohnen vom Territorium und Luftraum dieses Landes aus startet", hieß es.

"Organisierte Plünderungen"

In der Region um die südukrainische Stadt Cherson registriere man die "fortgesetzte organisierte Plünderung durch russische Soldaten", erklärte der Generalstab weiter. So seien Konvois mit gestohlenen Haushaltsgeräten und Baumaterialien beobachtet worden. Zugleich werde die Demontage von Mobilfunkmasten und -anlagen fortgesetzt. Aus dem Regionalmuseum für den sowjetisch-ukrainischen Kunstmaler Oleksij Schowkunenko seien "alle Kunstwerke und sogar die Möbel" von den Besatzern gestohlen worden.

Reparatur der Krim-Brücke dauert offenbar noch Monate 

Die Wiederherstellung der beschädigten Brücke zu der von Russland besetzten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim könnte nach Einschätzung britischer Geheimdienst-Experten noch beinahe ein Jahr dauern. "Die russischen Anstrengungen, die Krim-Brücke zu reparieren, gehen weiter, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie vor September 2023 vollständig funktionsfähig sein wird", hieß es im täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London.

Die für den Nachschub der russischen Invasionstruppen in der Ukraine wichtige Brücke war am 8. Oktober durch eine Explosion schwer beschädigt worden. Aus einer Unterrichtung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gehe hervor, dass Arbeiten an der Straßenbrücke den Verkehr noch bis März 2023 einschränken werde, so die britischen Experten weiter. Die Reparatur der Bahnstrecke sei vertraglich bis September 2023 vereinbart worden. Derzeit sei ein Gleis benutzbar, aber der Zugverkehr sei weiterhin eingeschränkt. In den Wintermonaten werde die Reparaturtätigkeit zudem schwer von den Witterungsbedingungen abhängen.

qu/nob/AR/se/jj/mak (dpa, afp, rtr, ap)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.