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Politik

Aktuell: Russland will besetzte Gebiete sichern

20. September 2022

In vier ukrainischen Gebieten soll über einen Beitritt zu Russland abgestimmt werden. Diese 'Referenden' haben politische und militärische Folgen. In Deutschland wird der Gaskonzern Uniper verstaatlicht. Ein Überblick.

Eine Frau hält einen russischen Pass vor sich
Eine Frau hält einen russischen Pass vor sichBild: Alexander Reka/dpa/TASS/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk kündigen Referenden an
  • Putin fordert Steigerung der russischen Rüstungsproduktion
  • UN-Generalsekretär: Leichenfunde sind "äußerst beunruhigend"
  • Baerbock betont Rolle der UN bei Krisenbewältigung
  • Gaskonzern Uniper kündigt seine Verstaatlichung an

 

Die nur von Russland anerkannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk im Osten, das umkämpfte Gebiet um Cherson im Süden der Ukraine sowie der russisch besetzte Teil um Saporischschja wollen noch in dieser Woche in einem umstrittenen Verfahren über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen lassen. Das teilen die Regionen mit. Die Scheinreferenden, die weder von der Ukraine noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, sollen demnach vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Die zeitgleichen Referenden in den vier Gebieten gelten als Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes.

Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim. International wurde diese Form der Abstimmung nicht anerkannt. Auch diesmal ist keine Anerkennung in Sicht.

Atomwaffen als "Mittel des Selbstschutzes"

Zuvor hatte der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew Beitrittsreferenden in den von Moskau besetzten Gebieten in der Ukraine gefordert, um diese unwiderruflich an Russland anzugliedern. "Nach ihrer Durchführung und der Aufnahme der neuen Territorien in den Bestand Russlands nimmt die geopolitische Transformation in der Welt unumkehrbaren Charakter an", schrieb er auf seinem Telegram-Kanal. Russland könne nach dem Beitritt der Gebiete "alle Mittel des Selbstschutzes" anwenden.

Ukrainische Soldaten in der Region Donezk (Archivbild)Bild: David Goldman/AP Photo/picture alliance

Russische Kommentatoren weisen darauf hin, damit seien Atomwaffen eingeschlossen.

Auch die russische Politologin Tatjana Stanowaja meint, Russlands Präsident Wladimir Putin habe sich angesichts seiner gescheiterten Pläne, die Gebiete rasch einzunehmen, zu den Beitrittsreferenden entschieden. Nach einer Annexion habe Putin die Möglichkeit, die Territorien unter Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu verteidigen.

Scholz: Referenden sind völkerrechtswidrig

Bundeskanzler Olaf Scholz hält die geplanten Abstimmungen für völkerrechtswidrig. Es sei "ganz, ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können, dass sie nicht gedeckt sind vom Völkerrecht und von den Verständigungen, die die Weltgemeinschaft gefunden hat", sagte er am Rande der UN-Generalversammlung in New York.

USA: "Wir wissen, dass diese Referenden manipuliert werden"

Auch die USA verurteilen die angekündigten Abstimmungen in der Ukraine scharf. "Wir werden dieses Gebiet niemals als etwas anderes als einen Teil der Ukraine anerkennen. Wir weisen das Vorgehen Russlands eindeutig zurück", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington. Die Referenden seien ein Affront gegen die Grundsätze der Souveränität und der territorialen Integrität, auf denen das internationale System beruhe.

"Wir wissen, dass diese Referenden manipuliert werden. Wir wissen, dass Russland diese Scheinreferenden als Grundlage für die angebliche Annexion dieser Gebiete entweder jetzt oder in Zukunft nutzen wird", sagte der Sicherheitsberater. 

Ukraine gibt sich gelassen

Kiew reagiert auf die von Russland und den russischen Besatzungsbehörden angekündigten "Referenden" gelassen. "Weder die Pseudoreferenden noch die hybride Mobilmachung werden etwas ändern", twittert Außenminister Dmytro Kuleba. Die Ukraine werde weiter ihr Gebiet befreien, egal, was in Russland gesagt werde. 

Putin fordert Steigerung der Rüstungsproduktion

In Moskau fordert der russische Präsident Wladimir Putin eine deutliche Steigerung der Rüstungsproduktion wegen des Kriegs. "Die Organisationen der Rüstungsindustrie müssen in kürzester Zeit die Lieferung der nötigen Waffen, Technik und Bekämpfungsmittel an die Streitkräfte gewährleisten", sagte er auf einer Sitzung mit den Chefs der russischen Rüstungsunternehmen. Gleichzeitig sei es nötig, bei der Waffenproduktion völlig auf Importe zu verzichten.

Bereitet Duma die Mobilmachung vor?

Das russische Parlament nahm indes in Eilverfahren Gesetzesänderungen vor, die auf ein baldiges Kriegsrecht im Land hindeuten könnten. So legte die Duma fest, dass Zeiten der "Mobilmachung" und des "Kriegszustandes" besonders anfällig seien für Verbrechen. Verschärft wurde unter anderem das Strafrecht, wonach etwa die Haftstrafen für das freiwillige Eintreten in Kriegsgefangenschaft und für Plünderungen deutlich erhöht werden.

Die russische Staatsduma änderte in Eilverfahren GesetzeBild: Sergei Fadeichev/TASS/dpa/picture alliance

Die Staatsduma verabschiedete ebenfalls ein Gesetz, wonach Ausländer, die sich zum Militärdienst verpflichten, schneller russische Staatsbürger werden können. Der Kreml hatte nach der Niederlage in der Region Charkiw kürzlich noch erklärt, dass "im Moment" keine Mobilmachung anstehe. 

Moskauer Börsen auf Talfahrt

Spekulationen auf eine nahende Verhängung des Kriegsrechts in Russland schickt die dortigen Börsen auf Talfahrt. Die Leitindizes der Moskauer Börse fielen  zeitweise um mehr als zehn Prozent. Das ist für beide der größte Kursrutsch seit einem halben Jahr.

Ukraine rückt weiter nach Osten vor 

Unterdessen sind ukrainische Streitkräfte nach eigenen Angaben weiter nach Osten in von russischen Truppen aufgegebenes Gebiet vorgedrungen. Der ukrainische Gouverneur der von russischen Streitkräften kontrollierten Region Luhansk, Serhij Hajdaj, schrieb auf Telegram, die ukrainischen Streitkräfte hätten die vollständige Kontrolle über das Luhansker Dorf Bilohoriwka wiedererlangt und bereiteten sich auf den Kampf um die Rückeroberung der gesamten Provinz vor. Es werde um jeden Zentimeter gekämpft werden: "Der Feind bereitet seine Verteidigung vor. Wir werden also nicht einfach vorrücken." Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Guterres: Leichenfunde sind "äußerst beunruhigend"

Angesichts der Funde zahlreicher Leichen in der Ukraine hat sich UN-Generalsekretär António Guterres besorgt gezeigt. "Die jüngsten Berichte über Grabstätten in Isjum sind äußerst beunruhigend", sagte Guterres zum Auftakt der 77. Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Der Krieg habe insgesamt zu weitreichenden Zerstörungen mit massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts geführt. Zuvor waren bei der Stadt Isjum, die die Ukraine von russischer Besatzung befreien konnte, 440 Gräber mit Leichen gefunden worden. Einige von ihnen wiesen nach ukrainischen Angaben Folterspuren auf. 

Baerbock betont Rolle der UN bei Krisenbewältigung

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Russland einen Angriff auf die Fundamente der Vereinten Nationen vorgeworfen und die Rolle der UN bei der weltweiten Krisenbewältigung hervorgehoben. "Es braucht die Vereinten Nationen dafür, dass wir gemeinsame Lösungen für globale Probleme finden. Dass kein Land in Angst leben muss, dass ein stärkerer Nachbar es angreift", erklärte die Grünen-Politikerin in Berlin vor ihrem Abflug zur Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Russland trete als eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates das Völkerrecht und damit das Fundament der internationalen Friedensordnung mit Füßen. Die UN zeichne dagegen aus, einander mit Respekt und Verständnis zuzuhören, geeint im Glauben an Grundwerte wie Verzicht auf Gewalt, Gleichheit aller Staaten und internationale Zusammenarbeit.

Außenministerin Annalena Baerbock versichert die Ukraine nochmals der Solidarität Deutschlands (Archivbild)Bild: Costas Baltas/REUTERS

Die Ministerin betonte, Deutschland stehe fest an der Seite der Ukraine und "wir werden sie weiter unterstützen - mit allem was sie braucht - damit der Krieg und das unermessliche Leid der Menschen in der Ukraine ein Ende finden".

Bahnen wollen engere Kooperation

Die Deutsche Bahn und die ukrainische Staatsbahn wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen. Beide Seiten unterzeichneten in Berlin eine Vereinbarung, um Güterverkehrskorridore und Terminalkapazitäten für Agrartransporte auszubauen. Die DB will der ukrainischen Bahngesellschaft Ukrsalisnyzja zudem bei der Einführung europäischer Standards im Bahnbetrieb und Management beraten. Zudem sicherte sie Hilfe beim Wiederaufbau nach dem Krieg zu. "Für mich ist klar: Die Ukraine erhält weiter jede Unterstützung, die wir bieten können", sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf der Bahntechnikmesse Innotrans.

Der ukrainische Bahnchef Oleksander Kamyschin zeigte sich zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit die Getreideexporte aus der Ukraine steigern werde. Fachleute der deutschen Güterbahn DB Cargo sollen nach der Vereinbarung helfen, Güter-Korridore und Terminals für den Umschlag zwischen der ukrainischen Breitspur und der Normalspur neu zu entwickeln oder bestehende zu ertüchtigen. Einige Güterverkehrsknoten im Westen der Ukraine könnten schon von Normalspur-Zügen angesteuert werden. Es soll nun auch geprüft werden, ob ukrainische Getreidewagen für Exporte in die Europäische Union genutzt werden können. Überlegt werde auch, Wagen in die Ukraine zu liefern.

Truss verspricht Ukraine weitere Milliardenhilfe

Die britische Premierministerin Liz Truss hat im Vorfeld der UN-Generaldebatte weitere militärische Unterstützung in Milliardenhöhe für die Ukraine angekündigt. Die britische Unterstützung werde mindestens dieselbe Summe wie in diesem Jahr erreichen, kündigte Truss an. In diesem Jahr leistete Großbritannien bislang Militärhilfen in Höhe von rund 2,3 Milliarden Pfund (2,6 Milliarden Euro).

Die neue britische Premierministerin Liz Truss hat der Ukraine die weitere Unterstützung Großbritanniens versichertBild: Frank Augstein/AP/picture alliance

"Meine Botschaft an die Menschen in der Ukraine lautet: Das Vereinigte Königreich wird weiterhin auf Schritt und Tritt hinter Ihnen stehen. Ihre Sicherheit ist unsere Sicherheit", sagte Truss. "Die Siege der Ukraine in den vergangenen Wochen waren inspirierend. Immer wieder haben diese tapferen Menschen den Zweiflern die Stirn geboten und gezeigt, was möglich ist, wenn sie die militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung erhalten, die sie benötigen."

Großbritannien hat der Ukraine nach eigenen Angaben bisher unter anderem Hunderte Raketen, fünf Flugabwehrsysteme, 120 gepanzerte Fahrzeuge und mehr als 200.000 Ausrüstungsgegenstände wie Nachtsichtgeräte geliefert. Zudem seien seit 2015 insgesamt 27.000 ukrainische Soldaten ausgebildet worden. Die genauen Details für weitere Hilfen sollten "auf Grundlage der Bedürfnisse der Streitkräfte der Ukraine festgelegt" werden, teilte die britische Regierung mit.

Gaskonzern Uniper soll verstaatlicht werden

Der angeschlagene Energiekonzern Uniper soll unter staatliche Kontrolle kommen. Uniper befinde sich dazu in abschießenden Gesprächen mit dem Bund und dem finnischen Mutterkonzern Fortum, teilte der Konzern mit. Es sei unter anderem eine Kapitalerhöhung in Höhe von acht Milliarden Euro geplant, die ausschließlich durch den Bund gezeichnet werden solle. Darüber hinaus solle der deutsche Staat die derzeit von Fortum gehaltenen Uniper-Aktien erwerben.

Der Gaskonzern Uniper kündigt seine Verstaatlichung an - was bedeutet das für die Gasumlage?Bild: Ina Fassbender/AFP

"Die endgültige Vereinbarung ist noch nicht abgeschlossen", sagte das Unternehmen.

Füllstände der Gasspeicher steigen

Trotz der Ende August eingestellten Erdgaslieferungen aus Russland sind die deutschen Gasspeicher mittlerweile zu mehr als 90 Prozent gefüllt. Das geht aus Daten der europäischen Speicherbetreiber hervor, die im Internet veröffentlicht wurden. Demnach erreichten die Speicher am vergangenen Sonntag einen Füllstand von 90,07 Prozent - 0,32 Prozentpunkte mehr als am Vortag. 

Eine Ministerverordnung sieht vor, dass die deutschen Speicher am 1. November, also in sechs Wochen, zu mindestens 95 Prozent gefüllt sein sollen. Die bei diesem Füllstand gespeicherte Gasmenge entspricht etwa dem bundesweiten Verbrauch im Januar und Februar 2022. Die Speicher gleichen Schwankungen beim Gasverbrauch aus und bilden damit eine Art Puffersystem für den Gasmarkt. An kalten Wintertagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus deutschen Speichern abgedeckt.

Gasspeicher in Sachsen-AnhaltBild: Waltraud Grubitzsch/dpa/picture alliance

Derzeit erhält Deutschland Erdgas über Pipelines aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Zum Jahreswechsel sollen an der deutschen Nordseeküste die ersten beiden Terminals zur Anlandung von verflüssigtem Erdgas (LNG) in Betrieb genommen werden.

se/gri/jj/ww/nob/rb (dpa, rtr, afp, ap)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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