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Politik

Aktuell: Saporischschja vom Netz genommen

25. August 2022

Die wichtige Kühlung der Reaktoren des russisch besetzten Atomkraftwerks ist aber offenbar gesichert. Der EU-Außenbeauftragte Borrell nennt den Angriff auf den Bahnhof in Tschaplyne "abscheulich". Ein Überblick.

Seit Anfang März ist Saporischschja, das größte Atomkraftwerk in Europa, von russischen Truppen besetzt
Seit Anfang März ist Saporischschja, das größte Atomkraftwerk in Europa, von russischen Truppen besetzt Bild: Konstantin Mihalchevskiy/SNA/IMAGO

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ukraine befürchtet Anschluss von Saporischschja an Stromnetz der Krim
  • EU will Verantwortliche für Bahnhofsangriff zur Rechenschaft ziehen
  • Weitere Todesopfer nach Raketenangriff auf Bahnhof von Tschaplyne
  • Hilfsorganisationen: Streubomben im Einsatz
  • In Lettland wird sowjetisches Siegesdenkmal abgebrochen

 

Das von der russischen Armee kontrollierte Atomkraftwerk in Saporischschja ist nach Angaben des Betreibers vollständig vom ukrainischen Stromnetz abgekoppelt worden. Wie die ukrainische Betreibergesellschaft Energoatom im Onlinedienst Telegram mitteilte, wurden die beiden zuletzt noch arbeitenden Reaktoren der Anlage wegen Brandschäden an Stromleitungen "komplett" vom Netz genommen. Dies sei "das erste Mal in der Geschichte der Anlage" geschehen.

Die Stromversorgung des AKW selbst sei über das Wärmekraftwerk weiterhin gewährleistet, erklärte das ukrainische Energieunternehmen. Die permanente Stromversorgung ist nach Angaben von Experten für die Sicherheit von Atomkraftwerken essenziell - auch im ausgeschalteten Zustand, denn auch dann müssen diese Anlagen gekühlt werden.

Mehrfach unter Beschuss

Die russischen Besatzer hingegen teilten mit, einer der beiden Kraftwerksblöcke sei bereits wieder am Netz. Die beiden Reaktoren hätten nur vorübergehend heruntergefahren werden müssen, nachdem aufgrund von ukrainischem Beschuss ein Feuer ausgebrochen sei, schrieb der Besatzungschef der Region, Jewgeni Balizki, auf Telegram. Die Angaben beider Seiten waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.

In den vergangenen Wochen war das größte AKW Europas mehrfach unter Beschuss geraten, was Ängste vor einer Atomkatastrophe schürte. Beide Kriegsparteien machen sich gegenseitig für den Beschuss verantwortlich. Die Anlage, die sich nicht weit von der von Russland annektierten Halbinsel Krim befindet, verfügt über insgesamt sechs der 15 Reaktoren der Ukraine, die vier Millionen Haushalte mit Strom versorgen können. Die russische Armee hatte das Kraftwerk am 4. März eingenommen. Energoatom vermutet, dass Russland Saporischschja an das Stromnetz der Krim anschließen will.

Entsetzen bei einem Mann, dessen 11-jähriger Sohn bei dem Angriff auf den Bahnhof von Tschaplyne ums Leben kamBild: Dmytro Smolienko/REUTERS

EU will Verantwortliche für Bahnhofsangriff zur Rechenschaft ziehen

Das russische Verteidigungsministerium zeichnete inzwischen verantwortlich für den Beschuss des Bahnhofs von Tschaplyne, bei dem mindestens 25 Menschen getötet wurden. Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell erklärte, die EU verurteile diesen weiteren "abscheulichen Angriff auf Zivilisten". Diejenigen, die für den russischen Beschuss verantwortlich seien, würden zur Rechenschaft gezogen. Moskau erklärte, dabei seien mehr als 200 ukrainische Soldaten, die für Kämpfe im Donbass bestimmt gewesen seien, getötet worden. 

Die Raketen hätten einen Zug getroffen, sagte Selenskyj in einer Video-Ansprache an den UN-Sicherheitsrat anlässlich des ukrainischen Unabhängigkeitstags sowie des Kriegsbeginns vor sechs Monaten. Nachdem er die Opfer aus Sicht der Ukraine - 25 tote Zivilisten und mehr als 30 Verletzte - und die Rettungsarbeiten erwähnte, fügte er hinzu: "Das ist unser Alltag." Das Verteidigungsministerium in Kiew veröffentlichte auf Twitter Fotos, die den zerstörten Zug zeigen sollen.

Viele Streubomben-Opfer im Ukraine-Krieg

In der Ukraine sind laut Streubomben-Monitor 2022 mindestens 689 Zivilisten und Zivilistinnen durch Streubomben getötet worden. Die Dunkelziffer sei vermutlich höher, heißt es in dem in Genf veröffentlichten Bericht der Hilfsorganisation Handicap International (HI) mit Sitz in München.

Die Hilfsorganisation verwies darauf, dass der Oslo-Vertrag den Einsatz von Streubomben verbietet. Trotzdem seien sie sowohl von der russischen als auch von der ukrainischen Armee eingesetzt worden - vorwiegend in bewohnten Gebieten. Da 40 Prozent der Streumunition nicht direkt explodierten, gefährdeten sie weiterhin latent die Zivilbevölkerung.

Die Ukraine ist dem "Cluster Munition Monitor 2022" zufolge derzeit das einzige Land weltweit, in dem die wegen ihrer unkontrollierten Verteilung der Sprengsätze gefürchtete Munitionsform verwendet wird. Weder Russland noch die Ukraine schlossen sich dem vertraglichen Bann dieser umstrittenen Waffen an, den seit 2008 inzwischen 110 Staaten ratifizierten.

Putin ordnet Vergrößerung der russischen Armee an

Russlands Präsident Wladimir Putin hat eine Vergrößerung der Streitkräfte seines Landes angeordnet. Die Zahl der Armeeangehörigen soll zum 1. Januar 2023 auf zwei Millionen erhöht werden, wie aus einem von der Regierung veröffentlichten Dekret hervorgeht.

Allein die Zahl der Militärs - dazu zählen sowohl Vertragssoldaten als auch Wehrdienstleistende - soll demnach um 137.000 auf rund 1,15 Millionen erhöht werden. Bei den restlichen Militärangehörigen handelt es sich um sogenanntes Zivilpersonal. Gründe für die Truppenvergrößerung wurden offiziell nicht genannt. 

Bachelet fordert Russland zur Einstellung des Krieges auf

UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet äußerte sich zum Ukraine-Krieg (Archivbild)Bild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, hat Russland zur Einstellung des Krieges in der Ukraine aufgefordert. Der russische Präsident Wladimir Putin müsse alle Angriffe seines Militärs auf das Nachbarland stoppen, sagte Bachelet in Genf bei ihrer Abschiedspressekonferenz. 

Zudem müsse das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja sofort demilitarisiert werden. Die Menschen in der Ukraine hätten sechs unvorstellbar schreckliche Monate durchlebt, nachdem russische Truppen am 24. Februar einmarschiert waren. Bachelet erinnerte an mehrere Millionen Flüchtlinge und Tausende Zivilisten, die getötet und verletzt wurden. 

Baerbock: Ukraine kämpft für Frieden und Europa

Für Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock ist es unklar, ob die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen kann: "Das wissen wir nicht. So brutal ist die Realität", sagte sie dem Sender ZDF. Aber man werde alles dafür tun, dass dies möglich werde, denn die Ukraine kämpfe "für ihre Unabhängigkeit, für ihre Freiheit - und für die europäische Friedensordnung".

Deutschland bewege sich auf einem schmalen Grat zwischen der gewünschten militärischen Unterstützung für die Ukraine und der Tatsache, dass die eigene Armee nicht gut genug ausgestattet sei. Es sei wichtig, kurzfristig zu unterstützen und zugleich Waffenlieferungen mittelfristig zu planen.

Kanzler Scholz kletterte bei seinem Besuch auf dem Übungsplatz Putlos in Schleswig-Holstein auch auf einen Gepard-PanzerBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf dem schleswig-holsteinischen Truppenübungsplatz Putlos ukrainische Soldatinnen und Soldaten getroffen, die in Deutschland etwa an "Gepard"-Flugabwehrkanonenpanzern ausgebildet werden. "Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen", sagt Scholz nach dem Treffen. Deutschland werde die Ukraine weiter auch militärisch gegen die russischen Angriffe unterstützen und dafür sorgen, dass deren Armee die Waffen möglichst effizient einsetzen kann. Erst am Dienstag war bekanntgeworden, dass die Bundesregierung ein neues Waffenpaket im Wert von mehr als 500 Millionen Euro schnürt.

USA sichern Milliarden-Hilfe zu

Auch aus den USA kann die Ukraine mit weiterer Unterstützung im Krieg gegen Russland rechnen. US-Präsident Joe Biden kündigte in Washington an, der Regierung in Kiew drei Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Damit könne die Ukraine Luftabwehrsysteme, Artilleriesysteme und Munition, Drohnen und Radare erwerben, "um sich langfristig verteidigen zu können", so Biden.

Das neue Paket für Kiew umfasst nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums unter anderem sechs zusätzliche Boden-Luft-Raketenabwehrsysteme vom Typ NASAMS, Artillerie- und Mörsermunition, Radare zur Artillerieabwehr, verschiedene Drohnensysteme, lasergesteuerte Raketen sowie Geld für Ausbildung von Kräften und für die Wartung und Instandhaltung von Waffensystemen.

Insgesamt erhöht sich mit der jetzt bekanntgegebenen Finanzhilfe die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine seit Beginn von Bidens Amtszeit auf rund 13,5 Milliarden US-Dollar. Bei dem neuen und bislang größten Paket geht es nach Angaben der US-Regierung um eine längerfristige Stärkung des ukrainischen Militärs. Material darin soll nicht aus amerikanischen Beständen kommen, sondern bei Rüstungskonzernen eingekauft - und zum Teil erst hergestellt - werden. Das heißt, bis manches davon in der Ukraine ankommt, könnte es Monate dauern.

Kein Treffen von Patriarch Kirill und Papst Franziskus

Das katholische Kirchenoberhaupt, Papst Franziskus, und der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill werden sich einem Medienbericht zufolge nicht während eines Kongresses in Kasachstan treffen. Die Nachrichtenagentur RIA beruft sich auf einen hochrangigen orthodoxen Vertreter. Der Kongress der Weltreligionen findet vom 13. bis 15. September in Nur-Sultan statt.

Der Papst hat wiederholt erklärt, Kirill dort treffen zu wollen. Der russisch-orthodoxe Patriarch unterstützt Russlands Einmarsch in die Ukraine. Franziskus hat den russischen Angriff immer wieder vehement verurteilt.

In Riga fällt sowjetisches Siegesdenkmal  

In der lettischen Hauptstadt Riga ist das sowjetische Siegesdenkmal dem Erdboden gleichgemacht worden. Auf Weisung der städtischen Behörden brachten zwei Bagger mit pneumatischen Hämmern den 79 Meter hohen Obelisken mit Sowjetstern an der Spitze zum Einsturz. Um Punkt 16.42 Uhr Ortszeit fiel die riesige Betonsäule nach stundenlangen Arbeiten mit einem großen Knall zu Boden - unter dem Beifall zahlreicher Schaulustiger. In den Tagen zuvor waren bereits mit schwerem Gerät die meterhohen Bronze-Statuen entfernt worden.

Die Bildkombo zeigt die "Niederlage" des 1985 in der lettischen Hauptstadt Riga errichteten sowjetischen Siegesdenkmals Bild: Kaspars Krafts/AFP

In Lettland müssen nach einem unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gefassten Parlamentsbeschluss alle Objekte, die totalitäre Regime verherrlichen, bis zum 15. November demontiert werden. Die Regelung zielt speziell auch auf den Abriss des sowjetischen Siegesdenkmals. "Dieses Denkmal war eine ständige Erinnerung an unsere Besatzung, das damit verbundene Schicksal vieler Menschen - Deportationen, Repressionen und so weiter. Wir brauchen kein solches Denkmal", sagte Staatspräsident Egils Levits im lettischen Fernsehen, das den Abriss in einem Livestream übertrug. Das Monument war 1985 zum 40. Jahrestag des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg über Hitler-Deutschland errichtet worden.

sti/jj/nob/fab/mak/AR (dpa, rtr, afp, epd)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.