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Politik

Aktuell: Schweden wird NATO-Mitgliedschaft beantragen

16. Mai 2022

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine brechen zwei nordeuropäische Staaten mit einer langen Tradition der militärischen Bündnisfreiheit. Russland kündigt eine Antwort an. Ein Überblick.

Schweden beantragt Aufnahme in die NATO
Schwedens Ministerpräsidentin Andersson mit dem Chef der Moderaten Sammlungspartei, KristerssonBild: Henrik Montgomery/TT News Agency/Getty Images

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Fraktionen in Schwedens Parlament mehrheitlich für NATO-Beitritt
  • Ungarn fordert Milliarden-Ausgleich bei Öl-Embargo
  • Mehrere Tote bei Beschuss in Sewerodonezk
  • Gouverneur: Ukraine kontrolliert weiter zehn Prozent von Luhansk
  • Frauen der Kämpfer von Mariupol: Lage ist katastrophal

 

Schweden will Mitglied der NATO werden. Das Land werde die Aufnahme in das Militärbündnis beantragen, sagte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson in Stockholm. Damit beginne eine neue Ära. Zuvor hatten fast alle Parteien im Parlament ihre Unterstützung für ein Beitrittsgesuch zum Ausdruck gebracht. Nur Grüne und Linke sind dagegen. "Es gibt viel in Schweden, das es wert ist, verteidigt zu werden, und Schweden wird am besten in der NATO verteidigt", sagte Andersson in der Debatte.

Ihre sozialdemokratische Partei hatte bereits am Sonntag für eine Mitgliedschaft in dem Militärbündnis plädiert. Der Chef der größten Oppositionspartei Moderaterna, Ulf Kristersson, begrüßte das Vorhaben: "Endlich können auch wir Mitglied der NATO werden." Die bürgerliche Partei verfolgt diese Linie schon länger.

Auch in Finnland debattieren die Abgeordneten einen entsprechenden Antrag. Eine Mehrheit im Parlament gilt als sicher. Präsident Sauli Niinistö und Regierungschefin Sanna Marin hatten am Sonntag gemeinsam verkündet, dass die Regierung den Nordatlantikpakt um Aufnahme bitten wolle. Europaministerin Tytti Tuppurainen sagte der Deutschen Welle: "Wir lassen uns von Russland nicht einschüchtern." Moskau könne den Finnen nicht die "eigenen nationalen Entscheidungen diktieren". Das Land teilt sich mit Russland eine rund 1300 Kilometer lange Grenze.

Putin: "Wir werden reagieren"

Kremlchef Wladimir Putin erklärte, man werde auf die geplante Erweiterung reagieren. Die Ausweitung der NATO sei ein Problem. Russland müsse im Blick haben, dass das Bündnis seinen globalen Einfluss ausbauen wolle. Vize-Außenminister Sergej Rjabkow hatte mit Blick auf die mögliche Aufnahme beider Länder von einem "schwerwiegenden Fehler mit weitreichenden Folgen" gesprochen.

Mit ihren Plänen brechen die nordeuropäischen Staaten unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs mit einer langen Tradition der militärischen Bündnisfreiheit. Für einen Beitritt wäre jeweils ein einstimmiges Votum der NATO sowie eine Ratifizierung durch die Parlamente in allen 30 bisherigen Mitgliedsländern nötig. Die Türkei hatte sich zu den Plänen ablehnend geäußert.

Budapest fordert Milliarden-Ausgleich

Ungarn macht milliardenschwere Hilfen der Europäischen Union zur Voraussetzung für seine Zustimmung zu einem geplanten Ölembargo gegen Russland. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto sprach in einer Videobotschaft von Investitionen in Höhe von 15 bis 18 Milliarden Euro, die für die Abkehr seines Landes vom russischen Öl nötig seien.

Es sei "legitim", dass Ungarn einen Vorschlag der EU-Kommission erwarte, sagte Szijjarto, der in Brüssel am Treffen der EU-Außenminister teilnahm. Das Land bezieht sein Öl bisher über die Druschba-Pipeline aus Russland. Um unabhängig zu werden, fordert Budapest Hilfen zum Bau einer neuen Pipeline.

Die EU-Kommission hatte vor knapp zwei Wochen einen Einfuhrstopp für russisches Rohöl und Ölprodukte vorgeschlagen, der bis zum Jahresende schrittweise in Kraft treten soll. Für Ungarn war bereits eine längere Übergangsfrist vorgesehen. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban drohte dennoch mit einem Veto, weil er die Energieversorgung seines Landes in Gefahr sieht.

"Europäer stehen so eng zusammen wie noch nie": Bundesaußenministerin Annalena BaerbockBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erklärte, die Europäer stünden trotz aller Unterschiede so eng zusammen, wie sie es bisher noch nie erlebt habe. Es sei wichtig, "dass alle Länder den Weg des Ausstiegs gemeinsam gehen können". Man dürfe sich "keinen Millimeter" spalten lassen. Zugleich mahnte Baerbock, ein Öl-Embargo müsse sehr gut vorbereitet sein. Die EU müsse sich darauf einstellen, eine solche Maßnahme womöglich über Jahre durchhalten zu können.

Mehrere Tote in Sewerodonezk

Durch russischen Beschuss auf die ostukrainische Stadt Sewerodonezk sind nach ukrainischen Angaben mindestens zehn Menschen getötet worden. Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, erklärte, wegen des anhaltenden Beschusses seien der Zugang zu der Gegend und die Kommunikation derzeit erheblich erschwert. Er forderte die Bewohner auf, die Schutzräume nicht zu verlassen.

Bürgermeister Oleksander Striuk hatte vor rund zehn Tagen erklärt, Sewerodonezk sei von den Streitkräften Moskaus und pro-russischen Separatisten "praktisch eingekesselt". Seinen Angaben zufolge befanden sich noch 15.000 der ehemals 100.000 Einwohner in der Stadt.

Explosion eines Ammoniumnitrat-Lagers

In der Region Charkiw wurde bei einem Angriff ein Lager mit hoch entzündlichem Ammoniumnitrat getroffen. Der Gouverneur der Nachbarregion Luhansk veröffentlichte auf Telegram ein Foto, das eine orangefarbenen Rauchwolke über Feldern zeigt. Serhij Hajdaj ergänzte, die Explosion stelle "keine Gefahr für die örtliche Bevölkerung dar". Ammoniumnitrat ist ein hoch entzündlicher Stoff, der für die Herstellung von Stickstoffdünger verwendet wird - aber auch als Grundlage für Sprengstoff. Die Substanz führt immer wieder zu verheerenden Unfällen.

Die ukrainische Armee hatte zuvor weitere Geländegewinne in der Region gemeldet. Zumindest an einer Stelle stießen eigene Kräfte demnach bis zur russischen Grenze vor. Das Verteidigungsministerium in Kiew veröffentlichte in der Nacht ein Video mit einem Dutzend Soldaten neben einem Grenzpfahl in den Nationalfarben Blau und Gelb. Das ukrainische Militär hatte bereits in den vergangenen Tagen berichtet, dass es schrittweise gelinge, russische Truppen bei Charkiw zurückzudrängen.

Rettungsaktion in Mariupol?

Unklarheit herrscht im Hinblick auf Meldungen, wonach es eine Teilevakuierung des belagerten Asow-Stahlwerks in Mariupol geben soll. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, verletzte ukrainische Soldaten würden von dem Fabrikgelände über einen humanitären Korridor in die von Russland kontrollierte Stadt Nowoasowsk gebracht.

Von ukrainischer Seite gibt es hierfür keine Bestätigung. Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar lehnte im Fernsehen eine Stellungnahme ab, um, wie sie sagte, den Vorgang nicht zu gefährden. "Da der Prozess im Gange ist, können wir nicht sagen, was gegenwärtig geschieht."

Gouverneur: Ukraine kontrolliert weiter zehn Prozent von Luhansk

Nach Aussage von Gouverneur Hajdaj kontrolliert die Ukraine weiter rund zehn Prozent des Gebiets Luhansk. Insbesondere die Außenbezirke der Städte Rubischne, Sjewjerodonezk und Lyssytschansk hätten die Russen bislang nicht einnehmen können. Moskau hatte in der vergangenen Woche erklärt, prorussische Separatisten seien mit Hilfe der russischen Armee knapp elf Wochen nach Kriegsbeginn bis an die Verwaltungsgrenzen von Luhansk vorgedrungen. Hajdaj bewertete diese Aussagen damals als "Fantasie".

Zerstörte russische Panzer am Ufer des Flusses Siwerskyj DonezBild: Ukrainian Presidential Press Office via AP/picture alliance

Die humanitäre Lage in der Region Luhansk bezeichnete der Gouverneur als zunehmend schwierig. "Es gibt kein Gas, kein Wasser und keinen Strom." Nahe dem Dorf Bilohoriwka versuchen die russischen Streitkräfte seit drei Wochen erfolglos, einen Fluss zu überqueren. Nach Hajdajs Angaben erlitten die russischen Truppen schwere Verluste an Soldaten und Ausrüstung. Luftaufnahmen zeigten Dutzende von zerstörten Panzerfahrzeugen am Flussufer sowie zerstörte Pontonbrücken.

Ukraine: Sabotage- und Aufklärungseinheiten abgewehrt

Ukrainische Grenztruppen haben laut eigenen Angaben einen Einfall russischer Sabotage- und Aufklärungseinheiten in die im Nordosten gelegene Region Sumy abgewehrt. Die russischen Soldaten seien unter Feuerschutz vorgerückt, teilte der Gouverneur der Region Sumy, Dmytro Schywytzki, auf Telegram mit. Sie hätten sich aber zurückgezogen, als ukrainische Kräfte das Feuer erwidert hätten.

Kurz nach Beginn ihrer Invasion am 24. Februar waren russische Truppen in Sumy eingerückt. Die ukrainischen Einheiten übernahmen am 8. April wieder die Kontrolle über das Gebiet, das seitdem nicht im Fokus der weiteren Kämpfe stand. Die russischen Truppen konzentrierten ihre Angriffe vielmehr auf die Donbass-Region im Osten der Ukraine.

Ukrainische Soldaten untersuchen ein russisches Panzerwrack in der Region KiewBild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

Dort hatte sich die Frontlinie am Sonntag zugunsten von Russland verschoben. Das geht aus Angaben des ukrainischen Militärs hervor. Russische Kräfte seien an einigen Stellen vorgerückt. Es werde erwartet, dass die Angreifer in Izium im Süden des Landes Streitkräfte zusammenziehen. Die Ukraine hat hier nach eigenen Angaben eine Gegenoffensive gestartet, die teilweise Erfolg habe.

Neue US-Haubitzen treffen an der Front ein

Die Ukraine hat nach US-Angaben zahlreiche neue US-Haubitzen vom Typ M-777 an die Frontlinien gebracht. Das twitterte die US-Botschaft in Kiew. 89 der 90 zugesagten Geschütze seien inzwischen geliefert. Die Lieferung der M-777 gilt als militärisch bedeutsam, weil die Haubitzen eine große Reichweite und eine hohe Zielgenauigkeit haben.

In dem Stahlwerk, das seit Wochen von Russen und prorussischen Separatisten umzingelt ist und das immer wieder beschossen wird, haben sich nach ukrainischen Angaben rund 1000 Verteidiger von Mariupol verschanzt. Rund 600 sollen verletzt sein, hieß es zuletzt. Die ukrainische Armee ist weit von Mariupol entfernt und hat derzeit keine Chance, die weitgehend von den Russen eingenommene Stadt zu befreien. "Die Stimmung ist pessimistisch, weil es fast keine Hoffnung auf Rettung gibt", sagte die Frau eines Kämpfers in dem Interview. "Sie bereiten sich auf den letzten Kampf vor, weil sie nicht an eine diplomatische Lösung glauben."

Gas-Transit durch Ukraine geht weiter zurück

Der Transit von russischem Gas durch die Ukraine ist im Zuge von Krieg und Sanktionen weiter zurückgegangen. An diesem Montag sollen nach Angaben des russischen Energiekonzerns Gazprom nur noch 46,8 Millionen Kubikmeter Gas durch das ukrainische Leitungsnetz in Richtung Europa gepumpt werden. Die vertraglich mögliche maximale Auslastung liegt bei 109 Millionen Kubikmetern täglich. Eingespeist werden könne das Gas nur noch über den Punkt Sudscha auf russischem Staatsgebiet, sagte ein Gazprom-Sprecher. 

Die Menge russischen Gases, die durch das angegriffene Nachbarland floss, war in der vergangenen Woche deutlich gefallen. Die Ukraine hatte kriegsbedingt einen Pipeline-Strang durch die schwer umkämpfte Region Luhansk geschlossen. Zudem verhängte Russland Sanktionen gegen ehemalige Tochtergesellschaften von Gazprom im Ausland - woraufhin der Transit noch weiter zurückging. Ob und inwieweit der drastische Rückgang mit den Sanktionen zusammenhängt, ist offen.

Symbolträchtig: ein Stopschild auf dem Gelände des Renault-Werkes in Moskau Bild: Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa/picture alliance

McDonald's zieht sich komplett aus Russland zurück

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zieht sich der US-Fastfoodkonzern McDonald's komplett aus Russland zurück. Nach mehr als 30 Jahren in dem Land werde man die Filialen an einen russischen Käufer abtreten, teilte der Konzern in Chicago mit. Das Unternehmen sei zu dem Schluss gekommen, die Aktivitäten in Russland passten nicht mehr zu den eigenen Werten.

Bereits Anfang März hatte McDonald's angekündigt, die Restaurants im Land vorübergehend zu schließen. Die Markensymbole soll der neue Besitzer der Restaurants nicht weiter nutzen können. Für den Rückzug aus Russland wird der Konzern nach eigenen Angaben Sonderkosten in Höhe von 1,2 bis 1,4 Milliarden US-Dollar verbuchen, unter anderem für Abschreibungen und Fremdwährungsverluste. 

Wegen der russischen Invasion in der Ukraine haben sich bereits zahlreiche westliche Unternehmen vorübergehend oder dauerhaft vom russischen Markt zurückgezogen - von Apple über BMW und Ikea bis hin zu Siemens und Visa. 

Auch Renault kehrt Russland den Rücken

Auch der französische Autobauer Renault stellt seine Aktivitäten in Russland komplett ein und gibt dort alle Unternehmensbeteiligungen ab. Sämtliche Anteile an Renault Russland würden an die Stadt Moskau verkauft. Der eigene Anteil am Hersteller Avtovaz gehe an das Zentralinstitut zur Entwicklung von Automobilen und Motoren, teilte der Konzern mit. Für die Avtovaz-Anteile gebe es eine Rückkaufoption in den kommenden sechs Jahren.

"Heute haben wir eine verantwortungsvolle Entscheidung für unsere 45.000 Beschäftigten in Russland getroffen", sagte Renault-Generaldirektor Luca de Meo. Der Wert der Beteiligungen in Russland in Höhe von rund 2,2 Milliarden Euro werde zum ersten Halbjahr 2022 ausgebucht. Renault halte sich jedoch die Möglichkeit offen, in einem anderen Kontext in das Land zurückzukehren.

jj/uh/sti/WW/kle/wa (afp, dpa, rtr, kna)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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