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KonflikteUkraine

Ukraine aktuell: Selenskyj besucht Flutgebiete am Dnipro

8. Juni 2023

Der ukrainische Präsident hält die Schuld Russlands für die Teilzerstörung des Kachowka-Damms für erwiesen - und er kritisiert internationale Hilfsorganisationen. 600 Quadratkilometer stehen unter Wasser. Der Überblick.

Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj in der Stadt Cherson
Der ukrainische Staatschef Selenskyj informiert sich - wie hier in der Stadt Cherson - über das Ausmaß der Flutkatastrophe Bild: REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj informiert sich in Region Cherson über Hilfsaktionen
  • Fünf Tote durch Flut in russisch besetzten Gebieten 
  • In Saporischschja wird Kühlwasser aus Stausee gepumpt
  • THW hilft ukrainischen Katastrophenschutzbehörde
  • Ukraine dementiert Medienberichte über Start der Gegenoffensive 

 

Drei Tage nach der Teilzerstörung des Kachowka-Staudamms ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in die Hochwasserregion gereist. Im Gebiet Cherson habe er sich unter anderem ein Bild von den laufenden Evakuierungen gemacht, teilte Selenskyj mit. Er veröffentlichte auch ein Video, das ihn mit Anwohnern, Rettern und Soldaten zeigt. Zu sehen sind außerdem Häuser, von denen nur noch die Spitze des Dachs aus meterhohen Wassermassen ragt.

Überflutetes Wohnviertel von ChersonBild: Roman Hrytsyna/AP/dpa/picture alliance

In der Nacht zum Dienstag war der Damm in der von russischen Truppen besetzten Stadt Nowa Kachowka gebrochen. Seitdem fließen unentwegt Wassermassen aus dem Stausee ab. Der Wasserstand in dem See sei binnen 24 Stunden um einen Meter gesunken und liege mit Stand 7.00 Uhr MESZ bei 13,05 Meter, teilte der staatliche Wasserkraftwerksbetreiber Ukrhydroenergo in Kiew mit.

Selenskyj machte in einem Interview der Medien "Welt", "Bild" und "Politico" deutlich, dass er die Verantwortung Russlands für den Vorfall als erwiesen ansehe. "Das passierte in einem besetzten Gebiet", betonte der Staatschef. Er habe bereits vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass der Staudamm vermint werde und das Risiko einer Sprengung hoch sei. Russland habe die Aktion wohl unterschätzt, mutmaßte Selenskyj. "Sie haben nicht daran gedacht, dass sie auch ihre besetzten Gebiete fluten."

Russland bestreitet die Vorwürfe. Die Führung in Moskau beschuldigt ihrerseits die Ukraine, den am Dnipro-Fluss gelegenen Damm aus militärischen Erwägungen beschossen und dadurch dessen Bruch verursacht zu haben.

Die von Moskau eingesetzten Behörden meldeten unterdessen den Tod von fünf Menschen durch die Überschwemmungen. 41 Menschen seien zudem im Krankenhaus, erklärte die Moskau-treue Verwaltung der Stadt Nowa Kachowka.

Selenskyj kritisiert Hilfsorganisationen als "unfähig"

In seiner Videobotschaft am Mittwochabend warf Selenskyj internationalen Hilfsorganisationen Passivität vor. "Wenn eine internationale Organisation nicht im Katastrophengebiet anwesend ist, bedeutet das, dass sie überhaupt nicht existiert oder unfähig ist", sagte er wörtlich. Viele Menschen seien ohne Wasser, Lebensmittel oder medizinische Versorgung. Ukrainische Rettungsversuche würden von russischen Truppen torpediert.

Wolodymyr Selenskyj bei seiner AnspracheBild: https://www.president.gov.ua/

Nach offiziellen Angaben wurden bis Mittwochabend rund 6000 Menschen auf beiden Seiten des Flusses Dnipro in Sicherheit gebracht. Insgesamt seien 30 Ortschaften überflutet, darunter zehn unter russischer Kontrolle, berichtet der ukranische Innenminister Igor Klymenko.

Die Überschwemmungen erstrecken sich Angaben auf eine Fläche von mehreren hundert Quadratkilometern. "600 Quadratkilometer der Region Cherson stehen unter Wasser, davon 32 Prozent am rechten Ufer und 68 Prozent am linken", von Russland kontrollierten Ufer des Dnipro, erklärte der Gouverneur der Region Cherson, Oleksandr Prokudin, in Onlinemedien.

AKW Saporischschja füllt Wasserreserven auf

Am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja wird mit Hochdruck am Auffüllen der Kühlwasser-Reserven gearbeitet. Das sei nötig, falls infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und des Ablaufens riesiger Wassermengen bald kein Wasser mehr aus dem dahinter liegenden Reservoir gepumpt werden könne, teilte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, mit. Das von Russland besetzte Kraftwerk liegt am nördlichen Ende des Stausees. 

Block eins des Atomkraftwerks Saporischschja. Insgesamt verfügt dieses über sechs Blocks Bild: XinHua/dpa/picture alliance

Das Absenken des Pegelstands hatte sich nach Grossis Angaben am Mittwoch leicht verlangsamt. Wenn der Pegel unter 12,7 Meter sinke, könne kein Wasser mehr auf das Gelände des Kraftwerks gepumpt werden.

Der IAEA-Chef schloss nicht aus, das der Pegel innerhalb von wenigen Tagen unter diese Marke sinken könnte. Deshalb werde, so lange es noch möglich sei, kontinuierlich Wasser aus dem Stausee in Auffangbecken auf den Gelände gepumpt. Wenn diese Becken voll seien, reiche das Wasser zur Kühlung der sechs Reaktoren für mehrere Monate.

THW hilft ukrainischen Katastrophenschutzbehörden

Das deutsche Technische Hilfswerk (THW) schickte unterdessen acht Lastwagen mit Hilfsgütern in Richtung Ukraine. Sie würden dort am Freitag oder Samstag erwartet, sagte THW-Präsident Gerd Friedsam. Zunächst würden Trinkwasserfilter und Stromgeneratoren geliefert. "Und wir ergänzen das jetzt nochmal mit Unterkunftsmaterial wie Zelten, Decken, Feldbetten." Die Hilfe richte sich nach den Anforderungen der ukrainischen Katastrophenschutzbehörden, erläuterte Friedsam. Die Ukraine habe signalisiert, dass sie genügend Hilfskräfte vor Ort habe.

Der THW-Präsident wies darauf hin, dass Minen und Munitionsreste eine besondere Gefahr in der ukrainischen Flutregion darstellten. Sie seien eine "schwere Behinderung" der Hilfsarbeiten und man müsse sie zunächst beseitigen, bevor die Helfer gefahrlos arbeiten könnten.

Ukraine dementiert Medienberichte über Start der Gegenoffensive 

In der Ukraine wird weiter an mehreren Frontabschnitten heftig gekämpft. Die Ukrainer behielten dabei in den meisten Gebieten die Initiative, heißt es im täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London. Das britische Ministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu haben die russischen Streitkräfte am Donnerstagmorgen eine Offensive der ukrainischen Armee im Süden des Landes abgewehrt. Ob es sich bei den ukrainischen Angriffen um die seit Monaten angekündigte Gegenoffensive handelt, ist unklar. Die "Washington Post" schreibt, das ukrainische Militär sei auf russische Stellungen in der Region Saporischschja vorgerückt und habe damit den erwarteten Gegenangriff gestartet, um besetzte Gebiete von Russland zurückzuerobern. Die "Washington Post" und auch der US-Sender NBC bezogen sich in ihren Berichten auf nicht namentlich genannte ukrainische Militärquellen. Das ukrainische Militär weist die Berichte zurück, wonach die lange erwartete Gegenoffensive begonnen habe. "Uns liegen keine derartigen Informationen vor", sagte ein Sprecher des ukrainischen Generalstabs.

Steinmeier verteidigt Waffenlieferungen an Ukraine

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Unterstützung der Ukraine mit Waffen verteidigt. "Auch ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Neben all den anderen Anstrengungen, es ist auch Zeit für Waffen", sagte Steinmeier bei der Eröffnung des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg. Die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine seien unerträglich. "Aber wir dürfen nicht so tun, als gäbe es einfache Lösungen", warnte der Bundespräsident.

Steinmeier beim Eröffnungsgottesdienst auf dem Nürnberger HauptmarktBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Deutschland wolle ein Ende des Kriegs, aber es müsse ein gerechter Frieden sein. "Wenn Russland seine Soldaten zurückzieht, dann ist der Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine ihre Verteidigung einstellt, dann ist das das Ende der Ukraine", fügte Steinmeier unter dem Applaus der 20.000 Besucher der Eröffnungsfeier hinzu.

Ramaphosa und Putin besprechen afrikanische Initiative 

Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa hat Russlands Staatschef Wladimir Putin in einem Telefonat über einen geplanten Friedensvorstoß afrikanischer Staats- und Regierungschefs informiert. Putin habe die Initiative begrüßt und seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, die Delegation aus Afrika zu empfangen, teilt das Präsidialamt in Pretoria mit.

Ein Sprecher Ramaphosas hatte zuvor mitgeteilt, dass für den Besuch noch kein konkretes Datum festgesetzt worden sei. Es werde jedoch damit gerechnet, dass die Delegation noch im Juni in die Ukraine und nach Russland reisen werde, um zu versuchen, beide Seiten zur Einstellung der Feindseligkeiten zu bewegen. Ende Juli ist zudem ein Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg geplant.

Tschechien will NATO-Ziel erfüllen

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg hat sich das NATO-Land Tschechien verpflichtet, vom kommenden Jahr an mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufzuwenden. Ein entsprechendes Gesetz wurde von Präsident Petr Pavel unterzeichnet, nachdem es von beiden Parlamentskammern in Prag gebilligt worden war. Die Zwei-Prozent-Zielmarke wurde von den NATO-Staaten bereits im Jahr 2002 verabredet.

Die liberalkonservative tschechische Regierung hatte zuletzt eine umfangreiche Beschaffung für die Armee beschlossen. Unter anderem will das Land 246 Schützenpanzer CV90 des britischen Rüstungskonzerns BAE Systems kaufen. Die Kosten allein dafür belaufen sich auf umgerechnet rund 2,5 Milliarden Euro.

"Tschechien ist heute nicht in Sicherheit - in der Nähe unserer Grenzen spielt sich ein Konflikt ab", warnte Außenminister Jan Lipavsky. Die NATO-Mitgliedschaft sei aber eine wichtige Absicherung für Tschechien.

wa/fw/sti/AR/qu/haz (afp, dpa, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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