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Konflikte

Aktuell: Selenskyj besucht Frontgebiet bei Charkiw

29. Mai 2022

Der ukrainische Präsident Selenskyj ist in den Nordosten seines Landes gereist. Er hat dort Soldaten ausgezeichnet und ihnen für ihren Einsatz gedankt. Er forderte die Einstufung Russlands als Terrorstaat. Ein Überblick.

Wolodymyr Selenskyj besucht Charkiw
Der ukrainische Präsident Selenskyj informiert sich in der Region Charkiw über die Lage vor OrtBild: The Presidential Office of Ukraine

Das Wichtigste in Kürze: 

  • Selenskyj reist zu Soldaten im Nordosten der Ukraine
  • Erdogan erteilt Nato-Norderweiterung erneut Absage
  • Litauer spenden fünf Millionen Euro für ukrainische Kampfdrohne
  • Selenskyj: "Russland muss als Förderer des Terrorismus anerkannt werden"
  • Lebensmittelexporte hängen weiter in Häfen fest

 

Erstmals seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Staatschef Wolodymyr Selenskyj am Sonntag den Osten des Landes besucht. Sein Büro veröffentlichte im Messengerdienst Telegram ein Video, das Selenskyj mit einer kugelsicheren Weste in der Großstadt Charkiw und deren Umgebung zeigte. Der Staatschef kündigte an, "in Charkiw und allen anderen Städten und Dörfern, über die das Böse hereinbrach", würden die zerstörten Häuser wieder aufgebaut.

Während Selenskyj sich von der Militärführung einen Bericht über die operative Lage an der Front geben ließ, sprach er mit Gouverneur Oleh Synehubow über die Schäden an zivilen Objekten in der Region. Laut Synehubow wurden in Charkiw und Umland mehr als 2000 Häuser zerstört.

Wenige Stunden nach dem Besuch von Selenskyj waren nach Medienangaben mehrere Explosionen in Charkiw zu hören. Über dem Nordosten der Stadt sei eine schwarze Rauchwolke zu sehen gewesen.

Immer noch sind 31 Prozent des dortigen Territoriums unter russischer Kontrolle. Die ukrainische Gegenoffensive im April und Mai habe zur Befreiung von fünf Prozent des Gebiets beigetragen, sagte Synehubow.

Erdogan erteilt Nato-Norderweiterung erneut Absage

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bleibt auch nach Verhandlungen mit Schweden und Finnland bei seinem Veto gegen die Nato-Norderweiterung. Erdogan sagte nach Angaben der Zeitung "Hürriyet": solange er an der Spitze des türkischen Staates stehe, könne die Türkei nicht Ja zu einem Nato-Beitritt von Ländern sagen, die den Terror unterstützen. Die Gespräche mit Vertretern der beiden skandinavischen Länder am Mittwoch seien nicht wie erwartet verlaufen. Die Länder hätten nicht die erwartenden Schritte im Kampf gegen den Terrorismus unternommen, kritisierte Erdogan.

Serbien verlängert Vertrag über russische Gaslieferungen

Serbien hat einen Vertrag mit Moskau über russische Gaslieferungen um drei Jahre verlängert. Nach Angaben von Präsident Aleksandar Vucic handelt es sich um den "bei weitem besten Deal in Europa". Derzeit zahle Serbien dreimal weniger als andere europäische Länder, "und in diesem Winter wird es zehn- bis zwölfmal weniger sein". Die Vertragsdetails würden in den kommenden Tagen bekanntgegeben, sagte Vucic.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic (Archivbild) setzt weiter auf russische GaslieferungenBild: picture alliance / AA

Serbien ist fast vollständig von russischen Energielieferungen abhängig und importiert täglich etwa sechs Millionen Kubikmeter Gas aus Russland. Moskau besitzt auch eine Mehrheitsbeteiligung an der serbischen Öl- und Gasgesellschaft NIS.

Serbien bewirbt sich um eine Mitgliedschaft in der EU, die derzeit darum bemüht ist, ihre Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu reduzieren. Die Regierung in Belgrad hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zwar verurteilt, zugleich will Belgrad jedoch nicht mit Moskau brechen und lehnt es ab, sich den EU-Sanktionen gegen Russland anzuschließen. 

Litauer spenden fünf Millionen Euro für ukrainische Kampf-Drohne 

Das Geld kam bei einer öffentlichen Spendenaktion zusammen, die nur dreieinhalb Tage dauerte. "Vermutlich das erste Mal in der Geschichte, können die Staatsbürger eines Staates eine solche schwere Waffe kaufen und einem anderen Staat spenden", sagte Andrias Tapinus vom Internet-Fernsehsender Laisves TV, der die Spendenaktion ins Leben gerufen hatte. Nach Angaben der Initiatoren soll das Geld nun dem litauischen Verteidigungsministerium übergeben werden, welches die Drohne und die dazugehörende Munition kaufen solle.

 Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas kündigte an, sein Stellvertreter werde in der kommenden Woche in die Türkei reisen, um eine vorläufige Bestellung zu unterzeichnen. Die ukrainische Armee nutzt türkische Kampfdrohnen seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar gegen die Angreifer. Die Regierung in Kiew bezeichnet diese Drohnen als besonders schlagkräftige Waffen im Kampf gegen Russland.

Selenskyj nennt Russland "Terrorstaat"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Russland eine Politik des Terrors vor. "Ich werde die Welt immer wieder daran erinnern, dass Russland endlich offiziell als Terrorstaat, als Förderer des Terrorismus, anerkannt werden muss", sagte Selenskyj in einer Videoansprache in Kiew. Dies spiegele die tägliche Realität wider, die Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine geschaffen habe "und sehr viel weiter nach Europa tragen" wolle. "Und das muss rechtlich verankert werden."

Lässt sich nur gemeinsam stoppen

Er wolle sich zu Wochenbeginn an die Teilnehmer des EU-Sondergipfels in Brüssel wenden und dann auch darüber sprechen. "Über den Terror, der heute tatsächlich die einzige Form des Handelns des russischen Staates gegen Europa geworden ist", sagte Selenskyj.

Für den ukrainischen Präsidenten Selenskyj ist klar: Russland ist ein "Terrorstaat"Bild: Sarsenov Daniiar/Ukrainian Presidency/IMAGO

"Terror auf dem Gebiet der Ukraine. Terror auf dem Energiemarkt in Europa, nicht nur in unserem Land. Terror auf dem Lebensmittelmarkt, und zwar weltweit. Und welcher Terror wird als Nächstes kommen?" Nur gemeinsam könnten die Europäer die Politik eines solchen Staates stoppen, betonte er.

Das ukrainische Parlament hatte Russland im April als Terrorstaat eingestuft. "Die Russische Föderation ist ein Terrorstaat, eines der Ziele des politischen Regimes ist der staatliche Genozid des ukrainischen Volkes, die physische Auslöschung, die massenhafte Ermordung der Bürger der Ukraine", heißt es etwa in dem Gesetz.

Es sind nicht die Sanktionen

Die Ukraine hat mit Nachdruck der russischen Darstellung widersprochen, dass westliche Strafmaßnahmen gegen Moskau der Grund für die aktuelle mangelnde Lebensmittelsicherheit in der Welt seien. "Sanktionen gegen Russland haben nichts mit der sich abzeichnenden globalen Nahrungsmittelkrise zu tun", ließ der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba verlauten.

Russland blockiert Häfen, deshalb gibt es Lebensmittelengpässe, sagt der ukrainische Außenminister KulebaBild: FranckCoffrini/AFP

"Der einzige Grund für Engpässe, steigende Preise und drohenden Hunger ist, dass das russische Militär 22 Millionen Tonnen ukrainischer Lebensmittelexporte in unseren Seehäfen physisch blockiert", betonte Kuleba. Der Westen müsse Russland mit Druck dazu bringen, die Blockade zu beenden.

Kämpfe in der Ostukraine verhindern Getreideexporte

Engpässe zeichnen sich vor allem auf dem Getreidemarkt ab. Durch die Blockade von Häfen, aber auch durch die andauernden Kämpfe im Landesinneren kann in der Ukraine geerntetes Getreide nicht ausgeliefert werden. Dabei halten die Kämpfe vor allem in der Ostukraine an. Bei neuen Angriffen auf Orte in dieser Region sind den Behörden zufolge mehrere Zivilisten getötet oder verwundet worden.

Besonders umkämpft ist weiter die Großstadt Sjewjerodonezk im Donbass. "Russland fährt alle Mittel auf, um Sewerodonezk zu erobern oder die Kommunikation in der Region und in der Ukraine zu verhindern", schreibt der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj,  auf Telegram. "Die kommende Woche wird sehr schwer." Noch sei die Stadt weiter unter ukrainischer Flagge. Der Gouverneur widerspricht damit Berichten aus Russland, Sjewjerodonezk sei vollständig eingenommen.

Mit Raketen gegen die russische Hafenblockade?

"Es ist schwer zu kämpfen, wenn man aus einer Entfernung von 70 Kilometern angegriffen wird und nichts hat, womit man sich wehren kann", twitterte Mychajlo Podoljak, ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Wenn der Westen wirklich den Sieg der Ukraine will, ist es vielleicht Zeit, uns MLRS zu geben?" Multiple Launch Rocket Systems sind in den USA hergestellte Artilleriesysteme mit hoher Reichweite. Die US-Regierung soll bereits in Erwägung ziehen, solche Mehrfachraketenwerfer in die Ukraine zu schicken.

Ein MLRS Raketensystem vom Typ RM-70 steht auf einer Rüstungsschau in Polen (Archiv)Bild: Jaap Arriens/NurPhoto/picture alliance

Olexij Arestowitsch, der ebenfalls zum engten Umfeld des ukrainischen Präsidenten zählt, spricht sich für Lieferungen von Raketen vom Typ Harpoon aus, mit denen Schiffe angegriffen werden können. Damit könnte die Ukraine die russische Blockade der Seehäfen durchbrechen, wird Arestowitsch von der Agentur Unian zitiert.

In Mariupol drohen Seuchen

In der von Russland eroberten Hafenstadt Mariupol warnt Bürgermeister Wadym Bojtschenko vor dem Risiko von Infektionskrankheiten.

In Mariupol türmen sich die Müllberge - Ärzte warnen vor dem Ausbruch von KrankheitenBild: Peter Kovalev/TASS/dpa/picture alliance

Kanalisation und Müllabfuhr funktionierten nicht mehr, zudem stiegen die Temperaturen. "Daher melden unsere Ärzte die Gefahr, die in diesem Sommer auftreten kann: Ausbrüche von Infektionskrankheiten wie der Ruhr und anderen", sagte Bojtschenko.

Militärexperte Masala: Warum Putin nicht verhandeln muss

Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Ansicht des deutschen Politologen und Militärexperten Carlo Masala derzeit keinen Grund für Verhandlungen.

Prof. Dr. Carlo Masala, Professor für Internationale PolitikBild: unibw.de

Das werde sich erst ändern, wenn Putin befürchten müsse, durch den Krieg mehr zu verlieren als zu gewinnen, sagte der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München im dpa-Interview. Genau das aber sei derzeit nicht der Fall.

Die jüngsten militärischen Erfolge der russischen Streitkräfte im Donbass in der Ostukraine lassen sich nach Masalas Einschätzung auf zwei Ursachen zurückführen: Erstens fehle es den Ukrainern an schweren Waffen. Zweitens hätten die Russen ihre Strategie erfolgreich geändert. "Im Gegensatz zum bisherigen Kriegsverlauf gehen sie nicht mehr an breiten Abschnitten der Front vor, sondern ziehen ihre Truppen zusammen, um an kleinen Stücken der Front voranzukommen. Dadurch haben sie derzeit eine personelle Überlegenheit."

Mehr als 350.000 Flüchtlinge sind registriert

Wenige Tage vor Inkrafttretens des Grundsicherungs-Anspruches für ukrainische Geflüchtete sind einem Zeitungsbericht zufolge in Deutschland inzwischen 352.545 ukrainische Staatsangehörige und 12.371 Drittstaatsangehörige mit biometrischen Daten registriert worden.

Eine ukrainische Familie in Berlin

12:35

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Das erklärte das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der "Bild am Sonntag". Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit haben sich 44.000 Ukrainer bei den Jobcentern als arbeitssuchend gemeldet.

rb/wa/haz/AR (dpa, rtr, afp)

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