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Konflikte

Aktuell: Selenskyj bittet um schwere Waffen

27. März 2022

Der ukrainische Präsident richtet abermals einen Appell an die Welt. Deutschland erwägt angeblich die Anschaffung eines Raketenschutzschilds. Der Papst nennt den Krieg "gottesverachtend". Der Überblick.

Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft sich in Kiew per Videolink mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda
Wolodymyr SelenskyjBild: Ukrainian Presidential Press Service/Handout/REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj fordert erneut Kampfflugzeuge und Panzer
  • Russland: Über Kremlführung "entscheidet nicht Biden" 
  • "BamS": Bundesregierung prüft "Iron Dome"-Errichtung
  • Forschungsreaktor in Charkiw wieder unter Beschuss
  • Papst prangert erneut den Ukraine-Krieg an

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die internationale Gemeinschaft erneut zur Lieferung schwerer Waffen aufgerufen. Sowohl in einer Videokonferenz mit dem polnischen Staatschef Andrzej Duda als auch in einer in der Nacht zum Sonntag ausgestrahlten Videobotschaft forderte er Kampfflugzeuge und Panzer für die ukrainischen Streitkräfte. "Die Ukraine kann russische Raketen nicht mit Schrotflinten und Maschinengewehren abschießen", sagte Selenskyj.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba teilte mit, die USA hätten im Grundsatz "keine Einwände" gegen die Lieferung von Kampfjets durch Polen an die Ukraine. Er fügte hinzu: "Der Ball liegt jetzt im Spielfeld der Polen." Kuleba war am Samstag mit US-Präsident Joe Biden in Polen zusammengetroffen. Die Frage der Kampfjets solle weiter mit der polnischen Seite besprochen werden, so der ukrainische Minister. Und er betonte: "Die Ukraine braucht unbedingt mehr Kampfflugzeuge." Es müsse im Luftraum ein "Gleichgewicht" hergestellt werden, um Russland von weiteren Luftangriffen abzuhalten. Diese Frage müsse "schnellstmöglich" geklärt werden.

Polnische MiG-29-Jets (Archiv)Bild: Cuneyt Karadag/AA/picture alliance

Polen hatte vor einiger Zeit eine indirekte Übergabe seiner Kampfflugzeuge des sowjetischen Typs MiG-29 an die ukrainischen Streitkräfte vorgeschlagen. Man sei bereit, die Jets auf die US-Luftwaffenbasis nach Ramstein in Deutschland zu verlegen. Von dort aus hätten die USA dann die MiG-29 an die Ukraine überstellen sollen. Dieser Vorstoß wurde von der Regierung in Washington abgelehnt. Das könnte zu einer direkten Konfrontation zwischen NATO-Kräften und russischem Militär führen und eine Eskalation des Krieges nach sich ziehen, hieß es damals zur Begründung.

Kreml reagiert auf Biden-Rede

US-Präsident Joe Biden entscheidet nach den Worten von Kremlsprecher Dmitri Peskow nicht über die Führung in Russland. "Der Präsident Russlands wird vom russischen Volk gewählt", entgegnete Peskow auf eine Rede Bidens, in der dieser den Machtverbleib von Kremlchef Wladimir Putin in Frage gestellt hatte. "Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben", hatte Biden am Samstagabend in einer Rede im Innenhof des Warschauer Königsschloss gesagt. Bidens Auftritt in der polnischen Hauptstadt markierte den Abschluss seiner Europa-Reise.

Der Kremlsprecher (r.) und sein Chef Wladimir Putin (Archiv)Bild: Alexander Zemlianichenko/AP/picture alliance

Das Weiße Haus stellte später klar, Biden habe nicht zu einem Regimewechsel in Russland aufgerufen. Er habe mit seiner Äußerung gemeint, dass Putin keine Macht auf seine Nachbarländer oder die Region ausüben dürfe, sagte ein Sprecher des amerikanischen Präsidialamts.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron distanzierte sich von der Wortwahl Bidens. Es gelte, "eine Eskalation der Worte wie der Handlungen" im Ukraine-Krieg zu verhindern. Zugleich betonte Macron, er werde in Kürze erneut mit Putin telefonieren.

Ein "Iron Dome" für Deutschland?

Angesichts des Ukraine-Kriegs prüft die Bundesregierung nach Presseinformationen die Errichtung eines Raketenschutzschilds über Deutschland. Bei einer Beratung von Bundeskanzler Olaf Scholz mit Generalinspekteur Eberhard Zorn über die Verwendung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr sei auch ein solcher "Iron Dome" (Eiserne Kuppel) Thema gewesen, berichtet die "Bild am Sonntag" (BamS). Konkret sei es um eine mögliche Anschaffung des israelischen "Arrow 3"-Systems gegangen. Es würde nach Angaben aus Sicherheitskreisen zwei Milliarden Euro kosten. Da es marktverfügbar sei, könnte es demnach bereits 2025 einsatzfähig sein.

Eine "Arrow 3"-Rakete (Archiv)Bild: Israeli Defence Ministry/AFP

Steinmeier: Panzer können Freiheit nicht zerstören

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie aufgerufen. Zugleich prangerte er den russischen Angriff und das Handeln des russischen Präsidenten Wladimir Putin an. "Keine Armee, kein Unterdrückungsregime ist stärker als die Strahlkraft von Freiheit und Demokratie in den Köpfen und Herzen der Menschen. Nicht in der Ukraine, nicht bei uns, nirgendwo", sagte Steinmeier.

Das Staatsoberhaupt äußerte sich in einer Videoansprache vor dem Konzert "Für Freiheit und Frieden. Ein Konzert der Berliner Philharmoniker in Schloss Bellevue". Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender konnten wegen ihrer Corona-Erkrankung nicht persönlich dabei sein.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland nahm an dem vom Bundespräsidenten veranstalteten Solidaritätskonzert nicht teil. "Nur russische Solisten, keine UkrainerInnen", twitterte Botschafter Andrij Melnyk.

Ukraine meldet Beschuss von Reaktor

Der nukleare Forschungsreaktor "Neutronenquelle" in der ostukrainischen Stadt Charkiw ist nach ukrainischen Angaben erneut unter Artilleriebeschuss russischer Soldaten geraten. "Eine Überprüfung des Ausmaßes der Schäden ist wegen der ununterbrochenen Kampfhandlungen in der Umgebung der nuklearen Anlage unmöglich", hieß es. Die Anlage war bereits vor knapp zwei Wochen bei einer Bombardierung beschädigt worden. Allerdings war der Reaktor schon zu Kriegsbeginn in einen sogenannten unterkritischen Zustand heruntergefahren worden.

Briten teilen Geheimdienstinformationen

Die russischen Streitkräfte scheinen sich nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums darauf zu konzentrieren, ukrainische Truppen einzukesseln, die den separatistischen Regionen im Osten des Landes direkt gegenüberstehen. Sie rückten aus Richtung Charkiw im Norden und Mariupol im Süden vor, berichtete das Ministerium auf Grundlage von Geheimdienstinformationen. "Das Schlachtfeld in der Nordukraine bleibt weitgehend statisch", hieß es weiter. Der Grund: Lokale ukrainische Gegenangriffe behinderten die Versuche Russlands, ihre Streitkräfte neu zu organisieren.

Explosion nach einem russischen Angriff in Lwiw am SamstagBild: RONALDO SCHEMIDT/AFP

Russische Truppen haben in der Ukraine nach Angaben aus Moskau ein großes Treibstofflager in der Nähe der westukrainischen Stadt Lwiw (früher Lemberg) zerstört. Aus dem Brennstoffdepot sei das ukrainische Militär im Westen des Landes und nahe Kiew versorgt worden, teilte der Sprecher des
Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in Moskau mit. Das deckt sich mit Angaben aus der Ukraine vom Samstag. Mit von Flugzeugen und Kriegsschiffen abgefeuerten Raketen seien mehrere Militärobjekte in den Gebieten von Lwiw und Kiew zerstört worden, sagte der russische Generalmajor. 

Referendum über Beitritt zu Russland?

Die prorussischen Separatisten im umkämpften Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine erwägen eine Volksabstimmung über einen Beitritt der Region zu Russland. "Ich denke, dass in nächster Zeit auf dem Gebiet der 'Volksrepublik' ein Referendum durchgeführt wird, auf dem das Volk (...) seine Meinung sagt zu einem Beitritt zur Russischen Föderation", so der Luhansker Separatistenführer Leonid Passetschnik laut der russischen Staatsagentur Tass. Der Kreml hatte im Februar gegen den Protest der Ukraine und des Westens die abtrünnigen Gebiete Luhansk und Donezk als unabhängige Regionen anerkannt. 

"Barbarisch und gottesverachtend"

Der Papst hat auch in dieser Woche das Angelus-Gebet für einen Appell gegen den Krieg in der Ukraine genutzt. Franziskus nannte den Konflikt am Sonntag vor den Gläubigen auf dem Peterplatz "barbarisch und gottesverachtend". Während Brüder einander töteten, ohne sich überhaupt zu sehen, würden Kinder schwer traumatisiert. Der Pontifex unterstrich, dass es in einem Krieg keinen Sieger geben
kann. 

Der Papst wird nicht müde den Krieg anzuprangernBild: Gregorio Borgia/AP/picture alliance

"Jeder Krieg ist eine Niederlage für uns alle", sagte Franziskus. Er forderte die Politiker erneut zu einem Ende der Gewalt auf. "Krieg darf nichts Unvermeidliches sein, wir dürfen uns nicht an den Krieg gewöhnen." Die ganze Welt müsse aus solchen Konflikten und den Folgen lernen, mahnte der Papst. "Wenn wir aus dieser Sache rausgehen wie zuvor, dann machen wir uns alle schuldig."

Große Gefahr für Reporter im Kriegsgebiet

Seit Kriegsausbruch vor einem Monat sind nach Erkenntnissen der Ukraine bereits zwölf Journalisten ums Leben gekommen. Weitere zehn Reporter seien im Verlauf der Kämpfe teils schwer verletzt worden, teilte die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa auf ihrer Facebook-Seite mit.

"Der Welt die Wahrheit über Putins Aggression zu berichten, ist tödlich", schrieb sie. Nach ihrer Lesart wurden die Reporter allesamt von russischen Militärs getötet, was sich bislang jedoch nicht unabhängig überprüfen ließ.

Russische Medienrepression trifft jetzt auch Bild.de

Die russische Medienaufsicht hat unterdessen den Zugriff auf die Website Bild.de des Axel-Springer-Verlags in Russland gesperrt. Das meldet die Agentur Interfax unter Berufung auf die Behörde Roskomnadsor. Die Generalstaatsanwaltschaft habe die Sperrung beantragt.

Bild.de hat seit Februar auch Artikel in russischer Sprache veröffentlichtBild: Schöning/IMAGO

"Bild"-Chefredakteur Johannes Boie teilte der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit: "Die Sperrung von Bild.de durch die russische Zensur bestätigt uns in unserer journalistischen Arbeit für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Und sie bestärkt uns, russischen Bürgerinnen und Bürgern noch mehr Möglichkeiten zu geben, sich mit Nachrichten und Fakten jenseits von der russischen Regierungs-Propaganda zu informieren." Auf Twitter riet Boie Leserinnen und Lesern in Russland, auf den "Bild"-Kanal im sozialen Netzwerk Telegram auszuweichen.

Ein Grund für die Sperrung in Russland wurde nicht genannt. Allerdings veröffentlicht "Bild" seit Ende Februar auch Artikel auf Russisch, damit sich nach Worten von Boie "Russinnen und Russen über die Lage in der Ukraine informieren können". 

Bild.de ist nicht das einzige westliche Medienunternehmen, das von russischen Verboten betroffen ist. Auch die Deutsche Welle und die britische BBC gehören dazu.

Russlands Medienaufsicht Roskomnadsor will unterdessen die Veröffentlichung eines Interviews mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verhindern. Roskomnadsor kündigte zudem eine Überprüfung aller Medien an, die das Selenskyj-Interview führten. Unter den russischen Journalisten, die kürzlich mit Selenskyj per Videoschalte sprachen, war auch ein Reporter der bekannten Moskauer Tageszeitung "Kommersant".

Wohnungen in Kiew werden nicht mehr geheizt

Wegen des Krieges wird die Heizsaison in der Hauptstadt Kiew am Montag vorzeitig beendet. Das habe die örtliche Militärverwaltung angeordnet, teilte die Stadtverwaltung mit. Wohnungen und Geschäftsgebäude sollten nicht mehr beheizt werden. Für Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Kultureinrichtungen werde das Abschalten in Absprache mit deren Leitern geregelt. In Kiew werden in den kommenden Nächten Temperaturen von ein bis drei Grad erwartet. Üblicherweise endet die Heizsaison im Fernwärmenetz Mitte April. 

"Nur der erste Akkord der Flüchtlingskrise"

Polen beabsichtigt nach Angaben seiner Regierung nicht, die aus der Ukraine aufgenommenen Flüchtlinge auf andere Länder zu verteilen. "Wir werden uns nicht um eine Verteilung bemühen. Wenn jemand bei uns bleiben will, dann kann er bleiben, wenn jemand weiterreisen will, reist er weiter", sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Polen verhandele derzeit mit den Staats- und Regierungschefs anderer Länder darüber, wie diese die Polen dabei unterstützen könnten, den Ukrainern zu helfen.

Die Infografik zeigt es sehr deutlich: Polen hat mit Abstand die meisten Ukraine-Flüchtlinge aufgenommen

Bis Samstag hat Polens Grenzschutz 2,27 Millionen Flüchtlinge gezählt, die aus dem Nachbarland eingereist sind. Es gibt derzeit keine offiziellen Angaben dazu, wie viele von ihnen in Polen geblieben und wie viele bereits in andere EU-Staaten weitergereist sind. "Was wir heute erleben, ist vielleicht nur der erste Akkord der größten Flüchtlingskrise nach dem Zweiten Weltkrieg", meinte Morawiecki.

Faeser und Kaminski schreiben an die EU-Kommission

Angesichts der riesigen Fluchtbewegung aus der Ukraine haben sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihr polnischer Kollege Mariusz Kaminski mit einem dringenden Hilfsappell an die EU-Kommission gewandt. In einem Schreiben an Kommissionsvize Margaritis Schinas und Innenkommissarin Ylva Johansson dringen die beiden auf mehr Unterstützung bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die anderen EU-Staaten sowie auf finanzielle Hilfe.

Bundesinnenministerin Faeser hofft - wie ihr polnischer Amtskollege Kaminski - auf mehr Hilfe durch die EUBild: Annegret Hilse/REUTERS

So werden etwa ein Pauschalbetrag von 1000 Euro aus EU-Mitteln für jeden Aufgenommenen ins Spiel gebracht und mehr Koordinierung bei der Flüchtlingsverteilung gefordert. An diesem Montag wollen die Innenminister der EU-Staaten in Brüssel über den Umgang mit den Flüchtlingen beraten.

Khan: Britische Regierung agiert "peinlich"

Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan hat die britische Regierung aufgefordert, deutlich mehr für die Geflüchteten aus der Ukraine zu tun. "Es ist peinlich, wenn man das Vorgehen unserer Regierung mit dem von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen vergleicht", sagte der Labour-Politiker. Es müsse den Flüchtlingen in den nächsten Tagen und Wochen viel leichter gemacht werden, nach Großbritannien zu kommen. Vor kurzem hatte Khan sich dafür ausgesprochen, Geflüchtete in Immobilien russischer Oligarchen in der britischen Hauptstadt unterzubringen.

Bundesministerin: Schüler sollen Abschluss machen

Schülern aus der Ukraine soll nach den Worten der deutschen Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger ein Abschluss an deutschen Schulen ermöglicht werden. "Schüler, die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen, sollen diesen so schnell wie möglich machen können", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Denn damit ist die Hoffnung verbunden, bald in die Heimat zurückkehren zu können." Die Schulen müssten auf beide Szenarien vorbereitet sein. "Dass viele Kinder und Jugendliche auf absehbare Zeit zurückkehren, aber auch darauf, dass sie länger hierbleiben."

Schüler aus der Ukraine in KölnBild: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Für den Schulunterricht seien sowohl Willkommensklassen als auch die Aufnahme in regulären Klassen ein Modell, so Stark-Watzinger. "Dabei sollten geflüchtete ukrainische Lehrkräfte einbezogen werden. Sie kennen die Lehrpläne, die Sprache, das Land und wissen, wie die ukrainischen Schüler am besten unterstützt werden können."

haz/qu/se/wa/ack (dpa, afp, rtr, kna)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert.

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