1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Konflikte

Aktuell: Selenskyj zieht blutige Bilanz

20. Dezember 2022

300 Kriegstage in der Ukraine: Deren Präsident berichtet von hohen Verlusten der russischen Armee - und wagt seinen bislang gefährlichsten Frontbesuch. Nachrichten im Überblick.

Wolodymyr Selenskyj und andere Regierungsmitglieder im Gespräch mit Soldaten in der Frontstadt Bachmut
Wolodymyr Selenskyj und andere Regierungsmitglieder im Gespräch mit Soldaten in der Frontstadt Bachmut Bild: Ukrainian Presidential Press Service/Handout/REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj: Russland hat bald 100.000 Soldaten verloren
  • Staatschef bei Soldaten in Bachmut in der Region Donezk
  • Steinmeier bittet Xi Jinping um Druck auf Putin 
  • Deutschland will Luftabwehr der Slowakei stärken
  • Moldau rechnet 2023 mit russischer Invasion

 

Seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine sind nach Darstellung von Staatschef Wolodymyr Selenskyj schon fast 100.000 russische Soldaten getötet worden. "Bisher sind es knapp 99.000 Soldaten, in wenigen Tagen erhöhen sich die Verluste der Besatzer auf 100.000", sagte er in einer Videoansprache. "Und wofür? Niemand in Moskau hat darauf eine Antwort - und wird sie auch (in Zukunft) nicht haben."

Die Verantwortlichen in Moskau führten Krieg und "verschwenden Menschenleben - das Leben anderer Menschen, nicht das ihrer Angehörigen, nicht ihr eigenes Leben, sondern das anderer", prangerte Selenskyj an. "Und das nur, weil eine Gruppe im Kreml Fehler nicht einzugestehen weiß und schreckliche Angst vor der Realität hat." Doch die Realität spreche für sich.

Russland hatte das Nachbarland am 24. Februar angegriffen. Dieser Dienstag ist exakt der 300. Kriegstag.

"Ich wünschte, es gäbe Licht"

Seinen bislang wohl riskantesten Frontbesuch absolvierte Selenskyj in der hart umkämpften Stadt Bachmut im Osten der Ukraine. Ein vom ukrainischen Staatssender Freedom verbreitetes Video zeigt Selenskyj, wie er Soldaten Orden überreicht. "Ich wünschte, es gäbe Licht, aber die Situation ist so schwierig, dass es Licht gibt - und dann nicht mehr", sagte Selenskyj in Anspielung auf die Stromausfälle im ganzen Land nach massiven russischen Bombenangriffen in den vergangenen Wochen.

Verleihung von Auszeichnungen im Halbdunkel: Der Präsident nimmt den Gruß eines ukrainischen Kämpfers entgegenBild: Ukrainian Presidential Press Service/Handout/REUTERS

Selenskyj hat mehrfach Orte an der Front besucht. Der Besuch in Bachmut ist allerdings sein bisher gefährlichster, da die russischen Streitkräfte unmittelbar vor den Toren der Stadt stehen. Bachmut liegt in Donezk, einer der vier ukrainischen Regionen, die Putin im September für annektiert erklärte. Die Regionen werden aber nur zum Teil von russischen Truppen kontrolliert. Russische Streitkräfte versuchen seit dem Sommer, die Stadt einzunehmen - bisher ohne Erfolg. Zermürbende Kämpfe haben in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Toten auf beiden Seiten geführt.

Stromversorgung in Kiew deutlich reduziert

Der jüngste russische Drohnenangriff auf die Infrastruktur der ukrainischen Hauptstadt hat die Stromversorgung in Kiew wieder stark in Mitleidenschaft gezogen. Wie Bürgermeister Vitali Klitschko am Montagabend mitteilte, erhöhte sich das Stromdefizit auf nunmehr 50 Prozent. Neben Strom müssen die Bewohner von Kiew und Umgebung immer öfter auch auf das Internet verzichten, wie der Netz-Beobachter Netblocks bestätigte.

Kiew am Montagmorgen: Brand nach einer Drohnenattacke auf die EnergieinfrastrukturBild: Aleksandr Gusev/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa/picture alliance

Steinmeier-Appell an chinesischen Staatschef

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den chinesischen Staatschef Xi Jinping aufgefordert, sich bei Russlands Präsident Wladimir Putin für ein Ende des Ukraine-Krieges einzusetzen. "Der Bundespräsident unterstrich das gemeinsame Interesse Chinas und Europas an einem Ende des Krieges sowie an der Achtung der ukrainischen Souveränität und dem Abzug russischer Truppen, die dafür notwendig sind", erklärte das Präsidialamt in Berlin nach einem Telefonat Steinmeiers mit Xi.

Chinas Präsident Xi Jinping (links) und Kreml-Chef Wladimir Putin (Archivbild)Bild: Pavel Golovkin/Pool/REUTERS

"In dem Gespräch bekräftigte der Bundespräsident die Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine weiter zu unterstützen", hob das Präsidialamt hervor. Europa werde vor russischen Drohungen nicht zurückweichen und habe Vorkehrungen gegen die Energiekrise getroffen. Die Wehrhaftigkeit der Ukraine und der Zusammenhalt Europas seien durch die russische Aggression gestärkt worden, betonte Steinmeier demnach. Hier habe sich Putin fundamental verkalkuliert. Der Bundespräsident dankte Xi schließlich für dessen klare Zurückweisung von nuklearen Drohungen seitens Russlands.

Guterres gibt Hoffnung auf Frieden nicht auf

UN-Generalsekretär António Guterres sieht kurzfristig keine Aussicht auf Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. "Ich bin nicht optimistisch, was die Möglichkeit von wirksamen Friedensgesprächen in der unmittelbaren Zukunft betrifft", sagte Guterres in New York. Die militärische Konfrontation zwischen den Armeen Russlands und der Ukraine werde vorläufig andauern.

Zugleich äußerte Guterres die Hoffnung auf Frieden im nächsten Jahr. Die schwerwiegenden Folgen des Krieges für die Menschen in der Ukraine, für die russische Gesellschaft und für die Weltwirtschaft, besonders in Entwicklungsländern, hätten dramatisch zugenommen. "All das sind Gründe für uns, alles zu tun, was möglich ist, um für eine friedliche Lösung vor dem Ende des Jahres 2023 zu sorgen", erklärte Guterres.

Gab eine Pressekonferenz zum Jahresende: António GuterresBild: Selcuk Acar/AA/picture alliance

UN-Botschafterin verurteilt Einsatz iranischer Drohnen

Deutschland hat die Lieferung iranischer Waffen an Russland scharf kritisiert. "Iranische Kampfdrohnen haben Russland zusätzliche Möglichkeiten gegeben, um zivile Infrastruktur anzugreifen und ukrainische Zivilisten zu terrorisieren", klagte die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse in New York. Sie sprach sich dafür aus, dass das Generalsekretariat der Vereinten Nationen Einladungen aus der Ukraine annimmt, um vor Ort Hinweise auf die Rolle Irans untersuchen zu können.

Milliardenhilfen aus USA, Winterausrüstung aus Großbritannien

Im US-Kongress haben sich Demokraten und Republikaner auf einen Jahreshaushalt verständigt, der auch knapp 45 Milliarden Dollar an neuen Hilfen für die Ukraine vorsieht. Die Mittel sind für Militärhilfen, wirtschaftliche Unterstützung und humanitäre Hilfe gedacht. Senat und Repräsentantenhaus hatten bereits im Mai ein 40 Milliarden Dollar schweres Hilfspaket für das von Russland angegriffene Land verabschiedet.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace informiert im Unterhaus in London über die Hilfen für die UkraineBild: House of Commons/PA Wire/picture alliance

Großbritannien unterstützt die ukrainische Armee mit weiterer Winterausrüstung. "Wir gehen davon aus, dass bis Weihnachten 10.000 Ausrüstungen gegen kaltes Wetter ausgeliefert werden", sagte Verteidigungsminister Ben Wallace im Parlament in London. Dazu gehörten extrem warme Kleidung, strapazierfähige Schlafsäcke und isolierte Zelte. Bisher habe London bereits 15.000 solcher Ausrüstungen sowie 900 Generatoren zur Stromerzeugung geliefert, so Wallace.

Bisher 100.000 russische IT-Spezialisten im Ausland

Rund 100.000 russische IT-Spezialisten haben nach Beginn von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine nach Behördenangaben ihre Heimat verlassen. "Tatsächlich sind, wenn wir beide Ausreisewellen betrachten, bis zu zehn Prozent der Mitarbeiter von IT-Unternehmen aus dem Land ausgereist und nicht wiedergekommen", sagte Digitalisierungsminister Maxut Schadajew in Moskau bei einer Anhörung vor dem Parlament. Allerdings seien 80 Prozent von ihnen weiterhin bei russischen Unternehmen beschäftigt. Schadajew sprach sich deshalb dagegen aus, diesen Russen die Arbeit aus dem Home-Office zu verbieten.

Hunderttausende Russen haben nach dem Start des Angriffskrieges gegen die Ukraine das Land verlassen. Die erste Welle erfolgte kurz nach Putins Kriegserklärung, die zweite, nachdem der Präsident eine Teilmobilmachung in Russland ausgerufen hatte. Da die EU diese Russen nicht als Kriegsgegner anerkennt und ihre Grenzen größtenteils geschlossen hat, sind viele in die angrenzenden Ex-Sowjetrepubliken ausgereist. In Russland hingegen werden sie bisweilen als "Vaterlandsverräter" bezeichnet. Regierung und Staatsduma beraten nun über ein Gesetz, das Ausgereisten verbieten soll, weiter für russische Unternehmen zu arbeiten. Auf diese Weise will Moskau möglichen Kriegsdienstverweigerern die Basis für ihre Existenz im Ausland nehmen.

Deutschland will Luftabwehr der Slowakei stärken

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hat der an die Ukraine grenzenden Slowakei weitere Hilfe bei der Luftverteidigung zugesagt. Die Ministerin bot dem NATO-Partner das Abwehrsystem "MANTIS" an, wie bei einem Besuch Lambrechts in Bratislava mitgeteilt wurde. Dort übergab sie ihrem Kollegen Jaroslav Nad auch den ersten von 15 älteren Leopard-2-Panzern aus deutschen Industriebeständen im Zuge eines sogenannten Ringtauschs. Die Slowakei hat der Ukraine im Gegenzug Schützenpanzer sowjetischer Bauart zum Kampf gegen russische Truppen geliefert.

Besteht aus einem Geschützmodul und einem Radarmodul: Abwehrsystem "MANTIS" (Archivbild)Bild: Sven Eckelkamp/IMAGO

Laut Bundeswehr hat das "MANTIS"-System eine Reichweite von bis zu drei Kilometern und kann anfliegende Objekte mit bis zu 1000 Schuss pro Minute bekämpfen. Es könne insbesondere dazu genutzt werden, das wenige Kilometer von der ukrainischen Grenze eingerichtete Instandsetzungszentrum in der Stadt Michalovce zu schützen, erläuterte Lambrecht. Dort werden deutsche Waffen repariert, die im Ukraine-Krieg abgenutzt oder beschädigt wurden. 

Zum Anschluss ihres Slowakei-Aufenthalts besuchte Lambrecht das deutsche Kontingent einer NATO-Kampftruppe. Die Truppe ist Teil der Verstärkung der NATO in Osteuropa. Lambrecht traf auf einem Truppenübungsplatz beim zentralslowakischen Lest ein. Dort sind derzeit 250 Soldatinnen und Soldaten einer Gebirgsjägereinheit der Bundeswehr stationiert. Geführt wird der Verband mit insgesamt 1300 Soldatinnen und Soldaten von Tschechien.

Moldau rechnet 2023 mit russischer Invasion

Der Geheimdienst der Republik Moldau befürchtet eine russische Invasion im kommenden Jahr. "Die Frage ist nicht, ob die Russische Föderation eine neue Offensive gegen das Territorium Moldaus durchführen wird, sondern wann", sagte Geheimdienstchef Alexandru Musteata im Staatsfernsehen. Möglich sei ein Zeitraum zwischen Januar und April. Musteata bezog sich auf die Stationierung russischer Einheiten in dem seit Anfang der 1990er Jahre abtrünnigen Landesteil Transnistrien, die dort als sogenannte Friedenstruppen auftreten. Die russischen Pläne in Bezug auf Moldaus Hauptstadt Chisinau seien noch nicht erkennbar. "Aber das ist ein echtes und sehr hohes Risiko", betonte Musteata.

Putin richtet Forderung an Sicherheitsorgane

Der russische Präsident Wladimir Putin hat von den Sicherheitskräften seines Landes mehr Einsatz in allen Bereichen verlangt. "Heute haben wir eine sich dynamisch ändernde Lage in der Welt, neue Risiken und Bedrohungen bringen erhöhte Anforderungen an das gesamte Sicherheitssystem Russlands. Und das bedeutet, dass sie (die Sicherheitsorgane) ihre Anstrengungen vor allem in den entscheidenden Richtungen verstärken müssen", sagte Putin in der Nacht zum Dienstag in einer Videoansprache anlässlich des sogenannten Tages der Sicherheitskräfte Russlands.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Sicherheitskräfte sei der Schutz der Bürger der "neuen Regionen" Russlands, betonte Putin. Gemeint waren damit die von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Teile der Ukraine. Tatsächlich sei die Lage in den Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja schwierig, räumte der Kremlchef ein. "Aber die dort lebenden Menschen, alles Bürger Russlands, hoffen auf ihren Schutz." Um die Sicherheit, Rechte und Freiheiten dieser Menschen zu schützen, so Putin weiter, werde Russland "neue Einheiten mit modernster Technik und Waffen ausrüsten, ebenso wie mit erfahrenem Personal".

"Sehr ergebnisreiche" Beratungen in Minsk

Kremlchef Wladimir Putin hat seine Gespräche mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko als "sehr ergebnisreich" beurteilt. Sein Gastgeber in Minsk wiederum sprach von "konstruktiven und produktiven" Unterredungen, wie die russische Staatsagentur TASS nach Abschluss des Arbeitstreffens berichtete.

Politisch, wirtschaftlich und militärisch abhängig von Wladimir Putin: Alexander Lukaschenko (r.)Bild: Konstantin Zavrazhin/Pool Sputnik Kremlin via AP/dpa/picture alliance

Laut Putin verständigten sich Russland und Belarus darauf, ihre Zusammenarbeit "in allen Bereichen" zu verstärken, vor allem im Verteidigungssektor. Es handele sich um gemeinsame Maßnahmen, um die Sicherheit beider Länder zu gewährleisten, wie etwa gegenseitige Waffenlieferungen oder eine gemeinsame Rüstungsproduktion. Russland werde zudem die Ausbildung belarussischer Soldaten an Flugzeugen sowjetischer Bauart fortsetzen, die mit Atombomben bestückt werden könnten, sagte Putin.

Belarus hatte im Oktober die Aufstellung eines gemeinsamen Militärverbundes mit Russland bekanntgegeben. Lukaschenko hat allerdings wiederholt erklärt, er plane keine Entsendung von Soldaten in die Ukraine.

Russland findet EU-Gaspreisdeckel "inakzeptabel"

Der von der Europäischen Union beschlossene Gaspreisdeckel ist nach Ansicht Moskaus ein "Verstoß gegen Marktpreisverfahren". Das sei "inakzeptabel", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Nach monatelangem Streit hatten sich die Energieminister der EU-Staaten am Montag darauf geeinigt, die Großhandelspreise für Gas künftig unter bestimmten Umständen zu deckeln. Die Obergrenze soll bei 180 Euro pro Megawattstunde liegen. Ausgangspunkt sind gestiegene Gaspreise - bedingt auch durch gestoppte Gas-Lieferungen aus Russland.

Auch ein Deckel - über einem Gasanschluss in DeutschlandBild: Christian Ohde/CHROMORANGE/picture alliance

Oligarchen lassen Ermittler "im Dunkeln tappen" 

Im Zuge der EU-Sanktionen gegen Russland sind in Deutschland bisher gut fünf Milliarden Euro an russischen Vermögenswerten eingefroren worden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Christian Görke hervor. Im Vergleich zu Juli stieg die Summe demnach lediglich um eine halbe Milliarde Euro.

Görke kritisierte, die zur Durchsetzung der Vermögenssperren beschlossene Anzeigepflicht sei ein Flop. "Mehrere Monate haben Oligarchen gar nichts gemeldet. Weil sie wissen, dass die Ermittler in Deutschland ohnehin im Dunkeln tappen. Wem was in Deutschland gehört, ist eine Blackbox."

sti/jj/kle/se/wa/bru (dpa, afp, rtr, epd)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen