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Politik

Aktuell: Kiew prüft fast 26.000 Kriegsverbrechen

7. August 2022

Die meisten mutmaßlichen Kriegsverbrecher sind jedoch flüchtig. Vier weitere Frachter unter anderem mit Sonnenblumenöl und Mais haben ukrainische Häfen verlassen. Präsident Selenskyj lobt seine Armee. Ein Überblick.

Ukraine | Butscha | Leichen aus einem Massengrab
Um mögliche Kriegsverbrechen zu ermitteln, wurden unter anderem in Butscha Leichen aus Massengräbern exhumiertBild: Carol Guzy/Zuma Press/dpa/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ukraine prüft fast 26.000 Fälle von Kriegsverbrechen
  • Vier weitere Getreidefrachter haben ukrainische Häfen verlassen
  • Russisches Militär konzentriert Kämpfe in der Region Donezk 
  • Russischer Funktionär in Cherson stirbt bei Attentat
  • IAEA sieht Gefahr einer nuklearen Katastrophe

 

Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine prüft inzwischen fast 26.000 Fälle mutmaßlicher Kriegsverbrechen seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar. 135 Menschen seien angeklagt worden, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den Chef der Abteilung für Kriegsverbrechen, Jurij Bilousow. Von den Angeklagten befänden sich 15 in ukrainischem Gewahrsam, die anderen 120 seien flüchtig. 13 Fälle seien an die Gerichte überwiesen worden, in sieben Verfahren seien bereits Urteile ergangen.

Im Mai war erstmals ein 21-jähriger russischer Soldat als Kriegsverbrecher verurteilt worden. Zuvor hatte er gestanden, Ende Februar einen 62-jährigen unbewaffneten Zivilisten erschossen zu haben. Seine lebenslange Freiheitsstrafe wurde einige Wochen nach der Urteilsverkündung auf 15 Jahre reduziert.

Dieser 21-jährige russische Soldat war im Mai der erste, der in der Ukraine wegen eines Kriegsverbrechens verurteilt wurdeBild: Natacha Pisarenko/AP Photo/picture alliance

"Manchmal werden wir gefragt, warum wir Soldaten mit so niedrigen Rängen verfolgen", sagte Bilousow laut dem Agenturbericht. "Das liegt schlicht daran, dass sie hier sind. Wären die Generäle hier und wir wären in der Lage, sie zu fassen, würden wir auf jeden Fall Generäle belangen."

Vier weitere Getreidefrachter stechen aus Ukraine in See

Vier weitere Getreidefrachter haben aus ukrainischen Häfen abgelegt. Die unter anderem mit Sonnenblumenöl und Mais beladenen Schiffe mit den Zielen China, Türkei und Italien seien auf dem Weg nach Istanbul, um dort kontrolliert zu werden, teilte das türkische Verteidigungsministerium auf Twitter mit. Insgesamt haben damit seit Abschluss des Getreide-Abkommens acht Frachter aus der Ukraine abgelegt.

Der Getreidefrachter "Razoni", der als erstes Schiff nach dem Abkommen zwischen der Ukraine und Russland einen ukrainischen Hafen verlassen hat, wird nicht wie erwartet an diesem Sonntag im Libanon ankommen. Das teilte die dortige ukrainische Botschaft auf Anfrage mit. Die "Razoni" hatte den ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa am Montag verlassen und sollte an diesem Sonntag in Tripoli im Norden des Libanons festmachen. Der Frachter habe Verspätung, teilt die ukrainische Botschaft mit, nennt aber keine Einzelheiten. Der Frachter hat rund 26.500 Tonnen Getreide geladen.

Ein Frachtschiff verlässt Odessa - die "Glory" hat 66 Tonnen Getreide geladen Bild: Nina Lyashonok/AP Photo/picture alliance

Erster Frachter nach Ende der Seeblockade angekommen

Nach dem Ende der russischen Seeblockade hat erstmals wieder ein Frachtschiff in einem ukrainischen Hafen angelegt. Nach Angaben des ukrainischen Infrastrukturministeriums ist der Schüttgutfrachter "Fulmar S" im Hafen von Tschonomorsk bei Odessa "angekommen und bereit zum Beladen". Damit habe der Getreidekorridor nun einen "Ein- und Ausgang", erklärte Infrastrukturminister Olexander Kubrakow. Das sei ein wichtiges Signal für die Märkte. Schiffe wie die "Razoni" konnten die ukrainischen Häfen wegen der Seeminen monatelang nicht verlassen.

Die Ukraine will in Zukunft auch die Freigabe des Seehafens Mykolajiw für die Getreidetransporte erwirken. Ein entsprechender Vorschlag sei an die UN und die Türkei ergangen, teilte Kubrakow mit. Ziel sei es, die Getreideexporte auf drei Millionen Tonnen pro Monat zu steigern. Die UN und die Türkei hatten kürzlich separate Vereinbarungen mit der Ukraine sowie Russland unterzeichnet, die die Getreideverschiffung durch das Schwarze Meer wieder ermöglichen sollten.

Die "Fulmar S" fährt unter der Flagge von Barbados - und ist das erste Handelsschiff überhaupt, das seit Monaten die Ukraine erreichtBild: Lokman Akkaya/AA/picture alliance

Kiew befürchtet Rückgang der Weizenernte

Die ukrainische Regierung befürchtet für das laufende Jahr einen Rückgang der Weizenernte um 20 Millionen Tonnen und somit um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. "Die größte Herausforderung ist es für uns, den Weizen auf den internationalen Markt zu bringen", sagte der ukrainische Vize-Landwirtschaftsminister Taras Wysozkyj den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Einkünfte durch den Export aller Getreidesorten würden voraussichtlich um etwa 20 Prozent zurückgehen. 

Munition für Himars

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Streitkräfte für erfolgreiche Gegenangriffe gelobt - und dabei die Rolle westlicher Waffen hervorgehoben. In der vergangenen Woche habe die ukrainische Armee "starke Ergebnisse" bei der Zerstörung russischer Kriegslogistik erzielt, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Sonntag.

"Jeder Angriff auf die Munitionsdepots des Feindes, auf seine Kommandoposten und auf Ansammlungen russischer Technik rettet unser aller Leben, das Leben der ukrainischen Soldaten und Zivilisten." Selenskyj dankte westlichen Partnern für bisherige Waffenlieferungen. Er verwies insbesondere auf die USA, die vor einigen Tagen weitere Rüstungslieferungen an die Ukraine in einem Umfang von 550 Millionen Dollar angekündigt hatten. Darin sollen unter anderem Munition für das Mehrfach-Raketenwerfersystem Himars und 75.000 Artilleriegranaten enthalten sein. Zugleich bat Selenskyj um weitere Militärhilfe.

Präsident Wolodymyr Selenskyj glaubt an die Kraft des ukrainischen MilitärsBild: Ukrainisches Präsidialamt

Mit den ausländischen Waffen will die Ukraine, die sich mittlerweile seit fast einem halben Jahr gegen die russische Invasion verteidigt, verloren gegangenes Gebiet zurückerobern. Zuletzt startete die ukrainische Armee mehrere Gegenoffensiven im Süden. Es seien russische Offensiven in Richtung der Städte Slowjansk, Bachmut und Awdijiwka zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab mit.

Eckpfeiler der Verteidigung

Insbesondere um Bachmut toben seit Tagen heftige Kämpfe. Die prorussischen Rebellen hatten am Vortag vermeldet, es gebe Gefechte bereits innerhalb des Stadtgebiets. Unabhängig können die Angaben beider Seiten nicht überprüft werden. Die Kleinstadt gilt als ein Eckpfeiler des Verteidigungssystems rund um den letzten von Ukrainern gehaltenen Ballungsraum im Ballungsraum im Donbass.

Ukrainische Soldaten vom Dnipro-1-Regiment in der Nähe von SlowjanskBild: David Goldman/AP Photo/picture alliance

Sollten Bachmut und andere Kleinstädte fallen, wäre der Weg für die russischen Truppen weitgehend frei in Richtung Slowjansk und Kramatorsk. Seit der Eroberung des Nachbargebiets Luhansk konzentrieren die Russen ihre Angriffe in der Ostukraine auf Donezk, wo sie bislang rund 60 Prozent des Territoriums erobert haben.

Russischer Funktionär in Region Cherson stirbt nach Attentat

Ein Funktionär der russischen Besatzungsbehörden in der Region um die südukrainische Großstadt Cherson ist nach einem Attentat gestorben. Witali Gura, stellvertretender Leiter der Verwaltung der Stadt Nowa Kachowka, sei "seinen Verletzungen erlegen", erklärte eine örtliche Behördenvertreterin im Online-Dienst Telegram. Gura sei am Samstag bei einem "Attentat" in seinem Haus erschossen worden, berichtete die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Kreise der Besatzungsbehörden.

In den vergangenen Monaten waren bereits mehrere von Moskau ernannte Funktionäre in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine Ziel von Attentaten geworden. In diesen Gebieten treibt der Kreml eine Politik der Russifizierung mit Blick auf eine mögliche Annexion der Gebiete an Russland an. Moskau hat dort den Rubel als Währung eingeführt und die Bewohner ermutigt, sich russische Pässe ausstellen zu lassen.

"Gefahr einer nuklearen Katastrophe"

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) drängt nach dem Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja erneut auf Zugang zu der von Russland besetzten Anlage. Der Angriff am Freitag "unterstreicht die sehr reale Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könnte", sagte IAEA-Chef Rafael Grossi. Er hielt fest, dass auf dem Gelände Schäden entstanden seien, dass aber die Reaktoren unversehrt seien und keine Radioaktivität ausgetreten sei.

Der Besuch eines IAEA-Teams vor Ort würde helfen, die nukleare Sicherheit vor Ort zu stabilisieren und unabhängige Informationen über den Zustand des AKWs zu liefern. Grossi forderte die Ukraine und Russland auf, endlich gemeinsam einen solchen IAEA-Einsatz möglich zu machen.

Während Moskau ukrainische Truppen für den Beschuss verantwortlich machte, sprach Kiew davon, dass die Russen das Gelände selbst beschossen hätten. Unabhängig sind die Angaben nicht zu überprüfen.

Die Infrastruktur des Kernkraftwerks Saporischschja sei intakt, heißt es von russischer SeiteBild: Dmytro Smolyenko/Ukrinform/IMAGO

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, die Infrastruktur des in der Stadt Enerhodar gelegenen Kraftwerks sei nicht beschädigt worden. Infolge der Angriffe seien nun aber mehr als 10.000 Einwohner der Region ohne Wasser und Strom.

Eine "Machtquelle"

Präsident Recep Tayyip Erdogan bestätigte unterdessen, dass die Türkei fortan russische Gaslieferungen in Rubel bezahlen und auch das russische Zahlungssystem Mir stärker nutzen werde. Ein neuer Plan zur Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werde als "Machtquelle zwischen der Türkei und Russland in finanziellen Angelegenheiten" dienen, sagte Erdogan laut Nachrichtenagentur Anadolu auf seinem Rückflug aus der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi.

Dort war er am Freitag mit Präsident Wladimir Putin zusammengetroffen. Die Nutzung des Mir-Zahlungssystems werde auch russischen Touristen den Aufenthalt in der Türkei erleichtern, sagte Erdogan weiter. Die Türkei ist Mitgliedsstaat des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO und zugleich ein enger Partner Russlands, das seit Ende Februar einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland Ukraine führt. Ankara und Moskau verbinden zahlreiche strategische Interessen. Zugleich stützen die Länder unterschiedliche Seiten in Konflikten wie in Syrien, Libyen oder in Berg-Karabach, ohne direkt gegeneinander vorzugehen.

ehl/uh/sti/nob/haz/ack (dpa, rtr, afp, ap)

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