Ukraine aktuell: Kiew rügt russischen Sicherheitsratsvorsitz
1. April 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Ukraine ist empört über russischen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat
- Russland will Munitionsproduktion deutlich erhöhen
- Kiew bestellt in Polen 100 Radschützenpanzer
- Ukraine verhängt weitere Sanktionen gegen Russland
- IOC kritisiert Boykott-Aufruf aus Kiew
Ungeachtet der anhaltenden Kritik an seinem Angriffskrieg in der Ukraine hat Russland am Samstag turnusgemäß den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernommen. Dies stößt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auf heftige Kritik. Der Schritt sei ein weiterer Schlag gegen geregelte internationale Beziehungen, twittert der Chef des Präsidenten-Stabes, Andrij Jermak. Zugleich kritisiert er den Iran wegen dessen Waffenlieferungen an Moskau. "Es ist sehr bezeichnend, dass am Feiertag eines Terrorstaates - Iran - ein anderer Terrorstaat - Russland - den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernimmt", schreibt Jermak. Mit der Aussage bezieht er sich auf den Feiertag anlässlich der Gründung der Islamischen Republik Iran.
Schon am Donnerstag hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba die turnusmäßige Übernahme des Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat durch Moskau als "schlechten Witz" bezeichnet. Russland habe seinen Sitz in dem Rat unrechtmäßig errungen, es führe einen "Kolonialkrieg" und sein Anführer sei "ein Kriegsverbrecher", gegen den der Internationale Strafgerichtshof wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder Haftbefehl erlassen habe, schrieb Kuleba auf Twitter. Die Ukraine fordert, dass Russland wegen der Invasion in der Ukraine aus dem höchsten UN-Gremium ausgeschlossen wird.
Der Vorsitz im UN-Sicherheitsrat rotiert monatlich, die 15 Mitgliedstaaten wechseln sich in alphabetischer Reihenfolge ab. Russland hatte zuletzt im Februar 2022 den Vorsitz im Sicherheitsrat inne, als Moskau russische Truppen in die Ukraine schickte. Nach Angaben aus Moskau wird Außenminister Sergej Lawrow im April eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats leiten. Das Gremium werde sich dann mit dem Thema "effektiver Multilateralismus durch die Verteidigung der Grundsätze der UN-Charta" befassen, sagte Lawrows Sprecherin Maria Sacharowa.
Auch Trittin kritisiert russischen Vorsitz
Auch aus Deutschland wurde Kritik an der routinemäßigen Übernahme der Präsidentschaft im Sicherheitsrat durch Russland laut. "Das Land, das seinen Nachbarn Ukraine vor mehr als einem Jahr angriff, bekommt den Vorsitz im obersten Gremium zur Wahrung des Weltfriedens", konstatierte der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin. "So wird der Bock zum Gärtner gemacht." Leider bestehe keine Hoffnung, dass Russland dem Votum von 141 Mitgliedstaaten Folge leisten werde, sich aus der Ukraine zurückzuziehen, erklärte Trittin weiter. Es sei zu erwarten, dass die russische Armee und für Moskau kämpfende Söldnergruppen "weiter ihre völkerrechtswidrige und kriegsverbrecherische Offensive fortsetzen" würden, erklärte der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen.
Russland will Munitionsproduktion deutlich erhöhen
Russland hat die Herstellung von Munition nach eigenen Angaben um ein Vielfaches gesteigert. "Das betrifft sowohl gewöhnliche als auch Hochpräzisionsmunition", sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu in einer Generalstabssitzung. Damit könne Russland seine Kriegsziele erreichen, versicherte der 67-Jährige. Zudem werde weiter an der Steigerung der Produktion gearbeitet. Schoigus Aussagen ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Der Munitionsmangel ist ein Problem, mit dem mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn sowohl die Ukraine als auch Russland zu kämpfen haben. Auch der Westen, von dessen Lieferungen die angegriffene Ukraine abhängig ist, versucht seine Produktion daher auszuweiten. Kremlchef Wladimir Putin hat bereits vor Monaten die einheimische Rüstungsindustrie dazu aufgefordert, den Ausstoß von Waffen und Munition zu steigern. Die Betriebe arbeiten im Mehrschichtsystem. Der Verbrauch an Artilleriemunition beim russischen Militär gilt generell als höher als auf der ukrainischen Seite, weil ihm Hochpräzisionsgeschosse fehlen und es daher mehr Geschosse braucht, um Ziele zu treffen.
Kiew bestellt in Polen 100 Radschützenpanzer
Die Ukraine hat 100 gepanzerte Mehrzweckmilitärfahrzeuge des Typs KTO Rosomak bestellt. Das teilte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einem Besuch der Rosomak-Fabrik in der südpolnischen Stadt Siemianowice Slaskie mit. Demnach sollen die Fahrzeuge dort produziert werden. Die Bestellung habe er vom ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal persönlich erhalten. Sie werde durch Gelder der EU und der USA finanziert. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten unterstützen die Ukraine seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 umfangreich mit finanziellen Mitteln und Waffen.
Der Radschützenpanzer hat acht Räder, verfügt über einen Allradantrieb und wiegt rund 22 Tonnen. Zur Bewaffnung zählt eine 30-Millimeter-Maschinenkanone. Bei dem achträdrigen Modell handelt es sich um eine polnische Lizenzversion auf Basis des finnischen Mehrzweckmilitärfahrzeugs Patria AMV.
Ukraine verhängt weitere Sanktionen gegen Russland
Die Ukraine hat zusätzliche Sanktionen gegen Personen und Unternehmen aus Russland, aber auch gegen eine Firma auf russisch besetztem ukrainischem Gebiet erlassen. Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte per Dekret mehrere schwarze Listen mit Hunderten Firmen, Organisationen und Einzelpersonen, die den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt haben sollen. Die Strafmaßnahmen gelten in den meisten Fällen für den Zeitraum von zehn Jahren.
Betroffen sind vor allem Direktoren von Rüstungsbetrieben und militärischen Forschungseinrichtungen. Auch bei den Firmen trifft es vor allem diesen Sektor. Sanktionen werden aber auch gegen das russische Finanzministerium und den Föderationsrat, das Oberhaus des russischen Parlaments, verhängt. Zu den prominentesten Namen auf der Liste gehören Ehefrau und Sohn des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, Swetlana und Ilja.
Anwalt: Aufklärung der Kriegsverbrechen in der Ukraine weiter schwierig
Ein Jahr nach der Rückeroberung der ukrainischen Stadt Butscha nach 33 Tagen brutaler russischer Besatzung arbeiten NGOs immer noch daran, die Verantwortlichen für die während der Besatzung begangenen Verbrechen zu verfolgen. Arie Mora ist Anwalt der ukrainischen Rechtsberatungsgruppe, die die Kriegsverbrechen in der Ukraine dokumentiert. Mora sagte der DW, dass der Prozess noch andauere, aber zeitaufwändig sei. "Leider braucht es Zeit, Verdächtige zu identifizieren und Beweise zu sammeln. Das ist also eher ein Prozess", sagte er.
Mora erklärte, dass Ermittler aufgrund der Schwierigkeit, die einzelnen Soldaten zu identifizieren, die die Verbrechen begangen haben könnten, versuchen, das Konzept der Befehlsverantwortung im Internationalen Strafrecht zu verwenden. Das Konzept sieht vor, dass diejenigen, die den Befehl erteilen, die Verantwortung für die Tat tragen. "Die Identifizierung der Kommandeure ist etwas, dem wir nachgehen sollten und auch mit Hochdruck nachgehen. Damit kann mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Gerechtigkeit für diese Verbrechen gewährleisten werden."
Selenskyj fordert Gerechtigkeit
Angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj nachdrücklich Gerechtigkeit gefordert. "Gerechtigkeit für unseren Staat, für all unsere Menschen, die wegen der russischen Aggression, wegen des Terrors der Besatzer ihre Verwandten, ihre Freunde, ihre Gesundheit, ihr Zuhause und ihr normales Leben verloren haben", sagte er in seiner allabendlichen Videoansprache. Selenskyj hatte am Freitag im Kiewer Vorort Butscha mit internationalen Gästen der Opfer der kurzen russischen Besatzungszeit gedacht.
SPD-Politiker rufen Scholz zu Ukraine-Friedensinitiative auf
Der frühere Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, und weitere SPD-Politiker haben in einem von der "Frankfurter Rundschau" veröffentlichten Aufruf zu einer Friedensinitiative für die Ukraine aufgerufen. Sie ermutigten Bundeskanzler Olaf Scholz, "zusammen mit Frankreich insbesondere Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen", hieß es in dem Aufruf, den der Historiker Peter Brandt, Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD), initiierte.
"Mit jedem Tag" wachse "die Gefahr der Ausweitung der Kampfhandlungen", heißt es in dem Text. Der "Schatten eines Atomkrieges" liege über Europa, die Welt dürfe "nicht in einen neuen großen Krieg hineinschlittern". Es sei "das Wichtigste", nun "alles für einen schnellen Waffenstillstand zu tun, den russischen Angriffskrieg zu stoppen und den Weg zu Verhandlungen zu finden". Nur dann könne "der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa geebnet werden".
IOC kritisiert Boykott-Aufruf der ukrainischen Regierung
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat den Boykott-Aufruf der ukrainischen Regierung kritisiert. Die Sportler der Ukraine waren am Donnerstag offiziell angewiesen worden, Wettbewerbe zu boykottieren, an denen Athleten aus Russland oder Belarus teilnehmen. "Sollte eine solche Entscheidung umgesetzt werden, würde sie nur die ukrainischen Athleten verletzen und sich in keiner Weise auf den Krieg auswirken, den die Welt beenden will und den das IOC so vehement verurteilt hat", teilte das IOC mit. Man habe stets betont, "dass es nicht Sache der Regierungen ist zu entscheiden, welche Athleten an welchen internationalen Wettkämpfen teilnehmen können", hieß es weiter.
Hausdurchsuchung bei Vorsteher des Höhlenklosters in Kiew
Die Polizei hat vor dem Hintergrund des Streits um das Kiewer Höhlenkloster das Haus des Klostervorstehers Pawlo durchsucht. "Mir haben sie in zwei Worten gesagt, dass ich verdächtigt werde, für Russland zu arbeiten", sagte Pawlo in einem Video, das von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti veröffentlicht wurde. Er sei zudem wegen religiöser Hetze und
der Beschimpfung des ukrainischen Präsidenten zum Verhör geladen. Pawlo bestreitet die Vorwürfe.
Der ukrainische Inlandsgeheimdienst (SBU) erklärte, Pawlo werde verdächtigt, die "Aggression der russischen Armee gegen die Ukraine zu rechtfertigen und abzustreiten und ihre Mitglieder zu verherrlichen". SBU-Chef Wasyl Maljuk sagte, ein Priestergewand sei "keine Garantie für reine Absichten". Er warf Russland vor, Religion für Propaganda und die Spaltung der ukrainischen Gesellschaft zu benutzen. Der Metropolit wurde zu einer Anhörung vor einem Gericht in Kiew gebracht, der Termin wurde jedoch später auf Montag vertagt.
Nach der Razzia beim Metropoliten Pawlo protestierten Dutzende Gläubige vor dem berühmten Kiewer Höhlenkloster. Die Versammelten, darunter auch Geistliche, schwenkten religiöse Symbole und beteten vor dem Kloster Lawra Petschersk. Dem Protest der Gläubigen stellte sich eine kleine Gruppe von pro-ukrainischen Aktivisten entgegen. Sie schwenkten Fahnen in den Nationalfarben blau und gelb.
Der Streit um die Nutzung des Höhlenklosters schwelt schon länger. Die ukrainische Führung verdächtigt die dort tätige ukrainisch-orthodoxe Kirche der Spionage und Agitation für Moskau. Vor der russischen Invasion im Februar 2022 orientierte sich die Kirche an dem Patriarchat in Moskau. Obwohl sie sich nach Beginn des russischen Angriffskriegs formal von diesem Patriarchat losgesagt hat, wird ihr von Kiew anhaltende Zusammenarbeit vorgeworfen. Die ukrainische Regierung entzog ihr deshalb auch das Nutzungsrecht des Klosters. Die dort lebenden Mönche sollten zum 29. März ausziehen, doch sie weigerten sich. Kiew beantragte deswegen vor Gericht einen Räumungsbeschluss.
kle/uh/fab/ack/se/sti (DW, afp, dpa, sid, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.