Ukraine aktuell: UN dokumentieren Folterung von Zivilisten
27. Juni 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- UN-Bericht dokumentiert Kriegsverbrechen
- Baerbock mit südafrikanischer Kollegin Pandor zusammengekommen
- Putin: Wagner-Armee vom Staat finanziert
- Lukaschenko: Prigoschin in Belarus eingetroffen
- Biden: Westen hat mit Aufstand nichts zu tun
Russische Akteure haben seit dem Überfall auf die Ukraine nach einem Bericht des UN-Menschenrechtsbüros Hunderte Zivilisten gefoltert. Das Büro hat von Beginn des Krieges im Februar 2022 an bis Mai 2023 insgesamt 864 Fälle von Menschen dokumentiert, die von russischer Seite meist in besetzten Gebieten festgenommen wurden. 77 von ihnen seien "willkürlich hingerichtet" worden. Fast alle Überlebenden hätten von Folter berichtet, sagte die Leiterin der UN-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine, Matilda Bogner.
Auch Kiew habe mit willkürlichen Festnahmen von Zivilisten gegen Völkerrecht verstoßen - allerdings in weitaus geringerem Maße. Auf ukrainischer Seite dokumentierten die UN 75 Fälle von festgenommenen Zivilisten, die auch mehrheitlich von Misshandlung und Folter berichtet hätten. Das Büro zählt nur Fälle, in denen es die Umstände selbst klären konnte. Die wahren Zahlen der festgehaltenen Zivilisten seien womöglich mehr als doppelt so hoch, sagte Bogner.
Baerbock führt Gespräche in Südafrika
Südafrika hat eine Fortsetzung der afrikanischen Friedensinitiative für ein Ende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine angekündigt. Sowohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als auch Russlands Präsident Wladimir Putin hätten ein weiteres Treffen mit mehreren afrikanischen Staatschefs zugesagt, sagte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor nach einem Treffen mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria.
Die Grünen-Politikerin sagte, sie sei dankbar, dass bei den Gesprächen mit Putin die Friedensordnung der UN-Charta in den Mittelpunkt gerückt worden sei. Die Stimme Südafrikas habe Gewicht auf der internationalen Bühne. "Wenn das Land Nelson Mandelas und Desmond Tutus sich gegen Unrecht ausspricht, hört die Welt zu", ergänzte sie. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa war kürzlich mit einer afrikanischen Delegation zu Vermittlungsbemühungen in Russland und der Ukraine, allerdings ohne erkennbaren Erfolg. Offiziell erklärt sich Südafrika in dem Konflikt für neutral.
Baerbock hatte ihren ursprünglich auf zwei Tage angelegten Südafrikabesuch wegen des bewaffneten Aufstands in Russland verkürzt. In Anspielung darauf erklärte sie nun, Putin mache "sein Land kaputt". Die Vorgänge in Russland selbst seien dessen innere Angelegenheit. "Die Situation vom vergangenen Wochenende" mache aber deutlich, dass Putin "mit dem völkerrechtswidrigen Angriff (auf die Ukraine) auch die Sicherheit in seinem eigenen Land gefährdet", sagte Baerbock.
Putin: Wagner-Armee vom Staat finanziert
Bei einem Treffen mit Soldaten räumte der Kremlchef erstmals ein, dass die Wagner-Armee des Geschäftsmanns Jewgeni Prigoschin "komplett" vom russischen Staat finanziert wurde. Nach seiner Darstellung erhielt die Gruppe von Mai 2022 bis Mai 2023 insgesamt 86,26 Milliarden Rubel (rund 930 Millionen Euro) aus dem Staatshaushalt. Offiziell nennt sich die Wagner-Armee ein privates Militärunternehmen.
Prigoschin soll sich inzwischen in Belarus aufhalten, wie die staatliche Nachrichtenagentur Belta unter Berufung auf den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko meldet. Prigoschin war im Fall einer Ausreise nach Belarus vom Kreml Straffreiheit zugesichert worden.
Putin kündigte zugleich eine Untersuchung der Geldströme bei der Muttergesellschaft der Wagner-Armee, der Concord-Holding, an. Denn während die Wagner-Truppe vollständig vom Staat finanziert worden sei, habe Concord zugleich 80 Milliarden Rubel verdient. "Ich hoffe, dass niemand etwas gestohlen oder, sagen wir, ein bisschen gestohlen hat", sagte der Präsident.
Für die "nahe Zukunft" stellte Putin Veränderungen in der Führungsetage der russischen Streitkräfte in Aussicht. Das "Rückgrat" der Streitkräfte-Führung werde künftig aus Personen zusammengesetzt sein, die sich im Kampfeinsatz bewährt hätten. Dazu gehöre auch der Bereich der Luftwaffe. Der Kremlchef äußerte sich nicht dazu, ob er an seinem Verteidigungsminister Sergej Schoigu festhält. Schoigu steht seit Monaten wegen der Misserfolge beim Angriffskrieg gegen die Ukraine in der Kritik. Er hatte auch dem Aufstand Prigoschins - eines seiner größten Widersachers - offenbar nichts entgegenzusetzen.
Putin dankt seinem Sicherheitsapparat für Rückhalt
Am Montag hatte Putin den Sicherheitskräften und der Bevölkerung nach dem raschen Ende der Revolte für ihren Rückhalt gedankt. Auf seinen Befehl hin sei alles getan worden, um Blutvergießen zu verhindern. "Das hat Zeit gebraucht. (...) Der bewaffnete Aufstand wäre auch so zerschlagen worden", sagte er.
Er werde sein Amnestieangebot halten, sagte Putin in seiner TV-Rede weiter. Diejenigen Wagner-Söldner, die nach Belarus gehen wollten, könnten dies tun. Diejenigen, die in Russland bleiben wollten, könnten einen Vertrag mit den Streitkräften schließen oder zu ihren Familien zurückkehren.
Der 70-Jährige bekräftigte, jeder Versuch, Russland zu destabilisieren, sei zum Scheitern verurteilt. "Die Solidarität der Zivilbevölkerung hat gezeigt, dass jeder Erpressungsversuch, jeder Versuch, interne Unruhen zu organisieren, zum Scheitern verurteilt ist", sagte Putin.
Am Freitagabend war der monatelange Machtkampf zwischen Prigoschin und der russischen Militärführung eskaliert. "Die Organisatoren des Aufstands, die das Land verraten haben, haben auch diejenigen verraten, die auf ihrer Seite waren", erklärte der russische Präsident, ohne Prigoschin namentlich zu erwähnen. Die meisten Mitglieder der Gruppe Wagner seien auch Patrioten.
Biden bestreitet Verwicklung des Westens
US-Präsident Joe Biden hat Spekulationen über eine Verwicklung des Westens in die Revolte der Söldnergruppe Wagner zurückgewiesen. Der Westen habe mit dem Aufstand "nichts zu tun" gehabt, sagte Biden vor Journalisten im Weißen Haus in Washington. "Das war Teil eines Kampfes innerhalb des russischen Systems."
Biden sagte, er habe nach den Ereignissen vom Wochenende die wichtigsten Verbündeten der USA in einer Video-Schalte versammelt, um sicherzustellen, dass sich alle einig seien. Man habe sich darauf verständigt, dafür zu sorgen, Kremlchef Putin keinen Vorwand zu geben, die Schuld auf den Westen oder die NATO zu schieben.
"Wir haben klargestellt, dass wir nicht involviert sind", sagte der US-Präsident. Er fügte hinzu, wichtig sei weiterhin eine enge Kooperation der westlichen Staaten mit Blick auf Russland.
Neue große Militärhilfe aus Washington
Die USA unterstützen die Ukraine nach eigenen Angaben mit weiterer Militärhilfe im Umfang von 500 Millionen Dollar (umgerechnet 456 Millionen Euro). Darin enthalten sind nach Pentagon-Angaben unter anderem Munition für Patriot-Luftabwehrsysteme, Bradley-Schützenpanzer, Flugabwehrsysteme vom Typ Stinger, Ausrüstung zur Minenräumung sowie Wärmebildsysteme und Nachtsichtgeräte.
"Wir werden die Ukraine weiterhin bei der Verteidigung ihrer Souveränität und territorialen Integrität gegen die russische Aggression unterstützen", sagte die stellvertretende Sprecherin des Weißen Hauses, Olivia Dalton. Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Nach Pentagon-Angaben haben die USA seit dem Kriegsbeginn Ende Februar 2022 militärische Hilfe im Umfang von rund 40,5 Milliarden US-Dollar (knapp 37 Milliarden Euro) für Kiew bereitgestellt oder zugesagt.
Papst schickt Sonderbeauftragten nach Russland
Papst Franziskus' Friedensbeauftragter für den Ukraine-Krieg, Kardinal Matteo Zuppi, ist am Abend in Moskau angekommen. Das erfuhr Italiens öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Rai vom Vatikan-Botschafter in Moskau. "Das Hauptziel der Initiative ist es, Gesten der Menschlichkeit zu fördern, die dazu beitragen können, eine Lösung für die gegenwärtige tragische Situation zu finden", teilte der Kirchenstaat mit. Zuppi, der zugleich Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz ist, reiste bereits Anfang Juni in der Rolle des Gesandten des Pontifex nach Kiew. Damals war das Hauptziel der Initiative, der Ukraine zuzuhören und auszuloten, welche Möglichkeiten es gibt, einen gerechten Frieden zu erreichen.
sti/bri/se/gri/jj/as (afp, dpa, rtr, epd, ap)
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