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PolitikEuropa

Aktuell: Urteil im ersten Kriegsverbrecherprozess

23. Mai 2022

Im ersten Kriegsverbrecherprozess der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion ist ein feindlicher Soldat verurteilt worden. Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Ein Überblick.

Der Verurteilte steht in einem Glaskasten, daneben eine Frau und ein Wachmann
Wegen der Tötung eines Zivilisten zu lebenslanger Haft verurteilt: Ein 21 Jahre alter russischer Soldat (Mitte)Bild: Natacha Pisarenko/AP Photo/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russischer Soldat wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt
  • Moskauer Diplomat legt aus Protest sein Amt nieder
  • Dänemark liefert Anti-Schiffs-Rakete "Harpoon"
  • Selenskyj pocht bei Rede in Davos auf schärfere Sanktionen
  • Baltische Staaten beenden Stromimporte aus Russland

 

Im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess seit Beginn der russischen Invasion ist ein 21-Jähriger zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht in Kiew sah es nach einem Geständnis als erwiesen an, dass der russische Panzersoldat Ende Februar einen unbewaffneten 62-jährigen Zivilisten erschossen hatte.

Der Beschuldigte hat nun 30 Tage Zeit, um Berufung einzulegen. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft beantragt. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch, weil der Soldat einen Befehl ausgeführt habe. 

Unter großer internationaler Aufmerksamkeit hatte sich der aus Sibirien stammende Panzersoldat entschuldigt. "Ich bedauere es. Ich bereue es sehr. Ich habe mich nicht geweigert, und ich bin bereit, alle Maßnahmen zu akzeptieren, die verhängt werden", hatte er in seinem Schlusswort in der vergangenen Woche gesagt. Für möglich gehalten wird, dass der Mann gegen ukrainische Gefangene in Russland ausgetauscht wird. Wie die Ukraine hat auch Russland viele Soldaten in Gefangenschaft genommen.

"Genug ist genug": Russischer Diplomat wirft hin

Mit scharfen Worten gegen den Kreml hat ein höherrangiger russischer Diplomat am UN-Sitz in Genf seinen Dienst quittiert. Präsident Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sei ein Verbrechen am ukrainischen und am russischen Volk, schrieb der Botschaftsrat auf der Plattform LinkedIn. Diejenigen, die diesen Krieg geplant hätten, wollten ewig an der Macht bleiben, in geschmacklosen Palästen leben und auf Jachten segeln, kritisierte er. "Dafür sind sie bereit, so viele Leben zu opfern wie nötig."

"Desinformation und Propaganda": Außenministerium in Moskau (Archivbild)Bild: Valery Sharifulin/TASS/dpa/picture alliance

Im russischen Außenministerium hätten Desinformation und Propaganda ein Ausmaß erreicht, das an die Sowjet-Zeit der 1930er Jahre erinnere, schrieb er in Anspielung auf die Herrschaft unter Diktator Josef Stalin. Im Ministerium gehe es nicht mehr um Diplomatie. "Es geht um Kriegstreiberei, Lügen und Hass." "Genug ist genug", schrieb der Diplomat und verkündete nach 20 Jahren in seinem Beruf den Austritt aus dem öffentlichen Dienst. An der Ständigen Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen und den internationalen Organisationen in Genf waren bislang 66 Diplomaten akkreditiert.

Seezielflugkörper "Harpoon" zur Küstenverteidigung

Dänemark wird der Ukraine Anti-Schiffs-Raketen vom Typ "Harpoon" liefern. Damit könnten die Küsten verteidigt werden, erklärte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Die Lieferung gehöre zu neuen Hilfspaketen, die rund 20 Staaten bei einer virtuellen Konferenz zugesagt hätten, unter ihnen Italien, Griechenland, Norwegen und Polen.

Die vom-US-Konzern Boeing hergestellte "Harpoon" hat eine Reichweite von 300 Kilometern. Die Ukraine könnte versuchen, damit die russische Blockade ihrer Häfen zu brechen. Diese beeinträchtigt etwa ukrainische Getreidelieferungen für den Weltmarkt.

Selenskyj spricht in Davos

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte erneut schärfere Sanktionen gegen Russland. Das Maximum sei noch nicht erreicht, sagte er zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos per Videoschalte. Es sei ein Öl-Embargo nötig. Mit Russland sollte kein Handel betrieben werden. Die Welt müsse einen Präzedenzfall schaffen.

Er rief die Staaten angesichts des russischen Angriffskriegs gegen sein Land zu weiteren Waffenlieferungen auf. "Die Ukraine braucht alle Waffen, die wir fordern, nicht nur die, die geliefert wurden", sagte er. Westliche Staaten haben die Ukraine seit Beginn des russischen Einmarschs wiederholt mit Waffen beliefert. Einige Lieferungen beispielsweise aus Deutschland stockten jedoch.

Drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs bedankte sich der 44-Jährige auch für die internationale Unterstützung. Selenskyj lud zudem ausländische Unternehmen ein, sich nach dem Ende des Krieges am Wiederaufbau der zerstörten ukrainischen Städte zu beteiligen. Zur Finanzierung solle auch eingefrorener russischer Besitz verwendet werden, schlug er vor.

Der ukrainische Präsident sagte weiter, er habe mit mehreren Ländern gesprochen, um Korridore für den Export von ukrainischem Getreide und Sonnenblumenkernen zu schaffen.

Habeck appelliert an Ungarn

Im Ringen um ein Öl-Embargo der EU gegen Russland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Ungarn vor einer weiteren Blockade gewarnt. Einige Staaten verhinderten Solidarität in der EU, sagte der Grünen-Politiker beim Weltwirtschaftsforum in Davos. "Es gibt verschiedene Lösungen für verschiedene Länder." Er könne sich auch Ausnahme-Regelungen für Ungarn oder andere vorstellen. Die Debatte müsse aber in einer gemeinsamen Position der EU münden. "Ich erwarte von jedem, auch von Ungarn, dass sie an einer Lösung arbeiten." Es helfe nicht, wenn alle Länder anfangen, "ihr eigenes Ding zu drehen". Bereits zuvor räumte Habeck im Interview mit dem Deutschlandfunk ein, er sei enttäuscht, dass die Einführung des Öl-Embargos so lange dauere.

Fordert eine gemeinsame Position der EU zum Öl-Embargo: Bundeswirtschaftsminister Habeck in DavosBild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Sanktionsmaßnahmen müssen innerhalb der EU in der Regel einstimmig beschlossen werden. Ungarn hatte frühere Sanktionspakete der EU zwar mitgetragen, wegen der verhaltenen Positionierung gegen den Krieg sind aber bereits einige Verbündete unter den östlichen EU-Staaten auf Distanz zu Budapest gegangen.

Baltikum sperrt Stromleitungen nach Russland

Die baltischen Staaten haben ihre Stromimporte aus Russland beendet. Litauens Energieminister Dainius Kreivys sprach von einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur Energieunabhängigkeit. "Indem wir uns weigern, russische Energieressourcen zu importieren, weigern wir uns, den Aggressor zu finanzieren", erklärte der Minister weiter.

Lettland importierte seinen letzten russischen Strom Anfang Mai, während Litauen und Estland am Sonntag den Strombezug einstellten. Russischer Strom machte im vergangenen Jahr noch 17 Prozent der Stromimporte Litauens aus. Die baltischen Staaten hatten schon seit Jahren darauf hingearbeitet, im Energiebereich von Moskau unabhängig zu werden.

Neue Angaben zu Verlusten auf beiden Seiten

Die Verluste der russischen Armee in der Ukraine sind nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes nach drei Monaten Krieg bereits so hoch wie die der Roten Armee in den neun Jahren des sowjetischen Afghanistan-Kriegs in den 1980er-Jahren. Grund dafür sei eine Kombination mehrerer Faktoren wie schlechte Taktik, eingeschränkte Lufthoheit und mangelnde Flexibilität, heißt es in einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums in London.

Die genaue Zahl der gefallenen ukrainischen Soldatinnen und Soldaten wird geheim gehaltenBild: Daniel Ceng Shou-Yi/ZUMA Press/picture alliance

Erstmals seit Mitte April äußerte sich der ukrainische Präsident am Sonntagabend bei einer Pressekonferenz detaillierter zu den Verlusten der Ukraine. Jeden Tag stürben an der Front im Osten des Landes 50 bis 100 Ukrainer. Selenskyj bezog sich dabei offenbar auf Soldaten und nicht Zivilisten. Mitte April sprach Selenskyj von insgesamt etwa 3000 ukrainischen Soldaten, die seit dem russischen Angriff am 24. Februar gestorben seien.

Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden. Beobachter gehen davon aus, dass die Zahl getöteter Soldaten in den eigenen Reihen regelmäßig zu niedrig und jene aufseiten des Gegners überhöht dargestellt wird.

Russland erklärt sich gesprächsbereit

Russlands Chefunterhändler Wladimir Medinsky denkt laut über neue Verhandlungen mit der Ukraine nach. "Wir für unseren Teil sind bereit, den Dialog fortzusetzen", sagte Medinsky im belarussischen Staatsfernsehen. Russland habe nie Verhandlungen abgelehnt. Doch der Ball liege im Feld der Ukraine, auf deren Betreiben hin die Gespräche ausgesetzt worden seien.

Russlands Chefunterhändler Wladimir Medinsky bei den russisch-ukrainischen Gesprächen in der Türkei Ende MärzBild: Sergei Karpukhin/TASS/dpa/picture alliance

Am Dienstag vergangener Woche hatte der ukrainische Chefunterhändler und Präsidentenberater Mychailo Podoljak gesagt, die Gespräche mit Moskau seien "ausgesetzt". Alle bisherigen Treffen zwischen den Unterhändlern seit dem russischen Überfall auf die Ukraine waren ergebnislos blieben.

Selenskyj lobt Schulterschluss mit Polen

Der ukrainische Präsident hat die guten Beziehungen zum Nachbarland Polen hervorgehoben. Sie stünden auf einer aufrichtigen Grundlage, "ohne Streitereien und altes Konflikterbe", sagte Selenskyj in seiner nächtlichen Videobotschaft. Dies sei eine historische Errungenschaft.

Polens Präsident Andrzej Duda hatte am Sonntag als erster ausländischer Staatschef seit Beginn des russischen Einmarschs eine Rede im ukrainischen Parlament gehalten. Er sagte, sein Land habe die Absicht, ein polnisch-ukrainisches Freundschaftsabkommen zu schließen.

Selenskyj sprach auch von einer neuen Nachbarschaftspolitik mit anderen Ländern, die er anstrebe: "Wir müssen Streitigkeiten beilegen und den Druck der Vergangenheit aus unseren gegenwärtigen Beziehungen zu allen Nachbarn der Ukraine entfernen, die uns respektieren und keine Besatzer unseres Staates sind", sagte Selenskyj. Am Abend habe er mit dem britischen Premier Boris Johnson unter anderem über Agrarexporte der Ukraine sowie Kraftstoffimporte gesprochen.

Belarus im Sog des Kreml

Russlands Präsident Putin trifft sich in Sotschi mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Dabei soll es um Fragen der weiteren Zusammenarbeit gehen. Zentrales Thema sei die Integrationszusammenarbeit der beiden Länder in einem Unionsstaat, meldet die Agentur Interfax.

Vertraute Gesprächspartner: Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin im April im Osten RusslandsBild: Mikhail Klimentyev/Sputnik/Kremlin Pool Photo via AP/picture alliance

Seit der umstrittenen Präsidentenwahl 2020, bei der sich Lukaschenko zum Sieger erklärte, gerät Minsk immer mehr in Abhängigkeit von Moskau. Ein Unionsstaat der beiden Länder nimmt zunehmend Konturen an. Internationale Politikbeobachter schätzen die Möglichkeit eines Anschlusses von Belarus an Russland als durchaus real ein.

Belarus beteiligte sich bisher nicht mit eigenen Truppen an dem Krieg gegen die Ukraine. Allerdings nutzten russische Truppen das Land als Aufmarschgebiet für den Angriff. Nun zieht Belarus nach Angaben aus Kiew Streitkräfte an der Grenze zusammen. "Die belarussischen Streitkräfte führen verstärkt Aufklärung durch und haben zusätzliche Einheiten im Grenzbereich aufgestellt", teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit. Es bestehe weiter die Gefahr von Raketen- und Luftangriffen auf die Ukraine, die von belarussischem Gebiet aus durchgeführt würden.

Österreich friert 254 Millionen Euro ein

Im Zusammenhang mit EU-Sanktionen sind in Österreich bislang 254 Millionen Euro von russischen Oligarchen eingefroren worden. Die Gelder waren auf 97 Konten geparkt, wie es aus dem Kanzleramt in Wien heißt. Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst habe zudem fünf Einträge im Grundbuch gefunden, die dazu gedient hätten, Vermögen zu verschleiern.

Russische Oligarchen, die den Krieg gegen die Ukraine unterstützten, seien mitschuldig, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer. Deshalb wolle man sie genau dort treffen, wo es ihnen wehtue: "Bei ihrem Geld."

Fachkräfte wandern aus Russland ab

Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich Hunderte von Fachkräften aus Russland für einen Umzug nach Deutschland entschieden. Vor allem Mitarbeiter deutscher Firmen, die wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen in eine ungewisse berufliche Zukunft blicken, entschließen sich zu diesem Schritt.

"Im April wurden in Moskau rund 350 Visa zum Zweck der Erwerbstätigkeit an russische Staatsangehörige erteilt", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. In Sankt Petersburg stellte das deutsche Generalkonsulat den Angaben zufolge im gleichen Zeitraum 190 Arbeitsvisa aus. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur war die Mehrheit der ausreisenden Fachkräfte bereits in Russland für ein deutsches Unternehmen tätig.

rb/wa/ust/haz/jj/qu (afp, ap, dpa, kna, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.