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KonflikteUkraine

Aktuell: Viele Tote bei Angriff auf Bahnhof in Kramatorsk

8. April 2022

Die Menschen, die aus der Ostukraine fliehen wollten, wurden bei einem Raketenangriff auf den Bahnhof getötet. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besucht Kiew und das zerstörte Butscha. Der Überblick.

Ukraine-Krieg - Kramatorsk
Vor dem Beschuss hatten sich mehrere Tausend Menschen am Bahnhof in Kramatorsk aufgehaltenBild: Seth Sidney Berry/ZUMA Press Wire/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Viele Tote bei Angriff auf Bahnhof in Kramatorsk
  • EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besucht Ukraine
  • Selenskyj prangert Kriegsgräuel in Borodjanka an 
  • USA: Kriegsausgang ist "eine offene Frage"
  • Russland nennt eigene Verluste eine "Tragödie"

 

Bei einem Angriff auf den Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk sind zahlreiche Menschen getötet worden. Der Chef der ukrainischen Eisenbahnen, Olexander Kamischyn, sagte, zwei Raketen seien eingeschlagen. Tausende Menschen hätten in Kramatorsk darauf gewartet, in Sicherheit gebracht zu werden. Nach Angaben des Gouverneurs der Region, Pawlo Kyrylenko, gab es mindestens 50 Todesopfer und rund 100 Verletzte.

Die Stadt liegt in jenem Teil des umkämpften Gebiets Donezk, der von der Ukraine kontrolliert wird. Prorussische Separatisten erheben Anspruch auf das gesamte Verwaltungsgebiet.

"Dies ist das grenzenlose Böse" 

Russland hatte angekündigt, sich militärisch künftig auf die "Befreiung" des Donbass zu konzentrieren. Die Regionalbehörden forderten die Bewohner der Region daher auf, in Richtung Westen zu fliehen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf dem Kreml in einer ersten Reaktion vor, die Zivilbevölkerung seines Landes "zynisch zu vernichten". "Dies ist das grenzenlose Böse", schrieb er auf Twitter. "Und wenn es nicht bestraft wird, wird es nie aufhören." Das russische Verteidigungsministerium wies die Verantwortung für den Beschuss hingegen zurück.

Mit Entsetzen hat sich die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen zur mutmaßlichen Bombardierung des Bahnhofs geäußert. Noch an den Vortagen des Angriffs habe die Hilfsorganisation von dort aus Patienten mit einem Krankentransportzug evakuiert, teilte Ärzte ohne Grenzen in Berlin mit. "Wir sahen hunderte Menschen dicht gedrängt im Bahnhof, die versuchten, zu entkommen", berichtete Nothilfekoordinator Christopher Stokes. Es sei nun zweifelhaft, ob das Hilfswerk für weitere Evakuierungen nach Kramatorsk zurückkehren kann.

Von der Leyen in Butscha: "Das grausame Gesicht von Putins Armee"

Als erste westliche Spitzenpolitiker haben sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach Bekanntwerden der mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha vor Ort ein Bild von der Lage gemacht. Die deutsche Politikerin sah sich unter anderem 20 exhumierte Leichen aus einem Massengrab an und entzündete in einer Kirche Kerzen für die Opfer der Gräueltaten. "Wir haben das grausame Gesicht von Putins Armee gesehen, wir haben die Rücksichtslosigkeit und die Kaltherzigkeit gesehen, mit der sie die Stadt besetzt hat." Die ganze Welt trauere mit den Menschen in Butscha.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen neben EU-Chefdiplomat Josep Borrell in ButschaBild: Janis Laizans/REUTERS

Bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten versprach von der Leyen der Ukraine eine beschleunigte Entscheidung über den Start eines Aufnahmeprozesses in die Europäische Union. "Die Entscheidungsfindung wird nicht wie üblich eine Frage von Jahren sein, sondern eine Frage von Wochen, denke ich", sagt von der Leyen. Während Russland wirtschaftlichem, finanziellem und technologischem Verfall entgegengehe, bewege sich die Ukraine in Richtung einer europäischen Zukunft, sagte von der Leyen.

Slowakei erhält Patriot-Flugabwehrsystem

Von der Leyen wird von einer Delegation begleitet, der neben Borrell auch der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger und mehrere EU-Parlamentarier angehören. Die Reise sei ein "deutliches Zeichen der Unterstützung für die Ukrainer", sagte von der Leyen auf dem Weg nach Kiew. Das Land brauche dringend Hilfe.

Die US-Streitkräfte kündigten an, ein modernes Flugabwehrraketensystem vom Typ Patriot in die Slowakei zu verlegen. Damit soll eine Lücke in der Landesverteidigung geschlossen werden - der slowakische Ministerpräsident hatte auf der Reise nach Kiew bekannt gegeben, dass sein Land der Ukraine ihr S-300 Flugabwehrsystem geschenkt habe. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, das Patriot-System und die dazugehörigen US-Soldaten würden für einen zunächst unbestimmten Zeitraum "in den kommenden Tagen“ im Osten der Slowakei ankommen. Sie befänden sich bereits in Europa.

Selenskyj hatte zuvor weitere Gräueltaten russischer Truppen angeprangert. In der Kleinstadt Borodjanka bei Kiew, wo Aufräumarbeiten liefen und Rettungskräfte Trümmer beseitigten, sei es "viel schrecklicher" als in Butscha, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft.

"Es gibt dort noch mehr Opfer der russischen Besatzer." Konkrete Details nannte der Staatschef nicht. 

Hunderte Todesopfer in Borodjanka befürchtet

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Am Donnerstag hatte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj gesagt, Borodjanka sei eine der am stärksten zerstörten Städte in der Region Kiew. Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa berichtete über den Fund zahlreicher Leichname in Wohngebieten des Ortes. "Allein aus den Trümmern zweier Wohnblöcke wurden 26 Leichen geborgen", erklärte Wenediktowa auf Facebook. Wie viele weitere Tote noch gefunden werden, sei "unmöglich vorherzusagen". Die Generalstaatsanwältin warf der russischen Armee erneut Kriegsverbrechen vor. Beweise dafür fänden sich "auf Schritt und Tritt." In Borodjanka gebe es keine militärischen Einrichtungen, "einziges Ziel" der russischen Einheiten sei die Zivilbevölkerung gewesen. Russland bestreitet entsprechende Angriffe.

Generalstaatsanwältin Iryna WenediktowaBild: Ukrinform/dpa/picture alliance

Ukraine meldet militärischen Erfolg

Ukrainische Truppen haben nach Behördenangaben die Kontrolle über die gesamte Region Sumy an der Grenze zu Russland zurückerorbert. "Das Gebiet ist frei von Orks", erklärte Regionalgouverneur Dmytro Schwyzkyj. Er nutzte dabei ein ukrainisches Schimpfwort für russische Soldaten. Der Gouverneur warnte geflüchtete Bewohner vor einer raschen Rückkehr: "Die Region ist nicht sicher. Viele Gebiete sind vermint und noch nicht geräumt", erklärte er.

Die 350 Kilometer östlich von Kiew gelegene Stadt Sumy mit ursprünglich 250.000 Einwohnern und die umliegende Region waren wochenlang Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen den russischen Angreifern und ukrainischen Streitkräften.

Pentagon-Chef: Putin "hat sich geirrt"

Der russische Staatschef Wladimir Putin hat nach Einschätzung der US-Regierung sein Ziel der Eroberung der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgegeben. "Putin dachte, er könne sehr schnell das Land Ukraine übernehmen, sehr schnell diese Hauptstadt einnehmen. Er hat sich geirrt", sagte Verteidigungsminister Lloyd Austin bei einer Anhörung im Kongress. Er gehe davon aus, dass Putin sich jetzt auf den Süden und Osten des Landes konzentriere, führte Austin weiter aus.

Minister Lloyd Austin (im Hintergrund) und General Mark MilleyBild: Lenin Nolly/ZUMA/picture alliance

"Der erste Teil des Krieges" sei aus ukrainischer Sicht "wahrscheinlich erfolgreich geführt worden", meinte Generalstabschef Mark Milley bei derselben Anhörung in Washington. "Aber im Südosten, in der Donbass-Region, wo die Russen ihre Kräfte bündeln und ihren Angriff fortsetzen wollen, steht noch eine bedeutende Schlacht bevor." Er war der Ansicht, es sei "im Moment eine offene Frage, wie das Ganze ausgeht".

Kreml räumt massive Verluste ein

Sechs Wochen nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine beklagt Russland zahlreiche Tote in den eigenen Reihen. "Wir haben bedeutende Verluste, das ist eine gewaltige Tragödie für uns", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dem britischen Fernsehsender Sky News. "Es ist eine sehr ernste Operation mit schwerwiegenden Folgen."

Zuletzt hatte Russland von 1351 getöteten Soldaten gesprochen. Die Ukraine schätzt hingegen, dass schon knapp 19.000 russische Soldaten seit Kriegsbeginn am 24. Februar ums Leben kamen. Überprüfbar ist das nicht.

Der russische Präsident am Sarg von Wladimir Schirinowski - das Bild wird von der russischen Agentur Sputnik verbreitetBild: Sergei Guneyev/Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

In Moskau nahm Putin an der Trauerfeier für den verstorbenen russischen Ultranationalisten Wladimir Schirinowski teil. Bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte legte der Kremlchef einen Strauß roter Rosen am offenen Sarg ab und verneigte sich wortlos. Der 75-jährige Schirinowski hatte sich vor einigen Wochen mit dem Coronavirus infiziert und sich laut Berichten russischer Medien nicht mehr davon erholt.

WHO: Über 100 Attacken zielten auf Gesundheitswesen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO verzeichnet inzwischen mehr als 100 Angriffe auf das Gesundheitswesen in der Ukraine. Der "schreckliche Meilenstein" sei am Donnerstag erreicht worden, teilte die Organisation mit. Bei den 103 von der WHO verifizierten Attacken seien in 89 Fällen Einrichtungen des Gesundheitswesens angegriffen worden sowie 13 Mal Transporte. 73 Menschen seien getötet und 51 verletzt worden. "Angriffe auf das Gesundheitswesen sind ein Verstoß gegen internationales humanitäres Recht", betonte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.

"Es muss ein Waffenstillstand her"

Bundeskanzler Olaf Scholz forderte den russischen Präsidenten erneut auf, die Angriffe in der Ukraine zu stoppen. "Dieser Krieg muss sofort beendet werden. Es muss ein Waffenstillstand her, und Russland muss seine Truppen aus der Ukraine zurückziehen", erklärte der Kanzler in Berlin.

Es gebe dramatische und furchtbare Zerstörungen in der Ukraine. Bei den kriegerischen Handlungen komme es zu Kriegsverbrechen, die nicht toleriert werden könnten und für die die Verantwortlichen noch zur Rechenschaft gezogen würden. Millionen Menschen seien in und aus der Ukraine auf der Flucht. Putin zerstöre nicht nur die Ukraine, "sondern auch die Zukunft des eigenen Landes".

Bund beteiligt sich an Flüchtlingskosten

Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland sollen ab dem 1. Juni eine staatliche Grundsicherung erhalten, wie Scholz weiter mitteilte. Die Kosten dafür sollen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Zusätzlich erhalten die 16 Bundesländer dieses Jahr eine Pauschale von zwei Milliarden Euro für die Unterbringung und Integration der geflohenen Menschen. Die Aufnahme ins Grundsicherungssystem werde den Flüchtlingen den Aufenthalt in Deutschland erleichtern, sagte Scholz. Sie hätten damit zum Beispiel Zugang zu Jobcentern.

Es könne sein, dass der "heiße Krieg" nicht lange weitergehe und viele Menschen, die Schutz in Deutschland und Europa gefunden hätten, zurückkehrten, meinte der Kanzler. "Es kann aber auch ganz anders kommen. Und niemand von uns, überhaupt niemand, ist gegenwärtig in der Lage, darüber eine realistische Vorhersage zu machen. Deshalb müssen wir uns für alle Fälle wappnen." Bis Donnerstag hatte die Bundespolizei insgesamt exakt 316.453 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert.

Ukraine-Flüchtlinge in einer Unterkunft in NiedersachsenBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Das fünfte Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland nannte Scholz einen "großen, entscheidenden weiteren Schritt". Die 27 EU-Staaten hatten am Donnerstagabend das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kohle-Embargo gebilligt. Zudem werden europäische Häfen weitgehend für russische Schiffe geschlossen und neue Strafmaßnahmen gegen russische Banken verhängt. Mit dem Sanktionspaket wird auch die Ausfuhr von bestimmten Halbleitern, Computern und anderer Ausrüstung aus der EU nach Russland untersagt. Die Gruppe der führenden Industrienationen (G7) kündigte ebenfalls weitere Sanktionen gegen Russland an.

Hilfspaket für die deutsche Wirtschaft

Die Bundesregierung einigte sich auf ein Hilfspaket für Unternehmen, die unter den Folgen des Ukraine-Krieges leiden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte im Bundestag, er werde in Kürze mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) öffentlich machen, welche zusätzlichen Unternehmenshilfen die Bundesregierung auf den Weg bringe.

EU will Kiew weitere Waffen finanzieren

Die Ukraine kann auf weitere EU-finanzierte Waffenlieferungen hoffen. Wie EU-Ratspräsident Charles Michel mitteilte, schlug der Außenbeauftragte Borrell den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor, zusätzliche 500 Millionen Euro zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Armee bereitzustellen. Damit würden sich die zur Verfügung stehenden Mittel auf 1,5 Milliarden Euro erhöhen.

"Russland hat im Menschenrechtsrat nichts zu suchen"

US-Präsident Joe Biden hat die Suspendierung der Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen begrüßt. "Die Vereinigten Staaten haben eng mit unseren Verbündeten und Partnern auf der ganzen Welt zusammengearbeitet, um diese Abstimmung voranzutreiben", sagte Biden.

Abstimmung am Donnerstag in der UN-VollversammlungBild: John Minchillo/AP/dpa/picture alliance

"Die russischen Streitkräfte begehen Kriegsverbrechen. Russland hat im Menschenrechtsrat nichts zu suchen", betonte der amerikanische Präsident. Nach der "historischen Abstimmung" in der UN-Vollversammlung könne Russland im Menschenrechtsrat keine "Desinformation" mehr verbreiten. Russland hatte die Mitgliedschaft in dem UN-Gremium nach dem Votum am Donnerstag selbst für vorzeitig beendet erklärt.

Attacke auf Friedensnobelpreisträger

Der russische Friedensnobelpreisträger und Journalist Dmitri Muratow ist nach eigener Darstellung in einem Zug von einem unbekannten Täter angegriffen und mit roter Farbe überschüttet worden. Die kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta" veröffentlichte auf Telegram ein Foto ihres Chefredakteurs, dessen Gesicht, Oberkörper und Arme mit roter Ölfarbe überdeckt waren. Der Angreifer habe gerufen, "Muratow, das ist für unsere Jungs", berichtete der 60-Jährige.

Selfie von Dmitri Muratow nach der AttackeBild: Nvaya Gazeta Europe's Telegram channel/AP/dpa/picture alliance

Die "Nowaja Gaseta" hatte Ende März ihr Erscheinen für die Dauer des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine ausgesetzt. Das Blatt war von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor mehrfach wegen ihrer Berichterstattung über den Ukraine-Krieg verwarnt worden. Muratow hatte den Nobelpreis im vergangenen Jahr wegen seiner Verdienste um die Meinungsfreiheit erhalten.

Wieder Diplomatenausweisungen

Die Zahl russischer Diplomaten, die wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ihr Gastland verlassen müssen, erhöhte sich weiter. Japan, das sich dem Embargo der EU gegen russische Kohle anschloss, schickt acht Personen nach Hause. Eine Sprecherin des japanischen Außenministeriums sagte zur Begründung, Moskau verletze in der Ukraine internationales Recht. Aus Montenegro sollen vier Russen ausreisen.

nob/qu/jj/AR/wa/rb (afp, dpa, rtr, kna)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

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