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PolitikEuropa

Aktuell: Viele Tote in bombardierter Kunstschule befürchtet

20. März 2022

In Mariupol rechnen Behörden mit vielen getöteten Zivilisten, nachdem Russland eine Kunstschule bombardiert haben soll. Moskau vermeldet einen erneuten Einsatz von Hyperschallraketen in der Ukraine. Ein Überblick.

Ukraine I Zerstörung in Mariupol
In Mariupol ist die Zerstörung besonders drastischBild: Stringer/AA/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russland will Kämpfer aus Mariupol herausbringen
  • Selenskyj fordert Raketenabwehrsysteme von Israel
  • Deutsche Strela-Raketen in Ukraine eingetroffen
  • Russland meldet wieder Einsatz von Hyperschallraketen
  • Berichte über Deportationen in Mariupol

 

Die russische Armee hat Landgewinne im Osten der Ukraine vermeldet: Man sei um zwölf Kilometer vorgerückt und habe die Grenze der Siedlung Nikolske nordwestlich der Stadt Mariupol erreicht, erklärte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, gegenüber der Agentur Interfax. Von ukrainischer Seite gab es dazu keine Angaben.

Zugleich sprach das Verteidigungsministerium von einer "humanitären Katastrophe" in Mariupol und machte ukrainische Nationalisten dafür verantwortlich. Der Chef des Nationalen Verteidigungs-Kontrollzentrums, Michail Misintsew, sagte, 330.000 Menschen seien seit dem Beginn der "Operation" aus Mariupol nach Russland gebracht worden. Die Führung in Moskau stellt den Angriffskrieg als Spezialoperation zur Befreiung des ukrainischen Volkes dar. Im Laufe des Sonntags hatten sich Berichte gehäuft, wonach Einwohner von Mariupol gegen ihren Willen nach Russland verschleppt worden seien.

Misintsew stellte einen russischen Plan vor, wonach Kämpfer ihre Waffen niederlegen und sich bis 12 Uhr Ortszeit am Montag aus der Stadt herausbewegen sollen. "Allen, die ihre Waffen niederlegen wird ein sicherer Weg aus Mariupol und die Verschonung ihres Lebens garantiert", sagte Misintsew laut Interfax. Auch Zivilisten sollten schrittweise aus der Stadt gebracht werden.

Ukraine befürchtet viele Tote bei Bombardement einer Kunstschule

Die ukrainische Seite befürchtet viele Tote in den Trümmern einer Kunstschule in der umkämpften Stadt Mariupol, die von russischen Bomben zerstört worden sei. Das Gebäude, in dem rund 400 Zivilisten Zuflucht gefunden hatten, sei am Samstag bei einem Angriff zerstört worden, teilte die Stadtverwaltung im Messengerdienst Telegram mit. Unter den Trümmern der Schule G12 seien noch Menschen eingeschlossen.

Allein in Mariupol wurden nach Angaben der ukrainischen Regierung seit Beginn des russischen Angriffskriegs mehr als 2100 Einwohner getötet. Die Lage für die Menschen in der belagerten Hafenstadt sei "katastrophal". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "Terrorakt" gegenüber einer friedlichen Stadt, an den man sich noch im kommenden Jahrhundert erinnern werde. Dies sei ein "Kriegsverbrechen" der russischen Seite. Mariupol ist für Russland deshalb strategisch so wichtig, da die Kontrolle über die Hafenstadt den Zusammenschluss der russischen Einheiten von der annektierten Halbinsel Krim mit jenen aus dem von Separatisten kontrollierten Donbass ermöglichen würde.

"Kinder" steht auf diesem bereits durch Beschuss beschädigten Auto dieses Anwohners von MariupolBild: Stringer/AA/picture alliance

Selenskyj fordert Raketenabwehrsysteme von Israel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat beim israelischen Parlament für mehr Unterstützung für sein Land bei der Verteidigung gegen Russland geworben. Selenskyj verglich bei einer Video-Zuschaltung in die Knesset in Jerusalem die russische Offensive mit der "Endlösung", also der Ermordung von Millionen Juden durch Nazi-Deutschland.

Konkret forderte Selenskyj das Raketenabwehrsystem Iron Dome, mit dem Israel regelmäßig von der radikalen Palästinenserorganisation Hamas abgefeuerte Raketen abfängt. Selenskyj forderte die Regierung von Ministerpräsident Naftali Bennett auch dazu auf, den wirtschaftlichen Druck auf Moskau zu erhöhen. Bennett bemühte sich in den vergangenen Wochen mehrfach als Vermittler zwischen Selenskyj und Russlands Präsident Wladimir Putin.

Selenskyj lässt sich von Kiew regelmäßig in ausländische Parlamente zuschalten, um für Unterstützung zu werbenBild: Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa/picture alliance

Deutsche Luftabwehrraketen in Ukraine eingetroffen

500 Luftabwehrraketen vom Typ Strela aus deutschen Beständen sind in der Ukraine eingetroffen. Die Waffen wurden bereits am Donnerstag übergeben, berichtete die Nachrichtenagentur dpa mit Verweis auf ukrainische Regierungskreise. Einem Bericht der Zeitung "Welt am Sonntag" zufolge wurden die Raketen in Polen übergeben. Aus dem Bundesverteidigungsministerium hieß es, man könne aufgrund von "operativen und Sicherheitsbedenken" keine Auskunft zu spezifischen Waffensystemen erteilen.

Erst nach Beginn des russischen Angriffskriegs war Deutschland von seiner Linie abgerückt, keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Bisher wurden neben verschiedenen Ausrüstungsgegenständen bereits Panzerfäuste und das Flugabwehrsystem "Stinger" übergeben. Ursprünglich war von bis zu 2700 Strela-Raketen die Rede gewesen, mit der Lieferung musste sich aber noch der Bundessicherheitsrat befassen. Die Strela wurden in der damaligen Sowjetunion produziert und gingen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung aus Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR in den Besitz der Bundeswehr über.

Bei der Bundeswehr kam die Fliegerfaust "Strela" nur selten zum Einsatz - hier eine Übung 2004Bild: Michael Mandt/Bundeswehr/dpa/picture alliance

Moskau meldet erneuten Einsatz von Hyperschallraketen

Russland hat einen weiteren Einsatz seiner neuartigen Kinschal-Raketen gemeldet.Die Kinschal-Raketen gehören zu einem Arsenal von Hyperschallraketen, die Russland als erstes Land der Welt entwickelt hat. Die Flugkörper können bei extremer Geschwindigkeit die Höhe und die Richtung ändern und somit gegnerische Luftabwehrsysteme überwinden.

Die Raketen für den Angriff auf das Lager bei Mykolajiw seien vom Luftraum über der Krimhalbinsel abgefeuert worden, erklärte das Ministerium. Zusätzlich seien auch Marschflugkörper des Typs Kalibr vom Kaspischen Meer aus abgefeuert worden. Zum Zeitpunkt des Angriffs machte Moskau keine Angaben.

Der Gouverneur der Region von Mykolajiw, Vitali Kim, sagte, die Luftangriffe seien in kurzen Abständen erfolgt. Man habe keine Zeit gehabt, Alarm auszulösen. Kim wörtlich:  "Bis wir diesen Tornado ankündigen, ist er bereits da." Über die Zahl der Opfer machte Kim keine Angaben. Die Angaben aus den Kampfgebieten lassen sich nicht ohne Weiteres unabhängig überprüfen.

Selenskyj verbietet pro-russischen Parteien ihre Arbeit

Pro-russische Parteien dürfen in der Ukraine bis auf Weiteres ihre Arbeit nicht mehr ausüben. Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat habe einer Reihe von pro-russischen Parteien die Arbeit für die Dauer des Kriegs im Land verboten, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft. "Die Aktivitäten von deren Politikern, die auf Spaltung oder Kollaboration abzielen, werden keinen Erfolg haben, dafür aber eine harte Antwort erhalten", wurde Selenskyj zitiert. Unter den betroffenen Parteien sind die "Oppositionsplattform für das Leben" und der "Oppositionsblock", die auch im Parlament vertreten sind. Die "Oppositionsplattform" bezeichnete den Schritt als "illegalen" Versuch, den "Hauptgegner" zu beseitigen. Man wolle alle rechtswidrigen Entscheidungen anfechten.

Zugleich wandte Selenskyj sich an die russische Bevölkerung und gab an, schon jetzt seien mehr als 14.000 russische Soldaten im Gefecht getötet worden.

Berichte über Deportationen

Nach Angaben der Stadtverwaltung von Mariupol haben russische Streitkräfte in der vergangenen Woche mehrere Tausend Menschen gewaltsam aus der belagerten Stadt deportiert. "Die Besatzer haben illegal Menschen aus dem Stadtteil Livoberezhniy und aus dem Schutzraum des Sportklubs verschleppt, wo sich mehr als Tausend Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, vor den ständigen Bombardierungen versteckt hatten", teilte der Stadtrat in einer Erklärung auf seinem Telegram-Kanal mit.

Ukraine: Bilder von Flucht, Leid und Angst

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Die Agentur RIA Nowosti berichtete letzte Woche unter Berufung auf Hilfsdienste, dass fast 300.000 Menschen, darunter etwa 60.000 Kinder, aus den Regionen Luhansk und Donbass sowie Mariupol nach Russland gekommen seien.

Von ukrainischer Seite heißt es außerdem, man habe "vorübergehend" den Zugang zum Asowschen Meer verloren. Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums beschreibt die Lage in der Stadt als "katastrophal". Es gebe auch Kämpfe um das Stahlwerk Asowstal. "Eines der größten Stahlwerke Europas wird gerade zu einer Ruine."

Das Asowstal-Metallwerk am Stadtrand von MariupolBild: Sergei Grits/AP/picture alliance

Russland beschuldigte unterdessen die Ukraine, Angriffe unter falscher Flagge auf Diplomaten zu planen. "Unter falscher Flagge" heißt, einen Vorwand für einen Angriff künstlich zu inszenieren. Aus dem russischen Verteidigungsministerium heißt es demnach: "Das nationalistische Kiewer Regime plant, Angriffe auf diplomatische Objekte der USA und westlicher Länder als angeblichen 'gezielten Angriff der russischen Streitkräfte' darzustellen." Zudem behauptet Moskau, Kiew plane in den Regionen Sumy und Mykolajiw Angriffe auf Zivilisten mit Chemikalien. Für beide Aussagen gibt es keine Belege.

Ein schwer beschädigter Wohnblock in Mariupol Bild: Valentin Sprinchak/TASS/picture alliance

Die Ukraine wirft ihrerseits Russland immer wieder vor, Unwahrheiten über angeblich geplante Provokationen zu verbreiten, um dann wiederum selbst unter falscher Flagge angreifen zu können. Auch die USA hatten die Sorge geäußert, dass Russland mit Vorwürfen über einen drohenden Einsatz chemischer Waffen eine potenzielle Aktion unter falscher Flagge vorbereiten könnte.

Flüchtlingsbewegungen übertreffen alle Befürchtungen

Nach UN-Angaben sind inzwischen mehr als 3,3 Millionen Menschen vor den Kämpfen aus der Ukraine geflohen. Allein in Polen kamen bisher rund zwei Millionen Menschen an. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf spricht zudem von weiteren fast 6,5 Millionen Menschen, die innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind.

Im Warschauer Stadion werden Schlafplätze für Flüchtlinge aus der Ukraine bereit gehaltenBild: Pawel Supernak/dpa/PAP/picture alliance

In Deutschland registrierte die Bundespolizei seit Beginn des russischen Angriffs inzwischen mehr als 218.000 Kriegsflüchtlinge. Die Zahl der tatsächlich Angekommenen dürfte deutlich höher sein. Bildungspolitiker in den Ländern schätzen, dass etwa die Hälfte der in Deutschland ankommenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Kinder und Jugendliche sind, die früher oder später in Schulen oder Kitas unterkommen müssen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Ukrainerinnen vor Übergriffen von Menschenhändlern und Sexualstraftätern schützen. "Jeder, der versucht die Not der Geflüchteten auszunutzen, sollte wissen: Auf solche Taten reagieren wir mit aller Härte des Gesetzes." Niemand dürfe das Leid der Flüchtlinge missbrauchen, sagte sie der "Bild am Sonntag". "Solche Übergriffe sind zutiefst verachtenswert."

Ein nationaler Krisenstab muss her

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fordert eine schnellere und bessere Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Nötig sei ein "ministeriumsübergreifender nationaler Krisenstab im Kanzleramt", sagte Göring-Eckardt der "Bild am Sonntag". Dort könnten alle Fragen von der Unterbringung bis zur Versorgung und Kinderbetreuung geklärt werden. "Wir brauchen eine Flüchtlingskoordination, bei der alle Fäden, auch die Abstimmung mit den Bundesländern, zusammenlaufen", plädierte sie.

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtBild: Uwe Koch/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Die Politik müsse jetzt "schnell staatliche Strukturen hochfahren und für eine bessere Verteilung sorgen", mahnte die Grünen-Politikerin an. Die Koalition müsse zudem mehr Geld für Deutschkurse zur Verfügung stellen. "Da braucht es zügig mehr Personal und mehr Geld. Das wird Teil der Haushaltsverhandlungen nächste Woche", kündigte sie an.

"Sinnloses Massaker" 

Papst Franziskus wertet den russischen Krieg in der Ukraine als ein "sinnloses Massaker" und ruft die internationale Gemeinschaft zu mehr Friedensanstrengungen auf. "Dieser widerliche Krieg" müsse endlich aufhören, so Franziskus am Sonntag bei seinem Mittagsgebet auf dem Petersplatz.

Papst Franziskus prangert den Krieg in der Ukraine als "sinnloses Massaker" anBild: Andrew Medichini/AP Photo/picture alliance

Auch in dieser Woche seien Raketen und Bomben auf Zivilsten, Alte, Kinder und Schwangere herabgeregnet. Er habe am Samstag verletzte Kinder aus der Ukraine in der vatikanischen Kinderklinik besucht. Ein Kind habe seinen Arm verloren. "Das ist unmenschlich, ein Sakrileg; es ist eine Verletzung der Heiligkeit des Lebens", beklagte der Papst.

Er denke zugleich an die unzähligen Ukrainer, die auf der Flucht seien, und an die vielen, die nicht fliehen könnten und vom Tod bedroht seien. "Gewöhnen wir uns nicht an den Krieg", mahnte der 85-Jährige.

Belarus zieht seine Diplomaten aus der Ukraine ab

Die letzten Diplomaten aus der autoritär geführten Republik Belarus haben Angaben aus Minsk zufolge die Ukraine verlassen. Hintergrund seien "unerträgliche Zustände" für die Belarussen in der Ukraine gewesen, sagte Botschafter Igor Sokol im belarussischen Staatsfernsehen. Er verwies etwa auf gesperrte Bankkonten. Belarus gilt als enger Verbündeter Russlands. Das Land war Aufmarschgebiet für russische Soldaten und soll auch Stützpunkt für Raketenangriffe gegen die Ukraine gewesen sein.

Womöglich haben belarussische Bahnarbeiter alle Schienenverbindungen zwischen Belarus und der Ukraine unterbrochen. Jedenfalls dankte der Vorsitzende der ukrainischen Eisenbahnen, Olexander Kamyschin, den Kollegen in Belarus für die nicht näher beschriebene Aktion. "Mit dem heutigen Tag kann ich sagen, dass es keinen Bahnverkehr zwischen Belarus und der Ukraine gibt", wird er von der Agentur Unian zitiert. Dies würde bedeuten, dass die russischen Truppen in der Ukraine über diese Strecken weder Verstärkungen noch Nachschub erhalten.

USA schicken Militärkontingent nach Bulgarien

Zur Stärkung der NATO-Ostflanke wollen die USA ein Truppenkontingent nach Bulgarien entsenden. Das sagte der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow nach Gesprächen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Sofia. Dieses Kontingent soll unter dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers in Europa stehen.

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen. 

ehl/uh/haz/sti/rb/ack (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)

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