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Politik

Ukraine: Ein Krimineller als Kommandeur?

Igor Burdyga
30. August 2022

In der "Internationalen Legion" kämpfen Ausländer auf Seiten Kiews gegen die russische Invasion. Ein Kommandeur soll ein polnischer Krimineller sein. Im Gespräch mit der DW weist er die Vorwürfe zurück.

Polen Freiwillige üben Kampf für Ukraine
Bild: Michal Dyjuk/AP/picture alliance

"Vier Monate lang haben die Legionäre die Staatsführung um Hilfe gebeten, aber es gab keine Reaktion. Und die Verstöße gehen weiter", sagt Anna Mironjuk. Sie ist Mitautorin eines Berichts des "The Kyiv Independent". "Wir haben unseren Artikel veröffentlicht, damit endlich etwas passiert. Die Probleme in der Armee müssen jetzt gelöst werden, während des Krieges, denn später könnte es zu spät sein."

Die englischsprachige ukrainische Zeitung hatte vor kurzem Recherchen über die Internationale Legion veröffentlicht, einen Freiwilligenverband in der Ukraine, der auf Initiative von Präsident Wolodymyr Selenskyj gegründet wurde. Der Artikel beruft sich auf einen Teil dieser Legion, die der Hauptabteilung für Aufklärung des ukrainischen Verteidigungsministeriums unterstellt ist und spezielle Aufgaben an der Front im Kampf gegen die russische Invasion wahrnimmt.

Vorwürfe gegen polnischen Kommandeur

Die Journalisten von "The Kyiv Independent" werfen einem ihrer Kommandeure, einem 60-jährigen Mann namens Sascha Kutschinski, unter anderem Misshandlungen, sexualisierte Gewalt und Plünderungen vor. Nach Recherchen der Zeitung ist Kutschinski identisch mit dem polnischen Staatsbürger Piotr Kapuscinski. Dies bestätigte er im Gespräch mit der DW. Aus offen zugänglichen Quellen ist bekannt, dass Kapuscinski in den Gerichtsprozess gegen die "Pruszkow-Bande", einer der größten kriminellen Organisationen in Polen, verwickelt war.

Journalisten von "The Kyiv Independent" und Bellingcat haben Fotos von Piotr Kapuscinski (links) und Sascha Kutschinski (rechts) verglichenBild: The Kyiv Independent

In den 2000er Jahren warfen die polnischen Behörden Kapuscinski 71 Verbrechen vor, darunter Betrugsdelikte und eine Entführung. Doch 2009 wurden die Ermittlungen eingestellt. Fortan wurde er als Kronzeuge geführt. Aufgrund seiner Aussagen wurden neun Mitglieder der Bande verurteilt, schrieb damals die polnische "Gazeta Wyborcza". Später sei Kapuscinski weiterer Straftaten verdächtigt worden, sodass er den Kronzeugen-Status wieder verlor, berichtete die Zeitung "Rzeczpospolita" im Jahr 2020 unter Berufung auf die polnische Staatsanwaltschaft: Ein Teil von Kapuscinskis Aussagen hätten sich nicht bestätigt. Jahrelang habe er "Wahrheit und Fiktion vermischt".

Unter Anklage in zwei Ländern

Zu dieser Zeit lebte Kapuscinski bereits seit mehreren Jahren in der Ukraine. Seit November 2017 fordert ein Warschauer Gericht die Auslieferung von Kapuscinski nach Polen, wo er zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.

Doch die Justiz im ukrainischen Halytsch wollte zuerst ihr eigenes Verfahren gegen Kapuscinski prüfen. Denn wie aus dem staatlichen Register für Gerichtsurteile hervorgeht, werfen auch die ukrainischen Behörden ihm schon seit April 2017 Raub und sexualisierte Gewalt vor. 2021 fand die ukrainische Polizei eine Pistole in Kapuscinskis Auto, woraufhin er festgenommen, aber gegen Kaution wieder freigelassen wurde. Im Mai 2022 stoppte das Gericht in Halytsch die Untersuchungen. Staatsanwalt Ihor Tjuschko sagte der DW, Grund dafür sei Kapuscinskis Dienst in der ukrainischen Armee.

Gewalt, Plünderungen und unvorbereitete Missionen

Auch als Kommandeur im ukrainischen Militär habe Kapuscinski Militär-Ärztinnen sexuell belästigt, berichten die Gesprächspartner von "The Kyiv Independent". Zudem habe er im Donbass Anfang Juni ausländische Freiwillige während der Kämpfe um Sjewjerodonezk und Lyssytschansk gezwungen, ein Einkaufszentrum zu plündern. Auch seien die Legionäre unvorbereitet auf Missionen geschickt worden. In Sjewjerodonezk sei eine Einheit Freiwilliger aus Brasilien erst in "freundliches Feuer" geraten, dann habe sie tagelang ohne Wasser und Nahrung unter feindlichem Beschuss ausharren müssen.

"Wir haben Piotr Kapuscinski angerufen und erklärt, was die Legionäre ihm vorwerfen, und gefragt, ob das wahr sei", erklärt Journalistin Mironjuk. "Er sagte, wir sollten die Fragen an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, er habe keine Zeit mit uns zu sprechen. Dann legte er auf."

Die DW kontaktierte Kapuscinski über seinen Anwalt Petro Schkwarka, der ihn vor Gericht in Halytsch verteidigte. In einem Telefonat bestätigte Kapuscinski der DW seinen Status als Kommandeur der Internationalen Legion sowie Fakten aus seiner kriminellen Vergangenheit, auch dass er Kronzeuge war: "Ich habe für die Mafia gearbeitet, ich habe geklaut, ich habe Kokain verkauft, da war viel", sagt Kapuscinski. Auch habe er über viele Jahre verdeckt Aufgaben für den polnischen Geheimdienst wahrgenommen.

"Die Journalisten haben mit Deserteuren gesprochen"

"Obwohl viele Leute meine Biografie kennen, bin ich in der Legion ein geachteter Mann. Daher hat mir ein Freund die Schulterklappen eines Oberst einfach auf die Uniform geklebt. In der Legion spielt der Rang keine Rolle, weil wir hier gut zusammen leben und kämpfen", erklärt Kapuscinski. Fotos von ihm, auf denen er die Abzeichen eines Obersts trage, ließen demnach keinen Rückschluss auf seinen Rang zu. Ukrainische Gesetze erlaubten Ausländern ohnehin nicht, einen höheren Rang als den eines Feldwebels zu bekleiden.

Piotr Kapuscinski trägt eine Uniform mit den Schulterklappen eines Obersts, obwohl er keinen Offiziersrang bekleidetBild: The Kyiv Independent

Die nun veröffentlichten Vorwürfe aus den Reihen der Legion weist Kapuscinski allerdings entschieden zurück. Zu dem Vorfall im Einkaufszentrum von Lyssytschansk etwa versicherte er der DW, er habe die Erlaubnis der Eigentümer gehabt, Waren mitzunehmen, die seine Einheit benötigte. Die Pressestelle der Elektronikmarktkette Comfy, aus der die ausländischen Freiwilligen die Ware geholt hatten, bestätigte dies der DW.

Kapuscinski meint, die Journalisten hätten mit Deserteuren gesprochen, die das Schlachtfeld in der Nähe von Sjewjerodonezk verlassen hätten: "In Kriegszeiten werden solche Leute erschossen. Aber die Ukraine ist ein liberales Land. Ich habe ihnen die Waffen und Militärausweise weggenommen und sie mit dem Bus nach Kiew geschickt", sagt Kapuscinski. "Sie wurden aus der Legion ausgeschlossen. Es war eine Gruppe Kolumbianer. Sie haben sich bei der Militärstaatsanwaltschaft beschwert." Daraufhin seien er und weitere Militärs befragt worden. Verstöße hätten die Ermittler aber nicht festgestellt.

Die DW versuchte, Stellungnahmen des ukrainischen Verteidigungsministeriums sowie von der Beauftragten des Präsidenten für die Landesverteidiger, Aljona Werbyzka, zum Status von Piotr Kapuscinski und zu den Beschwerden gegen ihn einzuholen. Die Anfragen blieben bislang jedoch unbeantwortet.

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