Ukraine-Deal: Das Ticket aus der EU?
6. April 2016 René van Leeuwen läuft über die Hafenpromenade des niederländischen Dörfchens Volendam. Vorbei am Käsemuseum und an zahlreichen Ständen, an denen Matjes und Krabbenbrötchen verkauft werden. Er ist auf der Suche nach Leuten, die er von seiner Sache überzeugen kann. Begleitet wird er von drei Mitstreitern, die mit ihm Passanten ansprechen und Flyer verteilen. Sie tragen blaue Leibchen auf denen in weiß ihr Logo prangt. Zwei Kameraleute verfolgen die Truppe, dokumentieren jede Begegnung für das Netz. Die Gruppe niederländischer Endzwanziger gehört zur populistischen Initiative "Geenpeil", was frei übersetzt so viel wie "Kein Niveau" bedeutet. Sie arbeiten seit Monaten daran, einen geplanten Deal der EU mit der Ukraine zu verhindern. Das Assoziierungsabkommen soll unter anderem den freien Handel mit der EU ermöglichen und wurde bereits von 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert. Die Niederlande müssen diesen Schritt noch machen.
Mitspracherecht in EU-Fragen
Am Mittwoch entscheiden die Niederländer in einem Referendum darüber, ob es soweit kommt. Geenpeil will dies verhindern. Seit Wochen fahren die Aktivisten in ihrem Tourbus quer durch die Niederlande treten auf Marktplätzen und Volksfesten auf. Dabei produzieren sie aufwändige Filme für Youtube, stellenweise ironisch untermalt mit dem Titel "Final Countdown" der schwedischen Rockband Europe.
Dass es überhaupt ein Referendum gibt, ist der Verdienst von Geenpeil. Nach einer Gesetzesänderung im Juli 2015, die Volksabstimmungen erst möglich machte, schaffte es Geenpeil zusammen mit einer weiteren Initiative, weit mehr als die benötigten 300.000 Unterschriften zu sammeln. Jetzt hoffen sie am 6. April auf eine Mehrheit, um das Abkommen zu verhindern. Kritiker behaupten, sie würden das Referendum ausnutzen um die EU zu blockieren. Der Youtube-Aktivist van Leeuwen reagiert gereizt, wenn man ihn darauf anspricht. "Man kann als Politiker natürlich behaupten, es geht bei dem Referendum nur um den Ukraine-Deal und um nichts anderes, aber so funktioniert die Welt nicht", sagt er. Es gehe hier genauso um die Niederlande und die EU als Ganzes. Er und seine Mitstreiter wollen ein Mitspracherecht in weit reichenden politischen Entscheidungen.
Etablierte Parteien halten sich zurück
Die Befürworter des Ukraine-Deals treffen sich auf dem zentralen Dam Platz in Amsterdam. Unter dem Motto "Stem Voor - stimme dafür" versammeln sich wenige hundert Menschen Schilder und Fahnen schwenkend um eine Bühne vor dem historischen Königspalast. Die Stimmung ist an diesem Tag vergleichsweise ruhig. Altgediente Politiker wie der Außenminister Bert Koenders werben für das Abkommen. Zwischen den Auftritten spielt eine Band. Trotz der Zustimmung der Rechtsliberalen Regierungspartei (VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte und ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner (PvdA) handelt es sich bei diesem überschaubaren Event um das Größte im Vorfeld des Referendums.
Vielen Niederländern ist nicht klar, dass die Abstimmung stattfindet, geschweige denn worum es dabei geht. Das liegt auch im Interesse der Ja-Sager, denn für ein gültiges Referendum ist eine Wahlbeteiligung von 30 Prozent nötig. So sind heute vor allem politisch engagierte Menschen gekommen. Darunter der Student Daan Brouwer. Er erinnert an die Opfer, die die Ukrainer bereits für das Abkommen gebracht haben. Gegen eine Volksabstimmung habe er generell nichts einzuwenden, solange es inhaltlich wirklich um die Themen ginge. "Das bevorstehende Referendum beeinflusst in Wahrheit niemanden, es geht darum, eine Anti-Europäische Stimmung zu verbreiten und ich befürchte, dass solche Abstimmungen in Zukunft häufiger zu diesem Zweck missbraucht werden."
EU-Skeptiker auf Erfolgskurs
In Volendam bei den Gegnern des Abkommens, gibt man sich unterdessen siegessicher. Nach einer Umfrage der niederländischen Tageszeitung "De Telegraaf" liegt das Nein-Lager knapp vorne. Grund genug für die Europaskeptiker sich in den letzten Tage ihrer Kampagne gegenseitig zu bestärken. Am Abend findet in einem kleinen Hotel am Ortseingang ein Fest statt. Der Veranstalter nennt es eine "Party für die Demokratie". Der Europaabgeordnete Nigel Farage, der für den Austritt Großbrittaniens aus der EU wirbt, ist der Star-Gast an diesem Abend. Er erhofft sich neben einem Nein zum Referendum deutliche Auswirkungen auf zukünftige Entscheidungen der EU. "Es geht den meisten Gegnern nur am Rande um die Inhalte des Ukraine-Abkommens", gibt er zu. "Viel mehr noch geht es um die Zufriedenheit der Bürger mit dem Verhältnis zur EU."
Der Festsaal des Hotels ist gut gefüllt. Etwa 200 Gäste haben sich um eine kleine Bühne vor der Fensterfront mit Ausblick auf die Nordsee versammelt. Die Teilnehmer sind überwiegend elegant gekleidet in Hemd und Sakko. Neben ein paar wenigen Ausnahmen sind kaum Frauen da. Während die ersten Redner auf der Bühne ihr Programm zum Besten geben wird im Publikum getrunken und leise geplaudert. Auf einem mit dunklem Stoff bespannten Bistrotisch liegen neben einem Stapel Flyer Packungen mit Pfefferminzbonbons, die mit dem Geenpeil Logo bedruckt sind, daneben ein Stapel DVDs. "Islam and Truth" ist der Titel des 45-minütigen islamkritischen Films.
Als Nigel Farage, begleitet vom Song "Final Countdown" die Bühne betritt, fängt die Menge an zu jubeln. Minutenlang feiert ihn das Publikum als wäre er nicht der konservative EU-Skeptiker, sondern der Rockstar der die Hymne komponiert hat. Farage genießt den Moment, dann holt er aus: "Lasst uns den Ausbruch der Demokratie feiern und hoffen, dass sie sich wie eine Epidemie über ganz Europa verteilt." Ob für die Folgen der direkten Demokratie in Europa die Weichen gestellt sind, wird sich am Mittwochabend herausstellen.