Ukraine: Erlahmen die Proteste auf dem "Maidan"?
16. Dezember 2013 Die vierte Protestwoche beginnt mit Tauwetter. In Kiew schmilzt der Schnee. Die daraus gebauten Barrikaden rund um den Maidan Nesaleschnosti, den Unabhängigkeitsplatz, werden kleiner. Die Menschen, die sich am offenen Feuer wärmen, wirken müde. Als am Montag (16.12.2013) ein Redner auf der Bühne "Wir werden siegen" ins Mikro schreit, reagieren nur wenige. Auch der bereits tausendmal wiederholte Schlachtruf "Bandu het’!" (Weg mit der Bande!) klingt schwach. Obwohl auf dem Maidan immer noch bis zu 5000 Menschen ausharren.
Die "Bande" ist noch da. Weder der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch noch seine Regierung denken offenbar an Rücktritt. Das ist aber die Hauptforderung der Demonstranten, die am vergangenen Sonntag (15.12.) erneut zu Hunderttausenden in Kiew auf die Straßen gingen.
Der Ton wird schärfer
Eine Lösung der politischen Krise in der Ukraine ist derzeit nicht in Sicht. Die Opposition hat den Appell ihrer früheren Anführerin, Julia Timoschenko, ignoriert und versucht, mit Janukowitsch zu verhandeln. Die inhaftierte ehemalige Ministerpräsidentin hatte dagegen plädiert. "Wir werden einen kühlen Verstand behalten und friedlich weiter demonstrieren", bekräftigt Arsenij Jazenjuk, der Vorsitzende der Timoschenko-Partei "Batkiwschtschina" (Vaterland).
Manche Oppositionelle hoffen auf einen Regierungswechsel. Sie wollen nun im Parlament Unterschriften für eine neue Mehrheit sammeln. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass dies gelingt. Am 3. Dezember war die Opposition mit ihrem Mistrauensvotum gegen die Regierung bereits einmal gescheitert.
Der Ton wird unterdessen schärfer. "Die Regierung will Krieg, sie wird ihn bekommen", sagt Oleh Tjahnybok, Anführer der nationalistischen Partei "Swoboda" auf dem Maidan. Er reagiert damit auf die Nachwahlen für das Parlament in fünf Wahlbezirken. Die Wahl am vergangenen Sonntag sei "total verfälscht worden".
Janukowitsch denkt nicht an Rücktritt
Die Demonstranten auf dem Maidan wollen zwar den Machtwechsel, aber sie wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Auf die Frage, wie Präsident Janukowitsch zum Rücktritt gezwungen werden könnte, zucken die meisten mit den Schultern. "Er ist ja ein demokratisch gewählter Präsident", sagt Mykola, ein Demonstrant aus Ternopil im Westen der Ukraine, der Deutschen Welle. "Wir werden wohl bis zur Präsidentenwahl 2015 warten müssen". Wären auch Ost- und Südukrainer jetzt zusammen mit Aktivisten aus dem Westen und Zentrum des Landes auf den Maidan, "würde Janukowitsch gehen müssen", meint Mykola und seufzt. Denn die Regierung hat im Osten der Ukraine noch immer viele Anhänger. Tausende sind inzwischen nach Kiew gekommen und campieren im Regierungsviertel, um für Janukowitsch zu demonstrieren.
Der Präsident spielt deshalb auf Zeit und hofft mit Bauernopfern die Demonstranten zu besänftigen. Am Wochenende wurden drei Amtsträger, darunter der Kiewer Bürgermeister, vom Dienst suspendiert. Die Staatsanwaltschaft macht sie für den Versuch einer gewaltsamen Auflösung der Proteste auf dem Maidan in der Nacht zum 30. November verantwortlich. Dutzende junge Menschen waren dabei zum Teil schwer verletzt worden.
Treffen mit Putin könnte Klarheit bringen
Diese Ereignisse befeuern den Protest bis heute. Er ist eine Folge der Nichtunterzeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Janukowitsch hatte überraschend diesen Schritt verkündet und mit wirtschaftlichem Druck aus Russland begründet. Moskau droht der Ukraine mit wirtschaftlichen Strafen, sollte das Land das Abkommen mit der EU unterzeichnen.
Am Dienstag (17.12.2013) reist nun der ukrainische Präsident nach Moskau. Er wird seinen russischen Kollegen Wladimir Putin treffen. In den vergangenen Wochen hatten sich Putin und Janukowitsch mehrmals zu Gesprächen getroffen, über deren Inhalt aber nichts bekannt wurde. Die Opposition befürchtet, Janukowitsch werde die Ukraine in eine von Russland vorangetriebene Zollunion ehemaliger Sowjetrepubliken führen. Sollte das passieren, droht die Opposition mit einer neuen großen Protestwelle.
Senkt Russland den Gaspreis für die Ukraine?
Die Regierung bestreitet jegliche Pläne einer Annäherung an die Zollunion. Ministerpräsident Mykola Asarow sagte im ukrainischen Fernsehen, in Moskau werde es zwar um wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen. "Es gibt aber keine Verträge, die direkt oder indirekt mit der Zollunion zu tun haben", so Asarow.
Der Regierungschef schloss allerdings nicht aus, dass Russland seine Gaspreise für die Ukraine senken könnte. Das wäre ein Durchbruch. In den vergangenen Jahren versuchte die ukrainische Regierung mehrmals vergeblich, Moskau zu einer Senkung der Gaspreise zu bewegen. Aus dem Kreml hieß es jedes Mal, die Voraussetzung sei der ukrainische Beitritt zur Zollunion. Was Moskau jetzt als Gegenleistung für eine mögliche Gaspreissenkung verlangt, ist unklar.