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Ukraine: Fass ohne Boden?

Klaus Dahmann3. April 2014

Die ukrainische Wirtschaftslage ist katastrophal: Schulden in Milliardenhöhe, Korruption, steigende Preise - und über dem Land schwebt die Kriegsgefahr. Trotz internationaler Kreditzusagen stehen schwere Zeiten bevor.

Gaspipeline in der Ukraine
Bild: Reuters

Ein Durchatmen bedeuten die zugesagten Hilfskredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Ukraine - mehr nicht. Mit 15 bis 18 Milliarden US-Dollar kann die Regierung in Kiew in den kommenden zwei Jahren rechnen, vielleicht könnten es auch bis zu 27 Milliarden werden.

"Das ist absolut notwendig, um die Ukraine vor dem Bankrott zu retten", sagt Rainer Schweickert vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Denn im Moment habe die Ukraine keine Möglichkeit, sich auf dem internationalen Kapitalmarkt Geld zu beschaffen. Sie brauche die IWF-Kredite, "um die nächste Zeit über die Runden zu kommen".

Horrende Staatsschulden

Die ukrainische Regierung beziffert ihren derzeitigen Finanzbedarf mit 35 Milliarden US-Dollar, die derzeitigen Staatsschulden mit 75 Milliarden. Das macht mehr als drei Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine aus - für Länder mit derart niedrigem Wirtschaftswachstum "kein unkritischer Wert", wie Analysten der Raiffeisen Bank jüngst feststellten. Die Ukraine habe sich in den vergangenen Jahren "durchwursteln" können, aber das sei in Zukunft kaum noch möglich, warnen die Wiener Wirtschaftsexperten. Denn die Spielräume würden eng, die Währungsreserven schrumpften dramatisch. Allein für das kommende Jahr ist nach Schätzung der Raiffeisen Bank mit einem neuen Kreditbedarf von 10 bis 15 Milliarden Dollar zu rechnen.

Ein tristes Bild, wohin man schaut: Wegen mangelhafter Rechtssicherheit, grassierender Korruption und der Kriegsgefahr aus Russland gibt es immer wenige westliche Investoren. Oligarchen halten große Teile der Wirtschaft unter ihrer Kontrolle, zahlen kaum staatliche Abgaben und deponieren ihr Vermögen in Steueroasen wie Zypern. Nur wenn sie ihr heimisches Imperium vergrößern wollen, lassen sie ihre Milliarden zurückfließen. So erklärt sich auch die auf den ersten Blick verwundernde Tatsache, dass Zypern bei den ausländischen Direktinvestitionen Rang eins belegt.

Premierminister Arseni Jazenjuk beziffert Schulden mit 75 Mia. US-DollarBild: Reuters

Kein "Durchwursteln" mehr

"Wenn man es schaffen würde, den Kapitalfluss ins Ausland zu stoppen, wäre das schon ein Plus", meint der Ökonom Boris Kushniruk, der die ukrainische Regierung seit Jahren in Wirtschaftsfragen berät. "Für die Oligarchen war es immer einfacher, einen hochrangigen Beamten in der Verwaltung - manchmal sogar den Premierminister - zu bestechen, um keine Steuern zahlen zu müssen. Wenn die Regierung offen sichtbar Härte demonstriert gegenüber den Oligarchen, dann sind sie gezwungen weitaus mehr zu bezahlen. Denn dann begreifen sie, dass ihre Geschäfte und ihr Kapital bedroht sind."

Korruptionsbekämpfung ist aber nur eine Maßnahme, die der IWF fordert. Die ukrainische Zentralbank soll aufhören, die nationale Währung zu stützen. Die Kopplung des Griwna an den Dollar hat mit dazu geführt, dass sich die Währungsreserven seit 2010 nahezu halbiert haben.

Steigende Gaspreise

Oben auf der Forderungsliste des IWF steht der Wegfall von Sozialleistungen, um den Haushalt zu stabilisieren, allen voran ein Stopp der Gassubventionen. Das hat die ukrainische Regierung bereits in Angriff genommen: Im Mai sollen die Gaspreise für Privathaushalte um 50 Prozent steigen, für Unternehmen um 40 Prozent.

Russland stoppt die Gassubventionen für die UkraineBild: picture-alliance/dpa

Allerdings wird diese Maßnahme wohl verpuffen: Der russische Konzern Gazprom hat alle Rabatte auf den Gaspreis für die Ukraine gestrichen. So muss der ukrainische Energieversorger Naftogaz schon ab April 44 Prozent mehr für die Gasimporte zahlen - als Strafe, so Gazprom, für die nicht beglichenen Schulden in Höhe von rund 2,2 Milliarden US-Dollar. Und die Gasimporte sollen noch teurer werden, denn die derzeitige Rabattregelung berücksichtigt auch Nutzungsrechte für die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim. Die hat sich Russland einverleibt, also, heißt es in Moskau, sei der Rabatt hinfällig.

Vieles wird teurer

Die ukrainische Bevölkerung muss sich aber nicht nur auf steigende Gaspreise einstellen. Russland könnte auch andere in die Ukraine importierte Waren verteuern - russische Einfuhren machen rund ein Drittel der ukrainischen Importbilanz aus. Doch auch aus einem anderen Grund könnten Lebens- und Genussmittel teurer werden: Boris Kushniruk rät der Regierung zum Beispiel, Alkohol und Tabak stärker zu besteuern. "Es ist kein Geheimnis, dass es in der Ukraine eine Reihe von Waren gibt, auf die praktisch keine Steuern erhoben werden."

Boris Kushniruk: "Regierung muss Härte gegenüber Oligarchen zeigen"Bild: Privat

Die Preise steigen - und gleichzeitig muss die Regierung, um die IWF-Auflagen zu erfüllen, Sozialleistungen kürzen und Beamte entlassen. Jede zehnte staatliche Stelle soll wegfallen, und das dürfte nur die erste Runde der Stellenstreichungen sein. Zehntausenden droht die Arbeitslosigkeit.

Geringeres Übel

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise könne sich durch die IWF-Forderungen "kurzfristig verschärfen", prognostiziert Rainer Schweickert. "Die Ukraine musste ja ohnehin schon dieses Jahr mit einem Rückgang des Wachstums um 2,5 Prozent rechnen. Das könnte sich, wenn die Maßnahmen umgesetzt werden, vielleicht noch einmal erhöhen - mit der Hoffnung, dass man die Lage mittelfristig in den Griff bekommt."

Auf die Menschen in der Ukraine kommen schwere Zeiten zuBild: picture alliance/AP Photo

Besonders für Menschen mit geringen Einkünften werde es eine schwere Durststrecke geben, meint Boris Kushniruk. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das Volk leidensfähig - solange es nicht zum Krieg kommt", sagt der ukrainische Wirtschaftsexperte. "Wenn das Lebensniveaus sinkt, aber gleichzeitig die Regierung klar macht, dass auch große Unternehmen Steuern zahlen müssen und die Verschwendung staatlicher Gelder gestoppt wird, dann wird das Volk diese Entwicklung als geringeres Übel ansehen - im Vergleich zu einem möglichen Krieg."

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