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PolitikUkraine

Ukraine-Hilfe: Vorreiterrolle für Deutschland schwierig

Roman Goncharenko
2. Februar 2024

Die Chancen für eine vollständige Wiederaufnahme der US-Militärhilfe an die Ukraine schwinden. Daher versprechen die europäischen Länder mehr Unterstützung. Kiew wünscht sich dabei eine deutsche Führung. Ist das möglich?

Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj geben sich die Hand beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Spanien im Oktober 2023
Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Spanien im Oktober 2023Bild: UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS/AFP

In Russlands Krieg gegen die Ukraine deuten sich bei den Partnern Kiews radikale Veränderungen an. Der Ukraine droht der Verlust ihres wichtigsten Waffenlieferanten USA, denn der Ende 2023 entbrannte Streit im Kongress, der das von Präsident Joe Biden geplante Hilfspaket in Höhe von 61 Milliarden Dollar blockiert, ist ungelöst.

Viele rechneten mit einem Kompromiss im Januar, doch der Monat verging vor dem Hintergrund der republikanischen Vorwahlen, bei denen sich Ex-Präsident Donald Trump durchsetzen konnte. Der 77-Jährige will bei der kommenden US-Präsidentschaftswahl erneut kandidieren. Trump lehnt einen Kompromiss mit den Demokraten in der Einwanderungspolitik ab, woran die Ukraine-Hilfe gekoppelt ist. Auf wen kann Kiew jetzt zählen?

Berlin folgt London und Paris

Zu den ersten Adressen gehört London. Der britische Premier Rishi Sunak besuchte Mitte Januar Kiew und kündigte ein für London beispielloses Militärhilfe-Paket für die ukrainischen Streitkräfte an, umgerechnet über drei Milliarden Dollar schwer. Großbritannien ist der erste westliche Partner, der mit der Ukraine ein Sicherheitsabkommen geschlossen hat, dessen Kern langfristige Waffenlieferungen sind. Im Februar reist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Kiew - und Paris bereitet ein ähnliches Abkommen vor. Doch was ist mit Berlin?

Eine britische und französische SCALP/Storm-Shadow-RaketeBild: Guillaume Souvant/AFP

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat wiederholt über eine mögliche Vorreiterrolle Deutschlands in Europa bei Waffenlieferungen an Kiew gesprochen, unter anderem in einem Interview mit dem Ersten Deutschen Fernsehen (ARD) am 28. Januar.

Nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel sind die USA mit umgerechnet rund 44 Milliarden Euro unangefochtener Spitzenreiter bei der Militärhilfe für die Ukraine. Deutschland ist vom dritten auf den zweiten Platz vorgerückt. Seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 bis Ende Oktober 2023 belief sich die Militärhilfe Berlins für Kiew auf mehr als 17 Milliarden Euro. An dritter Stelle folgt Großbritannien, dessen Unterstützung das IfW auf 6,6 Milliarden Euro beziffert.

Kann die Bundesrepublik als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union eine Vorreiterrolle übernehmen? "Das sollte sie, aber das bedeutet nicht, dass sie dazu bereit ist", sagt die deutsche Journalistin Gesine Dornblüth, Autorin von Büchern über Russland, im DW-Podcast "Geofaktor". Sie stellt fest, dass der zweite Platz, auf den Berlin stolz ist, relativ sei. "Wenn man sich die wirtschaftliche Leistung des Landes ansieht, stellt sich heraus, dass die deutsche Hilfe pro Einwohner Deutschlands geringer ausfällt als die einiger baltischer Länder", so Dornblüth.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte Ende Januar, er rechne mit dem baldigen Abschluss eines Sicherheitsabkommens mit Kiew, nannte jedoch keinen Zeitrahmen. Berlin hatte noch Ende vergangenen Jahres angekündigt, seine Hilfe für die Ukraine in diesem Jahr auf acht Milliarden Euro verdoppeln zu wollen. Auch bei neuen Waffentypen gibt es Fortschritte: Ende Januar kündigte das deutsche Verteidigungsministerium an, erstmals sechs ausgemusterte Militärhubschrauber vom Typ Sea King Mk41 an die Ukraine zu liefern. Zuvor hatte Großbritannien solche Hubschrauber bereitgestellt.

Deutschland wohl oder übel in einer Führungsrolle?

"Hubschrauber sind gut, aber sie reichen nicht aus", sagt Dornblüth. Ihr zufolge kann Deutschland die Hilfe für die Ukraine noch nicht deutlich erhöhen, weil die Bundeswehr selbst nicht über genügend Reserven verfüge und neue Aufträge für die Waffenproduktion nicht rechtzeitig erteilt würden.

Deutschland wird solche Sea King Mk41-Hubschrauber an die Ukraine liefern (Archivfoto)Bild: Wolfgang Minich/picture alliance

Es gibt aber auch ein Beispiel, bei dem Deutschland nicht bereit ist, in Lagern befindliche Waffen wie Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Die Regierung von Kanzler Scholz begründet dies unter anderem mit der Befürchtung, durch mögliche ukrainische Angriffe auf russisches Territorium könnte es zu einer Eskalation kommen. Dornblüth hält aber solche Argumente für "nicht überzeugend". Kiew habe bisher seine Zusage gegenüber westlichen Ländern gehalten, ihre Waffen nicht auf dem international anerkannten Territorium der Russischen Föderation einzusetzen. Gleichzeitig betont die Journalistin, dass Deutschland insgesamt "sehr viel" für die Ukraine tue, vor allem mit der Lieferung von Luftverteidigungssystemen.

Andreas Umland, Analyst am Stockholm Centre for Eastern European Studies, glaubt, dass "Deutschland nicht in der Lage sein wird, eine führende Rolle anstelle von Amerika einzunehmen". Für Berlin wäre das eine "ungewöhnliche Rolle", sagt er. Als wirtschaftliches Schwergewicht habe sich Deutschland auf der Weltbühne jahrzehntelang zurückgehalten und keine diplomatische Führung gesucht, sondern lieber im Fahrwasser seiner Verbündeten, der Atommächte USA und Großbritannien, agiert. So sei es auch bei der Lieferung westlicher Panzerfahrzeuge an die Ukraine gewesen, zu der Berlin erst nach Washington und London bereit gewesen sei.

Deutsche wünschen Zurückhaltung

Das entspreche auch der Stimmung in der deutschen Gesellschaft, sagt Umland. Eine im November 2023 veröffentlichte Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung ergab, dass die Mehrheit der Deutschen sich keine führende Rolle Deutschlands in der Welt wünscht. 71 Prozent waren dagegen, dass Deutschland neben der wirtschaftlichen Führung auch eine militärische Führungsrolle in Europa übernimmt. Mehr als die Hälfte, 54 Prozent, ​​sind der Meinung, dass Deutschland in internationalen Krisen zurückhaltender sein sollte.

Umland stellt fest, dass Berlin nicht über "ausreichende Ressourcen für militärische Hilfe" für die Ukraine verfügt. "Deutschland ist keine militärische Supermacht", stellt der Experte fest. Darin liegt ein gewisses Paradoxon. Einerseits hat Deutschland nach Angaben des Stockholmer Instituts für Internationale Friedensforschung (SIPRI) eine starke Rüstungsindustrie und liegt bei den Waffenexporten weltweit an fünfter Stelle. Andererseits ist Deutschland auf die NATO angewiesen, denn das Land hat nur eine kleine eigene Armee, die nicht über nennenswerte Reserven an Ausrüstung und Munition verfügt. Erst nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine hat Deutschland mit einer umfassenden Aufrüstung begonnen und es wird Jahre dauern, bis die neuen Aufträge umgesetzt sind.

Europas Unterstützung für die Ukraine

"Ein Land wie Großbritannien würde eher die Vorreiterrolle übernehmen, wenn es darum geht, der Ukraine zu helfen", glaubt Umland. Aber europäische Länder, darunter auch Großbritannien, werden die USA hinsichtlich des Umfangs der militärischen Unterstützung für Kiew nicht vollständig ersetzen können, meint er. Ihm zufolge haben die Europäer Kiew bereits erhebliche humanitäre Hilfe geleistet und werden dies auch weiterhin tun, ihre militärischen Ressourcen seien jedoch nicht mit denen der USA vergleichbar. Die EU räumte unlängst ein, dass sie ihre Zusage, die Ukraine bis März 2024 mit einer Million Artilleriegeschossen und Raketen zu versorgen, nicht erfüllen könne. Die Verabschiedung eines Hilfspakets in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Ukraine über vier Jahre verzögerte sich wegen Einwänden Ungarns. Die Zuweisung dieser Mittel an die Ukraine wurde schließlich am 1. Februar auf einer Sondersitzung des Europäischen Rates in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs aller 27 EU-Länder gebilligt.

Ivan Kharitonov vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel geht aber davon aus, dass die europäische Unterstützung zunehmen wird. Er hält es für wichtig, dass eine Reihe von Ländern zu "langfristigen Planungsformaten" bei der Ukraine-Hilfe übergehen. Seine Prognose ist, dass Europa seine Lieferungen an Kiew deutlich steigern werde, was aber noch Jahre dauern könne.

Sollte Donald Trump in den USA wieder an die Macht kommen, würde die Ukraine vor "ernsthaften Problemen" stehen, meint Andreas Umland. Das hieße aber nicht, dass Europa Hilfe verweigern würde. Denn sollte Russland die Front durchbrechen, würde dies "Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in die EU" bedeuten. Daher geht der Experte davon aus, dass die Europäer Kiew weiterhin aus eigenem Interesse heraus unterstützen werden.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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