1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikUkraine

Ukraine: Zerrieben zwischen Ungarn und US-Republikanern

11. Dezember 2023

Ungarns Premier Viktor Orban streitet nicht nur in Argentinien mit dem ukrainischen Präsidenten: Er droht, EU-Militärhilfen per Veto zu sprengen. Dabei muss Wolodymyr Selenskyj auch in Washington um Unterstützung bangen.

Wolodymyr Selenskyj gestikuliert angespannt mit den Händen, während er mit Viktor Orban spricht
Einreden auf Orban: Wolodymyr Selenskyj und Viktor Orban diskutieren in Buenos Aires erkennbar lebhaftBild: Fernando Gens/dpa/picture alliance

Es ist eine Amerika-Reise mit eher ungemütlicheren Aussprachen für Wolodymyr Selenskyj: Am Sonntag wohnte der ukrainische Präsident der Amtseinführung des neuen argentinischen Staatsoberhaupts Javier Milei bei - in einer Sitzreihe ausgerechnet mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Von einem Zwiegespräch der beiden Staatsmänner kursiert ein 21-sekündiges Video im Netz. Der Wortlaut ist zwar nicht zu hören, aber schon die Körpersprache macht klar: Selbst vom fernen Buenos Aires aus betrachtet liegen die Standpunkte der Ukraine und Ungarns noch weit auseinander.

Beide Gesprächspartner erklärten sich im Anschluss. Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache, er habe gegenüber Orban "so offen wie möglich" die europapolitischen Interessen der Ukraine dargelegt. Der Sprecher des ungarischen Ministerpräsidenten hingegen verlautbarte, Orban habe Selenskyj über die "kontinuierlichen Gespräche" von EU-Vertretern hinsichtlich eines möglichen ukrainischen EU-Beitritts unterrichtet.

Was aus dieser diplomatischen Floskel nicht hervorgeht: Am Donnerstag und Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU unter anderem über ein weiteres 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket sowie die Aufnahme formeller Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beraten - und Ungarn drohte kürzlich offen mit einem Veto.

Die Ukraine in schwieriger Lage

Die Ukraine steckt zu Beginn des zweiten Kriegswinters in der womöglich schwierigsten Lage seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022: Militärisch brachten die vergangenen Monate eher Zermürbung als Geländegewinne. In Kiew protestierten zuletzt Ehefrauen und Angehörige von Soldaten, ihnen nach 21 Monaten Krieg eine längere Frontpause zuzugestehen. Präsident Selenskyj muss sich innenpolitischer Kritik aussetzen, unter anderem vom Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko. Und während die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sich zu großen Teilen von der Ukraine nach Gaza verlagert hat, bröckelt auch die Zusage weiterer für die Ukraine wohl überlebenswichtiger Waffen und Hilfspakete.

In dieser Großwetterlage ergreift Ungarn nun also aktiv Partei gegen weitere Militärhilfen. Über die Motive Viktor Orbans, der sich erst vor einem Monat mit Russlands Präsident Wladimir Putin für die "guten Beziehungen" loben ließ, ist nichts bekannt. "Die einzige Richtung, in die ich Ungarns Position beim Thema Ukraine und vielen anderen interpretieren kann, ist, dass sie gegen Europa sind und gegen alles, wofür Europa steht", sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis.

Orban vor dem EU-Gipfel am längeren Hebel

Orbans Drohungen im Vorfeld des EU-Gipfels hält Markus Kaim für "sehr gefährlich". Der Sicherheitsforscher der Stiftung Sicherheit und Politik verweist bei der anstehenden Ratsentscheidung auf das Einstimmigkeitsprinzip: "Wenn Orban sich einer Mitgliedschaftsperspektive der Ukraine verschließt, dann können die anderen wenig tun. Er hält also die Hebel in der Hand, direkt wie indirekt", sagt Kaim im Gespräch mit der DW

Im Oktober führte Orban noch mit Wladimir Putin ein längeres Gespräch in Peking - und die ungarische Zustimmung zum schwedischen NATO-Beitritt steht ebenfalls noch ausBild: Sputnik/Grigory Sysoyev/Pool via REUTERS

Die Ukraine warnt im Falle eines ungarischen Vetos gar vor "verheerenden Konsequenzen": Wenn es keine positive Entscheidung gebe, wäre dies äußerst demotivierend für die Menschen in der Ukraine, warnte Außenminister Dmytro Kuleba am Rande eines Treffens mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel.

Die EU-Außenminister billigten schließlich einen Vorschlag der EU-Kommission, Ungarn zur Bewältigung der Energiekrise 900 Millionen Euro ohne Vorbedingungen zu überweisen. Markus Kaim sieht darin die Möglichkeit eines Entgegenkommens, wobei Ungarn im Gegenzug auch das nächste Ukraine-Hilfspaket beim EU-Gipfel Ende der Woche doch noch mittragen könnte. "Gegebenenfalls könnte man die Frage eines EU-Beitrittskandidatenstatus dann auch vertagen", skizziert Kaim.

Unterstützung der USA wackelt

Doch lobbyiert Ungarn offenbar auch auf einer zweiten politischen Bühne gegen Ukraine-Hilfszahlungen: Wie der britische "Guardian" berichtet, wollten ungarische Diplomaten in Washington Anfang dieser Woche ein Treffen mit Politikern der Republikanischen Partei abhalten. Dabei soll am Dienstag auch Wolodymyr Selenskyj  mit Republikanern um House-Chef Mike Johnson zusammentreffen, von denen eine weitere Unterstützung der Ukraine abhängt.

Mike Johnson aus Louisiana ist seit Oktober Sprecher des Repräsentantenhauses, nachdem republikanische Hardliner seinen Vorgänger Kevin McCarthy abgesetzt hattenBild: Stephanie Scarbrough/AP Photo/picture alliance

Nach der Begegnung mit Viktor Orban könnte dieser Termin die zweite für Selenskyj ungemütliche Aussprache seiner Amerika-Reise werden: Knapp elf Monate bevor der US-Präsident, das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt werden, geben Donald Trump und seine MAGA-Fraktion in der Partei den Kurs an. Sie stehen den kontinuierlich gewährten massiven Ukraine-Hilfen der Administration von Joe Biden ablehnend gegenüber.

Biden hatte bereits im Oktober eine neue Tranche beim Kongress beantragt, die Bewilligung oder gar ein regulärer Haushalt sind jedoch bislang an den Republikanern gescheitert. In dem Paket sind neben 61 Milliarden US-Dollar (rund 56,6 Milliarden Euro) für die Ukraine auch Hilfen für Israel sowie ein restriktiverer Umgang mit Migranten an der US-amerikanischen Südgrenze angedacht. Die Republikaner fordern hierbei jedoch weitreichendere Verschärfungen.

"Deswegen könnte der amerikanische Präsident den gordischen Knoten ganz einfach zerschlagen, indem er den Republikanern sagt, ich komme euch bei der Migrationsgesetzgebung entgegen", sagt SWP-Wissenschaftler Markus Kaim. "Das will er aber nicht."

"Erstes Aufflackern" vor einer möglichen Wiederwahl Trumps

So bleibt ungewiss, ob Selenskyj in Washington für die Wende sorgen kann - oder ob die Republikaner bei ihrem harten Nein zur Ukraine-Unterstützung bleiben. "Dann wäre Europa gefordert", meint Kaim: "Es wäre ein erstes Aufflackern dessen, was sehr viele Leute nach einer Wiederwahl von Donald Trump fürchten: Die USA fallen als Garant der internationalen Sicherheitsordnung aus. Und dann muss die Lastenteilung zwischen den USA und Europa neu justiert werden."

US-Waffen - hier ein ATACMS-Marschflugkörper beim Start - sind von zentraler Bedeutung für die ukrainischen StreitkräfteBild: U.S. Army/Avalon/Photoshot/picture alliance

Ein endgültiges Nein der Republikaner in Washington oder ein Veto Ungarns beim EU-Gipfel würden die Sorgen der Ukraine sicherlich weiter vergrößern. Die deutsche Europa-Staatsministerin Anna Lührmann, die anstelle der bei der Weltklimakonferenz gebundenen Annalena Baerbock zum EU-Außenministertreffen gereist war, kündigte bereits an, Deutschland werde die militärische Unterstützung der Ukraine für 2024 von vier auf acht Milliarden verdoppeln.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen