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Ukraine-Krieg beschäftigt Presserat

16. März 2022

Bei der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse häufen sich Beschwerden über Kriegsberichte. Ob sie berechtigt sind, wird noch geprüft. Derweil dominiert in der Jahresbilanz für 2021 ein Thema: Corona.

Ukraine-Krieg Mykolajiw | Leichenschauhaus
Kriegsopfer in der Stadt Mykolajiw werden in Plastiksäcken auf den Boden gelegtBild: BULENT KILIC/AFP/Getty Images

Am 24. Februar erteilte Wladimir Putin den Befehl, die Ukraine zu überfallen. Seitdem ist der Angriffskrieg Top-Thema im Fernsehen, im Internet und in den Zeitungen. Die Sorge des Deutschen Presserates bei der Vorstellung seines Jahresberichtes 2021 am Mittwoch in Berlin: Medien könnten versuchen, aus dem menschlichen Leid Kapital zu schlagen – mit reißerischen Überschriften und schrecklichen Bildern auf Kosten von Opfern und Angehörigen. Und zu Gunsten von Einschaltquoten und Klickzahlen.

Die für Print und Online-Beschwerden zuständige freiwillige Selbstkontrolle mahnt deshalb, sich an die selbstverpflichtenden Regeln einer fairen Berichterstattung zu halten. Presserat-Sprecher Sascha Borowski, Journalist bei der "Allgäuer Zeitung", warnt davor, mit irreführenden Schlagzeilen "zusätzliche Ängste zu schüren oder Reichweiten zu machen". In den ersten drei Wochen des Ukraine-Krieges hat der Presserat rund 20 Beschwerden erhalten – im Schnitt eine pro Tag.

Unverpixelte Fotos von Kriegsopfern in der Ukraine

Sollten Beschwerden berechtigt sein, könnte es zu einer öffentlichen Rüge durch den Presserat kommen. Das ehrenamtlich arbeitende Gremium tagt quartalsweise, also viermal im Jahr. Beim nächsten Treffen werden Artikel über den Ukraine-Krieg absehbar eine wichtige Rolle spielen: "Da ging es zum Beispiel um Überschriften, die einen nahen Atomkrieg andeuten und es ging in zwei Fällen auch darum, dass Medien unverpixelte Fotos von Kriegsopfern veröffentlicht haben."

Besonderen Wert legt der Presserat auf Transparenz, denn nur ganz wenige Medien weltweit haben Korrespondenten vor Ort. Informationen über militärische Angriffe, getötete Soldaten und zivile Opfer sind kaum überprüfbar. Deshalb betont Sascha Borowski: "Die Berichterstattung aus der Ukraine, aus dem Kriegsgebiet ist für eine Redaktion in Deutschland sehr schwierig."

Erinnerungen an den Krieg in Syrien werden wach

Parallelen zum 2011 begonnenen und noch immer nicht beendeten Syrien-Krieg drängen sich fast zwangsläufig auf. Presserat-Geschäftsführer Roman Portack erinnert an Gasangriffe auf die Zivilbevölkerung mit zahlreichen Toten, auch Kindern. Da habe man "ganz grauenhafte Fotos gesehen, über deren journalistische Berechtigung man geteilter Meinung sein kann".

Diese Bilder hätten damals Beschwerden ausgelöst. Auch aus der Ukraine habe man inzwischen die ersten drastischen Bilder gesehen. "Es werden, so fürchte ich, nicht die letzten sein", glaubt Portack. Wie hoch die Zahl der Beschwerden von Leserinnen und Lesern gedruckter wie digitaler Ukraine-Berichte am Ende des Jahres sein wird, darüber kann momentan nur spekuliert werden. Je länger der Krieg dauert, desto größer dürfte sie sein.

Viele Beschwerden betreffen Corona-Berichte  

Für 2021 gilt derweil das Gleiche wie ein Jahr zuvor: Corona dominierte die Arbeit des Presserates. Von den 2.557 Einzelbeschwerden entfiel mit 457 fast ein Fünftel auf Berichte über die Pandemie. In diese Kategorie fallen im Corona-Zusammenhang Zweifel von Zeitungsleserinnen oder Online-Usern an Berichten über Impf-Nebenwirkungen, die Zahl von Intensivbetten oder Hospitalisierungen.

Beschwerden über die Corona-Berichterstattung beschäftigen den Deutschen Presserat am meisten Bild: Revierfoto/dpa/picture alliance

Oft stelle sich heraus, dass Beschwerden von "eigenen Überzeugungen zu all diesen Themen geleitet waren und viele eher nicht von sachlichen Argumenten", sagt die beim Presserat für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Sonja Volkmann-Schluck.

Die meisten Rügen gab es für "Bild"

Trotz alledem erreichte die Zahl der 2021 erteilten Rügen mit 60 einen Höchststand. Ein Jahr zuvor waren es 53 gewesen, 2019 lediglich 34. Die meisten Verstöße gegen den Pressekodex gehen auf das 25 Mal vom Presserat gerügte Boulevard-Medium "Bild". Unter anderem wegen eines Artikels über das Robert-Koch-Institut (RKI), bei dem seit Beginn der Pandemie alle relevanten Corona-Zahlen registriert werden: Infektionen, Krankenhaus-Einweisungen, Todesfälle, Genesene.

Die Schlagzeile "Es sterben weniger Menschen, als täglich gemeldet werden" war nach Überzeugung des Presserats irreführend. Denn in dem Online-Artikel sei es darum gegangen, "dass das RKI die Zahlen immer mit etwas Zeitverzug meldet und das letztlich die Todeszahlen immer etwas verspätet gemeldet werden". Mit anderen Worten: Die Zahlen waren richtig, der Titel hingegen ließ das Gegenteil vermuten.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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