Ukraine-Krieg: Welche Gebietsabtretungen diskutiert werden
18. August 2025
Die Ukraineist ein Land von mehr als 600.000 Quadratkilometern. Aus Sicht Moskaus dagegen ist sie um gut ein Fünftel kleiner, weil Russland den Osten als eigenes Territorium betrachtet. In dieser Gemengelage versucht US-Präsident Donald Trump nun ein Friedensabkommen zu schmieden. Nach einem Treffen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin in Alaska empfängt er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie mehrere europäische Spitzenpolitiker in Washington.
Schon vorab hatte Trump auf seiner Plattform Truth Social klargemacht, dass er die Position Kyjiws nur eingeschränkt unterstützt. "Der ukrainische Präsident Selenskyj kann den Krieg mit Russland fast sofort beenden, wenn er will, oder er kann weiterkämpfen", schrieb er dort und fügte hinzu: "Kein NATO-Beitritt der Ukraine. Manche Dinge ändern sich nie!!!" Damit machte der US-Präsident deutlich, dass er sowohl die Rückgabe der Krim als auch einen NATO-Beitritt für ausgeschlossen hält.
Nach Informationen verschiedener internationaler Medien sollen Trump und Putin beim Alaska-Gipfel vereinbart haben, dass die Ukraine die Regionen Donezk und Luhansk vollständig an Russland abtreten müsse. Eine solche Lösung hat Präsident Selenskyj bisher kategorisch abgelehnt. Die europäischen Verbündeten plädieren stattdessen für einen Waffenstillstand entlang der bestehenden Frontlinie.
Welche ukrainischen Gebiete kontrolliert Russland?
Schon seit Jahren fokussiert sich Russland in besonderem Maße auf die Ostukraine: Nachdem die sogenannte "Euromaidan"-Revolution zum Sturz der pro-russischen Regierung in Kyjiw geführt hatte, besetzten russische Truppen im März 2014 völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim. Am 18. März annektierte Russland das Gebiet offiziell, nachdem dort ein Scheinreferendum abgehalten worden war. In der Folge destabilisierten russische Kämpfer auch die beiden östlichsten Regionen - im lokalen Sprachgebrauch: Oblaste - der Ukraine: Donezk und Luhansk. Hier liegt auch der Donbass, das Becken des Flusses Donez, der in Russland in den Don mündet.
Am 21. Februar 2022 erkannte Russland zwei "Volksrepubliken" auf dem Gebiet der ukrainischen Regionen als eigenständige Staaten an. Drei Tage später startete Moskau seinen groß angelegten Einmarsch. Während die Ukraine in den ersten Kriegsmonaten die Invasoren im Norden wieder weitgehend zurückdrängen konnte, brachte Russland unter massivem militärischem Einsatz weitere Gebiete im Osten unter seine Kontrolle. Neben Donezk und Luhansk betraf das die beiden südöstlichen Regionen Saporischschja und Cherson - wobei Russland aktuell keine der Oblaste vollständig kontrolliert.
In allen vier Gebieten veranstaltete Russland im September 2022 weitere Scheinreferenden, die einen angeblichen Wunsch der Bevölkerung nach einem Beitritt zur Russischen Föderation belegen sollten. Hingegen ist in einem aktuellen Bericht des Europarats die Rede von Gewalt und Zwangsmaßnahmen gegen Zivilisten. Wer sich etwa weigert, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, erhalte keinen Zugang zu Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsleistungen mehr, heißt es darin.
Die große Bedeutung des Donbass
Geopolitisch sind die Gebiete für Russland bedeutsam: Der Donbass verfügt über Kohle und Erze, weshalb die Region ein wichtiges Zentrum der Stahl- und Chemieindustrie ist. Für die Zukunft dürften weiterhin die im Boden vermuteten seltenen Erden eine Rolle spielen, die für die Herstellung zahlreicher Technologie-Güter unerlässlich sind. Die Oblaste stellen auch eine Landbrücke zur Krim dar, während die Ukraine gegenwärtig keinen Zugang mehr zum Asowschen Meer hat.
Für die Ukraine hat der derzeit umkämpfte Donbass seit 2014 auch militärisch an Bedeutung gewonnen: Hier wurde der sogenannte Festungsgürtel errichtet, die bis dato wichtigste Verteidigungslinie. Russland kontrolliert zwar große Teile des Donbass, konnte den Festungsgürtel aber bislang nicht durchbrechen.
In Gesprächen zwischen den USA und Russland war Berichten zufolge zuletzt wiederholt von Gebietsabtretungen die Rede, in denen Russland die vollständige Kontrolle über Donezk und Luhansk gefordert und im Gegenzug die Rückgabe von Cherson und Saporischschja in Aussicht gestellt haben soll. Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) schrieb dazu in einer Analyse: "Die Ukraine wäre gezwungen, den 'Festungsgürtel' aufzugeben (...) - ohne Garantie, dass die Kämpfe nicht von neuem beginnen könnten."
Zwei Verfassungen, doch nur ein Völkerrecht
Nach den Scheinabstimmungen hatte Russland die annektierten ukrainischen Gebiete in seiner Verfassung zu eigenem Staatsgebiet erklärt. Diesen Schritt rückgängig zu machen, wäre an juristische und politische Hürden geknüpft - und dürfte in der russischen Bevölkerung als Niederlage aufgefasst werden.
Zugleich kann auch die ukrainische Staatsführung nicht ohne weiteres den Verzicht auf die Gebiete absegnen: Präsident Wolodymyr Selenskyj argumentierte wiederholt mit Artikel 133 der ukrainischen Verfassung, in dem auch die östlichen und südöstlichen Gebiete explizit als Teil des Staates genannt werden. Für die Krim gibt es einen Extra-Abschnitt, der ihr teilweise Selbstverwaltung einräumt. Jeglicher Gebietsverzicht ist auch durch Artikel 2 ausgeschlossen, in dem es heißt: "Das Territorium der Ukraine ist in seinen bestehenden Grenzen unteilbar und unantastbar." Gebietsveränderungen können nur von einem landesweiten Referendum abgesegnet werden; allerdings sind Verfassungsänderungen ohnehin erst wieder zulässig, wenn das Kriegsrecht ausgesetzt wird.
Die Verfassungen Russlands und der Ukraine stehen mit Blick auf die fraglichen Gebiete also in direktem Widerspruch zueinander. Doch völkerrechtlich ist die Angelegenheit eindeutig: Juristen betrachten den russischen Überfall sowie sämtliche Scheinreferenden als völkerrechtswidrig.
Was die NATO unter Anerkennung versteht
In dieser Gemengelage sorgte NATO-Generalsekretär Mark Rutte für Aufregung: Es könne "beispielsweise in einem künftigen Abkommen" anerkannt werden, dass Russland "de facto einen Teil des Territoriums der Ukraine kontrolliert", sagte Rutte im US-Fernsehen bereits vor dem Treffen zwischen Putin und Trump in Alaska. Würde die NATO also eine Aufgabe ukrainischen Territoriums und damit eine gewaltsame Grenzverschiebung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft hinnehmen?
Das könne der Westen "niemals in einem rechtlichen Sinne akzeptieren", sagte Rutte. Für ihn sei lediglich eine "faktische Anerkennung" hinnehmbar. Als Vergleich verwies Rutte auf die US-Haltung zum Baltikum in den Jahren 1940 bis 1991: Damals standen Estland, Lettland und Litauen unter sowjetischer Besatzung. Die USA nahmen das faktisch zwar hin, unterhielten jedoch diplomatische Kontakte zu den Gegnern der Okkupation.