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KonflikteUkraine

Ukraine-Krieg: Welche Gebietsabtretungen diskutiert werden

12. August 2025

Vor dem Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska geht es vor allem um die Ostukraine. Faktisch werden dort große Gebiete von Russland kontrolliert - was Friedensbemühungen weiter erschwert.

Wolodymyr Selenskyj mit nachdenklichem Gesichtsausdruck bei einer Sitzung
Ihn stellt die Debatte um Gebietsabtretungen vor Probleme: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (im Hintergrund sein Büroleiter Andriy Yermak)Bild: Ukrainian Presidency/Anadolu/picture alliance

Wenn am Freitag US-Präsident Donald Trump und Russlands Machthaber Wladimir Putin in Alaska aufeinander treffen, haben beide Delegationen vielleicht Landkarten im Gepäck, die eine völlig unterschiedliche Sichtweisen auf die Ukraine offenbaren: Von Washington aus gesehen ist die Ukraine gut 600.000 Quadratkilometer groß. Aus Moskauer Perspektive ist die Ukraine um gut ein Fünftel kleiner, denn Russland betrachtet den Osten als eigenes Staatsgebiet.

Im Vorfeld seines Treffens mit Putin hat Trump für einige geografische Verwirrung gesorgt: So sprach er mehrfach von einem Treffen "in Russland", obwohl die USA den heutigen Bundesstaat Alaska bereits 1867 von Russland gekauft hatten. Und dann sprach er noch von einem "Land-Tausch", den er zwischen dem Angreifer Russland und der Ukraine einfädeln wolle.

Von einem Tausch kann jedoch keine Rede sein, da die Ukraine aktuell kein russisches Territorium kontrolliert: Die zwischenzeitliche Gegenoffensive in der russischen Region Kursk ab August 2024 ist weitgehend zu Ende. Die Ukraine hat somit kein Gegenpfand, das ein Tauschgeschäft ermöglichen würde. Deshalb fürchten die Ukraine und ihre Verbündeten, dass Trump über ihre Köpfe hinweg Gebietsabtretungen an Russland anstreben könnte.

Welche ukrainischen Gebiete kontrolliert Russland?

Schon seit Jahren fokussiert sich Russland in besonderem Maße auf die Ostukraine: Nachdem die sogenannte "Euromaidan"-Revolution zum Sturz der pro-russischen Regierung in Kyjiw geführt hatte, besetzten russische Truppen im März 2014 völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim. Am 18. März annektierte Russland das Gebiet offiziell, nachdem dort ein Scheinreferendum abgehalten worden war. In der Folge destabilisierten russische Kämpfer auch die beiden östlichsten Regionen - im lokalen Sprachgebrauch: Oblasten - der Ukraine: Donezk und Luhansk. Hier liegt auch der Donbass, das Becken des Flusses Donez, der in Russland in den Don mündet.

Am 21. Februar 2022 erkannte Russland zwei "Volksrepubliken" auf dem Gebiet der ukrainischen Regionen als eigenständige Staaten an. Drei Tage später startete Moskau seinen groß angelegten Einmarsch. Während die Ukraine in den ersten Kriegsmonaten die Invasoren im Norden wieder weitgehend zurückdrängen konnte, brachte Russland unter massivem militärischen Einsatz weitere Gebiete im Osten unter seine Kontrolle. Neben Donezk und Luhansk betraf das die beiden südöstlichen Regionen Saporischschja und Cherson - wobei Russland bis heute keinen der Oblasten vollständig kontrolliert.

"Wir sind der russische Donbass" hieß es am 21. Februar 2022 in Donezk - das Foto stammt von der russischen Staatsagentur TassBild: Alexander Ryumin/Tass/dpa/picture alliance

In allen vier Gebieten veranstaltete Russland im September 2022 weitere Scheinreferenden, die einen angeblichen Wunsch der Bevölkerung nach einem Beitritt zur Russischen Föderation belegen sollten. Hingegen ist in einem aktuellen Bericht des Europarats die Rede von Gewalt und Zwangsmaßnahmen gegen Zivilisten. Wer sich etwa weigert, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, erhält keinen Zugang mehr zu Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsleistungen mehr, heißt es darin.

Die große Bedeutung des Donbass

Geopolitisch sind die Gebiete für Russland bedeutsam: Der Donbass verfügt über Kohle und Erze, weshalb die Region ein wichtiges Zentrum der Stahl- und Chemieindustrie ist. Für die Zukunft dürften weiterhin die im Boden vermuteten seltenen Erden eine Rolle spielen, die für die Herstellung zahlreicher Technologie-Güter unerlässlich sind. Die Provinzen stellen auch eine Landbrücke zur Krim dar, während die Ukraine gegenwärtig keinen Zugang mehr zum Asowschen Meer hat.

Das Asow-Stahlwerk in der Stadt Mariupol, direkt am Asowschen Meer, war im Mai 2022 Schauplatz erbitterter KämpfeBild: Alexander Garmayev/TASS/dpa/picture alliance

Für die Ukraine hat der derzeit umkämpfte Donbass seit 2014 auch militärisch an Bedeutung gewonnen: Hier wurde der sogenannte Festungsgürtel errichtet, die bis dato wichtigste Verteidigungslinie. Russland kontrolliert zwar große Teile des Donbass, konnte den Festungsgürtel aber bislang nicht durchbrechen.

In Gesprächen zwischen USA und Russland war Berichten zufolge zuletzt wiederholt von Gebietsabtretungen die Rede, in denen Russland die vollständige Kontrolle über Donezk und Luhansk gefordert und im Gegenzug die Rückgabe von Cherson und Saporischschja in Aussicht gestellt haben soll. Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) schrieb dazu in einer Analyse: "Die Ukraine wäre gezwungen, den 'Festungsgürtel' aufzugeben (...) - ohne Garantie, dass die Kämpfe nicht von neuem beginnen könnten."

Zwei Verfassungen, doch nur ein Völkerrecht

Nach den Scheinabstimmungen hatte Russland die annektierten ukrainischen Gebiete in seiner Verfassung zum eigenen Staatsgebiet erklärt. Diesen Schritt rückgängig zu machen, wäre an juristische und politische Hürden geknüpft - und dürfte in der russischen Bevölkerung als Niederlage aufgefasst werden.

Russland greift weiterhin Zivilisten in Orten an, die es zum eigenen Staatsgebiet zählt. Das Bild zeigt Ersthelfer in Saporischschja am vergangenen SonntagBild: Stringer/REUTERS

Zugleich kann auch die ukrainische Staatsführung nicht ohne weiteres den Verzicht auf die Gebiete absegnen: Präsident Wolodymyr Selenskyj argumentierte wiederholt mit Artikel 133 der ukrainischen Verfassung, in dem auch die östlichen und südöstlichen Gebiete explizit als Teil des Staates genannt werden. Für die Krim gibt es einen Extra-Abschnitt, der ihr teilweise Selbstverwaltung einräumt. Jeglicher Gebietsverzicht ist auch durch Artikel 2 ausgeschlossen, in dem es heißt: "Das Territorium der Ukraine ist in seinen bestehenden Grenzen unteilbar und unantastbar." Gebietsveränderungen können nur von einem landesweiten Referendum abgesegnet werden; allerdings sind Verfassungsänderungen ohnehin erst wieder zulässig, wenn das Kriegsrecht ausgesetzt wird.

Die Verfassungen Russlands und der Ukraine stehen mit Blick auf die fraglichen Gebiete also in direktem Widerspruch zueinander. Doch völkerrechtlich ist die Angelegenheit eindeutig: Juristen betrachten den russischen Überfall sowie sämtliche Scheinreferenden als völkerrechtswidrig.

Was die NATO unter Anerkennung versteht

In dieser Gemengelage sorgte NATO-Generalsekretär Mark Rutte für Aufregung: Es könne "beispielsweise in einem künftigen Abkommen" anerkannt werden, dass Russland "de facto einen Teil des Territoriums der Ukraine kontrolliert", sagte Rutte im US-Fernsehen. Würde die NATO also eine Aufgabe ukrainischen Territoriums und damit eine gewaltsame Grenzverschiebung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft hinnehmen?

NATO-Generalsekretär Mark Rutte wird ein besonders freundlicher Umgang mit US-Präsident Donald Trump nachgesagt, der sich vor Beginn seiner zweiten Amtszeit mehrfach kritisch über das Verteidigungsbündnis geäußert hatteBild: Kevin Dietsch/Getty Images

Das könne der Westen "niemals in einem rechtlichen Sinne akzeptieren", sagte Rutte. Für ihn sei lediglich eine "faktische Anerkennung" hinnehmbar. Als Vergleich verwies Rutte auf die US-Haltung zum Baltikum in den Jahren 1940 bis 1991: Damals standen Estland, Lettland und Litauen unter sowjetischer Besatzung. Die USA nahmen das faktisch zwar hin, unterhielten jedoch diplomatische Kontakte zu den Gegnern der Okkupation.