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PolitikEuropa

Ukraine-Krieg: "Heißer Draht" zwischen Russland und USA?

29. August 2023

Nach der Kuba-Krise wurde 1963 eine direkte Verbindung zwischen Weißem Haus und Kreml eingerichtet, um sofort verhandeln zu können. Wie Washington und Moskau aktuell kommunizieren, ist jedoch wenig bekannt.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und US-Präsident Joe Biden halten beide den Hörer eines Schnurtelefons am Ohr.
Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden haben seit Beginn des Ukraine-Kriegs mehrmals telefoniert

Zwei Weltkriege hat es schon gegeben, im Oktober 1962 scheint sich der dritte anzubahnen: Die damalige kommunistische Supermacht Sowjetunion installiert auf dem mit ihr verbündeten Inselstaat Kuba Atomraketen. Nur 180 Kilometer entfernt beginnt das Festland der kapitalistischen USA. Die fühlen sich bedroht und blockieren den Seeweg.

Spätestens als ein US-amerikanisches Flugzeug abgeschossen wird, muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Aber im letzten Moment verkündet der sowjetische Machthaber Nikita Chruschtschow via Radio Moskau den Abzug seiner Atomwaffen aus Kuba. Die Welt atmet auf.

Kuba-Krise 1962: Ein US-Hubschrauber kreist über einem sowjetischen U-BootBild: akg-images/picture alliance

Der Schock über eine gerade noch abgewendete Katastrophe sitzt tief und veranlasst beide Seiten, trotz und gerade wegen ihrer Feindschaft über vertrauensbildende Maßnahmen nachzudenken. Und so verständigt man sich darauf, eine direkte Kommunikationsverbindung zwischen den Hauptstädten Washington und Moskau einzurichten.

Kein Telefon, sondern ein Fernschreiber

Zehn Monate nach der Kuba-Krise, am 30. August 1963 und damit vor 60 Jahren, ist der sogenannte "heiße Draht" zwischen Washington und Moskau einsatzbereit. Es handelt sich jedoch nicht um ein Telefon, sondern lediglich einen Fernschreiber für schriftliche Nachrichten. Eine auch schon damals eher altmodische Technik. "Aber im Unterschied zu einem Telefon abhörsicher", betont der Historiker Bernd Greiner im DW-Gespräch.

Fernschreiber, wie sie in den 1960er Jahren für schriftliche Kommunikation üblich warenBild: Jürgen Fromme/picture alliance/augenklick/firo Sportphoto

Darauf hätten die Supermächte großen Wert gelegt. "Sie wollten sicherstellen, dass in ihrer beiderseitigen Kommunikation keine andere Seite mithören konnte - wer auch immer das hätte sein können." Der erste aus den USA in die Sowjetunion als Test gesendete Satz klingt kryptisch - und das ist er auch: "Der schnelle braune Fuchs sprang über den Rücken des faulen Hundes 1234567890." Warum dieser Nonsens? Weil darin im englischen Original das komplette Alphabet und alle Ziffern enthalten sind.          

"Signal zur Beruhigung der Weltöffentlichkeit"

Der "heiße Draht" ist also anfangs tatsächlich kein Telefon - schon gar kein rotes, wie es in manchen Filmen zu sehen ist. Deshalb spricht Bernd Greiner, Amerikanist mit dem Schwerpunkt Kalter Krieg, von einem symbolischen Akt. "Das war ein nach außen gerichtetes Signal zur Beruhigung der Weltöffentlichkeit, dass man den Wert einer beiderseitigen Notfall-Kommunikation begriffen hatte und man es nicht wieder so weit kommen lassen wollte wie in dieser bedrohlichen Situation vom Herbst 1962."

US-Präsident John F. Kennedy verkündet während der Kuba-Krise 1962 in einer TV-Ansprache eine SeeblockadeBild: AP Photo/picture-alliance

Greiner zitiert den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy und seinen Verteidigungsminister Robert McNamara: "Wir haben die Grenzen unseres Handlungsspielraums erlebt." Die Lehre aus der Kuba-Krise 1962 lautete demnach: In dieser Situation gab es kein Management, man war auf Zufall und Goodwill der anderen Seite angewiesen. Deshalb musste man andere Mittel und Wege der Kommunikation finden.

Wenn sich die Situation zuspitzt, wird zum Hörer gegriffen

Oft kommt der "heiße Draht" in seiner frühen Form als Fernschreiber nicht zum Einsatz. "Er wurde ein paar Mal aktiviert zu Probezwecken, aber in zugespitzten Entscheidungssituationen hat man nicht darauf zurückgegriffen", ordnet Bernd Greiner den praktischen Nutzen des Geräts ein.

Wenn der Weltfrieden ernsthaft gefährdet zu sein scheint, klingelt doch das klassische Telefon - etwa während des Sechs-Tage-Krieges 1967 zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten und im Jom-Kippur-Krieg 1973. Beide Male besteht die Gefahr eines globalen Flächenbrands, weil die USA auf Seiten Israels stehen und die Sowjetunion auf arabischer Seite.

Die Welt ändert sich und mit ihr der "heiße Draht"

In diesen dramatischen Zeiten mutiert der antiquierte "heiße Draht" zu einem Satellitentelefon. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989, dem Ende der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 scheint ein Frühwarnsystem zwischen Washington und der nunmehr russischen Hauptstadt Moskau überflüssig geworden zu sein.

Als der "heißte Draht" 1963 eingerichtet wurde, gab es noch keine Kommunikationssatelliten rund um den Globus Bild: Science Photo Library/imago images

Abgesehen davon bestehen durch technologische Innovationen, insbesondere das Internet, längst schnelle und abhörsichere Kommunikationsmöglichkeiten. Die Direktverbindung zwischen Washington und Moskau ist also schon seit Jahrzehnten topmodern. Und auch zwischen anderen Hauptstädten gibt es weltweit Kommunikationskanäle für Krisenfälle.

Der "heiße Draht" ist als Frühwarnsystem ein Dauerbrenner. Ob er seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 glüht, weil er vermeintlich sehr oft genutzt werden müsste, ist für Außenstehende schwer einzuschätzen. "Das wissen wir nicht, diese Form der Kommunikation wird natürlich nicht offengelegt", sagt der Historiker Bernd Greiner.

Weniger Kommunikation als im Kalten Krieg?

Bekannt sei, dass US-Präsident Joe Biden ein paarmal mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert habe. "Aber was darüber hinaus auf mittlerer Ebene oder auf Ebene der Militärs an Kontaktaufnahmen passiert, das entzieht sich unserer Kenntnis." Ob ein wie auch immer gearteter heißer Draht im Ukraine-Krieg aktuell überhaupt helfen könnte, bezweifelt Greiner, der bis 2018 das Berliner Kolleg Kalter Krieg leitete.

"Das Problem ist, dass die verstetigte Kommunikation insbesondere zwischen Militärs, aber auch zwischen Diplomaten quasi abgerissen ist. Auf dieser Ebene gibt es eine Art Sprachlosigkeit", bedauert der Kenner Russlands und der USA die aktuelle Entwicklung. "Das unterscheidet die Situation, in der wir heute leben, vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges sogar von der Hochzeit des Kalten Krieges." Jener Zeit also, in der die Machthaber in Washington und Moskau den "heißen Draht" eingerichtet hatten.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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