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Mehr Geld für Geflüchtete

Mathis Richtmann
8. April 2022

Der Bund beteiligt sich stärker an der Hilfe für Geflüchtete. Mit zwei Milliarden Euro unterstützt er Bundesländer und Kommunen. Doch die Finanzierung ist nicht das einzige Problem.

Ukraine-Krieg - Flüchtlinge in Flüchtlingsunterkunft
Flüchtlingsunterkunft in Niedersachsen am 1. April 2022Bild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Sankt Augustin ist am Anschlag. So berichtet es der Bürgermeister der kleinen Stadt in der Nähe von Bonn, Max Leitterstorf. 343 Menschen aus der Ukraine hat der Ort seit Anfang März aufgenommen. Aber langfristig geht dem Bürgermeister das Geld aus, um für ein Dach über dem Kopf oder Lebensmittel zu sorgen. Viele Städte und Gemeinden in Deutschland stehen vor einem ähnlichen Problem.

Zwei Milliarden Euro wird die Bundesregierung daher locker machen, um für Kosten der Länder und Kommunen aufzukommen. Dazu kommt: Geflüchtete aus der Ukraine werden künftig die staatliche Grundsicherung Hartz IV beziehen. Das bringt mehr Geld als das bisherige Modell für die Flüchtlinge und entlastet den Haushalt von Städten wie Sankt Augustin.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) geben die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde bekanntBild: Michele Tantussi/dpa/Reuters/Pool/picture alliance

Die Entscheidungen wurden am Donnerstag nach langem Ringen der Ministerpräsidentenkonferenz bekannt gegeben. "Die Einigung ist eine gute Grundlage, damit unser Land langfristig zusammenstehen kann", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der gemeinsamen Sitzung.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst sagte nach der Einigung: "Insgesamt haben wir einen vertretbaren Kompromiss zur Verteilung der finanziellen Verantwortung gefunden". Der CDU-Politiker vertritt die Länderinteressen derzeit gegenüber dem Bund.

Deutsche Eigenart Föderalismus

Anfang März hatte die Europäische Union entschieden, Flüchtenden aus der Ukraine pauschal Zuflucht zu gewähren. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser wollte "unbürokratisch" helfen. Aber es sind die Kommunen, Städte wie Sankt Augustin, die bisher finanziell in Vorleistung gehen.

Die Situation ist wegen des Föderalismus in Deutschland besonders komplex.

Eigentlich haben Bund und Länder getrennte Kompetenzen. Bei Schule und Universität lassen sich die 16 deutschen Bundesländer zum Beispiel ungern reinreden.

Mit der Entscheidung am Donnerstag wird der Bund jedoch Kosten für die Schulintegration ukrainischer Kinder übernehmen. "Dass der Bund Finanzmittel gibt, scheint sich immer mehr zu häufen, weil er finanziell stärker ist", sagt Dietrich Thränhardt. Er forscht zu politischen Strukturen und Migration in Münster. Dies bedeute jedoch auch, dass das "Dickicht an Kompetenzen und ungeklärten Zuständigkeiten immer enger wird und im Grunde die Öffentlichkeit nicht weiß, wer am Ende verantwortlich ist", so der emeritierte Professor.

Die Änderungen im Detail

Geflüchtete aus der Ukraine können nach Deutschland visumsfrei einreisen und sich frei in der Bundesrepublik bewegen. Für Geflüchtete, die sich registrieren lassen, übernehmen Kommunen Arztrechnungen und zahlen bislang Sozialhilfe aus.

Ab dem 1. Juni soll sich das ändern. Dann erhalten Geflüchtete aus der Ukraine nicht mehr Leistungen nach dem so genannten Asylbewerberleistungsgesetz, sondern können Unterstützung entsprechend Sozialgesetzbuch II (SGB II) - meist Hartz IV genannt - erhalten.

Das ist eine wichtige Änderung. Anstatt 367 Euro bekommen Alleinstehende dann 449 Euro monatlich, erhalten volle Gesundheitsversorgung und erhalten Hilfe vom Jobcenter bei der Suche nach Arbeit. Vor allem entlastet die Regelung jedoch die Kommunen und Länder. Denn Leistungen nach dem SGB II werden fast vollständig vom Bund bezahlt. Im bisherigen Modell trugen Länder und Kommunen die Rechnung.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung den Ländern mit zwei Milliarden Euro einmalig unter die Arme greifen. Mit 500 Millionen Euro beteiligt sie sich an den bisher entstandenen Kosten. Weitere 500 Millionen sollen bei der Unterbringung auch in den kommenden Monaten helfen. Und eine Milliarde soll der Integration in Schule und Kita helfen.

Die Einigung soll spätestens im November mit Blick auf den Kriegsverlauf in der Ukraine neu bewertet werden.

Schwachstellen der Beschlüsse

Auf Antrag der Linken diskutierte zeitgleich mit den Ministerpräsidenten auch der Bundestag die Finanzierung der Geflüchtetenhilfe. Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion, sagt der DW über die Einigung von Bund und Ländern: "Das Ergebnis ist ein richtiger Schritt." Aber die neue Regelung schaffe ein System Geflüchteter erster und zweiter Klasse.

Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im BundestagBild: Sebastian Gabsch/Geisler-Fotopre/picture alliance

Diejenigen, die sich seit Jahren um Asyl in Deutschland bewerben, erhalten schlechtere Leistungen als Ukrainer. Dazu kommt, dass viele Menschen aus "afrikanischen Ländern in der Ukraine studiert haben und auch sie fliehen natürlich vor diesem fürchterlichen verbrecherischen Krieg, haben aber nicht den gleichen Schutz wie die Menschen, die einen ukrainischen Pass haben," sagt Lötzsch.

Eine weitere Leerstelle bleibt nach der Ministerpräsidentenkonferenz von Donnerstag: Im Vorfeld hatten kommunale Verbände Unterstützung bei der Registrierung Geflüchteter gefordert. Die Bund-Länder-Runde blieb zu dem Thema vage.

Welche Kosten entstehen langfristig?

Welche Kosten auf Deutschland langfristig für die Geflüchtetenhilfe zukommen, lässt sich nur schwer abschätzen.

Zu unklar ist, wie viele Menschen nach Deutschland flüchten werden. Nach Angaben des Innenministeriums sind bis zum 6. April 310.000 Einreisen gezählt worden. Aber auf Grund der Visumsfreiheit für Ukrainer dürfte die Zahl höher liegen. Zudem ist unklar, ob Menschen wieder zurückgehen werden und ob sie innerhalb der EU weiterziehen.

In Deutschland wurden bisher 310.000 Geflüchtete aus der Ukraine gezählt

Ein Anhaltspunkt könnte die letzte große Fluchtbewegung nach Deutschland sein, als 2015 und 2016 insbesondere aus Syrien Kriegsvertriebene Schutz suchten. Seither rechnete die Bundesregierung mit Kosten von etwa 1000 € pro Flüchtling pro Monat.

Heute ist dies jedoch anders: Weil geflüchtete Ukrainer keine langwierigen Asylverfahren durchlaufen müssen und direkt arbeiten dürfen, werden die Sozialleistungen niedriger ausfallen. Dafür werden langfristige Kosten beispielsweise bei der Integration in den Arbeitsmarkt oder in der Schuldbildung entstehen.

In Sankt Augustin gibt es derzeit noch freie Betten für Geflüchtete. Denn mit der Fluchtbewegung 2015/16 wurden Kapazitäten zur Unterbringung geschaffen, berichtet Bürgermeister Leitterstorf.  Doch bald werden wohl Geflüchtete, die derzeit noch privat untergekommen sind, diese Betten belegen.

Wann das Geld aus Berlin für die Geflüchteten-Hilfe kommt, ist Leitterstorf egal. Er würde auch helfen, wenn gar keines käme. Doch ein Problem bleibt: viele Kommunen haben schlicht nicht genug Personal, um neben den Alltags-Aufgaben die Geflüchteten-Hilfe zu bewältigen. Auch in Sankt Augustin müssen Bürger deshalb länger auf Termine beim Amt warten als gewohnt.

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