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PolitikNahost

Ukraine-Krieg verschärft Hunger im Libanon

25. April 2022

Zusätzlich zur Wirtschafts- und Finanzkrise droht im Libanon eine Hungerkrise. Das Land ist fast komplett abhängig von Getreide aus der Ukraine und Russland. Entwicklungsministerin Schulze verspricht zusätzliche Hilfe.

Libanon Beirut | Besuch Bundesministerin Svenja Schulze
Bundesministerin Schulze (Mitte) bei einem Projektbesuch in Beirut im LibanonBild: Thomas Koehler/photothek/picture alliance

Die Frauen kochen gegen den Hunger an. In einer großen Gemeindeküche verarbeiten sie die Lebensmittel von Bauern aus dem Umland von Beirut. Hunderte Essenspakete stehen schon zur Auslieferung bereit. Sie sind bestimmt für die Menschen, die ohne diese Hilfe nicht das Fasten brechen könnten. Normalerweise ist das Fastenbrechen ein Freudenfest im heiligen Monat Ramadan.

Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze ist zurzeit im Libanon unterwegs, später reist sie nach Äthiopien weiter. Schulze besucht das Projekt in Beirut, das auch aus Deutschland mit gefördert wird. Hier wird genau das umgesetzt, was sich Schulze unter nachhaltiger Hilfe vorstellt: Nahrungsmittel aus der Region werden verarbeitet, ungelernte Frauen erhalten Arbeit und Ausbildung und können ihre Familien ernähren. Gleichzeitig helfen die hergestellten Essenspakete Menschen in akuter Notlage.

Die Gemeindeküche "Matbakh el Kell" liegt in dem Stadtviertel, das durch die Explosion im Beiruter Hafen im August 2020 schwer zerstört wurde. In der Nachbarschaft stehen noch immer Betonruinen, die einst Wohnhäuser waren. Fensterscheiben fehlen, ganze Wände und Fassaden sind herausgebrochen. Das Dach einer ehemaligen Tankstelle liegt wie zusammengefaltet am Boden, die Zapfsäulen sind verrottet.

"Wir sehen, dass sich ganz normale Menschen alltägliche Lebensmittel nicht mehr leisten können", sagt die Ministerin. Deshalb verspricht Svenja Schulze dem Welternährungsprogramm (WFP) im Libanon weitere zehn Millionen Euro an Hilfsgeldern.

Die Lage der Libanesen hängt auch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zusammen. "Putin macht mit diesem Krieg auch einen Krieg mit Hunger", so Schulze. "Die Lebensmittelpreise steigen, weil die Ukraine jetzt nicht mehr liefern kann."

Der Libanon befindet sich in einer gefährlichen Abhängigkeit: Das Land muss seinen Getreidebedarf fast vollständig mit Importen decken. Laut Unicef bezieht der Libanon bis zu 80 Prozent seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Gleichzeitig explodieren die Preise für Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt. Und durch die zerstörten Getreidesilos am Hafen fehlt dem Land die Lagerkapazität.

Mehrere Krisen kommen zusammen

Dort, am Hafen, stehen noch immer die Ruinen der explodierten Getreidesilos. Sie sind das Symbol für die katastrophale Lage im gesamten Land: "In weniger als zwei Jahren gab es vier aufeinanderfolgende große Krisen. Und die verbinden sich zu einer verschärften Krise, unter der der Libanon jetzt leidet: Die Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2019, die COVID-Pandemie, die Explosion im Hafen von Beirut und schließlich der Krieg in der Ukraine", sagt Sami Nader, Direktor des Levant Institute for Strategic Affairs (LISA).

Die zerstörten Getreidesilos als Symbol für Libanons KrisenBild: Marwan Naamani/dpa/picture alliance

Um weitere Hungerkrisen zu vermeiden, braucht es laut Svenja Schulze neben der kurzfristigen Hilfe auch langfristige Lösungen. "Die libanesische Regierung muss helfen, dass hier mehr Lebensmittel angepflanzt werden, damit man nicht mehr so abhängig ist und die libanesische Bevölkerung in die Lage kommt, sich selbst versorgen zu können."

Die Ministerin hofft, dass die neue Regierung das Thema angeht. In drei Wochen wird im Libanon gewählt. Die Aussichten aber sind düster. "Das ist keine stabile Situation hier. Das ist nicht einfach, hier auch politische Reformen voranzubringen. Aber das muss sein. Wir können hier nicht dauerhaft helfen, es muss auch ein Engagement der Regierung geben", sagt Schulze.

Auf Hilfe von außen angewiesen

Einst galt das Land am Mittelmeer wegen seines Reichtums als "Schweiz des Nahen Ostens".  Nun leben 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

"Die Kaufkraft der Libanesen schwindet von Tag zu Tag. Hinzu kommt, dass das libanesische Pfund 90 Prozent seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren hat", so der Ökonom und Analyst für den Nahen Osten, Sami Nader. "Was die Situation jedoch noch verschlimmert, ist die Tatsache, dass es kein Licht am Horizont gibt. Dass es keine klare Lösung gibt."

Krieg in der Kornkammer der Welt

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 Das Land hofft nun auf ein Rettungsdarlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Drei Milliarden Dollar soll der Libanon erhalten - geknüpft an die Bedingung, dass die libanesische Regierung weitreichende Reformen durchführt. Sami Nader glaubt nicht daran. "Das ist nur Tinte auf Papier. Den Entwurf eines Plans für den finanziellen Wiederaufbau hat die Regierung dem IWF vorgelegt, damit dieser mit der Finanzierung beginnt. Aber ist die Regierung in der Lage, diesen Plan umzusetzen? Die Antwort lautet Nein."

Unterstützung der libanesischen Regierung wird auch von den Hilfsorganisationen eingefordert: "Für uns als World Food Programme ist es extrem wichtig, dass Lösungen verhandelt werden, die getragen und angetrieben werden von einem politischen Willen. Sonst kommt es immer wieder von Notlage zu Notlage", so Ute Klamert, Beigeordnete Exekutivdirektorin des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen.

Korruption vermeiden, damit Hilfe ankommt

Die Libanesen aber, die seit Jahren unter der Korruption leiden, trauen der Regierung nicht. Zu oft haben sie in der Vergangenheit erlebt, dass die Hilfsgelder bei den Falschen landen.

Das Welternährungsprogramm hat das hingegen schon immer so gehandhabt: die Hilfe soll bei den Schwächsten ankommen. Damit die Hilfsgelder nicht versickern, hat das WFP im Libanon ein neues Programm aufgesetzt: Es verteilt Scheckkarten, die wie elektronische Nahrungsmittelgutscheine fungieren. Damit können die Betroffenen in über 400 Lebensmittelläden einkaufen. Ein Modell, das Vorbild sein kann: Geld und Lebensmittel kommen zu 100 Prozent dort an, wo sie am meisten gebraucht werden.

Lynn packt in der Gemeindeküche "Matbakh el Kell" in Beirut derweil weiter Essenspakete zusammen: Krautsalat, ein Reisgericht und etwas Obst. Was sie hier verdient, hilft auch ihren Eltern und ihrem Bruder, sagt sie. Die Libanesin ist 23 Jahre alt, hat gerade ihre Schule abgeschlossen. Irgendwann, davon träumt sie, will sie studieren. Bis dahin aber muss sich viel ändern. Im Libanon und in anderen Teilen der Welt.

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