1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ukraine-Krieg: Was denken Russischsprachige in Deutschland?

28. April 2023

Die DW wollte es genau wissen: Wer ist nach Meinung der Russischsprachigen schuld am Krieg? Wie wird er enden? Hat sich ihre Meinung zu Putin verändert?

Ukraine | Kämpfe um Bachmut
Krieg ohne Ende? Ein Bild aus der fast komplett zerstörten Stadt Bachmut Bild: Libkos/AP Photo/picture alliance

Russischsprachige in Deutschland befragt

02:37

This browser does not support the video element.

Russland ist schuld am Krieg in der Ukraine. Dieser Ansicht sind knapp 40 Prozent der Russisch sprechenden Menschen in Deutschland. Das ergibt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts dimap im Auftrag der DW. Befragt wurden im Rahmen einer Stichprobe 420 Muttersprachler, die eine Migrationsgeschichte aus Russland oder einer anderen ehemaligen Republik der 1991 aufgelösten Sowjetunion haben.

Wie viele Menschen das insgesamt sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. In einer Studie des Mediendienstes Integration aus dem Jahr 2020 ist von 3,5 Millionen Russischsprachigen in Deutschland die Rede. Die meisten hatten demnach einen Migrationshintergrund in Russland, Kasachstan und der Ukraine. Sie selbst oder mindestens eines ihrer Elternteile wurde also dort geboren. Allerdings waren lediglich 61 Prozent von ihnen russische Muttersprachler.

Putins Image hat massiv gelitten

Auf diese Gruppe wiederum konzentrierten sich die dimap-Meinungsforscher bei ihrer Umfrage für die Deutsche Welle. Fast zwei Drittel der im April 2023 Befragten gaben an, eine schlechtere Meinung zu Wladimir Putin zu haben als vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Bei 22 Prozent hat sich das Bild von Russlands Präsidenten 14 Monate seit dem Beginn des Krieges "eher negativ" verändert und knapp doppelt so viele antworteten mit "stark negativ". Insgesamt sind das 65 Prozent.

"In meinem privaten und beruflichen Umfeld habe ich erlebt, dass man über die russischen Gräueltaten, die über die sozialen und etablierten Medien verbreitet werden, entsetzt ist", sagt Edwin Warkentin im DW-Gespräch. Der Leiter des Kulturreferats für Russlanddeutsche am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold erklärt sich damit auch, wie negativ Putin gesehen wird: "Menschen, die in Deutschland leben, haben Zugang zu Informationsquellen, die die Gräueltaten zeigen und sie auch so benennen. Ganz im Gegensatz zu denjenigen, die in Russland leben und nur von der staatlichen Propaganda mit Informationen versorgt werden."

Zudem würden deutsche Bürger mit postsowjetischen Migrationshintergrund deutlich unterscheiden zwischen Putin und dem Land Russland - oder meist aus Moskau-kritischen Ländern stammen.

Ukraine: Besuch an der Front

04:13

This browser does not support the video element.

In der DW-Umfrage ist eine große Betroffenheit wegen des Krieges zu erkennen. Addiert man die Zahlen, machen sich knapp 80 Prozent "große Sorgen" oder "eher Sorgen". Das dürfte auch daran liegen, dass einer von fünf Befragten Familienangehörige oder Bekannte hat, die als Soldaten am Krieg beteiligt sind. Auf welcher Seite sie kämpfen, geht aus der Umfrage nicht hervor.

Besonders die Älteren machen sich Sorgen 

Vor allem die über 40-Jährigen fühlen sich betroffen, die Jüngeren nicht im selben Maße. "Ich glaube, dass es sich um eine allgemeine generationsspezifische Erscheinung handelt", erklärt Warkentin, der selbst in den 1990er Jahren als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland kam. Denn mit 40 oder ab 40 habe man eine Familie, man habe sich ein Leben aufgebaut, und sorge sich stärker um die Zukunft als jüngere Menschen.

Zudem gäbe es in der älteren Generation eine stärkere Identifikation mit ihren Herkunftsstaaten. Diese Menschen hätten ihre Jugend und vielleicht die Kindheit in den Ländern der früheren Sowjetunion erlebt. "Sie haben Freundschaften, die sie nach wie vor noch pflegen, oder sogar auch noch Verwandtschaft in Russland, der Ukraine oder Kasachstan, und sie fühlen sich emotional berührter von diesem Konflikt als jüngere Generationen, die hier in Deutschland sozialisiert, aufgewachsen und vielleicht sogar geboren sind. Insofern durchleben sie diesen Krieg viel emotionaler, und das erfüllt sie mit mehr Sorgen."

Dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch negative Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen hat, glaubt mit 45 Prozent fast die Hälfte der Befragten. Wobei diese Meinung unter den 18- bis 39-Jährigen mit 56 Prozent wesentlich stärker verbreitet ist als unter den mindestens 60-Jährigen. In dieser Altersgruppe sind es nur 31 Prozent.

Mehrheit für stärkere Zusammenarbeit mit Russland

Wenn es um den Umgang Deutschlands mit den beiden Kriegsparteien geht, tendiert eine Mehrheit dazu, wieder stärker mit Russland zusammenzuarbeiten. Dafür sprechen sich in der DW-Umfrage 44 Prozent aus, während ein knappes Drittel eine stärkere Unterstützung der Ukraine befürwortet.

Nach Einschätzung von Warkentin würde die deutsche Mehrheitsgesellschaft ähnlich urteilen. "Ich glaube, eine Intensivierung oder eine Rückkehr zu einem normalen Umgang mit Russland wünscht man sich prinzipiell schon, aber unter anderen Voraussetzungen, wahrscheinlich einer anderen Regierung, mit einem anderen System", sagt der Forscher vom Kulturreferat für Russlanddeutsche.

Den Zuspruch eines Drittels der Befragten für eine stärkere Unterstützung der Ukraine begrüßt Warkentin ausdrücklich. "Dieses Ergebnis hätte ich mir vor dem 24. Februar 2022 nicht vorstellen können." Eine solche Aussage könnte die Solidarität mit der Ukraine verdeutlichen. Was ihm im letzten Jahr in öffentlichen Debatten gefehlt habe, "war das Thema der Hilfe durch Russischsprachige für ukrainische Flüchtlinge beziehungsweise Hilfskonvois in die Ukraine".

Große Demo-Bereitschaft für ein Ende des Krieges

Die Hälfte der Russischsprachigen in Deutschland könnte sich vorstellen, für den sofortigen Stopp des Krieges zu demonstrieren. Für die Unterstützung der Ukraine gingen 17 Prozent auf die Straße. Im Falle Russlands wären es nur halb so viel (neun Prozent). Noch geringer wäre mit vier Prozent die Bereitschaft, sich an einer Pro-Putin-Demo zu beteiligen. Gegen ihn würden aber gut 20 Prozent protestieren.

Skeptisch sind die meisten beim Blick in die Zukunft. Knapp die Hälfte erwartet, dass es auf lange Sicht keinen Frieden geben wird. Ungefähr die Waage hält es sich bei der Frage danach, wer den Krieg gewinnen wird. Auf Russland tippen elf Prozent und neun auf die Ukraine. Ein knappes Fünftel rechnet mit einer diplomatischen Lösung.

Edwin Warkentin empfiehlt der deutschen Politik, "sich Umfragen und statistische Ergebnisse dieser Art genauer anzuschauen". Damit man begreife, dass die postsowjetische Community in Deutschland eine höchst heterogene Gruppe ist, mit einer mehrheitlichen Sozialisierung in der westlichen, deutsch-europäischen Gesellschaft. "Das wäre ganz wichtig", betont Warkentin, "damit nicht der Eindruck entsteht, es gebe hier eine Diaspora, die eventuell anderen Ansichten zu diesem Krieg nachhängt und vielleicht in einem Loyalitäts-Konflikt steckt." Denn ein solcher Loyalitätskonflikt hätte das Potenzial, den gesellschaftlichen Frieden im Land zu stören.

Warkentin zieht aus der DW-dimap-Umfrage die "wichtige Erkenntnis", dass die Einstellung der Befragten zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, gleichwohl sie emotional betroffener sind, eher der Einstellung der Mehrheitsgesellschaft entspricht.  "Insofern denke ich, dass Ergebnisse dieser Art auch das Zusammenleben in einer Migrationsgesellschaft entspannen und harmonisieren können."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen